State of Mind15.08.2018, Jan Wöbbeking

Im Test: Gespaltenes Familiendrama

Nach David Cages Detroit: Become Human stellen sich auch Daedalic mit Romanautor Martin Ganteföhr die Frage nach menschlichen Werten in einer Zukunft voller Technologie und Androiden. Im futuristischen Berlin des Jahres 2048 geht es allerdings primär um das menschliche Bewusstsein, während Journalist Richard Nolan sich auf die Suche nach seiner verschwundenen Familie begibt. Dabei trifft er auf Verschwörungen, medizinische Experimente und eine sonderbare Parallelwelt.

Technologische Rettung oder Horrorvision?

Dass es nicht besonders leicht ist, sich den Zukunftsplänen großer Kräfte entgegenzustellen, erfährt Richard gleich zu Beginn des Spiels. Obwohl der Enthüllungs-Journalist nach der Aufdeckung des „Dronegate“-Skandals noch gefeiert wurde, erwartet ihn seine Kündigung. Glücklicherweise in sanfter Form, mit einem einjährigen Werkvertrag und weiterem Zugriff auf die Redaktionsdatenbanken, so dass er weiter herumschnüffeln und den dortigen Verschwörungstheoretiker konsultieren kann. Unterstützung hat er auch bitter nötig, schließlich erwarten den unter Gedächtnisverlust leidenden Richard nach seinem mysteriösen Unfall (oder war es ein Anschlag?) privat noch größere Probleme. Seine Frau Tracy und sein Sohn James sind beide verschwunden und es spukt auch noch ein neuer Haushaltsandroid in der Wohnung herum – was Richard als bekannter Kritiker überbordender Technologisierung ganz und gar nicht in den Kram passt.

Richard ist nicht gerade der größte Verfecher von Haushalts-Androiden.
Seine latent gereizte Persönlichkeit passt zum kantigen „Low-Poly-Design“ der Figuren, die durch das schummrig beleuchtete Berlin wandeln. Daedalic schafft es allerdings fast gar nicht, mit derart schroffen Gesichtszügen subtile menschliche Emotionen widerzuspiegeln - im krassen Gegensatz zu Detroit: Become Human. Zudem laufen die Figuren sehr steif durch die Kulissen, inklusive einer ziemlich hölzernen Steuerung, die übrigens primär aufs Gamepad ausgelegt ist. Davon abgesehen gefallen mir aber einige Design-Entscheidungen: Vor allem die professionelle Kameraregie überzeugt. Oft wird die verheißungsvoll glühende futuristische Architektur im nächtlichen Berlin mit einem ruhigen Schwenk eingeleitet – Zeit zum Durchatmen und Genießen!

Technologische Rettung oder Horrorvision?

Im Kontrast dazu steht „City 5“, eine wie aus dem Ei gepellte technische Utopie, in welcher der zweite spielbare Protagonist Adam Newman lebt: Auch er ist Journalist, hatte einen mysteriösen Unfall, lebt mit Frau und Sohn in einem ähnlich geschnittenen Loft, wurde allerdings befördert statt gefeuert. Klingt nach etwas zu vielen Zufällen, oder? Dieser Meinung ist auch Richard, der nach Recherchen in der Unterwelt Berlins (und einer Tracht Prügel) Kontakt zu Adam aufnimmt. Auch in seinem Saubermann-Universum herrscht nicht nur eitel Sonnenschein: Regelmäßig stolpert er nach Erdbeben über Erinnerungsfetzen, die wie ein Riss in der Matrix über dem Boden flackern. Eine wichtige Aufgabe des Spielers ist es, immer wieder diese Artefakte aufzusammeln, um Licht ins Dunkel der Vergangenheit zu bringen.

Adam sucht derweil in City 5 nach Erinnerungsfragmenten - und muss dazu z.B. das klinisch freundliche Klinikpersonal austricksen.
Kurz danach spaziert man auch schon durch die Erinnerungen verschiedener Personen, z.B. Richards  Affäre Lydia auf ihrem Weg durch New York. Auch Tracys Eignungstest für die Besiedlung einer Marskolonie und medizinische Experimente eines Großkonzerns spielen eine Rolle beim Puzzle, das sich im Laufe der verzweigten, wendungsreichen Geschichte zusammensetzt.  Zu intensiv gehe ich lieber nicht auf die Zusammenhänge ein. Im Zentrum stehen rivalisierende Lösungsansätze zum langfristigen Fortbestehen der Menschheit, bei denen auch mit Bewusstseinsübertragung experimentiert wird. Zudem macht man schon relativ früh Bekanntschaft mit der Untergrundorganisation Break Point, die sich den Plänen der technokratischen Konglomerate entgegenstellt und auch Richard auf seinem Weg weiterhelfen könnte.

Nicht besonders clever

Weniger ambitioniert präsentiert sich das Spieldesign: Es gibt zwar ein Inventar; statt mit klassischen Kombinations- und Umgebungsrätseln zu arbeiten, hat sich Daedalic aber für diverse Minispiele entschieden, die sich größtenteils ziemlich fade gestalten. Mal ist es ein waberndes Puzzle mit Erinnerungsteilen, später das Übernehmen einer Drohne, um eine simple Schleichsequenz im Luftschacht zu meistern. Anderswo hackt man z.B. im Techno-Club oder in der Androidenfabrik einen Laser, um simplifiziert auf Drohnen zu ballern – Moorhuhn lässt grüßen! Manch menschenähnlicher Roboter mit intaktem Memory-Modul scheint auch hier eine gewisse Persönlichkeit zu entwickeln. Das einzige Minispiel, das sich etwas weniger aufgesetzt anfühlt, ist die Zuordnung von Verdächtigen, die man mithilfe gehackter Infos aus Bewegungsprofilen und anderen Datenbanken gewinnt.

Ob er sich mit den richtigen Leuten eingelassen hat?
Auch hier ist der Anspruch der Deduktion weit von einem Sherlock-Holmes-Adventure entfernt, aber es passt immerhin zum Thema. Oft hilft es auch, mit neuen Erkenntnissen bei anderen Personen per Hologramm-Anruf durchzuklingeln. Verzieht euch dazu am besten in eine vor unerwünschten Mithörern geschützte Ecke. Ganz allgemein verströmt das Spiel eine recht „sperrige“ Atmosphäre – mit den erwähnten Problemen bei der Steuerung, schlichten Minispielen und seinem Mangel an Rätselanspruch. Auf der „alten“  Xbox One kommt noch ein nerviges leichtes Dauerruckeln hinzu, das auf der Standard-PS4 und Nintendo Switch glücklicherweise weniger penetrant wirkt.

Irgendwie sperrig

Auf Nintendos Konsole sieht die kantige Kulisse aufgrund niedrigerer Auflösung zudem nicht mehr so knackig scharf aus. Als interaktive Geschichte schlägt sich State of Mind (ab 1,75€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) aber gut. Während die Story zwischen den zwei Welten mit ihrer Vielzahl an Figuren, Informanten aus der erotischen „Erlebnisindustrie“, Wissenschaftlern mit Gewissensbissen und Konzernspitzen wechselt, kann man zwar schon mal die Übersicht verlieren. Doch gleichzeitig baut sich ein schöner Spannungsbogen auf, wenn sich immer mehr Facetten unterschiedlicher Parteien und Akteure auftun und weitere Fragen aufwerfen.

Leichte Minispiel-Kost statt Rätselanspruch: Ein Blick aufs Datenbank-Puzzle...
Warum muss Adams hochbegabter Sohn regelmäßig in die Klinik und benimmt sich so apathisch? Auch in den klinischen Fragestunden bekommt die Beziehung zu ihm immer wieder eine Bedeutung. Welche Rolle spielt Richards gestörtes Eheleben, seine Beziehung zu Lydia und zu welchen Dialogen entschließt man sich, wenn der Kontakt zur Familie zur Sprache kommt? Die Entscheidungen scheinen bei weitem nicht so tiefgreifende Veränderungen nach sich zu ziehen wie in Detroit, aber die gewählten Dialogzeilen beeinflussen immerhin die Beziehung zu den Gesprächspartnern. Im Verlauf des Spiels muss man z.B. auch abwägen, wie weit man beim Job an einer Holgramm-Hotline mit einem aufdringlichen sadistischen Kunden geht.

Sonderbare Begegnungen

...und einen Drohnenflug mit Schleich-Passagen.
Passend zur USK-12-Einstufung bleibt es aber meist bei zahmeren, nur angedeuteten Erotik- oder Gewaltdarstellungen. Für ein bizarres Erlebnis sorgte dagegen eine andere, faszinierende Idee am Rande, die sich um ein philosophisches Zwiegespräch mit Adams grantigen Vater drehte – mehr verrate ich nicht. Die Szene ist ein schönes Beispiel für die oft mehrdeutig formulierten Dialoge. Die deutschen Sprecher (alternativ steht auch Englisch zur Wahl) verrichten ihren Job meist angenehm professionell. Nur in manchen Momenten sorgt eine abrupte Änderung bei der Betonung für seltsame Stimmungswechsel oder unfreiwillige Komik. Auch Adams Mitmenschen ahnen, dass in ihrer abgeschotteten, vordergründig heilen Welt einiges im Argen liegt. Irgendetwas hält sie allerdings zurück, den Ungereimtheiten weiter nachzugehen. Zerrissenheit ist allgemein ein stetig wiederkehrendes Thema: In der Familie, zu Androiden, zwischen den zwei Welten, in der eigenen Persönlichkeit.

Fazit

State of Mind spricht einige interessante technologische und ethische Themen rund um die Zukunft der Menschheit an. Die mit einem Familiendrama verwobene Verschwörungs-Story hat mich im Laufe des Abenteuers immer stärker gefesselt. Wenn Protagonist Richard sich nach einem nebulösen Unglück auf die Suche nach seiner verschwundenen Familie macht, kann es schon mal verwirrend werden. Meist habe ich es jedoch genossen, wenn sich die Puzzleteile nach und nach zusammensetzten. Schade, dass sich Erzählung und Spielmechanik so gespalten zeigen wie das Thema des Spiels: Statt vertrackte Inventar- und Umgebungsrätsel zu inszenieren, wird man mit faden Minispielen abgespeist, die meist nur als Lückenfüller taugen. Auch die technische Umsetzung lässt zu wünschen übrig: Die hübsch glühende Kulisse wird von der gelungenen Kameraregie schön in Szene gesetzt. Doch der eigentlich passende Low-Poly-Stil der Akteure verhindert weitgehend die Darstellung von Emotionen, zumal die Figuren ohnehin derart steif durch die Kulissen traben als hätten sie einen Besenstiel verschluckt. Wer über die holprige Umsetzung und spielerische Schwächen hinweg sehen kann, erlebt aber ein angenehm vielschichtiges SciFi-Drama.

Pro

spannender Story-Mix aus Verschwörungs-Thriller und Familiendrama
interessante Themen rund um Technologie und Transhumanismus
stimmungsvolle Kameraregie
cool konstruierte Zukunftsvisionen von Metropolen wie Berlin und New York
meist professionelle deutsche Vertonung

Kontra

fade Minispiele
kaum Rätselanspruch
Figuren bewegen und steuern sich sehr hölzern
kaum einschneidende Entscheidungen
leichtes aber nerviges Dauerruckeln auf Konsolen (vor allem alte Xbox One)

Wertung

PC

Die unterhaltsame Geschichte mit spannenden Themen leidet unter anspruchslosen Minispielen und einer holprigen Steuerung.

XboxOne

Auf der alten Xbox One nervt das leichte Dauerruckeln stärker als auf den übrigen Konsolen, was vor allem angesichts des eckigen Designs mit wenigen Polygonen unverständlich ist.

PlayStation4

Die unterhaltsame Geschichte mit spannenden Themen leidet unter anspruchslosen Minispielen und einer holprigen Steuerung.

Switch

Die unterhaltsame Geschichte mit spannenden Themen leidet unter anspruchslosen Minispielen und einer holprigen Steuerung.

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