Madden NFL 1914.08.2018, Mathias Oertel
Madden NFL 19

Im Test: Zwischen Lust und Frust

Mit dem Spätsommer gehen traditionell die Sportspiele an den Start. Und wie in den letzten Jahren macht Electronic Arts mit der Madden-Serie den Anfang. Wir schauen im Test nicht nur, wie sich die American Footballer nach langer Abstinenz bei ihrer PC-Rückkehr anstellen, sondern auch ob sich Madden NFL 19 (ab 9,71€ bei kaufen) zum 30-jährigen Jubiläum der Serie erneut dem Update-Gespenst widersetzen kann.

Longshot 2.0?

Eine der inhaltlichen Neuerungen der Madden-Serie im letzten Jahr war der Story-Modus Longshot. Kinoreif inszeniert, folgte man ähnlich der Hunter-Geschichte aus FIFA den hoffnungsvollen Talenten Colt Cruise und Davin Wade bei ihren Versuchen, als Rookies in der amerikanischen Profiliga NFL Fuß zu fassen. Im Gegensatz zum kometenhaften Aufstieg von Alex Hunter wurde das Geschehen auf dem Feld aber eindeutig der Dramaturgie, dem guten Drehbuch sowie den umfangreichen Zwischensequenzen mit weitgehend überzeugenden virtuellen Darstellern untergeordnet. Für Spieler, die den Vorgänger nicht kennen (und das betrifft in jedem Fall alle PC-Footballer) wäre es allerdings hilfreich gewesen, eine kurze filmische Zusammenfassung der Ereignisse zu geben. So erfährt man zwar, dass Davin bei den Dallas Cowboys in einem Probetraining versucht, sich für das Team zu empfehlen, während der Traum einer NFL-Karriere für Colt Cruise, sein Freund aus Highschool-Zeiten, trotz Potenzial zerschellt und er sich als Künstler seinen Lebensunterhalt verdient.

Nach langer Auszeit (die letzte PC-Ausgabe war Madden NFL 08), kehrt American Football wieder auf den Rechner zurück - mit anständigen Optionen, die den amerikanischen Volkssport auch auf "schmaleren" PCs zum Leben erwecken.
Doch weitere Zusammenhänge bleiben unklar. Und dies ist nicht das einzige Problem, das Longshot Homecoming mit sich bringt. Denn obwohl mit Michael Young und Adrian Todd Zuniga das gleiche Team für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, zieht einen die etwa drei bis vier Stunden dauernde Geschichte, die sich vorrangig auf Colt, und seine sich überraschend verändernden Lebensumstände konzentriert, nicht so sehr in den Bann wie noch der Vorgänger. War und ist man in FIFA weiterhin als Begleiter von Alex Hunter unterwegs, verliert sich die Geschichte im Spagat zwischen den Schicksalen von Devin und Colt – mit dem Ergebnis, dass beide eher enttäuschen. Konnte Longshot letztes Jahr mit seiner Story rund um eine Talent-Sichtung im Fernsehen, quasi der American-Football-Variante von X-Faktor oder The Voice, einige Akzente setzen, kocht man dieses Jahr mit der Rettung des Highschool-Footballs auf Sparflamme. Und damit verpasst man die Chance, sich mit Filmen wie Any Given Sunday, Invincible, Remember the Titan oder Touchback messen zu können. Spielerisch bietet man im Storymodus zwar mehr Möglichkeiten, sich auf dem Feld der Ehre beweisen zu können als im letzten Jahr, doch auch hier fehlt die Dramatik – scheitert man, fängt man einfach wieder am Anfang des Spielzuges an, wobei man in manchen Situationen nicht einmal die Wahl hat, außerhalb von „Audibles“ die ab und an automatisch stattfindende Spielzugwahl zu beeinflussen. Dies ist umso unverständlicher, da in diesen Situationen die Spielzüge nicht gleich bleiben, sondern zufällig aus dem Playbook gewählt werden.

Nur grafische Verbesserungen?

Das Laufspiel wird dieses Jahr aufgewertet - auch durch den Einsatz einer neuen Animations-Technologie.
Dafür jedoch bekommt man auch in den Spielsequenzen aus Longshot einen guten Eindruck von den mechanischen sowie visuellen Änderungen, die in der neuen Madden-Ausgabe integriert wurden und die natürlich auch den anderen Spielmodi ihren Stempel aufdrücken. Im zweiten Jahr nach dem Umstieg von der ursprünglich für EAs Sportspiele entwickelten Ignite-Engine auf Frostbite ist das große Schlagwort „Real Player Motion“-Technologie. Dahinter verbirgt sich eine neue Animationstechnik, die aber nicht nur visuell, sondern auch hinsichtlich des Spielgefühls, genauer bei Trägheit, Schwung etc. ihre Spuren hinterlässt. Damit sehen die Bewegungen nicht nur authentischer aus. Vor allem das „Laufspiel“ wird dadurch in diesem Jahr aufgewertet, da mit neuen Geschwindigkeitsschüben, Verzögerungen oder Richtungswechseln weitere Möglichkeiten eingesetzt werden können, um die weiterhin gnadenlos auf einen zustürmenden Verteidiger ins Leere laufen zu lassen. Und dank der erweiterten Physik, die Real Player Motion ebenfalls mitzubringen scheint, können Ballträger sich bei unsauber gesetzten Tacklings dieses Jahr eher durchsetzen als in den letzten Episoden. Mitunter wirkt es zwar komisch, wenn man auch dem dritten oder vierten Tackle-Versuch denkbar knapp entkommen kann. Doch dass man dieses Jahr auch mit Laufspielen vermehrt Erfolge feiern kann, erweitert die taktischen Möglichkeiten und ist eine Entwicklung, die man nicht erst in der zweiten oder dritten Spielebene oder nur als langjähriger Hardcore-Spieler spürt.

Auch im Umfeld merkt man, dass EA Tiburon Frostbite mehr und mehr in den Griff bekommt. Die Athleten sehen ihren lizenzierten Vorbildern größtenteils täuschend ähnlich. Die Stadien sind mit ansehnlichem Publikum gefüllt. Und die Präsentation wurde mit neuen Kameraeinstellungen sowie Einspielern aufgepeppt, die das Spiel auch für Zuschauer interessant machen. Es bleibt allerdings auch bei einigen Mankos, die man partout nicht ausmerzen kann. In Zwischensequenzen nach Tacklings etc. kann man immer noch durcheinander clippende Körperteile beobachten, während mitunter der Ball sowohl beim Fangen als auch beim Tragen in Laufspielen keinen direkten Kontakt zum Spieler hat und von einer unsichtbaren Schutzhülle umgeben scheint. Zudem kann es auch trotz des Einsatzes der neuen Bewegungs-Technologie in Einzelfällen zu merkwürdigen Verrenkungen oder ruckhaften Drehbewegungen kommen. Dazu gesellen sich KI-Probleme, die teils neu, teils aber auch schon bekannt sind. Beim Punt z.B. schaffen es einige Teams immer noch nicht, sich vernünftig auszurichten, so dass man als Ballträger früher in eine Wand aus gegnerischen Spielern läuft als es nötig ist. Und von Zeit zu Zeit hören auch einige Verteidiger überraschend früh auf, mit ihren Gegnern mitzulaufen, so dass man einen eigentlich gefährdeten Pass ohne Probleme unterbringen kann, während CPU-gesteuerte Angreifer mitunter merkwürdige Ausweichmanöver starten, die gar nicht nötig wäre. Da der Rest der KI offensiv und defensiv sowohl beim Pass als auch beim Laufspiel in Abhängigkeit vom gewählten Schwierigkeitsgrad durchaus fordernd ist, ärgert man sich zwar über die KI-Schwächen, ist aber dennoch gelegentlich froh darüber.

So wie immer?

Es steht ein breites Spektrum an Spielzügen und Auswahl-Systemen zur Verfügung - bis hin zu Community-Vorschlägen.
Im spielerischen Umfeld macht Tiburon seit Jahren mangels ernsthafter Konkurrenz eigentlich nur selten mehr als nötig, um den Spielern mit jeder Ausgabe Neuerungen anzubieten. Das ist zwar auch mit Madden NFL 19 der Fall, doch gerade für Solo-Spieler, die sich nicht auf die spannenden und lagfrei laufenden Online-Matches oder die nicht minder intensiven Couch-Duelle verlassen möchten, hat man mehr Inhalte eingepackt als in den letzten Jahren. In Madden Ultimate Team (MUT) z.B. gibt es jetzt die Option, neben den bekannten Solo-Herausforderungen oder dem auch nach Jahren immer noch motivierenden Draft-Modus in „Solo Battles“ offline gegen Team anderer MUT-Spieler anzutreten, um sich Münzen für neue Packs zu verdienen. Allerdings kann auch die neue Trainings-Möglichkeit für seine Spieler oder die Teamchemie nicht verschleiern, dass Ultimate Team ähnlich wie bei FIFA in erster Linie auffordern soll, Echtgeld zu investieren, damit man schneller und effektiver zu einem schlagkräftigen Team kommt oder seltene Gegenstände in sein Inventar schaufeln kann. Man kann zwar auch ohne den Einsatz auch nur eines Euros Spaß haben. Doch die Mohrrüben, die man vor die Nase gehalten bekommt und die man nur gegen bare Münze erlangen kann, sind hier an jeder Ecke zu finden. Und spätestens, wenn man online antritt und auf Spieler trifft, die entsprechend freizügig mit ihrem Geldbeutel umgehen, steigt der Frust an.

Der Story-Modus "Longshot Homecoming" ist im Vergleich zum Vorjahr eine dramaturgische Enttäuschung mit zwar guten virtuellen Darstellern, aber einem schwachen Drehbuch.
Für Anfänger und Neueinsteiger ist ein Abstecher ins gute, aber im Vergleich zum Vorjahr nur in Details veränderte Training eine sehr gute Möglichkeit, sich mit Regeln und Mechaniken anzufreunden, bevor man Freunde, die KI oder die Online-Spieler herausfordert. Wer abseits von MUT längerfristig mit Madden NFL 19 Spaß haben möchte, wird sich mit dem in zahlreichen Bereichen überarbeiteten, aber sich inhaltlich nur wenig fortgeschrittenen Franchise-Modus austoben, in dem man wie gehabt wahlweise als Coach, Spieler oder Team-Besitzer versucht, seine Traummannschaft aufzubauen und den Super Bowl zu gewinnen. Die neuen „Archetypen“ sollen das Zusammenstellen eines Teams ebenso erleichtern wie den nach und nach stattfindenden Fortschritt einzelner Spieler. Mit den direkt damit verbundenen offensiven und defensiven Schemata hingegen bekommt man die Möglichkeit, seine Spieler auf sein präferiertes System einzustellen – dass entsprechende Athleten sich hier effektiver entwickeln, ist ein zusätzlicher Anreiz. Dass allerdings Verletzungen gehäuft auftreten und nicht nur Standard-Matches, sondern natürlich vor allem den Franchise-Modus verstärkt beeinflussen, ist ein Manko, dessen sich Tiburon zeitnah annehmen sollte. Gleiches gilt übrigens für die Zuschauerakustik, die im Zusammenspiel mit Musik und guten, wenngleich sich recht früh wiederholenden Kommentaren immer wieder Aussetzer zeigt: Selbst in einem voll besetzten Stadium kann das Publikum manchmal totenstill werden.

Fazit

Wie jedes Jahr muss man sich als treuer Madden-Spieler auf Konsolen fragen, welche Verbesserungen es zum Vorjahr gibt und ob diese die Neuanschaffung rechtfertigen. Und dieses Jahr würde ich deutlicher als bei den vorangegangenen  Ausgaben "Ja" sagen – spielt man vornehmlich am PC oder war längere Zeit abstinent, wird für Fans von American Football ohnehin kein Weg an Madden NFL 19 vorbeiführen. Mit den visuellen Verbesserungen und dem Umstieg auf die so genannte „Real Player Motion“-Technologie wurde vor allem das Laufspiel aufgewertet, das sich das erste Mal seit langem wieder mit dem nahezu gleichen Stellenwert wie das Passspiel zeigt. Sowohl Franchise als auch Ultimate Team wurden in entscheidenden Details verändert bzw. ergänzt, wobei Letzteres allerdings natürlich weiter unter dem berechtigten Vorwurf leidet, nur eine aufwändig verschleierte Aufforderung zum Echtgeld-Einsatz zu sein. Allerdings kann man auch ohne auch nur einen Euro zu riskieren, hier kurz- und mittelfristig Spaß haben. Eher enttäuschend ist allerdings die Fortsetzung des Longshot-Modus. Wo bei FIFA der zweite Teil der Karriere von Alex Hunter in nahezu jeder Hinsicht zulegen konnte, verliert sich Longshot Homecoming in einem schwachen Drehbuch. Zwar darf man jetzt häufiger auf dem Feld eingreifen als letztes Jahr, doch Spannung kommt dennoch nicht auf. Da KI-Probleme zwar reduziert wurden, aber immer noch ihr Gesicht zeigen, die Kulisse trotz deutlicher Verbesserung auch noch im Detail Probleme hat und die Akustik manchmal beim Zuschauersound aussetzt, hat Tiburon für nächsten Jahr nicht nur hinsichtlich Mechanik oder Modi-Erweiterungen, sondern auch bei der Aufarbeitung langjährig mitgeschleifter Mankos sowie technisch noch einige Hausaufgaben zu machen.

Pro

überzeugend inszenierter Story-Modus mit glaubwürdigen Darstellern
starke Kommentatoren mit abwechslungsreichen Analysen
saubere Präsentation
Real Player Motion-Technologie sorgt für realistischere Animationen, Lauf- und Kollisionsverhalten
gut reagierende Steuerung
fernsehreife Präsentation
ordentlicher Netzcode
gewaltige Spielzugauswahl
umfangreiche Tutorials und Trainingsmöglichkeiten
abwechslungsreicher Soundtrack
knackige Kollisionen
diverse Spielweisen (u.a. Arcade, Simulation) und Schwierigkeitsgrade einstellbar

Kontra

schwache Halbzeit-Analysen
KI immer noch nicht über alle Zweifel erhaben
keine eigenen Spielzüge erstellbar, nur Playbooks veränderbar
Ladezeiten
häufige Verletzungen
fehlerhafte Zuschauer-Akustik
gelegentlich Clipping-Probleme-
mitunter ruckhafte Animationen
schwache Dramaturgie im Longshot-Storymodus

Wertung

XboxOne

Besser als letztes Jahr? Theoretisch ja - vor allem dank des aufgewerteten Laufspiels und der optimierten Kulisse. Doch es gibt auch noch alte Probleme und das auf Echtgeld fokussierte Ultimate Team.

PlayStation4

Besser als letztes Jahr? Theoretisch ja - vor allem dank des aufgewerteten Laufspiels und der optimierten Kulisse. Doch es gibt auch noch alte Probleme und das auf Echtgeld fokussierte Ultimate Team.

PC

Madden NFL kehrt nach langer Abstinenz wieder auf den PC zurück und hinterlässt dort den gleichen Eindruck wie auf Konsolen.

Echtgeldtransaktionen

Wie negativ wirken sich zusätzliche Käufe auf das Spielerlebnis, die Mechanik oder die Wertung aus?

Gar Nicht
Leicht
Mittel
Stark
Extrem
  • Es gibt Käufe für Fähigkeiten, Karten, Figuren, Waffen, Geld, XP oder Spielmodi.
  • Man kann sich Vorteile im Wettbewerb oder der Karriere verschaffen, Pay-to-win.
  • Käufe können durch Zufallsfaktoren zum Glücksspiel werden.
  • Käufe wirken sich nur in speziellen Spielmodi wie Ultimate Team oder GTA Online aus.
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