Im Test: Mystery-Thriller statt Survival-Horror
Kein Survival-Horror
The Evil Within 2 unterscheidet sich sehr von seinem Vorgänger. The Evil Within ist ein herausforderndes Survival-Horrorspiel, das durch klaustrophobische und hochgradig dreckige Schauplätze mit verstörender Inszenierung, stetigem Munitionsmangel und einem vergleichsweise fußlahmen Hauptcharakter für Nervenkitzel und massig Atmosphäre sorgte - ganz zu schweigen von dem erstklassigen Kreaturendesign und tollen Tempowechseln. Nicht so überzeugend waren Story, Charakterzeichnung, Technik, Trial-&-Error und die Gegner-KI. Michael hatte in seinem Test das Gefühl, alles schon einmal woanders in besserer Form gesehen zu haben.
In The Evil Within 2 darf man zwar erneut einem albtraumhaften STEM besuchen, aber diesmal sind die Vorzeichen anders, denn der Survival-Horroraspekt will sich nicht richtig einstellen - höchstens Survival wird auf dem schwersten Schwierigkeitsgrad durch hartnäckige Gegner und chronische Munitionsarmut geboten; Horror köchelt allerdings auf Sparflamme.
Im Limbo der Albtraum-Matrix
Seit dem ersten Teil sind mehrere Jahre vergangen. Hauptcharakter Sebastian Castellanos glaubt, dass seine Tochter Lily tot ist, da er sie nicht aus einem brennenden Haus retten konnte. Er wird von Schuldgefühlen und den Erinnerungen an den ersten Ausflug in die STEM-Welt geplagt. STEM ist eine Art virtuelle Realität im Matrix-Stil. Der Verstand einer Person bildet den Kern einer simulierten, virtuellen Welt und andere an STEM angeschlossene Personen können diese Welt betreten. Im ersten Teil war der psychisch auffällige Ruvik der Kern (Beacon-Nervenklinik), die dementsprechend bizarr ausfiel und von ihm kontrolliert werden konnte. Im zweiten Teil hat Mobius, eine geheime Untergrundorganisation mit Allmachtsphantasien, Lily als STEM-Kern auserkoren, weil sie rein und unschuldig ist. Dass seine Tochter noch lebte, wusste Sebastian nicht und nur deswegen ließ er sich von Kidman dazu breitschlagen, ihnen in einer Notlage zu helfen, denn - wie sollte es anders sein - geriet die STEM-Simulation mit Lily als Kern völlig aus den Fugen.
In der mit einem Schuss Inception angereicherten Horror-Matrix trifft Sebastian auf einige freundlich gesinnte und durchaus klischeebeladene Unterstützer (z. B. Torres als taffe Soldatin mit furchtbarer Synchro), auf zwei zentrale Hauptgegenspieler und ein überraschendes Wiedersehen mit persönlicher Note, das aus Spoiler-Gründen nicht erwähnt werden soll. Mehr als die erste Hälfte beschäftigt sich der dauerfluchende Detective mit dem durchgeknallten Fotographen Stefano Valentini, der als gezeichneter Kriegsfotograf einen Faible dafür hat, den bluttriefenden Moment des Todes auf Fotos in einer Zeitschleife festzuhalten. Der zweite Profibekloppte ist Theodore Wallace, ein selbsternannter Anführer eines religionsähnlichen Kults mit Inquisitionsphantasien. Beide können STEM und teilweise ihre Bewohner manipulieren ...
Lange Exposition, später Höhepunkt
Für die 17 Kapitel lange Geschichte kann man zwischen 14 und 20 Stunden veranschlagen, je nach Schwierigkeitsgrad, Erkundungsdrang und Nebenmissionen. Mehr als die Hälfte der Zeit verbringt man mit Stefano und erst danach kommt die Geschichte richtig in Schwung, vorher verrennt sich das Spiel zu sehr in die Exposition und die offenen Abschnitte der Spielwelt. Obwohl der zweite Fiesling nicht mit Stefano mithalten kann und deswegen ein Wiedersehen mit drei Bossen aus dem ersten Teil arrangiert hat, bereitet er die Bühne für einen drei Kapitel langen Höhepunkt vor, der die Geschichte überraschend emotional, dramatisch und verständlich "im Limbo" beendet. Hierbei dreht sich alles um die zentralen Charaktere und die Themen Schuld, Vergebung, Aufopferung und Erlösung. Die letzten Kapitel sind so stark, dass sie für viele der Längen aus der Anfangsphase entschädigen, obgleich der spielerische Anteil zum Ende abnimmt und die Cutscenes Überhand nehmen. Inszeniert sind die Zwischensequenzen weitgehend überzeugend. Kameraeinstellungen, Schnitte und Animationen der Charaktere sind gut, bis auf einige NPCs mit einem Hang zum Wackelkopf. Zum Ende hin stoßen einige schwache Texturen oder leere Räume auf. Dass anfänglich fast nervige Gefrage nach Lily endet in einem tollen Finale zusammen mit einem extrem hässlichen Endgegner. Hätte The Evil Within 2 ab Kapitel 12 nicht aufgedreht, hätte es definitiv schlechter als sein Vorgänger abgeschnitten. Doch warum hapert es am Anfang des Spiels?
Die offene Welt als Horrorkiller
Während die Story und die Charaktere (zumindest die Hauptpersonen) stärker als im Vorgänger sind, schafft es die zweite "große" Neuerung, nämlich die "halboffene Welt", nicht zu überzeugen.
In den Kapiteln 3 und 7 darf eine typische US-Kleinstadt frei erkundet werden, wobei das Hauptaugenmerk auf Kapitel 3 liegt. Hier kann man locker mehrere Stunden verbringen. Nur krankt diese Welt daran, dass sie zwar düster und bisweilen unheimlich, mysteriös und interessant ist, aber längst nicht so horrorträchtig wie das lineare Irrenhaus aus dem ersten Teil. Obwohl auf den Straßen und zwischen dem blickdichten Gras allerlei Verlassene und andere seltsam stöhnende Kreaturen herumschlurfen, kommt auf den Straßen kaum Horror-Atmosphäre auf. Sobald man ein Gebäude verlässt, ist die Stimmung verflogen, da man mehr als genug Freiraum hat, vor dem "Bösen" wegzulaufen oder sich zu verstecken. Die fehlende Enge, mehrere Fluchtmöglichkeiten und die dazu recht normal wirkende Kleinstadt als Schauplatz tragen nicht sonderlich zur Horror-Atmosphäre bei.
Anders ist es, sobald man manche Häuser betritt, denn dann spielt wieder die Inszenierung groß auf, wenn Türen zugeschlagen werden, mysteriöse Dinge geschehen oder sich Räume grundlos verändern - untermalt von einer sensationellen Sound- und Musikkulisse. Jedoch wird nicht in allen Häusern etwas Besonders geboten. Manchmal gibt es nur lahmen und völlig unnötigen Ekel (gleich im ersten Haus) oder es tauchen ein Paar Verlassene auf.
Highlights im Linearen
Abgesehen davon, dass viele dieser Horror-Events in den Häusern eher mäßig originell oder wenig überraschend sind, gibt es manche Elemente, die sowohl nerven als auch positiv herausragen. Hier wäre die Begegnung mit dem "Anima-Wesen" zu nennen, das etwas deplatziert wirkt, da sich ein japanisches Horrorwesen offenbar in eine US-Kleinstadt verirrt hat. Sobald man das Wesen zum ersten Mal (was übrigens optional ist) getroffen hat, sucht sie Sebastian immer wieder heim, was mit völliger Veränderung der Spielwelt einhergeht. Später führt sie den Protagonisten wieder zurück nach Beacon und lässt ihn mit einer elementaren Sache abschließen. Schade, dass nicht alle Nebenquests oder Ereignisse in der Qualität vorliegen - so würde die offene Welt einen größeren Mehrwert bieten.
Apropos Horror auf Sparflamme: Jump-Scares oder richtige Überraschungseffekte sind in The Evil Within 2 eher Mangelware.
Es wäre besser gewesen, wenn sich die Entwickler nicht zu sehr in der offenen Welt verloren hätten und dieses Spielelement zugunsten ihrer eigentlichen Stärke, und zwar der Inszenierung von abgefahrenen Horror- oder Überraschungselementen, zurückgefahren hätten. So verbringt man viel Zeit mit dem Kommunikator in der Hand und klappert die verschiedenen Resonanzen in Silent-Hill-Manier ab, wobei es die offene Welt nicht schafft, eine kontinuierliche Bedrohung zu erzeugen.
Zum Glück gibt es nur zwei(einhalb) offene Areale. Wesentlich besser funktioniert The Evil Within 2 in den linearen Bereichen, in denen die Entwickler mit der stetigen Veränderung der Spielwelt und des Leveldesigns punkten. Trotzdem lassen sie einige Chancen ungenutzt, zum Beispiel im Mark - einem Bunker-ähnlichen Untergrundsystem. Dort gibt es zum Beispiel einen Bereich, in dem Gas ausströmt und man keine Schusswaffen einsetzen kann. Sebastian muss eine Gasmaske tragen und dabei wechselt die Perspektive in die Ego-Sicht. Man ist in düsterer, enger und finsterer Umgebung unterwegs und kämpft gegen ein klagendes Wesen mit grüner Stinkaura, das nach einem Messerangriff nicht den Löffel abgibt. Hier ist Schleichen Pflicht und so schön diese Abwechslung ist, so schnell ist dieser Abschnitt wieder vorbei. Schade, dass solche Passagen nur kurz und zu selten vorkommen.
Angriff, Schleichen oder Flucht?
Ansonsten lässt sich hervorheben, dass oft unterschiedliche Vorgehensweisen möglich sind. So kann man die Gegner zum Beispiel mit Schusswaffen ausschalten, was in der Regel die Aufmerksamkeit von anderen Viechern anzieht - und da das Zielsystem im Vergleich zum Vorgänger leicht verbessert wurde, ist das Schießen nun weniger verkrampft und hakelig - nur etwas. Setzt man auf die Feuerkraft, wird The Evil Within 2 ein Zombie-Shooter mit chronischem Munitionsmangel.
Manche Kämpfe gegen stärkere Gegner - wie zum Beispiel dem ersten Guardian oder den Flammenwerfer-Leuten - kann man aus dem Weg gehen, in dem man an ihnen vorbeischleicht. Dabei büßt man einerseits "Grünes Gel" ein, spart andererseits jedoch Ressourcen. In vielen aufwändigeren Begegnungen gibt es häufig Objekte in der Umgebung, die sich einsetzen lassen, wie eine Sprinkleranlage zum Löschen der Flammen, Kühltanks zum Betäuben der Gegner, Stolperdrähte zum Auslösen eines Zeitstopps oder ausgelaufenes Öl, das sich entzünden lässt. In den Bosskämpfen gegen Stefano, dem Event gegen Bosse aus dem ersten Teil beim Pater oder dem Endboss sind die alternativen Handlungsmöglichkeiten hingegen nicht vorhanden.
Hervorragend abgestimmte Herausforderung
Was Entwickler Tango Gameworks sehr gut gelungen ist, ist die Abstufung der Herausforderung der drei anfänglich verfügbaren Schwierigkeitsgrade. Auf "Einsteiger" kann man der Geschichte folgen und bekommt deutlich mehr Munition bzw. Craftingzeug spendiert - und die Feinde sind weniger schusssicher. Auf dem mittleren Schwierigkeitsgrad ist alles kniffeliger, vor allem die Feinde halten mehr aus. Der höchste Schwierigkeitsgrad ist in etwa auf dem Niveau von The Evil Within. Die Kämpfe sind fordernder und Munition ist wirklich knapp. Es ist des Öfteren vorgekommen, dass nach einigen (der wenigen) Arenakämpfe bloß ein oder zwei Schuss übrig waren. In diesem Sinne wird Survival groß geschrieben, aber nicht der Horror. Nach dem ersten Durchspielen schaltet man zwei weitere, höhere Schwierigkeitsgrade und die "Schwarzen Balken" frei - letztere sind hinlänglich aus dem ersten Teil bekannt und sollen das cineatische Gefühl unterstreichen.
Bei der Erkundungstour in den offenen Arealen oder den lineareren Gebieten findet man Munition und allerlei Kram für das Herstellungssystem zur Anfertigung von Munition. Je nach Spielweise und Schwierigkeitsgrad ist es erforderlich, dass man sich stärker in der Umgebung umschaut, die Schusswaffen möglichst präzise einsetzt und auf mehr oder weniger Stealth setzt.
Mit "grünem Gel" kann man Sebastian Castellanos an die bevorzugte Spielweise (Attacke, Schleichen, Gegner umgehen etc.) anpassen und Elemente in den Bereichen Gesundheit, Stealth (List), Kampf (inkl. Zeitlupe beim Zielen für sündhaft viel Gel), Heilung und Athletik (längeres Springen) individuell verbessern. Zusammen mit den Verbesserungen seiner Fähigkeiten können die Waffen aufgewertet und schlagkräftiger werden. Trotz dieser Schlagfertigkeit ist Sebastian verletzlich und kann schnell getötet werden, manchmal sogar von einer einzigen Attacke.
Fazit
The Evil Within 2 ist so gar nicht wie sein Vorgänger, denn durch die nur teilweise offene Welt mit dem relativ harmlosen Szenario und vielen abstrakten Passagen kommt kaum Survival-Horror-Feeling auf. In den ausschweifenden Ausflügen geht viel vom Gruselfaktor verloren, da Enge, Fokus und Bedrohung weitgehend fehlen. Es wirkt fast so, als hätten sich die Entwickler bei der Gestaltung der offenen Welt verlaufen, was dazu führt, dass das Geschehen stellenweise zu einem Zombie-Shooter in einem austauschbaren Szenario verkommen kann, der immerhin verschiedene Vorgehensweisen wie Kampf, Stealth und Flucht bietet. Dafür wurden die Schwierigkeitsgrade hervorragend ausbalanciert und trotz Sammelgegenständen mit Munitionsherstellung herrscht auf der höchsten Stufe ein treibender Munitionsmangel. Zum Glück sind die Open-World-Ausflüge auf zwei Areale begrenzt, denn in den lineareren Abschnitten kann das Spiel mit kreativen Levelveränderungen, dynamischen Schauplatzwechseln, spannenden Begegnungen und besserer Inszenierung punkten - wobei Tango Gameworks ruhig etwas mehr Mut bei der ohnehin gebotenen Abwechslung gutgetan hätte. Des Weiteren ist das Tempo ein bisschen verunglückt, denn der Anfang ist zu langatmig und erst nach der Hälfte nimmt The Evil Within 2 richtig Fahrt auf, dann aber nicht auf der Horror-Ebene, sondern bei der persönlichen Geschichte, die gerade im letzten Drittel emotional aufdreht und überaus zu fesseln vermag. Ohne das tolle Finale wäre The Evil Within 2 höchstens im befriedigenden Bereich gelandet, aber so reicht es für "gute Unterhaltung".
Pro
Kontra
Wertung
PC
In den offenen Passagen versagt The Evil Within 2, da kaum Horror-Atmosphäre aufkommt. In den linearen Bereichen lebt das Spiel hingegen auf und punktet überraschenderweise in Sachen Story.
PlayStation4
In den offenen Passagen versagt The Evil Within 2, da kaum Horror-Atmosphäre aufkommt. In den linearen Bereichen lebt das Spiel hingegen auf und punktet überraschenderweise in Sachen Story.
XboxOne
In den offenen Passagen versagt The Evil Within 2, da kaum Horror-Atmosphäre aufkommt. In den linearen Bereichen lebt das Spiel hingegen auf und punktet überraschenderweise in Sachen Story.
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