Civilization 4: Colonization24.09.2008, Jörg Luibl
Civilization 4: Colonization

Im Test:

Habt ihr den Mut zur Revolution? Würdet ihr im Zweifelsfall zu den Waffen greifen, um eure Freiheit zu verteidigen? Falls ja, solltet ihr euch der strategischen Herausforderung dieses modernisierten Klassikers stellen, denn hier geht es drei Jahrhunderte lang nur um eines: Eine starke Kolonie in Amerika gründen und fleißig rebellische Stimmung verbreiten, um irgendwann die Fahne der Unabhängigkeit zu schwenken. Weht der anspruchvolle Geist des Originals noch in diesem Remake oder hat man ihn am Altar des Mainstreams geopfert?

Aller Anfang ist idyllisch

 

Vom Klassiker zur Neuauflage: Firaxis stellt Civilization IV: Colonization in diesem Video vor.Da seufzt das nostalgische Herz: Nach all den Jahren der Dürre erbarmt sich Firaxis endlich seiner Fans und bringt einen Evergreen von MicroProse zurück ins rundenbasierte Strategieleben. Was hat man sich anno 1994 mit Colonization die Nächte um die Ohren geschlagen? Und jetzt kehrt der erbarmungslose Zeitfresser auf Grundlage der Civilization IV-Engine in grafisch und inhaltlich modernisierter Form zurück auf den Desktop: Der Atlantik wogt bei spiegelglatter See, die Karavelle wirft die Schatten ihrer Segel in die Wellen und ich kann in die Wolkensicht rauszoomen - sehr schön.

Schon nach wenigen Klicks fühlt man sich zurückversetzt in die Zeit des Originals: Da sind die edlen Menüs in ihren Braun- und Goldtönen, da sind die Gründerväter von mit all ihren verlockenden Boni und selbst das Design der Stadtverwaltung orientiert sich an den Ursprüngen. In Sachen Art & Design dürfen Veteranen aufatmen und zunächst die veredelte Luft der 90er atmen. Schade ist, dass es keine animierten Beraterfiguren gibt: Wenn man sich durch die Menüs klickt, herrscht leider Sterilität. Das bezieht sich nicht nur auf das Fehlen von Persönlichkeiten, sondern auch auf den lieblosen Stil innerhalb der Statistiken und Erklärungen, die den Charme von Textwüsten versprühen.

Anno 1994 sah das Ganze unter MS-DOS noch etwas spartanischer aus. Allerdings hat man sich an den damaligen Stil gehalten.Auf der ersten Ebene der Benutzeroberfläche wirkt das Spiel noch edel, man freut sich über wuselnde Tiere und auch die Diplomatiefenster mit den animierten Herrschern und Häuptlingen können sich sehen lassen. Aber je tiefer man sich hinein klickt, desto weniger Liebe zum Detail und mehr nutzloses Füllmaterial wird man in den Statistiken finden. Was hat z.B. die Elektrizität dort als Wert zu suchen? Warum werden die eigenen Siedlungen nicht auch als 3D-Modelle mit all ihren neuen Gebäuden gezeigt? Und warum müssen Schiffe auf ihrer Route um Landspitzen grundsätzliche durch Landmasse segeln? Aber irgendwann scheren einen diese ärgerlichen Kleinigkeiten nicht mehr, wenn man von der gnadenlosen Nur-noch-eine-Runde-Spielmechanik gefangen wird.

Von Kolumbus bis Washington

Die Ausgangssituation ist dieselbe wie anno 1994: Zu Beginn sucht man sich einen von jeweils zwei englischen, spanischen, holländischen oder französischen Anführern mit bestimmten Boni aus: Während man mit dem disziplinierten Engländer George Washington z.B. nur die Hälfte für die Ausrüstung seiner Soldaten bezahlt, bekommt man mit dem kooperativen Franzosen Samuel de Champlain eine hundertprozentige Bekehrungsquote bei Indianern. Was alle acht Charaktere verbindet: In der Heimat wartet ein gieriger König auf Steuern und Schätze aus den

Die Ähnlichkeit zum Original ist unverkennbar - Veteranen und Nostalgiker wird's freuen.
Kolonien. Und alle wollen dem Mann so schnell wie möglich die Treue aufkündigen!

Was die Benutzeroberfläche im Detail nicht bietet, wird von der akustischen Präsentation wieder wett gemacht: Auf meinem Schiff warten ein Soldat und ein Pionier auf den Landgang in der Neuen Welt. Begleitet von der lieblichen Melodie einer Geige und dem Rauschen des Windes erreicht mein kleiner Kolonistentrupp im Jahr 1492 die Ostküste Amerikas. Wo soll ich meine erste Siedlung gründen? Und wie soll ich mich gegenüber den Ureinwohnern verhalten?

Ich bin in den ersten Jahren auch noch abhängig von der heimatlichen Unterstützung: Schließlich landet man mit gerade mal zwei Einheiten und einem Schiff an der Ostküste Amerikas. Im Landesinneren wimmelt es vor indianischen Stämmen und während man noch die erste Siedlung errichtet, landen auch schon andere ehrgeizige Nationen irgendwo zwischen Panamakanal und Neufundland. Die Zeit drängt und noch ist viel Platz vorhanden.        

Vier Nationen, ein Ziel: Amerika!

Zu Beginn habt ihr die Wahl unter je zwei Anführern der Franzosen, Engländer, Spanier und Holländer.
Da ich die Franzosen gewählt habe, setze ich eher auf Kommunikation statt Konfrontation. Trotzdem muss ich vorsichtig sein. Die Musik wechselt in indianischen Singsang, der von sanften Panflöten begleitet wird, als die Küste vor mir liegt: Irgendwo erkenne ich die Grabstätten der Sioux, dann einen Hügel mit Defensivbonus und Waldland mit reichlich Holz. Ich entscheide mich für die bessere Verteidigung und errichte dort Québec. Der Häuptling der Indianer meldet sich umgehend über den animierten Diplomatieschirm und gestattet mir den Bau, weil ich ja nur einen kleinen Trupp von zwei Kolonisten befehlige - in seinem Reich könnte er in wenigen Runden dutzende Krieger zusammen trommeln.

Meine erste Aufgabe: Die Ureinwohner über Geschenke und Handel wohl gesonnen stimmen, schnell ein Trockendock sowie ein Lager ausbauen, um den maritimen Austausch mit Frankreich zu beschleunigen und die Gegend erkunden. Über einen Späher könnte ich weitere Völker, Rohstoffe und Schätze finden. Ich könnte aber auch einen Pionier zum Roden in den Wald schicken. Oder soll ich gleich expandieren, um eine zweite Siedlung zu errichten? Aber müsste ich dann nicht schon zwei Palisaden errichten? Fragen über Fragen.

Der Atlantik kann sich sehen lassen: Wenn man ganz nah ranzoomt erkennt man schöne Spiegelungen und Schattenwürfe.
Schon die ersten Entscheidungen stellen die Weichen für die Zukunft und sorgen für angenehmes Grübeln. Aber sie sind nur ein Vorgeschmack auf knifflige drei Jahrhunderte mit angenehm komplexer, aber von Civilization IV abweichender Spielmechanik. Das Spielziel ist klar und gibt den Weg vor, der statt gemütlichem Sandkastenaufbau in alle Richtungen eher geschickte Effizienz in einer Richtung verlangt: Wer zuerst die Unabhängigkeit vom Mutterland erklärt, gewinnt! Also muss man möglichst zielstrebig expandieren, gleichzeitig für rebellische Stimmung sorgen und so aufrüsten, dass man die finale Schlacht gegen die königlichen Truppen gewinnt.

Kluges Personalmanagement

Im Gegensatz zu Civilization IV geht es weniger um das Weltreichs-, sondern vielmehr um das kluge Personalmanagement. Colonization hat einen ganz anderen Rhythmus und alte Civ-Hasen müssen genau so umdenken wie sich Neulinge angesichts der Komplexität und des halbherzigen Tutorials reinbeißen müssen. 1492 ist die Aufbauwelt noch klar strukturiert: Es gilt, Siedler aus der Heimat in die neue Welt zu schaffen, dort Kolonien zu gründen und mit dem Gold auszukommen. Das bedeutet wiederum, dass man zügig Handel mit den Indianern, anderen Nationen und vor allem der Heimat betreiben muss. Man beginnt quasi als stellvertretendes Oberhaupt von Königs Gnaden.

Die Kolonien in der Neuen Welt gedeihen - aber Vorsicht: Man muss vor der europäischen Konkurrenz seine Unabhängigkeit erklären!
Das Schöne ist: Geht das Schiff mal unter, bekommt man ein neues. Das Blöde ist: Man wird irgendwann gemolken wie eine Kuh - Steuern werden erhöht, die Hälfte der Schätze wird konfisziert und Truppen aufgestockt, während man den Ring des Königs küssen muss. Man kann Zahlungen auch verweigern, aber dann wächst der Unmut beim Monarchen und er wird misstrauisch. Die Folge: Er verweigert den Import von bestimmten Waren aus euren Kolonien, er verstärkt sein Entsatzheer für die Neue Welt und eure finale Schlacht wird härter. Man muss also zwischen Zuckerbrot und Peitsche lavieren, was die Politik mit der arroganten Heimat angeht.

Und selbst wenn man die Unabhängigkeit erklärt und sich u.a. für eine neue Staats- und Religionsform, die Sklaverei sowie den Umgang mit den Ureinwohnern entschieden hat, ist das Thema noch nicht erledigt: Der König wird sofort militärisch reagieren und euch ein Heer auf den Leib hetzen. Erst jetzt kommt es zur finalen Schlacht: Gewinnt man gegen die Bodentruppen seiner Majestät, wobei man wirklich alle vernichten muss, hat man auch das Spiel gewonnen - ich habe viele Partien gespielt, in denen mir genau diese militärische Durchschlagskraft in den letzten 20 Runden fehlte, weil ich einfach zu wenig Waffen und Soldaten produziert hatte. Und genau diese knifflige Balance zwischen Expansion und Rebellion, zwischen Wachstum und Ausbildung, Handel und Aufrüstung ist es, die das Spiel so interessant macht - denn hier kommt es wirklich auf jeden neuen Siedler an.

  

Jeder Mann ist wichtig

Nur, wer kluges Personalmanagement betreibt, wird in seiner Kolonie sowohl rebellische Stimmung verbreiten als auch expandieren können.
Was heißt Personal- statt Reichsmanagement? Das heißt, dass jeder Mann wichtig ist. Denn es gibt keine festen Berufe - jeder kann theoretisch alles machen. Und alles hängt miteinander zusammen. Wenn man einen Siedler zum Holzfäller oder Schmied macht, kann man schneller in Sachen Infrastruktur expandieren und Gebäude bauen. Wenn man ihn zum Bauern macht, wächst die Stadt schneller und es gibt Bevölkerungswachstum. Wenn man ihn gleich ins Rathaus steckt, wächst die rebellische Stimmung und damit dehnen sich die Reichsgrenzen aus.

Aber wie soll man gleichzeitig wirtschaftlich expandieren, also Wohlstand und Arbeit schaffen, was wiederum Gold und Handelsware einbringt, und rebellisch sein? In Colonization müsst ihr dazu wertvolle Arbeitskräfte und Neusiedler ins Rathaus stecken, wo sie das nationale Selbstbewusstsein in Glockenform stärken. Das Problem ist erstens, dass diese drei nicht arbeiten und trotzdem ernährt werden müssen. Das Problem ist zweitens, dass die rebellische Stimmung immer aus einem Verhältnis zwischen diesen drei Propagandamännern und der Stadtbevölkerung berechnet wird. Sprich: Je mehr arbeitende Leute in der Siedlung, desto niedriger der Wille, gegen die Krone aufzubegehren. Man muss also einen Weg finden, der sowohl eine gewisse Produktion sichert als auch genügend Propaganda. Und dann muss man seine Siedlungen

Die zwei Kolonisten im Rathaus sorgen für die rebellische Stimmung in Form der Freiheitsglocken. Aber sie müssen ernährt werden - und das ist teuer.
noch so schützen, dass sie nicht gleich von Indianern überrannt oder von den drei europäischen Konkurrenten vereinnahmt werden. Und dann muss man mit Indianern aus zig Stämmen handeln, sie bekehren und mit Geschenken beehren. Und dann muss man selbst Waffen produzieren. Und dann muss man die blöden Freibeuter mit eigenen Linienschiffen abwehren. Und dann. Und dann. Und dann.

Also behandelt man jeden, wirklich jeden neuen Kolonisten, wie einen Schatz. Und man macht sich Gedanken darüber, ob man den Meistertabakpflanzer, der statt drei gleich sechs Blätter erntet, wirklich auf das Feld schickt oder ihn nicht doch zum rebellischen Politiker oder Missionar ausbildet. Das Schöne an Colonization ist, dass ihr die Berufe der Kolonisten quasi jederzeit wechseln könnt - allerdings auf Kosten etwaiger Spezialisierungen. Wie teuer die Ressource Mensch ist, vor allem wenn sie qualifiziert ist, zeigt sich bei einem Besuch im Heimatland. Wer dort seine Rohstoffe verkauft, kann auch Auswanderer mit Beruf einkaufen, wenn sie nicht von alleine in die Neue Welt wollen. Und das ist richtig teuer: Für so einen Meisterpolitiker, der im Rathaus von Québec ordentlich gegen den französischen König wettern könnte (sechs statt drei Glocken!), zahlt man schon mal zweitausend Gold. Dafür muss man in Amerika richtig lang Baumwolle pflücken. 

Der Wettlauf um die Gründerväter

Wer geschickt Zusatzpunkte in den Bereichen Erkundung, Handel, Militär, Religion & Co sammelt, kann diese nutzen, um Gründerväter zu bezahlen, die permanente Boni einbringen.
Sobald ihr eine Kolonie gründet, setzt ihr das Räderwerk in Gang, das euch Nahrung, Gold, Schätze, Rohstoffe, Produkte, Verbündete & Co einbringt. Aber wozu sind eigentlich Religions-, Handels-, Politik-, Erkundungs- und Militärpunkte gut? Nur mit ihnen könnt ihr prominente Gründerväter aus verschiedenen Bereichen in die Neue Welt locken, die euch permanente Boni gewähren: Wer sich die Dienste von Hernán Cortes sichert, bekommt in jeder Siedlung eine freie Palisade; wer Pocahontas verpflichtet, darf sich auf gute Beziehungen zu den Ureinwohnern freuen; wer Juan de Sepúlveda anheuert, bekommt gleich zwei konvertierte Indianer.

Das ebenso Spannende wie Knifflige an den Gründervätern ist: Wer zuerst kommt, malt zuerst! Sprich: Ihr müsst die historischen Promis mit euren Religions-, Handels-, Politik-, Erkundungs- und Militärpunkten bezahlen, woraufhin diese verschwinden. Wer hier zu schnell Punkte ausgibt, verringert natürlich die Chance, bei späteren und meist noch effizienteren Gründervätern zuschlagen zu können. Insgesamt warten an die 50 Persönlichkeiten aus fünf Bereichen auf euch. Bis man das komplexe System aus Personalmanagement, Aufbau und diesen Entwicklungsboni verinnerlicht hat, vergeht einige Zeit und man trifft zunächst viele falsche Entscheidungen. Ich hab in den ersten drei Spielen auf dem dritten Schwierigkeitsgrad kein einziges Mal die Unabhängigkeit vor der Konkurrenz erreicht.

    

Offene Fragen & Handelshickhack

Der spanische Anführer bittet um finanzielle Hilfe. Die Diplomatie ist vorhanden, lässt aber die letzte Konsequenz und vor allem eine bessere Einbindung der Indianer vermissen.
Es gibt zwar ein Tutorial, das einem beim ersten Spielen mit Hinweistexten hilft, aber selbst damit bleiben viele Fragen offen. Man muss sich sehr oft durch die interaktive Zivilopädie wühlen, um noch mal nachzuforschen, wofür man jetzt genau Kreuze brauchte oder warum Pioniere überhaupt sinnvoll sind. Während man dann schnell heraus findet, dass Religion, Kirchen & Co in der neuen Welt wichtig sind, um daheim für mehr Aussiedler zu sorgen, bleibt die Frage der Pioniere eher unbeantwortet. Das liegt daran, dass sie zwar die Infrastruktur verbessern, indem sie Dschungel roden oder Straßen bauen, aber irgendwie sind sie im Gegensatz zu Civilization IV nur Randfiguren. Zu teuer, zu wenig Ertrag. Hinzu kommen andere Fragen: Warum erzeuge ich keine Religionspunkte, wenn ich missioniere? Warum ist das Handelssystem so ineffizient?

Ein größeres Manko des Spiels ist nämlich die Organisation des Warenverkehrs: Es gibt quasi nur Schiffe oder Planwagen als Transportmittel. Was sich anfangs noch recht gut manuell einleiten lässt, wird bei zwölf bis zwanzig Siedlungen später unangenehm aufwendig, da es keine komfortable und funktionierende Routenplanung gibt, die mir das Hin und Her von Import und Export so abnimmt, dass ich es leicht administrieren kann. Es gibt zwar einen Automatismus, aber der ist viel zu kompliziert und alles andere als benutzerfreundlich einzurichten - zumal die Planwagen manchmal nicht das machen, was man will. Sprich: Man muss auch noch im 17. Jahrhundert das meiste von Hand aus transportieren. Dieses Mikromanagement nervt, weil man sich eigentlich auf andere Dinge konzentrieren muss.

Ureinwohner & KI-Schwächen

Es ist vollbracht: Die Unabhängigkeitserklärung wurde unterzeichnet, das Volk rebelliert und die Königsstatue wurde gestürzt!
Man hat zudem kaum den Überblick über den Warenaustausch mit den Indianern. Hier wäre es klasse gewesen, wenn man den Handel mit den Ureinwohnern wirklich effizient hätte planen und gestalten können - warum brauche ich dafür z.B. unbedingt einen Planwagen? Überhaupt spielen die Indianer eine viel zu kleine Rolle angesichts ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit: Wenn man zu aggressiv vorgeht oder expandiert, dann attackieren sie zwar die Siedlungen, aber sie reagieren viel zu passiv in Sachen Diplomatie und Handel. Warum kann ich z.B. all ihre Warenwünsche ohne Konsequenzen ignorieren, während sie mich mit Geschenken überhäufen? Warum bekomme ich keinen Diplomatiebonus, wenn ich Indianer beschenke?

Im Kampf gibt es dann große KI-Schwächen. Nicht, dass es zu leicht wäre, ganz im Gegenteil, aber man beobachtet obskure Manöver auf der Karte: Die Spanier erklären z.B. ihre Unabhängigkeit. Warum darf ihr König dann einfach so durch mein französisches Land ziehen, um sie zu attackieren? Und warum zieht er mit all seinen Dragonern und Kanonen über einen fatalen Umweg zum Ort der Rebellion? Er landet sogar auf der falschen Landspitze, um die Aufständischen zu erreichen und verschenkt damit zehn bis zwanzig (!) Runden Fußmarsch, obwohl er direkt vor ihrer Hauptstadt intervenieren könnte.

Nord- & Südamerika

Nach der Unabhängigkeitserklärung wartet die letzte Schlacht gegen die königlichen Entsatztruppen auf euch: Und die hat es in sich. Wer nicht gut genug aufgerüstet hat, wird untergehen...
Wer sich nicht auf Nordamerika beschränken will, kann auch im großen Maßstab loslegen: Es gibt eine riesige Karte, die die Landmasse vom Südpol bis zum Nordpol zum Spielfeld macht. Ansonsten kann man sich in regionalen Szenarien auch auf die Nordwestpassage in die Weiten Kanadas begeben, der Karibik mit all ihren Inseln einen Abstecher liefern oder zwischen Anden und Amazonas kolonisieren. Wie in Civilization IV lassen sich Kartengrößen ebenso anpassen wie der siebenstufige Schwierigkeitsgrad - wir empfehlen allen Einsteigern aufgrund des hohen Anspruchs hier auch tatsächlich den ersten; selbst Civ-Veteranen sollten erstmal mit dem dritten "Kundschafter" beginnen.

Colonization ist zwar ein historisch inspiriertes Spiel mit vielen authentischen Gestalten der frühen und späten Neuzeit, aber selbstverständlich keine chronologische Simulation: Da taucht Sitting Bull schon zu Kolumbus' Zeiten auf und selbst wenn die Holländer die Unabhängigkeit deklarieren, weht die erste Form der Stars and Stripes als Flagge und es gibt eine Deklaration auf Englisch, nicht auf Französisch. Aber das sind alles Nebensächlichkeiten, denn Firaxis fängt gerade über die wunderbare musikalische Untermalung sowie die Einbindung der auf historischen Personen beruhenden Gründerväter durchaus den Geist der Zeit ein.

   

Fazit

Wie viele Stunden habe ich jetzt in die Kolonisierung Amerikas investiert? 20? 50? Diese nostalgische Rundenstrategie wird euch mit ihrem historischen Flair in ihren gnadenlosen Bann ziehen, weil sie so angenehm knifflig zu meistern ist und über drei Jahrhunderte immer wieder wichtige Entscheidungen verlangt. Wie kann ich als kleine Kolonie gegen einen mächtigen König rebellieren, dabei gleichzeitig wirtschaftlich wachsen, geschickt propagieren, rechtzeitig aufrüsten und neue Siedler anlocken? Diese historische Aufgabe hat es in sich und richtet sich an anspruchsvolle Spieler, die ihre europäische Nation mit Geduld und Effizienz führen wollen. Ich habe vier Anläufe gebraucht, bevor ich zum ersten Mal die Unabhängigkeit erklären konnte. Und dann wurde ich vom königlichen Entsatzheer gnadenlos zusammen geschossen - und genau in diesem Moment hab ich schon eine andere Vorgehensweise ausklamüsert. Man kann einfach nicht aufhören, bevor der König endlich kapitulieren muss. Gelegenheitsklicker und Casualstrategen werden sich hier die losen Zähne ausbeißen. Aber das ist auch gut so, denn hier kommt man nicht an den Krücken billiger Automatismen ins Ziel, sondern nur mit strategischem Geschick. Der anspruchvolle Geist des Originals weht durch dieses Remake, das man nicht am Altar des Mainstreams geopfert hat. Eigentlich verdient gerade diese Art Spieldesign unsere Auszeichnung. Umso ärgerlicher ist es, dass einige Rädchen im Hintergrund nicht so geschmiert ineinander greifen, wie man es sich von einem klasse Remake wünschen würde: Mal abgesehen von der Sterilität und Nutzlosigkeit mancher Menüs fallen hier vor allem das halbgare Tutorial, das nervige Handelssystem, die diplomatisch kaum relevanten Ureinwohner sowie einige idiotische KI-Manöver ins Auge. Für einen Award reicht die lobenswerte Komplexität alleine nicht aus. Aber wenn man um halb drei bemerkt, dass es tatsächlich halb drei in der Früh ist, dann macht ein Spiel eines richtig gut: Es frisst die Zeit.

Pro

komplexe Rundenstrategie
süchtig machendes Spielprinzip
schöne Alternative zu Civilization IV
flexibles Personalmanagement
stilistisch am Original von 1994+ angenehme Musikstücke & Geräusche
LAN-, Internet-, HotSeat- & E-Mail-Multiplayer

Kontra

nerviges Warenmanagement
einige idiotische KI-Manöver
keine animierten Beraterfiguren
Indianer gehen diplomatisch/wirtschaftlich unter
zu viele sterile Textwüsten
unzureichendes Tutorial

Wertung

PC

Was 1994 galt, gilt auch 2008: Die rundenbasierte Kolonisierung Amerikas wird eure Zeit fressen - ein gelungenes Remake!

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