Spintires16.07.2014, Michael Krosta

Im Test: Vorsicht: Einschlafgefahr!

Mal einen Gang zurückschalten, Lowspeed statt Highspeed, der Weg als Herausforderung und nicht die Zielflagge: Mit Spintires haben die Entwickler der Oovee Game Studios eine Offroad-Simulation erschaffen, in der man sich mit Allradantrieb und Seilwinde langsam Meter für Meter durch den Matsch kämpft, um seine Ladung sicher ans Ziel zu bringen. Allerdings mutieren die anspruchsvollen Fahrten durch die Pampa zur Einschlafhilfe.

Der Gestank des Erfolgs

Es soll ja Leute geben, die tatsächlich leidenschaftlichen Spaß bei Spielen wie dem Landwirtschaftssimulator entwickeln können. Und an Tagen wie diesen beneide ich die zahlreichen Sim-Fans für ihren Enthusiasmus, der auch dafür sorgt, dass diese Spiele regelmäßig die Verkaufscharts erobern. Spintires hat ebenfalls einen Achtungserfolg hingelegt: Innerhalb weniger Wochen begeisterten sich über 100.000 Fahrer für den Abstecher in die russische Wildnis, so dass der kleine unbekannte Titel aus dem Nichts die Liste der Top-Verkäufe auf Steam erstürmte.

Aber was macht das Spiel überhaupt so interessant? Die Fahrphysik der Offroad-Vehikel vom Jeep über LKWs bis hin zu Schwertransportern ist richtig gut gelungen. Das Fahrwerk arbeitet im unebenen, schroffen Gelände meist nachvollziehbar und sowohl das Zuschalten des Allrad-Antriebs als auch der Differenzialsperre wirken sich authentisch auf das Verhalten der Fahrzeuge aus. Schade nur, dass USB-Lenkräder als Alternative zur Tastatur oder dem Controller nicht unterstützt werden. Durchdrehende Räder gehören hier zum Alltag, wenn sich die

Die Fahrphysik kann sich sehen lassen.
Profilreifen immer stärker und manchmal auch etwas zu übertrieben in den Matsch der deformierbaren Oberflächen eingraben. Die seltsamen Positionen, in die man sich zwischendurch auch aufgrund einer fehlerhaften Kollisionsabfrage manövriert, dürfte man in der Realität aber nicht immer unbedingt vorfinden.

Hilfe!

Oft hilft es in diesen Situationen nur, sich wieder automatisch in die Werkstatt zurückschleppen zu lassen, doch steht diese Option nur im Modus für Gelegenheitsspieler zur Wahl. Unter Simulationsbedingungen muss man außerdem mit einem höheren Benzinverbrauch leben und darf beim ansehnlichen Tag-/Nachtzyklus nicht mehr optional die Zeit vorspulen. Zusätzlich steht hier die Differentialsperre bei aktivierter Automatikschaltung nicht länger zur Verfügung. Gleiches gilt für die Navigationshilfe, die mit ihrer visualisierten Luftlinie zum Ziel aber ohnehin nicht viel nützlicher ist als der Blick auf den Kompass oder die bereits aufgedeckten Bereiche der Karte. Das mit der Karte ist übrigens so eine Sache: Ein Großteil ist am Anfang noch verdeckt und wird erst dann zusammen mit entdeckten Lagern, Werkstätten und Benzin-Depots sichtbar, wenn man kleine „Pseudo-Tornados“ findet und sie berührt – eine ziemlich nervige Prozedur, die auf ähnliche Art und Weise auch beim Freischalten von versteckten Fahrzeugen zum Einsatz kommt.   

Probieren geht über Studieren

Alternativ zur Rettung auf Knopfdruck kann man versuchen, sich mit Hilfe der Seilwinde selbst aus dem Schlamassel zu befreien. Doch dafür muss man erst einmal verstehen, wie sie überhaupt funktioniert! Das reine Text-Tutorial ist nämlich sehr sparsam mit seinen Erklärungen und viele Feinheiten muss man einfach selbst durch Ausprobieren herausfinden. Hinzu kommt die halbherzige Integration der Controller-Steuerung, bei der die Anwendung der

Mit der Seilwinde hilft man festgefahrenen Vehikeln selbst aus der Patsche.
Seilwinde gar nicht vorgesehen und belegt ist. Überhaupt sind viele Elemente stark auf die Nutzung von Maus und Tastatur ausgelegt, so dass man als Pad-Nutzer immer wieder dazu gezwungen wird, zwischen den Eingabegeräten zu wechseln.    

Wie es sich für eine Simulation gehört, spielt neben dem Benzinverbrauch auch der Schaden eine Rolle. Doch zumindest bei Letzterem ist man hinsichtlich der Darstellung und Folgen weit von der Realität entfernt: Zwar verrät eine Anzeige den aktuellen Zustand des Vehikels und bei zunehmenden Beschädigungen kann auch schon mal der Motor qualmen, doch sieht man weder Beulen in der Karosserie noch Auswirkungen auf die Fahrphysik – schwach! Immerhin kann man manche der Boliden mit Werkzeug-Aufsätzen wie einem Ersatzrad ausstatten, um nicht immer zwingend den Umweg zur Werkstatt fahren zu müssen. Steht ein Tankwagen im Fuhrpark bereit, hat man außerdem auch die Möglichkeit für eine mobile Benzin-Versorgung. Schön ist, dass man viele der Vehikel mit freischaltbaren Upgrades und Umbauten wie größeren Ladeflächen, Lichtanlagen oder besseren Reifentypen ausstatten kann.

Gähnende Langeweile

Spintires macht mit der überzeugenden Fahrphysik, einer tollen Vehikel-Auswahl inklusive Umbauten und dem gelungenen Echtzeit-Terraforming auf den ersten Blick ganz schön viel richtig für einen Offroad-Titel – hier könnten sich Spiele wie der Landwirtschaftssimulator sogar in einigen Bereichen eine ganz große Scheibe  abschneiden. Auch die Kulisse macht mit ihren dicht bewaldeten Landschaften, dem idyllischen Tag-/Nachtwechsel und einer schicken Wasser- sowie Matschdarstellung deutlich mehr her als viele andere der unzähligen Alltagssimulationen – und das trotz der geringen Sichtweite mit ihren massiven Pop-ups und den sprunghaften Veränderungen bei der Darstellung von Texturen.

Aber trotz dieser unbestreitbaren Qualitäten und den kleinen Glücksgefühlen beim Meistern mancher Matschgruben waren diese furchtbar öden Transportfahrten durch die Pampa auf Dauer kaum zu ertragen! Das geht schon beim gähnend langsamen Spieltempo los, bei dem der Kampf durch den Matsch bei einer gefühlten Geschwindigkeit von maximal einem Km/h schnell zum Krampf wird. Wie oft habe ich geflucht und den Controller in die Ecke gepfeffert, wenn ich mal wieder trotz Allrad im Dreck versunken, mich zwischen Bäumen festgefahren oder nach einem unglücklichen Schlenker kurz vor dem Ziel meine mühsam erhaltene Holz-Beladung verloren hatte. Und dann noch diese ätzende Außenkamera, die trotz der ständig erforderlichen Nachjustierungen keine ordentliche Übersicht bieten

Holz, Holz und noch mehr Holz - hier gibt es nichts anderes zu transportieren.
kann. Eine Alternative in Form einer Innen- oder Cockpitansicht wird übrigens nicht angeboten. Spätestens, wenn man mit einem voll beladenen Hänger unterwegs ist oder die Seilwinde anbringen muss, entwickelt sich die Kamera endgültig zum Graus!

Abwechslung? Nö!

Hat man beim Landwirtschaftssimulator wenigstens ein breites Aufgabenfeld vom Bestellen der Felder über Transporte bis hin zu einem Wirtschaftssystem, beschränkt man sich hier lediglich auf das Abholen und Ausliefern von Holzstämmen. Wieder. Und wieder. Und immer wieder kriecht man im Schneckentempo von A nach B durch die Gegend. Langweiliger geht’s kaum, zumal man für die einschläfernde Arbeit nicht einmal ordentlich belohnt wird! Landschaftlich steht die Abwechslung der inhaltlichen Qualität in nichts nach und fällt ähnlich mau aus: Zwar werden fünf Karten geboten, die man alternativ sogar in einem Mehrspielermodus gemeinsam erkunden darf, doch trotzdem sieht aufgrund der mangelnden Vielfalt bei den Assets doch alles irgendwie gleich aus. Hinzu kommt die etwas unglücklich und unnötig komplizierte Steuerung, die vor allem im Zusammenspiel mit der Verwendung eines Controllers ihre Schattenseiten offenbart.

Fazit

Ja, selbst im Leben eines Videospiel-Redakteurs gibt es Tage, an denen sogar der Traumjob keinen Spaß mehr macht! Und die Oovee Game Studios haben mit Spintires tatsächlich alles aufgefahren, um mir die Lust an Spielen zu nehmen: Ich war selten so angeödet wie hier, nachdem ich stundenlang im Schneckentempo durch die redundante Pampa kroch, mich wiederholt im Schlamm oder einem kleinen Stein festgefahren hatte und mich ständig über die katastrophale Kamera  ärgerte. Für mich zählt Spintires damit zu den langweiligsten Spielen, durch die ich mich jemals durchquälen musste! Trotzdem gibt es positive Aspekte, die den Absturz verhindern: Da wäre zum einen die Fahrphysik, mit der sich die Offroad-Vehikel erfreulich authentisch anfühlen. Zum anderen hinterlässt auch die Echtzeit-Deformation der Fahrbahn einen gelungenen Eindruck. Auch hinsichtlich der grafischen Qualität übertrifft man trotz Fehlern und zu wenig Variationen bei den Karten die meisten Alltagssimulationen. Was Spintires aber in erster Linie fehlt, ist eine Spieltiefe – sei es durch abwechslungsreichere Missionen oder ein Wirtschaftssystem. So bleibt nur ein Konzept, eine Tech-Demo für eine überzeugende Fahrphysik, die man kaum als vollwertiges Spiel bezeichnen kann.

Pro

authentisch wirkende (Fahr)-Physik...
nette Auswahl an Offroad-Vehikeln
Echtzeit-Deformation der Fahr-Oberfläche
freischaltbare Upgrades und Umbauten
Tag-/Nachtzyklus
Mehrspielermodus
mitunter ansehnliche Kulisse

Kontra

...aber manchmal auch fragwürdige Momente
gähnend langsames Spieltempo
frustrierendes Eingraben im Matsch oder Steckenbleiben in der Wildnis
Schaden wirkt sich visuell und physikalisch kaum aus
nerviges Aufdeckungs-Konzept bei Kartenansicht
immer gleiche Aufgaben (transportiere Holz von A nach B)
keine Innen-/Cockpitansicht
halbherzige Controller-Unterstützung
furchtbare (freie) Kamera mit mangelnder Übersicht
Schauplätze / Karten sehen alle gleich aus
unbrauchbares Navigationssystem
kein Wirtschaftssystem
massive Pop-ups
kein sichtbarer Fahrer
grobe Texturenveränderungen (Morphing)
schlechtes Tutorial / Beschreibungen
keine Unterstützung von USB-Lenkrädern
kostenpflichtige Tech-Demo

Wertung

PC

Spintires ist als Tech-Demo für die starke Offroad-Fahrphysik ganz okay, aber Geld dürfte man für diese extrem langweiligen Holztransporte durch die Pampa nicht verlangen!

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