Call of Cthulhu: Dark Corners of the Earth22.11.2005, Jens Bischoff
Call of Cthulhu: Dark Corners of the Earth

Im Test:

Horror-Feinschmecker werden sich freuen: Endlich gibt es ein neues auf den Romanen von H. P. Lovecraft basierendes Call of Cthulhu-Abenteuer - und das auch noch zum Sparpreis. Also ab nach Innsmouth! Dort angekommen ziehen euch die morbide Story, das bizarre Charakterdesign und die düstere Atmosphäre schnell in ihren Bann. Allerdings lässt dieser mit zunehmender Spieldauer massiv nach und wandelt sich gar in herbe Enttäuschung - wir verraten euch warum.

Lückenhafter Lebenslauf

Privatdetektiv Jack Walters vermisst sechs Jahre seines Lebens, die er irgendwie zwischen zwei Aufenthalten in der psychiatrischen Anstalt von Arkham, wo ihm eine vorübergehende Persönlichkeitsspaltung attestiert wurde, verloren haben muss.

Übel zugerichtet: Verletzungen müssen individuell behandelt werden - hier hilft nur noch Nähen...
Was hat er in dieser Zeit getan, wo hat er sich aufgehalten und was hat er erlebt, dass ihn ständig Alpträume plagen? Nicht einmal sein Tagebuch, in dem seitenweise Einträge herausgerissen wurden, gibt Aufschluss darüber. Und wer hat die Seiten überhaupt entfernt? Hatte er selbst diesen Teil seines Lebens ausradieren wollen oder hielten es die Ärzte vielleicht für angemessen, dass ihm dieser Abschnitt besser für immer vorenthalten bliebe?

Fragen über Fragen, mit denen ihr zu Beginn von Call of Cthulhu: Dark Corners of the Earth (ab 8,31€ bei kaufen) in die Rolle des gemarterten Privatschnüfflers schlüpft. Nach einer spielbaren Rückblende in den September 1915 befindet ihr euch jedenfalls in der Gegenwart (Februar 1922) und versucht eure quälende Vergangenheitsbewältigung mit einem neuen Auftrag zu zerstreuen. Doch dieser läuft schon bald gewaltig aus dem Ruder und beschert euch einen Horrortrip, gegen den selbst euere schlimmsten Alpträume harmlos erscheinen. Auf der Suche nach einem vermissten Geschäftführer eines ausgeraubten Lebensmittelgeschäfts verschlägt es euch nämlich in das unwirtliche Fischerdörfchen Innsmouth, dessen Einwohner nicht nur durch mangelnde Gastfreundschaft und Gesprächigkeit auffallen...

Willkommen in der Hölle

Irgendwas ist jedenfalls faul mit den von der Außenwelt abgeschottet lebenden Einwohnern. Viele der Dörfler haben merkwürdig leere Augen und wässrige Stimmen, während andere Angst haben zu reden oder überhaupt mit euch gesehen zu werden. Anscheinend hat ein schon seit über 70 Jahren aktiver Kult die Finger im Spiel. Dennoch könnt ihr euch anfangs noch nahezu ungehindert im Ort umschauen und dem ein oder anderen sogar ein paar schaurige Infos entlocken. In der ersten Nacht offenbart das Dorf dann jedoch sein wahres Gesicht und es beginnt eine wahre Treibjagd,

Wand des Schweigens: Bei den meisten Einheimischen stoßen eure Fragen auf taube Ohren.
bei der ihr die Beute seid. Komisch nur, dass euer Alter Ego trotz akuter Lebensgefahr und schwacher Psyche so ruhig bleibt als würde ihn das alles gar nichts angehen. Auch dass ein allein ermittelnder Privatdetektiv und Ex-Polizist unbewaffnet einem Einbruch nachgeht, ist alles andere als glaubhaft.

Aber sei‘s drum, ohne eine Möglichkeit zur Gegenwehr flammt immerhin ein gewisser Nervenkitzel auf, der, sobald ihr später mit Schrotflinte und Tommy-Gun durch Innsmouth zieht, nahezu gänzlich verloren geht. Allerdings ist es bis dahin ein weiter Weg, denn auch wenn ihr ständig Munition für alle möglichen Waffen findet und bestimmte Munitionsarten bald gar nicht mehr aufnehmen könnt, fallen euch die ersten Schusswaffen erst nach mehreren Stunden Spielzeit in die Hände. Doch sobald ihr diesen anfangs noch herbei gesehnten Zeitpunkt endlich erreicht habt, verkommt das Spiel zusehends zu einer drögen Ballerorgie, bei der die ohnehin schon maue Gegner-KI gänzlich zur Farce wird.           

Dramatischer Einbruch

Spannungsbogen und Atmosphäre leiden von da an erheblich unter dem zuvor schon teils haarsträubenden Verhalten eurer einstigen Jäger. Da stehen die unterbelichteten Dörfler z.B. direkt vor euch und schießen bzw. prügeln minutenlang ins Leere oder machen sich wieder auf ihre gescripteten Routen, obwohl ihr ihnen fortlaufend ins Kreuz ballert.

Spannender Auftakt: Die militanten Sektenanhänger scheinen euch bereits erwartet zu haben.
 Andere lässt es wiederum völlig kalt, wenn ihr direkt neben ihnen herum stehende Kameraden lautstark zur Strecke bringt. Besonders skurril wird das Ganze, wenn sie dann noch mit dem Kommentar "Ich habe nichts gesehen" von dannen ziehen oder "Da ist er!" schreien, direkt auf euch zu stürmen, dann aber an euch vorbeilaufen und in einem entlegenen Korridor verschwinden, während die Nachhut an irgendwelchen Mauervorsprüngen verhängt oder wie eine Herde aufgescheuchter Hühner hin und her zappelt, während ihr sie einen nach dem anderen per Gnadenschuss von ihrer geistigen Umnachtung erlöst...

Doch auch wenn die Gegner ihren IQ an ihren Fingern bzw. Flossen abzählen können und nur selten Munitionsmangel herrscht, solltet ihr die Ein-Held-gegen-tausend-Idioten-Situation nicht allzu sehr auf die leichte Schulter nehmen. Denn angesichts des ungewöhnlich authentischen Verletzungssystems kann ein einziger Gegentreffer bereits schwere Folgen haben. Ein Beinschuss lässt euch beispielsweise humpeln und eine Kopfverletzung die Umgebung nur noch eingeschränkt wahrnehmen, während eine Wunde am Arm eine zittrige Hand beim Zielen nach sich zieht.

Die Rätsel beschränken sich meist auf das Betätigen von Schaltern und Knacken von Schlössern.
Zudem zehrt jede blutende Wunde an eurer Lebensenergie und muss individuell verarztet werden. Das heißt starke Blutungen müssen genäht, leichte verbunden und Brüche sogar geschient werden. Allerdings ist die Art der Verletzung nicht immer nachvollziehbar. So könnt ihr selbst hinter Kisten kauernd Schusswunden am Fuß erleiden oder euch im Eilschritt über giftige Käfer eine Kopfverletzung zuziehen...

Zwischen Panik und Wahnsinn

In brenzligen Situationen ist jedoch kaum Zeit für irgendwelche Doktorspiele. Mit einem morphiumhaltigen Schmerzblocker könnt ihr verletzungsbedingte Einschränkungen allerdings vorübergehend ausschalten und euch trotz schwerer Wunden in Sicherheit bringen. Zu häufiger Drogeneinsatz kann aber auch im Spiel böse Folgen haben. Neben der physischen Verfassung müsst ihr nämlich auch Jacks Geisteszustand im Auge behalten, denn wenn ihr zu viele Schockmomente ohne Ruhepause durchlebt, setzen Schwindel, Halluzinationen und Paranoia ein, die sogar bis hin zum Selbstmord führen können, wenn ihr gerade eine Waffe in der Hand haltet.

Es geht los: Als die Dörfler sich Zugang zu eurem Zimmer verschaffen, beginnt eine wahre Treibjagd.
 Allerdings verwundert es etwas, dass ein Ex-Cop schon beim Anblick von Blutflecken Panikattacken erleidet...

Hinzu kommt, dass Jacks Stimme trotz aller Panikmomente Clint Eastwood-like nahezu durchwegs nüchtern und cool bleibt, was eine regelrechte Kluft zwischen Gesehenem und Gehörtem aufreißt. Ansonsten ist die englische Sprachausgabe abgesehen von ihrer alles andere als lippensynchronen Einbindung aber erstklassig und auch die übrige Soundkulisse legt sich stimmig und in Dolby Digital über das mysteriöse Fischerdorf und seine Umgebung. Lediglich bei der deutschen Übersetzung wurde teils etwas geschlampt, was sich aber glücklicherweise fast ausschließlich in gelegentlich fehlenden Untertiteln oder nicht vollständig übersetzten Texthinweisen manifestiert. Und zu lesen gibt es gerade zu Beginn des Spiels eine Menge. Da müssen Zeitungsartikel durchforstet, Tagebucheinträge analysiert oder Notizen enträtselt werden. Eine Last ist das aber nur selten, da man gerne alles über die Geschehnisse in und um Innsmouth erfahren will.       

Mehr Frust als Lust

Die teils ausufernden Ladezeiten und frustrierenden Trial&Error-Passagen mit nicht immer ideal gesetzten Speicherpunkten zehren da schon eher an der Geduld des Spielers. Auch eine Kartenfunktion wäre trotz des extrem linearen Leveldesigns teilweise auch hilfreich gewesen.

Mit der Brechstange: Da ihr erst sehr spät an Schusswaffen gelangt, hilft anfangs oft nur Flucht.
 Wenn man ein und die selbe Stelle ein Dutzend Mal in Angriff nehmen muss, nur um alle Sackgassen eines Fluchtweges auszusondieren, den ihr unter harschem Zeitdruck bewältigen müsst, kann man schon mal verzweifeln. Die Rätseleinlagen bereiten hingegen nicht allzu viel Kopfzerbrechen, wenn man alle Informationen aufmerksam liest. Schade nur, dass sich 90 Prozent der Denkaufgaben auf einfache Safeknack- und Schalterrätsel beschränken und oft recht aufgesetzt wirken. Nichtsdestotrotz stellen sie eine willkommene Auflockerung im ansonsten eher drögen Schleich- und Ballerdasein dar.

Hin und wieder gilt es sogar kleinere Sprung- und Kletterpassagen zu meistern, was sich aufgrund der hakeligen Kollisionsabfrage und unzeitgemäßen Steuerungsmechanismen jedoch oft als unnötig frustrierendes Unterfangen erweist. Denn wo man in Spielen wie Resident Evil 4 einfach nur im richtigen Moment eine Aktionstaste drücken muss, um Leitern zu erklimmen, Abgründe zu überwinden oder einstürzenden Plattformen zu entkommen, muss man das in Call of Cthulhu alles in pixelgenauer Handarbeit erledigen. Das wäre ja nicht weiter schlimm, wenn es einwandfrei funktionieren würde. Aber immer wieder rutscht ihr an Leitern, die sich genau vor eurer Nase befinden, vorbei oder verharrt am Fuße der Sprossen, weil euer Blickwinkel nicht steil genug angesetzt ist.

Keine Zeit zum Fackeln: Beim Zielen beginnen eure Arme schon nach wenigen Sekunden zu ermüden.
 Auch das Einsacken oder Untersuchen von Items fällt teilweise unnötig schwer. Es kann sogar passieren, dass Jack eine Leiter ein stückweit hinaufsteigt und dann mit irgendeiner unsichtbaren Barriere kollidiert, die ihn weder weiter empor, noch hinab klettern lässt und der einzige Ausweg ein eventuell tödlicher Absprung in die Tiefe darstellt...

Nachlassende Spannung

Zudem trüben einige logische Inkonsequenzen das Spielerlebnis. So werdet ihr etwa immer wieder Zeuge eines Perspektivenwechsels, in dem euch eine Kreatur verfolgt und sich an kurz zuvor besuchten Orten auf die Lauer legt. Macht ihr euch allerdings die Mühe, sofern möglich, an den entsprechenden Ort zurückzukehren und genau die Stelle zu inspizieren, an der euer glubschäugige Jäger laut Sequenz warten müsste, ist dort keine Menschenseele anzutreffen. So etwas nimmt dem Ganzen natürliche jede Spannung und Dynamik. Auch dass Feinde stellenweise endlos respawnen, sich nach ihrem Tod schnurstracks in Luft auflösen und weder um ihre Waffen, noch andere Dinge erleichtern lassen, drückt merklich auf die zu Spielbeginn noch so dichte Atmosphäre. Das gleiche gilt auch für die unglücklich plötzliche Metamorphose des Titels vom spannungsgeladenen Schleich- und Recherche-Abenteur zu einem trägen und ideenlosen 08/15-Shooter

Prost, Mahlzeit! - Dem gefräßigen Tentakelmonster müsst ihr erst später gegenübertreten.
mit gerade mal einer Handvoll verschiedener menschlicher und nicht-menschlicher Gegner, wobei sich Letzere erst sehr spät zum Kampf stellen.

Auch die anfangs noch so packend inszenierte Story wird im weiteren Verlauf des Spiels immer stiefmütterlicher behandelt, womit der Titel auch noch den letzten Stimmungsanker kappt. Das Fehlen jeglicher Energie-, Tarnungs- und Munitionsanzeigen wirkt hingegen stimmig, auch wenn gerade das Abschätzen der noch in einem Magazin verbleibenden Patronen ziemlich nerven kann - vor allem bei Schnellfeuerwaffen. Auch das umständliche Wählen und manuelle Nachladen der nicht einmal im Inventar angezeigten Schießeisen gestaltet sich unnötig phlegmatisch, während einen der Verzicht auf die Implementierung einer Taschenlampe angesichts der teils extrem lichtarmen Umgebungen immer wieder dazu zwingt, den Helligkeitsregel des Fernsehers auf Stimmung tötendes Maximum zu stellen. Zudem ist der Verzicht auf ein Fadenkreuz oder ähnliches beim Schießen mehr als gewöhnungsbedürftig. Dass die Zielgenauigkeit bei längerem Anvisieren eines Gegners abnimmt anstatt zu steigen, kennt man sonst sogar eher genau anders herum - ein ehemaliger Polizist, dem schon nach wenigen Sekunden mit der Waffe im Anschlag die Arme schlackern, wirkt jedenfalls wenig glaubhaft...    

Fazit

Verdammt schade. Dark Corners of the Earth hätte das Zeug zu einem wirklich spannenden und erwachsenen Horrortrip gehabt. Doch die anfangs noch so meisterhaft aufgebaute Atmosphäre fällt mit fortschreitender Spieldauer immer mehr in sich zusammen, bis das Ganze am Ende zur tumben Ballerorgie gegen ein hirnamputiertes Konsortium aus wenig Furcht erregenden Jägern verkommt. Doch nicht nur als Shooter enttäuscht der Titel, auch die Schleich-, Flucht- und Geschicklichkeitseinlagen bergen aufgrund nerviger Designschwächen mehr Frust als Lust. Dabei klang die Story anfangs noch so vielversprechend und auch Jacks psychische Störungen machten Lust auf mehr. Doch letztendlich hat ein Eternal Darkness schon vor drei Jahren gezeigt, wie man so etwas weit packender inszenieren kann, während die visuelle Panikmache gegen die eines Silent Hill geradezu harmlos und altbacken wirkt. Selbst das detaillierte Verletzungs- und Verarztungs-Feature hat so seine Macken, während die aus der Mottenkiste hervor gekramten Schloss- und Schalterrätsel nicht einmal Adventure-Fans dauerhaft bei der Stange halten werden. Irgendwie scheint es fast, als hätten die Entwickler einfach zu viele interessante Ansätze und verschiedene Genres vereinen wollen, aber am Ende keinem davon die nötige Aufmerksamkeit zukommen lassen...

In den ersten Spielstunden beschlich mich noch das wohlig grausige Gefühl, einen Leckerbissen vom Schlage eines Eternal Darkness vor mir zu haben: plötzliche Halluzinationen, grausige Rückblicke, vergilbte Notizen. Das Team von Bethesda hat die Dunkelheit der Lovecraft'schen Welt teilweise hervorragend eingefangen. Aber selbst wenn Figurendesign, Architektur und Stimmung zunächst eine glaubwürdige Kulisse aufbauen, bröckelt der schaurige Putz sowohl spielerisch, technisch als auch erzählerisch: Es gibt die frustrierendsten Trial&Error-Passagen meiner Spielevita - inklusive Schreikrampf und Frustgefluche. Dann gibt es wiederum stupide einfache Ballerszenen mit strunzdummen Gegnern, die mich noch suchen, während ich mit der Pumpgun vor ihnen stehe. Hinzu kommen Inkonsequenzen in der Dramaturgie: Warum steht der Held trotz aller Höllenrituale und Morde noch so nüchtern über den Dingen? Seine fast schon souveränen Kommentare wirken angesichts der Welt, die da aus den Fugen gerät, wie Fremdkörper. Call of Cthulhu serviert einige intensive Szenen, wie z.B. das FBI-Verhör, die andeuten, welches Potenzial in dem Titel steckte. Wer Survival-Horror liebt, sollte einen Blick riskieren. Aber das Abenteuer stürzt nach einem erstklassigen Einstieg ins ebenso schlampig inszenierte wie anspruchslose Actioneinerlei ab.

Pro

günstiger Preis
vier Schwierigkeitsgrade
(anfangs) tolle Atmosphäre
meist gute englische Sprecher
originelles Verletzungs-Feature
variable psychische Verfassung

Kontra

träges Gameplay
lange Ladezeiten
eintönige Rätselkost
keine Kartenfunktion
lächerliche Gegner-KI
sehr lineares Leveldesign
teils extrem dunkle Grafik
hakelige Kollisionsabfrage
durchwachsene Lokalisierung
unglückliche Shooter-Einbindung
frustrierende Trial&Error-Passagen
kaum Schock
& Spannungsmomente
gewöhnungsbedürftiger Anzeigenmangel
logische & dramaturgische Inkonsequenzen

Wertung

XBox

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