Goodbye Deponia16.10.2013, Jan Wöbbeking
Goodbye Deponia

Im Test:

Mal ehrlich: Wäre es nicht praktisch, wie Rufus zu sein? Kein Altruismus oder störende Empathie, kein zeitaufwändiges Pflegen von Freundschaften - nur reiner Egoismus. Genau das macht ihn schließlich so erfolgreich. Egal was Deadalics tollpatschiger Held auch kaputt macht – im Endeffekt verhilft ihm die Verkettung von Katastrophen doch wieder zu einem mehr oder weniger guten Ausgang.

Untergang oder Läuterung?

Selbst im Angesicht der nahenden Zerstörung seines Heimatplaneten bleibt Rufus cool und seinen egozentrischen Prinzipien treu. Oder etwa doch nicht? Im letzten Teil der Adventure-Trilogie versucht er nach wie vor zu verhindern, dass die finstere Armee aus Organon-Beamten nach Elysium reist und die Sprengung von Deponia anordnet. Auf dem Schrottplatz-Planeten leben schließlich noch einige Bewohner – doch diese Information soll offenbar geheim gehalten werden.  Also macht Rufus sich auf, selbst auf das letzte Hochboot nach Elysium zu gelangen und nebenbei das Herz seiner Begleiterin Goal zu erobern.

Ob Rufus diesmal doch noch zur Einsicht kommt und seinen kompromisslosen Egozentrismus überdenkt? Die Antwort auf diese Frage erfährt man natürlich erst im Laufe des Abenteuers – einen kleinen Knacks bekommt sein Selbstvertrauen allerdings schon relativ früh. Zugegeben: In dieser Szene hat er einen schweren Schicksalsschlag zu verdauen. Trotzdem wirkt es fast schon surreal, wenn Rufus plötzlich ein paar von Selbstzweifel geprägte Kommentare abgibt. Auch seine Vergangenheit wird beleuchtet: Ich war regelrecht verblüfft darüber, wie gut ich plötzlich nachvollziehen konnte, wie Rufus zu der Person mit einer selbst für ein Comic-Spiel arg überzeichneten Selbstüberschätzung wurde. Auch ein paar andere Ungereimtheiten ergeben plötzlich Sinn.

Abrisstour durch die Galaxis

Der Deponia-Nerd ist eine willkommene Gelegenheit für Rufus, um sich in Szene zu setzen - selbst wenn Goal dahinter am Seil rotiert.
Der Deponia-Nerd ist eine willkommene Gelegenheit für Rufus, um sich in Szene zu setzen - selbst wenn Goal dahinter am Seil rotiert.
Auf nähere Details kann ich natürlich nicht eingehen, aber Jan „Poki“ Müller-Michaelis hat es wieder geschafft, all seine bizarren Figuren und Wendungen miteinander in einer passenden Rahmenhandlung zu verknüpfen. Ein Vorteil an der durchgeknallt vielschichtigen Erzählweise ist natürlich die Abwechslung: Rufus lässt den Kutter vom ohnehin gebeutelten Bozo in einen Organon-Kreuzer krachen, erforscht die Stadt Porta Fisco, fremde Raumschiffe, die Kanalisation und viele andere Orte.

Zwischendurch trifft er sogar auf einen Fan. Als plötzlich der Deponia-Geek mit Rufus-Brille im Spiel auftaucht, lässt der selbstverliebte Held sogar Goal hängen. Statt sie aus einer wild rotierenden Stahlseilrolle zu befreien, kümmert Rufus sich erst einmal um seinen Bewunderer, welcher natürlich jede seiner Heldentaten auswendig aufsagen kann. Zwischendurch schaltet das Spiel immer wieder in eine nähere Perspektive oder erzählt die Geschichte mit hübsch gezeichneten Filmschnipseln weiter. Im Vergleich zu Telltales professionell inszenierten Abenteuern wirkt die Kameraführung trotzdem ein wenig altbacken – schließlich laufe ich wie anno dazumal die meiste Zeit über in der Totale als kleine Figur durch die Welt. Eine coole Idee ist dagegen, die Geschichte zwischen den Kapiteln mittels Husaren-Gesang und energischen „Hussa“-Rufen weiter zu erzählen – offenbar angelehnt an die Funktion des Chores im antiken Theater.

Endlich wird’s wieder knifflig!

Das sieht doch nach einem gemütlichen Nachtlager aus!
Das sieht doch nach einem gemütlichen Nachtlager aus!
Goodbye Deponia (ab 1,75€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) ist eine willkommene Abwechslung zu einsteigerfreundlichen Adventures wie The Raven. Zunächst fühlte es sich fast schon ungewohnt an, wieder weitläufige Areale zu erforschen und sich in zahlreichen parallelen Rätseln festzubeißen, bevor es weiter geht. Meist sind die Kopfnüsse aber unterhaltsam mit der durchgeknallten Handlung verwoben. In der Kanalisation schert sich Rufus z.B. einen feuchten Kehricht um die ihm zugelaufenen Kinder. Er benutzt ihre Köpfe als Treppenstufen, stellt sie beim düsteren Wohnwagen eines zwielichtigen „Mitschnackers“ ab, lässt sie mit einer Antennengabel in einer Steckdose herumstochern und schlägt ihr Nachtlager im Maul eines Kinder fressenden Schleimmonsters auf.

Als er 5 Zloty benötigt, will er seine Begleiter sogar an die in der Kanalisation hausende Pfandhexe verhökern: „Haben sie nicht zufällig Interesse an ein paar leckeren Kindern? So ein Zufall: Die kosten genau fünf Zloty!“ Beim zweiten Versuch wird er noch kreativer: „Jammijammijammi, lecker Kinderchen. Jetzt neu!“ Auch die zum Baby gewordene Goal hat er im Schlepptau, auf die er natürlich aufpassen und sie in ihre erwachsene Gestalt zurückverwandeln will.

Von Vampir-Schnabeltieren und apokalyptischen Wäschesekten

Zwischendurch gibt's gelungene Zwischensequenzen. Davon abgesehen sidn die Figuren leider nur spärlich animiert.
Zwischendurch gibt's gelungene Zwischensequenzen. Davon abgesehen sind die Figuren leider nur leicht animiert.
Als ich mich in ein wenig in die skurrile Logik des Spiels hineingedacht hatte, kam ich nach hartnäckigen Experimenten meist auf die Lösung. Wichtig ist es außerdem, auch dann auf Rufus‘ abfällige Kommentare zu achten, wenn etwas nicht funktioniert. Darin verstecken sich oft nützliche Hinweise, wie oder wo man den Gegenstand sonst noch gebrauchen könnte. Ein im Rohr nistendes Vampir-Schnabeltier bewacht sein Gelege z.B. durch vehemente Bisse. Doch der Beißreflex lässt sich prima nutzen, um eine Stechkarte zu entwerten und das Viech dann mit Knoblauch zu füttern. Danach lassen sich die Eier ohne Probleme einsammeln und schon hat Rufus eine weitere Zutat für das gekaperte Klonlabor.

Selbst wenn mal etwas nicht funktioniert, macht es Spaß, sich Rufus bissige Kommentare anzuhören. Standard-Antworten gibt es hier kaum, dafür viel Liebe zum Detail: Fast in jeden noch so unwichtigen Nebensatz hat Poki wieder viel Humor und alberne Wortspiele einfließen lassen. Die apokalyptische Wäschesekte will z.B. den Waschraum bis zu Deponias Zerstörung besetzt halten und verpackt jede Antwort in ein bedeutungsvoll betontes „Humm, Homm, Kumbayaa!“. Oder eben auch „Humm, Homm, Kumbaneiiin“ oder „Humm, Homm, Kumbegaaal“. Die Szenen werden mal von angemessen alberner, später auch durch ruhige Musik unterlegt – die meisten Melodien bleiben aber nicht im Gedächtnis hängen. Die auf Schrott getrommelten Einlagen wirken bei weitem nicht so gelungen wie in Machinarium – die mit Gaststar Smudo eingespielten Stücke haben mir dagegen wieder besser gefallen. Auch der Let’s-Player Gronkh ist dabei, er leiht Rufus‘ altem Bekannten Goon seine Stimme.

Dreifacher Dickkopf

Klonen kann sich lohnen: Im dritten Teil muss Rufus' Umwelt auch noch zwei geklonte Exemplare des egozentrischen Tolpatsches ertragen.
Klonen kann sich lohnen: Im dritten Teil muss Rufus' Umwelt zwei weitere Exemplare des zerstörerischen Bastlers ertragen.
Da die bevorstehenden Aufgaben selbst für einen Held seines Kalibers zu viel sind, klont Rufus sich schließlich einfach selbst. Weil sich die drei übergroßen Egos natürlich sofort in die Wolle kriegen, verlieren sie die benötigte Nukleinsäure und landen an unterschiedlichen Orten: Einer erforscht die Kanalisation, der zweite sucht in Porta Fisco nach den Rebellen, der dritte versucht sich bei der Aufstiegsstation voller Organon-Truppen in eine Kiste nach Elysium zu schmuggeln. Fortan kann ich frei zwischen den drei „Rufussen“ wechseln – und sogar bequem Inventar-Gegenstände austauschen.

Das Element passt gut ins Spiel: Das eigentlich sehr große Areal wird durch die Dreiteilung etwas besser überschaubar. Ab und zu muss ich aber über die Grenzen hinaus denken, z.B. wenn ich Goon seinen Heizstrahler abschwatze, um ihn dem Kanalisations-Rufus zu übergeben, welcher damit das bereits erwähnte Nachtlager im Monstermaul aufwärmt.

Bizarre Logik

Die Kernzielgruppe des Hotels Menetekel sind Gäste, welche zu arm sind, gegen Makel wie Kakerlaken oder Atommüllendlagerung zu klagen.
Die Kernzielgruppe des Hotels Menetekel sind Gäste, welche zu arm sind, gegen Makel wie Kakerlaken oder Atommüllendlagerung zu klagen.
Ab und zu übertreibt es das Spiel aber auch mit bizarrer Logik, wodurch ich ein paarmal hängen blieb. Im heruntergekommenen Hotel Menetekel dauerte es zum Beispiel ganz schön lange, bis ich endlich darauf kam, die zu große Münze mit dem rauen Klopapier des Zeitreisenden abzuschleifen, damit sie in den Schleimpasteten-Automat passt. Allgemein war mir das Hotel als frühes Kapitel etwas zu sehr mit Rätseln vollgestopft. Andererseits kommt es hier endlich zu den lustigen Verwechslungs-Szenen, von denen Poki seit der Arbeit am ersten Teil fabulierte. In dem heruntergekommenen Hotel unter der Organon-Trasse sind schließlich auch Rufus‘ Doppelgänger und Widersacher Cletus sowie sein Roboter-Gehilfe Oppenbot abgestiegen. Dank fieser Zahncreme-Chemikalien, verdorbenem Labskaus und anderen Gemeinheiten ergeben sich hier zahlreiche Möglichkeiten, Cletus zu vergiften.

Schade, dass sich das Verwechslungs-Minispiel so fade gestaltet. Wie in einer alten Klamotte rennen Rufus, Cletus, Goal und andere Figuren durch die zahlreichen Türen im Flur – bis ich den richtigen Weg durchs „Labyrinth“ gefunden habe.  Auch die anderen Minispiele wie das Austricksen der Überwachungskameras in einer galaktischen Disco sind nur leidlich unterhaltsam. Zum Glück lassen sich die ausgelagerten Spielchen wieder überspringen. Wer feststeckt, kann übrigens nicht auf eine Hilfe-Funktionen hoffen. Lediglich eine Hotspot-Anzeige erleichtert das Knobeln. Außerdem lässt sich das Inventar per Mausrad wieder sehr bequem auf- und zuklappen.

Fazit

Zum Abschluss seiner SciFi-Trilogie zieht Autor und Lead-Designer Poki noch einmal alle Register: In diesem Adventure stecken derart viel schwarzer Humor, alberne Situationskomik und bissige Kommentare, dass Daedalic damit drei Spiele füllen könnte. Trotz der üppigen Länge von rund 14 Stunden wurde beinahe jeder noch so unbedeutende Nebensatz mit kleinen, treffsicheren Gags gespickt. Aus diesem Grund hatte ich oft sogar dann noch Spaß am Entdecken der Welt, wenn ich wieder mal in einem der grotesken Rätsel feststeckte. Meist halfen mir allerdings die geschickt in die Dialoge eingeflochtenen Hinweise auf die Sprünge. Auch Rufus‘ Dreiteilung durchs Klonen sorgt für gelungenes Kombinieren, lustige Situationen und noch mehr Möglichkeiten, seine Umgebung in Schutt und Asche zu legen. Trotz Unmengen bizarrer Wendungen schafft Daedalic es außerdem, die Handlungsfäden gelungen zusammenzuführen. Alles in allem ein würdiger Abschluss!

Pro

herrlich bizarrer Humor
Unmengen bissiger Kommentare
kompromisslos egoistischer Held
abwechslungsreiche und spannende Geschichte
viele lustige und knackige Rätsel
unterhaltsame Kooperation von Rufus' Klonen
geschickt in Dialoge eingeflochtene Hinweise
professionelle Vertonung
praktische Inventaröffnung per Mausrad
cooler Husarengesang zwischen den Kapiteln
rund 14 Stunden lang

Kontra

ein paar arg knifflige Rätsel mit skurriler Logik
fade (überspringbare) Minispiele
manche Kapitel wie Hotel Menetekel etwas zu sehr mit Rätseln vollgestopft
Figuren nur einfach animiert
weite Kameraperspektiven wirken etwas altbacken

Wertung

PC

Furioser Abschluss des bizarren SciFi-Abenteuers mit Unmengen lustiger Ideen und vielen knackigen Rätseln.

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