Deponia Doomsday11.03.2016, Jan Wöbbeking

Im Test: Letzte Chance für Rufus?

Unverhofft kommt oft – vor allem, wenn Rufus aus Deponia sich eine Zeitmaschine unter den Nagel reißt, um an seiner Vergangenheit herum zu pfuschen. Kenner wissen, dass solch eine Aktion des selbstverliebten Helden eigentlich nur in Flammen, Chaos und der Zerstörung ganzer Welten enden kann – oder Schlimmerem. Völlig überraschend hat Daedalic einen vierten Teil der bizarren Adventure-Reihe veröffentlicht, in dem er alte Fehltritte ausbügeln kann. Wird doch noch alles gut? Das verraten wir natürlich nicht im Test.

Adventure XXL

Puuh, was für ein Trip! Nachdem ich Deponia Doomsday (ab 11,99€ bei kaufen) gerade abgeschlossen habe, muss ich mich erst einmal sammeln, tief durchatmen und ein paar Bilder aus dem frühen Spielverlauf betrachten, um mir noch einmal alte Details zu Beginn ins Gedächtnis zu rufen. Aus dem frühen Kapitel, bevor Jan „Poki“ Müller-Michaelis seine Helden in Unmengen wilder Zeitstrudel stürzt, welche den Lauf der Geschichte immer wieder umschreiben. Offenbar diente diesmal auch der Klassiker Day of the Tentacle als inspirationsquelle. Gefühlt ist es schon eine Ewigkeit her, seit ich mit Rufus in sein neues Adventure gestartet bin. Kein Wunder: Mit rund 20 Stunden Spielzeit fällt es sogar noch üppiger aus als die umfangreichen Vorgänger. Allzu viel will ich natürlich nicht ausplaudern - aber sogar Daedalic erwähnt im Trailer, dass manch ein Fan offenbar nicht ganz zufrieden mit dem Ausgang war. Also bekommt Rufus eine weitere Chance.

Als ob Rufus' angeborene Tolpatschigkeit nicht genug wäre...
Das Abenteuer startet damit, dass er aus einem seltsamen Traum erwacht. Als gealterter Mann mit Schnauzbart und rauchiger Frank-Zander-Stimme robbt er sich an ein paar grünen Monstren vorbei, um mit letzter Kraft die Sprengung Deponias auszulösen. Natürlich macht solch eine apokalyptische Vision selbst einem selbstbewusstem Chaoten wie Rufus zu schaffen. Welch Anblick des Grauens: Wer läuft denn bitteschön freiwillig mit einem „Kotzbalken“ im Gesicht herum? Auch die Geschehnisse aus Teil eins bis drei geistern ihm noch im Gedächtnis herum, Rufus hält allerdings auch sie nur für einen wilden Traum.

Alles nur ein Traum?

Den stets fokussierten Egomanen kann das aber nicht schocken, schließlich hat er wieder einmal vor, aus der Einöde seines Schrottplaneten in die paradiesische Utopie von Elysium zu fliehen, zusammen mit seiner cholerischen Freundin Toni. Bislang waren all seine Bastelversuche von ähnlich viel Erfolg gekrönt wie die von Wily E. Coyote - aber wen kümmert’s. Auf dem Weg zu seiner Liebsten trifft er auch auf eine mögliche Erklärung für allerlei seltsame Ungereimtheiten: Der angereiste Zeit-Wissenschaftler Mc Chronicle sucht im Ort mit Hilfe einer albernen Sanduhr-Angel nach Zeit-Anomalien.

...werden seine Zeitreise-Bestrebungen auch noch von einem mysteriösen Unbekannten sabotiert.
Leider durchkreuzt er auch Rufus‘ Plan, die chronisch cholerische Toni zum Gang in den vorbereiteten Ballon zu überreden, mit dem die beiden nach Elysium abheben wollten. Beim Einparken mit seinem Zeitmobil rammt Mc Chronicle ihre fein säuberlich aufgestapelten Gläser über den Haufen, also schaltet Toni wieder mal in den Schmollmodus. So muss ich also erst einmal eine  Menge klassischer Adventure-Rätsel lösen, um doch noch abheben zu können. Zu allem Überfluss spukt auch noch ein rosa Elefant im Ort herum, der meine Aufgaben immer wieder durch Ablenkungsmanöver sabotiert. Also spaziere ich erst einmal durch den Ort, labere den Einwohnern eine Kante ans Knie und stopfe alles Mögliche in mein Inventar, dass sich Daedalic-typisch wieder bequem mit dem Mausrad ein- und ausfahren lässt. Aus Strohhalm, Bienengift und Dartpfeil wird z.B. ein Hochpräzisions-Blasrohr, mit dem sich der Dart-Wettbewerb gewinnen lässt, dessen Gewinn mir wiederum wertvolle Ersatzteile für eine Reihe von Steampunk-Maschinen beschafft.

Bienengift, Rasierer und allerlei Steampunk-Gerümpel

Schicke Bezüge!
Auch anderswo werden die surrenden Störenfriede nützlich. Wenn ich sie ablenke, kann ich das Wachs stibitzen, es der stoppeligen Lotti zur Beinenthaarung bereitstellen und bekomme so im Gegenzug einen nützlichen Rasierer geschenkt. Im Laufe des Spiels stößt Rufus auf Unmengen knifflig verwobener Inventar- und Umgebungsrätsel und auch der Rest des 2D-Adventures gibt sich sehr klassisch. Meist gibt es große Areale zu erkunden, später zieht das Erzähltempo allerdings an.

Zurück auf Anfang

Aber zurück zum Anfang: Zum Glück lässt sich die Zeitmaschine des unsicheren Mc Chronicle zum Beheben von Missgeschicken missbrauchen.  Ein Dreh an der Kurbel, schon verschwimmt das Bild, es macht „Wiku-wiku-wiku“ und Rufus wacht erneut im Ballon auf, um von seinen wirren Träumen zu erzählen. Falls ich etwas letztes Mal noch nicht lösen konnte oder falsch gemacht habe, besteht dann die Chance, es anders zu machen – so ähnlich wie im Kinofilm „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Mit einem technischen Trick bekomme ich z.B. den notorischen Trinker Tuck dazu, sich wie Rufus an vergangene Durchgänge zu erinnern (natürlich nicht ohne zahlreiche Anspielungen auf alkoholbedingten Gedächtnisverlust), so dass er bei der Jagd auf den rosa Elefanten helfen kann. Die stetigen Wiederholungen sind mir zunächst noch richtig auf die Nerven gegangen. Oft wusste ich nicht, ob ich sämtliche Gegenstände und Rätsel noch einmal abklappern sollte, oder ob nach dem nächsten Dreh an der Kurbel eh alles für die Katz gewesen sein würde. Bei späteren Durchgängen schrumpften aber zum Glück die Möglichkeiten, so dass ich meist auf die richtige Fährte geführt wurde.

Ein Wiedersehen mit alten...
Im weiteren Spielverlauf haben die Entwickler den Umgang mit Zeitebenen und Portalen zum Glück etwas motivierender gestaltet. Auch auf seine elysianische Angebetete Goal trifft der Protagonist im Laufe seiner Reise immer wieder, wobei sie ihn zunächst natürlich noch gar nicht kennt - was Vor- und Nachteile besitzt. Zu Beginn weiß sie natürlich noch nicht, ob sie Cletus‘ seltsamem Doppelgänger vertrauen kann, andererseits war sie immerhin noch kein Opfer seiner zahlreichen Schnapsideen.

Elysium sah auch schon mal heiler aus...

Als Rufus und sein neuer Gefährte Mc Chronicle schließlich in der sagenumwobenen Oberschichten-Welt Eylsium landen, sieht es dort ganz anders aus als erwartet. Irgendjemand hat offenbar ein gewaltiges Chaos angerichtet, also kann Rufus sich nur noch mit im Sterben röchelnden Angestellten und der trotz allem noch blendend gelaunten Service-Blume Ronny unterhalten. Dieser mechanische Avatar des Zentralcomputers ist ein echtes Highlight unter den ohnehin herrlich durchgeknallten Figuren. Nachdem Rufus erst einmal an seiner Festplatte herumgepfuscht hat, durchlebt er eine erstaunliche Persönlichkeitsveränderung. Seine kleine Musical-Ballade im Angesicht des Chaos ist ebenfalls einfach nur großartig!

...und neuen Bekannten wie dem schwülstigen Pimpi und seinem assoziativ brabbelnden Herzblatt Schnixi.
Auch beim Design anderer bizarrer Figuren und ihrer Dialoge offenbart sich wieder Pokis unverwechselbares Gespür für unterhaltsamen Wahnsinn. Jedes noch so profane Detail wird mit herrlich unsinnigen Kommentaren und Seitenhieben ausgeschmückt: „Oh, ein Schnabeltierkorb. Wofür der wohl gut ist?“ Auch die weitere Reise hat jede Menge verschrobener Figuren aufzubieten, die zwar schlicht aber trotzdem putzig gezeichnet sind. Ob nun der romantische Zuhälter-Clown Pimpi, die realitätsfremden vollgefressenen Elysianer oder die putzigen Schnabeltiere – irgendwie sind sie mir alle ans Herz gewachsen. Ein gastronomischer Angestellter in einem Zeitloch wird z.B. von seinem verbitterten älteren ich gepiesackt: Dessen einzige Freude ist es, anderen Leuten (oder eben seinem jüngeren Selbst) den Tag zu vermiesen. Auch die wahre Identität des rosa Elefanten ist gleich auf mehreren Ebenen komisch. Sogar die durch diverse Zeitebenen marodierenden grünen „Fewlock“-Monster müssen für ein albernes Wortspiel herhalten, weil der Begriff „Morlocks“ aus dem Roman „Die Zeitmaschine“ rechtlich geschützt war.

Flucht vor den Fewlocks

Wie genau die aggressiven Biester in die Welt der Menschen geraten sind, verrate ich natürlich nicht. Jedenfalls tauchen sie immer wieder in den Zeitebenen auf, in die auch Rufus hineinplatzt. Oft muss ich diverse Voraussetzungen in einer Zeitlinie verändern, um später ans Ziel zu kommen. Eine eingepflanzte Bohne z.B. sorgt nach einer Zeitreise dafür, dass eine Ranke gewachsen ist, die zum nächsten Portal führt. Manchmal steckt Rufus sogar einfach seine Hand durch ein Portal in die Vergangenheit, um z.B. einen spitzen Ring zu mopsen oder eine Zeitmaschine zu manipulieren. In solchen Momenten befinden sich glücklicherweise nur wichtige Objekte in Reichweite, so dass ich nie lang suchen musste. Trotzdem ergeben sich durch die zeitlich und räumlich verschachtelten Puzzles viele angenehm knackige Kopfnüsse. Dabei laufen sich schon mal mehrere Rufusse über den Weg und auch andere Figuren tauchen gleich mehrfach auf.

Jetzt wird es kompliziert: Inmitten mehrerer Zeit-Linien und -Portale sabotiert Rufus sich mitunter selbst.
Wer in letzter Zeit vermehrt über den gesunkenen Knobel-Anspruch in Titeln von Telltale und anderen filmisch inszenierten Adventures geschimpft hat, bekommt hier also endlich wieder genügend Arbeit für die grauen Zellen. Der Fokus liegt nach wie vor auf klassischen Aufgaben im Point-and-Klick-Stil, ab und zu muss man aber zeitlich um die Ecke denken.

Schattenseiten der Manipulation

Leider haben die Zeit-Implikationen auch ihre Schattenseiten. Kurz vorm Finale z.B. musste ich nicht nur um die Ecke denken, um bizarre Gegenstände zu basteln, sondern das auch noch unter argem Zeitdruck. Nach Fehlversuchen plumpste ich zwar prompt wieder aus dem Zeitloch und konnte erneut loslegen, trotzdem wirkte die Sequenz ein wenig happig. Ein Schwachpunkt sind außerdem mal wieder die typischen Minispiele der Reihe. Weder der Shooter im elysianischen Bällebad noch eine Art Portal-Surfen oder andere Actionsequenzen steuern sich intuitiv. Auch die wenigen ausgelagerten Puzzles sind entweder zu leicht oder einfach so öde designt wie eine Abwandlung von Tic-Tac-Toe. Zum Glück lassen sich all diese Extra-Einlagen aber einfach überspringen. In manche Exemplare wie dem Rollenspiel-Trip mit Party ins Spiegel-Labyrinth sind immerhin lustige Anspielungen an alte Dungeon-Crawler versteckt.

Willkommen in der Zwischenzeit...oder zumindest einer Variante davon.
Der Rummelplatz drumherum ist ebenfalls eine schöne Location, die man gleich zu mehreren Zeiten zu Gesicht bekommt. Auch anderswo gibt es viel Neues zu entdecken, z.B. die Lehranstalt von Zeit-Forscher Mc Chronicle, an der man mit erfreulich neurotischen Studenten und einem erstaunlich simplen Versuchsaufbau konfrontiert wird. Wer hätte gedacht, welch wichtige Rolle Schnabeltiere und schreckhafte Ziegen bei der Erzeugung von Zeitanomalien spielen? Zwischendurch lockern immer wieder kurze Zeichentricksequenzen den Rätselalltag auf. Sie sorgen dafür, dass sich die Reise trotz klassischer 2D-Perspektive dynamischer anfühlt als Teil 3. Schön auch, dass die Kamera das Geschehen innerhalb einer Location immer mal wieder aus der Nähe einfängt.

Klassisches Knobeln

Spielerisch mau, aber immerhin lustig: In Minispielen wie diesem schlägt man sich z.B. mit einem Automaten herum, der je nach Ersatzteil und Einstellung vom Snack-Automaten "Grill-Bot" zum Eiswürfel-Spender "Chill-Bot" oder zum tödlichen "Kill-Bot" wird.
Wichtige Objekte sind meist schnell entdeckt, zur Not hilft die Hotspot-Anzeige weiter. Darüber hinaus gibt es kein Hilfe-System. Stattdessen baut Daedalic auf das bewährte Einflechten zahlreicher Hinweise in die Dialoge, die meist professionell vertont wurden, aber nur selten lippensynchron zu den einfachen Comic-Animationen bleiben. Meist gelingt es Autor Poki und seinem Team recht gut, den Spieler subtil auf die richtige Fährte zu lenken, in manch kniffligen Moment hätte ich mir aber mehr Tipps gewünscht.

Fazit

Schön, dass Rufus noch einmal zurückgekehrt ist, um seine Umwelt zu terrorisieren: Die Mischung aus Selbstüberschätzung und technischem Unvermögen macht die zerstörerische Reise wieder zu einem wilden Ritt, der diesmal sogar mit durchgeknallten Zeit-Tricks aufgepeppt wird. Meist sorgt die Vermengung des typischen Kombinations-Wahnsinn mit verschiedenen Zeitebenen für bizarre Momente und angenehm knifflige Rätsel. Manchmal überspannen die Entwickler den Bogen allerdings, z.B. mit übertriebener Hektik oder wenn man wie am Murmeltiertag zum x-ten Mal unmotiviert eine Szene abklappern muss. Der Trip gestaltet sich aber weitgehend sehr unterhaltsam, denn Pokis Humor Humor ist mal wieder eine Klasse für sich! In fast jedes noch so kleine Detail ist unheimlich viel Hingabe geflossen - und das, obwohl man mit rund 20 Stunden ungefähr zehnmal so lang beschäftigt ist wie in einer Telltale-Episode. Das Adventure sprüht nur so vor albernen Figuren, schlagfertigen Pointen und lustigen Anspielungen. Lediglich das Ende wirkt nach all dem Tohuwabohu etwas abrupt und seltsam. Sei’s drum: Wer klassisch, knifflig und durchgeknallt rätseln will, wird mit Deponia Doomsday noch einmal richtig gut bedient, bevor sich Jan Müller-Michaelis (diesmal wirklich?) einem neuen Projekt zuwendet.

Pro

herrlich bizarrer Humor
Unmengen schlagfertiger Kommentare
hochgradig egoistischer Held
liebenswert verschrobene Zeitreisende
wahnwitzige Zeitverstrickungen
abwechslungsreiche Schauplätze
viele knifflige Rätsel mit verdrehter Hirnakrobatik
üppige 20 Stunden lang
geschickt in Dialoge eingeflochtene Hinweise
kranke Musikeinlagen
praktische Inventaröffnung per Mausrad

Kontra

einige Zeitreise
und Zeitdruck-Rätsel sind übertrieben versponnen und knifflig
vielfache Wiederholungen gleicher Szenen mitunter ermüdend, vor allem zu Beginn
alternative Geschichte nicht immer zufriedenstellend
fade (überspringbare) Minispiele
Figuren nur einfach animiert

Wertung

PC

Herrlich durchgeknalltes klassisches Adventure mit vielen kniffligen Kopfnüssen und Zeittricks.

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