Backbreaker24.06.2010, Mathias Oertel
Backbreaker

Im Test:

Seit über 20 Jahren wird virtueller American Football von EAs Madden-Serie dominiert. Von Zeit zu Zeit traut sich jedoch ein Außenseiter zu, dem Altmeister ein Bein zu stellen. Doch egal ob Take 2 mit seinen NFL-Titeln oder dem ohne Lizenzen auskommenden All-Pro Football oder Midway mit der Blitz-Serie: Letztlich mussten sie alle die Segel streichen. Jetzt unternimmt Backbreaker (ab 14,50€ bei kaufen) einen Versuch.

Das Kreuz mit der Dominanz

Dass ein Titel ein Genre dominiert, hat nicht nur Vorteile. Auf der einen Seite zeugt das von der Qualität des jeweiligen Spiels. Aber auf der anderen belebt Konkurrenz ja bekanntlich das Geschäft. Und sie sorgt im Idealfall dafür, dass sich Titel kontinuierlich weiter entwickeln, anstatt auf hohem Niveau zu stagnieren. Und dass der Wettbewerb um die American Football-Krone mittlerweile zu einer One-Man-Show geworden ist, hat beim Primus Electronic Arts zu einer Babyschritt-Strategie geführt. Man erinnere sich: Die Jahre, in denen der Madden-Serie z.B.  durch Titel wie Take 2's NFL 2K-Reihe

Die Zeit der vorberechneten Tackle-Animationen ist vorbei: Natural Motion setzt auf eindrucksvolle Echtzeitberechnung.
Feuer unterm Hintern gemacht wurden, haben zu den größten Fortschritten geführt - sowohl beim Titelverteidiger als auch beim jeweiligen Herausforderer. Doch was, wenn die Konkurrenz aus verschiedenen Gründen wie z.B. Verlust der NFL-Lizenz (2K) oder Pleite des Publishers (Blitz-Serie) eingeht? Der Sieger freut sich, neigt aber auch zur behäbigen Trägheit. Auftritt: Backbreaker (BB). Dem von Natural Motion Games entwickelten American Football fehlt zwar auch die offizielle Lizenz, doch dafür möchte man die Fans mit einem "revolutionären" Animations- und Physiksystem überzeugen.

Eigenwerbung?

Natural Motion? Da war doch was? Zocker, die sich dafür interessieren, aus welchen Komponenten ihre Lieblingsspiele zusammengesetzt sind, werden darauf hinweisen, dass die Euphoria-Physik- sowie Reaktions-Engine aus diesem Hause stammt. Zuerst eingesetzt bei Rockstars GTA IV und Star Wars The Force Unleashed hat Euphoria zuletzt in Red Dead Redemption für eindrucksvolle Auswirkungen bei Schussgefechten gesorgt. Dementsprechend kommt das Physik-Tool auch hier zum Einsatz. Doch damit nicht genug: Das Animationssystem, das hier verwendet wird, nennt sich 'Morpheme', rühmt sich, eine nahtlose Integration mit Euphoria herstellen zu können und stammt von welchem Team? Richtig: Natural Motion! Das klingt nach Werbeveranstaltung. Und es lässt befürchten, dass der möglichst beeindruckenden Präsentation der Engine-Tools alles andere untergeordnet wird, vor allem wenn man mit Begriffen wie revolutionär um sich wirft.

Kein Tackle wie das andere

Allerdings muss man sagen, dass die Auswirkungen auf dem Spielfeld tatsächlich diesem Begriff gerecht werden: Die Tackles wirken realistischer und frischer als bei der Maddenschen Konkurrenz und nutzen sich auch nach dem x-ten Match nicht ab, wenn bei EA schon längst auch die letzte der umfangreichen Tackle-Animationen bis zum Abwinken abgespult wurde. Wenn bei BB die muskelbepackten Körper aufeinanderprallen, kann man nie sicher sein, was passieren wird. Jede Situation ist anders, jedes Zusammentreffen wird frisch berechnet und die Ergebnisse wirken niemals überzogen, unrealistisch oder langweilig.

Die Kulisse kann auch ohne Original-Spieler und dazugehörige Lizenz überzeugen.
Doch leider ist dies schon der einzige wesentliche Punkt, in dem Natural Motion der Konkurrenz aus dem Hause EA voraus ist. Ideen, um American Football auch spielmechanisch vorwärts zu bringen, sind zwar vorhanden, doch die Umsetzung ist meist unglücklich - man merkt deutlich, dass Natural Motion offensichtlich meisterliche Engines bauen kann, aber mit den dazugehörigen Spielinhalten überfordert ist.

Frisch, aber ungestüm

Nehmen wir z.B. die Perspektive, die die Football-Karriere per Schulterkamera zeigt. Dadurch wird man zwar stärker in das Geschehen auf dem Feld eingebunden und kann auch die Tackles in höherer Intensität begleiten, doch Übersichtlichkeit vor allem in der Defensive sieht anders aus.

Als Quarterback oder Ballträger bei einem Laufspiel funktioniert diese Art der Darstellung zwar gut, doch als Verteidiger verliert man schnell den Überblick - vor allem, wenn man versucht, auf den ballnächsten Spieler umzuschalten und die Kamera mit dem Figurenwechsel plötzlich einen wilden Schwenk vollführt, der einen kurzzeitig verwirrt. Und da Tackles mitunter in Sekundenbruchteilen entschieden werden, fehlen einem diese entscheidenden Momente zu häufig. Und da hilft es dann auch nicht, dass die Kollisionen so überragend in Szene gesetzt werden und auf einem herrlich filzigen Rasen stattfinden, von dem sich das Tiburon Studio ebenfalls eine größere Scheibe abschneiden kann. Eine Möglichkeit, heraus zu zoomen und die Kamera höher zu postieren, wird leider nicht angeboten.

     

Spieler, die von der Madden-Serie zu BB stoßen, werden sich jedoch nicht nur über die mangelnde Übersicht beklagen, sondern müssen sich auch an eine neue Steuerungsvariante gewöhnen, bei der Knopfdruckaktionen auf ein Minimum reduziert wurden. Nahezu alle Funktionen werden über den rechten Stick gesteuert. Das beginnt bei Kick Offs und Field Goals, geht in der Defensive bei Tackles weiter, führt über "Bullet"- und Lob-Pässe des Quarterbacks und hört erst bei den Ausweichbewegungen der Running Backs und Receiver auf. Auch dies ist eine Idee, die grundsätzlich zu begrüßen ist, da die Spielerkontrolle enorm intuitiv ist.

Allerdings ist das Spektrum des rechten Sticks im Vergleich zum konventionellen Knopfdruck-System vergleichsweise eingeschränkt, so dass letztlich sowohl im Angriff als auch in der Verteidigung deutlich weniger Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um zum Erfolg zu kommen. Und obendrauf ist die Erkennung der Stick-Bewegung mitunter ungenau. Gerade bei den ausweichenden Drehbewegungen passiert es unversehens, dass man schließlich einen Seitschritt macht, der einen urplötzlich in eine Kollision mit einem Verteidiger führt.

Rudimentärer Umfang

Dass die Playbooks mit den Spielzügen eher klein ausfallen, stört hingegen weniger. Denn zum einen sind letztlich genug Zug-Variationen vorhanden, um das Rasenschach abwechslungsreich und taktisch ansprechend zu gestalten. Und zum

Die Kameraführung ist intensiv, lässt aber vor allem in der Defensive die Übersicht vermissen.
anderen verhält sich die KI sowohl offensiv als auch defensiv recht gut, wobei Pass-Spiele gefühlt höheren Erfolg versprechen als die läuferischen Varianten.

Was den Umfang betrifft, ist man für ein Erstlingswerk zwar auf den ersten Blick gut aufgestellt, doch wenn man im Detail den beiden Liga-Modi auf die Finger schaut, sind die Unterschiede eher gering und vorrangig im Bereich der Individualisierung zu finden: In der "normalen" Saison wählt man eines der vorhandenen Teams aus, in "Road to Backbreaker" geht man mit einer eigens erstellten Mannschaft auf Titeljagd. Beiden gemeinsam sind umfangreiche Statistiken, die sich allerdings hinter einer nicht ganz intuitiven Benutzerführung verstecken.

Alternativ kann man sich auch an der "Tackle Alley" versuchen, einem arcadigen Minispiel, in dem man sich als Running Back über Dutzende Abschnitte in die Endzone kämpfen muss. Doch auch hier bleibt der Unterhaltungswert in überschaubaren Grenzen.

Dass Backbreaker mit inhaltlichen Problemen kämpft, ist umso bedauerlicher, da die visuelle Umsetzung auch abseits der Animationen und Tackles gelungen ist: Die Fantasiestadien sehen allesamt klasse aus, die Einmärsche der Teams sind beinahe so dramatisch wie die Kollisionen auf dem Platz und wenn man per Schultertaste in den Aggressionsmodus schaltet und die Kamera hektisch hin und her wackelt, steigt der Adrenalinspiegel. Die akustische Seite hingegen ist ernüchternd. Abseits der kernigen Aufprallgeräusche gibt es eigentlich nichts, weswegen es sich lohnen würde, die Lautstärke nach oben zu drehen.   

Fazit

Auch Backbreaker kann nicht an der Vormachtstellung der Madden-Serie kratzen. Dabei macht das Team von Natural Motion vor allem auf dem Feld vieles richtig: Die nicht vorberechneten Tackles bereichern das Spielerlebnis immens und sind immer wieder einen zweiten Blick wert. Die Kulisse sieht durchweg gut aus und das Steuerungssystem mit Fokus auf dem rechten Stick zeigt, dass man auch abseits klassischer Knopf-Kontrollen Erfolg haben kann. Doch letztlich ist das Football-Spektakel nur wenig mehr als eine ausgefeilte Tech-Demo, mit der das Team die hauseigenen Animations- und Physiksysteme exemplarisch an den Mann bringen möchte und dafür auch inhaltliche Kompromisse in Kauf nimmt. Ja: Es ist sehr intensiv, die Akteure auf dem Feld mit der Schulterkamera zu begleiten. Doch für einen Sport, in dem es mitunter auf Sekundenbruchteile und genaues Timing ankommt, bleibt die Übersicht einfach zu häufig auf der Strecke, während die Steuerung immer wieder im entscheidenden Moment mit Ungenauigkeiten aufmuckt. Und auch wenn Madden nicht so aufwändige Tackles bietet, liegt der Primus nach wie vor mit weitem Abstand auf Platz 1, da er in den wichtigsten Punkten nicht nur mehr Tiefgang aufweist, sondern auch weitaus besser spielbar ist.

Pro

realistisches Tackle-System
eingängige Steuerung...
geschmeidige Animationen
gute KI...
eigene Teams erstellbar
kooperativ spielbar

Kontra

Defensiv-Spiel sehr hektisch und unübersichtlich- ... die allerdings nur eingeschränkte Möglichkeiten bietet
keine Übersichts-Darstellung- ... die Schwächen bei Pass-Spielen zeigt
geringer Umfang

Wertung

360

Der Angriff auf die Madden-Serie gelingt nur eingeschränkt: Technisch gelungen, aber inhaltlich mit zu vielen Macken verpasst Backbreaker den großen Wurf.

PlayStation3

Technisch gelungen, mechanisch zwiespältig: Backbreaker ist mehr eine interaktive Engine-Demo als ein eindrucksvoller Angriff auf die Madden-Dominanz.

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