Papo & Yo22.04.2013, Jörg Luibl
Papo & Yo

Im Test:

Ein kleiner Junge sitzt zusammengekauert unter einer Treppe. Er zittert und drückt sein Stofftier an sich, als eine Kreatur schnaufend an ihm vorbeistampft. Der Junge flüchtet sich panisch in eine andere Welt, die sich wie von Geisterhand neben ihm öffnet. Ein seltsam bemaltes Mädchen lockt ihn immer weiter fort, in ein ebenso bewegendes wie gefährliches Abenteuer. Denn das Monster wartet schon.

Eine persönliche Widmung

Wenn man etwas der Mutter und den Geschwistern widmet, weil sie geholfen haben, das „Monster in meinem Vater zu überleben“, dann muss man Schreckliches mitgemacht haben. Wenn man daraus auch noch ein Spiel macht,  dass diese Erlebnisse aus der ebenso fantasievollen wie traumatischen Sicht des Kindes aufarbeitet, dann muss man verdammt mutig sein. Vor allem, wenn man wie Vander Caballero über ein Jahrzehnt bei Electronic Arts gearbeitet hat und weiß, wie zielgruppenexplosiv die Branche tickt. Oder ist diese Widmung nichts weiter als clevere PR, die von Beginn an um Gefühle duseln soll? Immerhin hat dieser Designer die Tampons als Heilmittel in Army of Two erdacht...

Nein, die sehr persönliche Ansprache wird von einem Spiel getragen, indem es um ein Trauma geht. Und diesmal legt Caballero weniger Stoff, dafür mehr Gefühl in die Wunde. Hier wird nicht geballert, sondern gehüpft, gerätselt und sehr behutsam in Metaphern erzählt. Auf den ersten Blick wirkt das Abenteuer noch wie ein heiterer Plattformer für Kinder. Es gibt magische Türen und Kreidelinien, kunterbunte Häuschen wie in Panama und dutzende eng aneinander gebaute Wellblechhütten wie in Favelas. Huch, was ist das? Kaum dreht man an einem Schlüssel, bekommen die Bungalows weiß

Was bietet die PC-Umsetzung?

Pao & Yo inszeniert für 11,69 Euro (Steam) inhaltsgleich dasselbe Abenteuer wie auf PS3. Man kann sowohl mit Maus/Tastatur als auch Gamepad spielen - wir empfehlen angesichts der Sprungpassagen Letzteres. Technisch ist das Spiel ansehnlich, aber selbst unter höchsten Details nicht beeindruckend - es gibt so manches Flackern und Clipping. leuchtende Beine oder Flügel! So ergeben sich neue Weg und Ziele in städtischen Labyrinthen, die von der Unreal Engine inszeniert werden.

Das schizophrene Monster

Tearing und Clipping trüben das Bild zwar auch auf dem PC unter höchsten Details (in den erweiterten Einstellungen könnt ihr von Blooming über Schärfentiefe bis Antialiasing alles Möglich anpassen), aber es entstehen zauberhafte Situationen, wenn sich die kindliche Fantasie einfach Wege schafft. Schön ist, wie mit Maßstäben gespielt wird: Man kann kleine Kartons oder Quader aufnehmen und woanders platzieren, während synchron dazu ihre riesigen Pendants in Form von Häusern bewegt werden – so baut sich der Junge eine Passage über eine Kluft. Falls man mal nicht weiter weiß, setzt man sich einen Pappkarton auf den Kopf und schaut sich die gezeichneten Hinweise an. Das Ziel ist erzählerisch zunächst unklar, aber spielmechanisch simpel: Alles,

Noch ruht sich das Monster friedlich aus. Aber sobald es Frösche frisst, mutiert es zur Bestie.
Noch ruht sich das Monster friedlich aus. Aber sobald es Frösche frisst, mutiert es zur Bestie. Zunächst erinnert der sanfte Riese an Majin, aber das ändert sich im Vollrausch...
was glänzt, bringt einen wie Hänsel und Gretel irgendwie weiter. Aber nicht weit genug weg von der Angst und der Verfolgung.

Spätestens als der Junge entdeckt, dass auch das Monster in diese lateinamerikanische Zauberwelt voller grellbunter, imposant strahlender Graffiti geflohen ist, wird aus dem einfachen Plattformer auch ein Märchen für Erwachsene. Hier erkundet man über mehrere Kapitel nicht nur die Oberfläche mit all ihren kleinen Rätseln und akrobatischen Herausforderungen, sondern auch die Gefühlswelt des Jungen, der mit tragischen Verlusten und Ängsten umgehen muss – nicht in alptraumhafter Düsternis, sondern bei strahlender Sonne. Das Grauen im Alltag? Dazu gehört auch die Schizophrenie eines Monsters, das mal ein tapsiger Helfer, mal ein wild umher jagender Feind ist. Die umher liegenden Fußbälle wirken dann wie mahnende Relikte einer unglücklichen Kindheit.

Plattformen und Rätsel

Imposante Umgebungsrätsel gehören zu den Highlights: Hier muss man eine Brücke aus kleinen Quadern errichten.
Imposante Umgebungsrätsel gehören zu den Highlights: Hier muss man eine Brücke aus kleinen Quadern errichten.
Diese radikalen Stimmungswechsel von idyllischer Erkundung hin zu panischer Flucht gehören zu den Höhepunkten eines simpel gestrickten, aber angenehm emotionalen Spiels, denn die Brüche werden nicht nur musikalisch gut eingefangen. Man bekommt ein mitunter trauriges Gefühl für die Hilflosigkeit des Jungen, der hier weder im Level aufsteigt noch mit Waffen kämpfen oder einen Rucksack füllen kann. Das Spieldesign ist ähnlich wie bei ICO nicht nur auf das Wesentliche reduziert, es lässt den Helden sogar schwächer werden. Aber es gibt zunächst eine gute Fee in Form eines gelben Roboters, der sich an seinen Rücken schmiegt.  Mit ihm kommt eine Art Doppelsprung hinzu, denn die Düsen geben mitten in der Luft einen kurzen Schub; außerdem kann er über einen Suchstrahl weit entfernte Schalter aktivieren. Und es ist erstaunlich, dass man umgehend eine starke Bindung zu „Lula“ aufbaut – man freut sich über diese Unterstützung genau so wie der Junge über jene seiner Mutter.

Papo & Yo ist nichts für Akrobaten, die sportlich Karriere machen wollen. Hinsichtlich der Bewegung bleibt es bei einfachen Sprüngen, um Abgründe zu überwinden – ärgerlich ist, dass sich der Junge nicht an Kanten hochziehen kann und dass seine Animationen so steif wirken. Falls man das Timing doch mal verpasst, startet man kurz vor dem Absturz oder Ableben neu. Zwar beginnt das Spiel sehr leicht, aber je weiter man kommt, desto anspruchsvoller werden die Rätsel. Sie erreichen nie das Kopfnussniveau eines Portal 2

Independent & persönlich:

Das Independent-Spiel Papa & Yo wurde vom kanadischen Media Fund sowie Sonys Pub-Fund unterstützt. Knapp zwanzig Leute arbeiten im Studio mit Vander Caballero, der den Alkoholismus seines Vaters "ohne Gewalt" thematisieren wollte. Davor hat er über zehn Jahre für EA gearbeitet, u.a. an Army of Two.

Warum gerade Frösche?

Dass Frösche den Alkohol symbolisieren soll laut Caballero daran liegen, dass seine Tochter sich einmal vor ihnen erschreckt hat... oder Quantum Conundrum, aber man muss des Öfteren um die Ecke denken: Wie bekomme ich das Monster bloß durch die teilweise blockierten Wege zum Ziel? Was hat es mit diesem tausendfüßigen Bett auf sich, das ich bewegen kann? Mal sehen, was passiert, wenn ich diese Symbole berühre…

Lockmittel und Fallen

Es gibt also kreative Abwechslung. Manchmal reicht es, über cleveres Springen die richtigen Plattformen zu erreichen und dort Schalter zu aktivieren. Diese verändern teilweise sehr spektakulär die Kulisse, indem Häuser verschoben, Simse ausgefahren oder riesige Treppen gebaut werden – es kann auch vorkommen, dass bunte Bungalows einfach davon fliegen oder dass aufgerollte Böden wie Haie zubeißen. Die Ansprüche und Gefahren nehmen zu, wenn man Schalter, Teleporter und Lockmittel so kombinieren muss, dass man nicht vom Monster gefangen wird. Da der Junge nicht kämpfen kann, muss er

Trotz des ernsten Themas wird das Spiel selbst überaus idyllisch inszeniert.
Trotz des ernsten Themas wird das Spiel selbst überaus idyllisch inszeniert.
seinenübermächtigen Verfolger austricksen und in Fallen locken.

Dafür kann er Kokosnüsse oder Frösche einsetzen: Erstere frisst das gut animierte Monster so lange bis es schläft – ideal zum Weglocken oder für einen Supersprung von seinem Bauch aus. Hat man keine mehr, kletter man auf eine Palme oder holt irgendwo automatisch auftauchenden Nachschub. Und Letztere? Sie sind der hochprozentige Stoff, aus dem Alpträume gemacht sind. Sie bedeuten Todesgefahr, denn nach dem Verzehr verwandelt sich das tapsige plötzlich in ein feuriges Ungetüm, das nur noch ein Ziel kennt: Den Jungen fressen. Da hilft nur die Flucht oder eine blaue Frucht, die diese unbändige Wut wieder dämpft. So entstehen spannende Katz- und Maus-Situationen in verwinkelten Gassen sowie weitläufigen Labyrinthen. Aber wenn man erwischt wird, kann man trotz fehlender Blutfontänen und Zerstückelungen immer erahnen, welcher Brutalität dieser Junge ausgeliefert war.

Fazit

Man könnte Papo & Yo als simples Jump’n Run abtun – da hätte es keine Chance gegen Mario & Co. Aber dieses Spiel hat nicht nur ein charmantes Rätseldesign. Es ist auch eines der seltenen Exemplare, die eine Bedeutung unter der Oberfläche haben und ein ernstes gesellschaftliches Problem ansprechen: Alkoholismus. Es inszeniert nicht nur Sprünge, Rätsel und Verfolgungen, sondern verarbeitet eine Lebensgeschichte mit ungewöhnlichen Metaphern. Die Symbolik ist stark, die Geschichte einfach, aber bewegend - genau das zeichnet ein gutes Märchen aus. Es erzählt von der Angst eines Jungen, dessen Vater in wenigen Sekunden vom tapsigen Helfer zum brutalen Monster mutiert. Diese Stimmungswechsel gehören zu den Höhepunkten eines Abenteuers, in dem nicht gelabert oder moralisiert wird, sondern in dem die Tragödie aus Kindersicht nacherlebt wird, mit allem übernatürlichen Zauber und alltäglichen Schrecken. Was zu Beginn sehr simpel anmutet, gewinnt im Laufe der knapp fünf Stunden an Abwechslung und Anspruch. Die Reduktion auf das Wesentliche erinnert an ICO und das lateinamerikanische Artdesign kann mit seinen grellen Wandmalereien eindrucksvolle Akzente setzen. Man erlebt dieses Spiel ohne krasse Gewalt, ohne blutige Überdosis, aber dafür mit einer Hilflosigkeit im Nacken, die einen mal traurig, mal wütend macht. Man kann nicht aufsteigen, sondern muss irgendwie aussteigen und das Monster loswerden. Aber wie? Findet es heraus!

Pro

auf das Wesentliche reduziertes Spieldesign
kreative Auseinandersetzung mit ernstem Thema
bewegende Momente und starkes Ende
entspannte Erkundungs- & panische Fluchtphasen
abwechslungsreiche & logische Rätsel
Roboter als Jetpack- & Schalterhelfer
markantes bis zauberhaftes Artdesign
optionaler Blick in Hilfeboxen
dramatisch wechselnde Musikuntermalung
optional mit Gamepad spielbar (PC)
erweiterte Grafikoptionen (PC)

Kontra

recht leichte Akrobatik
etwas steife Animationen
kein Hochziehen an Simsen
technische Defizite (Tearing, Clipping)
nur ein Schwierigkeitsgrad, nur ein Ende

Wertung

PC

Auch auf dem PC ein Highlight: Die Symbolik ist stark, die Geschichte bewegend - genau das zeichnet ein modernes Märchen aus.

0
Kommentare

Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.

Es gibt noch keine Beiträge. Erstelle den ersten Beitrag und hole Dir einen 4Players Erfolg.