The Whispered World13.08.2009, Jan Wöbbeking
The Whispered World

Im Test:

Immer nur die Welt retten ist langweilig. Wie wär's zur Abwechslung mit der Zerstörung derselben? Dem kleinen Clown Sadwick wird genau das in einem Alptraum prophezeit: Dass er schon bald höchstpersönlich die Apokalypse auslösen wird. Der kleine Harlekin ist zwar alles andere als eine Frohnatur, doch in der Rolle des weltzerstörenden Ovelords fühlt er sich erst recht nicht wohl. Also geht er der Sache auf den Grund und macht sich zusammen mit seinem Multifunktions-Haustier, der Raupe Spot, auf die Reise durch ein wunderhübsch gezeichnetes Fantasy-Abenteuer.

Die gepinselte Welt

Die beiden Helden streifen durch den idyllischen Herbstwald und Tempelruinen, erforschen eine mystische Insel voller leuchtender Kerzen und treffen in unterirdischen Gemäuern der bösen Asgil auf allerlei seltsame Apparaturen, während draußen langsam die steinige Welt auseinanderbröckelt.

Besser als jede Sitcom: Die Wortgefechte und Running Gags in der sich innig liebenden Wanderzirkus-Familie. 
Nicht nur die Story und die düstere Kulisse erinnern an die unendliche Geschichte; auch die ersten Bilder zu Marco Hüllens Spiel tauchten schon vor ein paar Jahren auf. Nach einem Entwicklerwechsel und ein paar Verschiebungen hat er sein Baby nun bei der Hamburger Adventure-Schmiede Daedalic fertig gestellt. Wie im durchgeknallten »Edna bricht aus« aus gleichem Hause bekommt der Spieler auch hier ausschließlich handgezeichnete Figuren, Objekte und Hintergründe zu Gesicht. Anders als beim Ausbruch aus der trashig designten Irrenanstalt protzen die verschnörkelten Wolken, knorrigen Äste und urigen Holzhütten aber mit Unmengen von Details: Auf jedem der in mehreren Ebenen scrollenden Bilder kann man den Blick minutenlang schweifen lassen und entdeckt immer noch Feinheiten. Schade, dass die Auflösung auf das feste Format 1024x768 beschränkt ist. Besitzer von Breitbild-Monitoren sehen Sadwick entweder gequetscht (was bei gezeichneter Grafik aber erstaunlich wenig auffällt) oder im 4:3-Fenster auf dem Windows-Desktop.

Die Geschichte schlägt in die selbe Kerbe wie "The Book of Unwritten Tales": Wie in King Art Games Konkurrenztitel versucht man auch hier als ein kleiner, nicht sonderlich wehrhafter Protagonist eine Bedrohung durch fiese Finsterlinge von einer Fantasywelt abzuwenden. Es gibt noch weitere Parallelen, die ich euch aufgrund von Spoiler-Gefahr aber lieber nicht verrate. Sadwicks Charakter ist allerdings das krasse Gegenteil des naiven Gnoms Wilbur: Der chronisch depressive Clown lässt keine Gelegenheit aus, seiner Umwelt mitzuteilen, wie sehr ihn das Dasein als Lachnummer im Wanderzirkus anödet. Er hasst sein albernes Kostüm, den täglichen Arbeitstrott als lebende Kanonenkugel, das senile Gefasel seines Opas und die altklugen Sprüche seines besserwisserischen Bruders Ben.

Sadwick bricht aus

Trotz seiner Resignation schwingt eine eine gehörige Portion Schlagfertigkeit und Galgenhumor mit, wenn Sadwick sich minutenlange Wortgefechte mit seiner ungeliebten Familie liefert. Sein Sarkasmus verbietet ihm natürlich jederlei Form von Gefühlsduselei. Sollte ihm doch einmal ein einfühlsamer oder gar positiver Satz über die Lippen rutschen,

Immer gut gelaunt: Sadwicks treue und wandlungsfähige Hausraupe Spot ist nützlicher als jedes Schweizer Taschenmesser...
muss er das natürlich prompt durch einen weiteren Kommentar relativieren: "Spot und mich verbindet ein unsichtbares Band.......aus Kitsch!" Die urkomischen Dialoge stammen aus der Feder von Jan Müller-Michaelis und Sebastian Schmidt. Ersterer hat den Großteil beigesteuert und sorgte bereits in Edna bricht aus für jede Menge geniale bis geisteskranke Gespräche.

Auf seiner Reise zum königlichen Palast in Corona hat Sadwick viel Zeit, sich mit allerlei verschrobenen Charakteren zu unterhalten. Dazu gehören sprechende Steine, magische Wesen, die aussehen wie eine Mischung aus Mensch und Tier sowie andere sonderbare Kreaturen. Doch obwohl die meisten Figuren ihm die Geschichte mit der Prophezeiung vom Weltuntergang abnehmen, will ihm kaum jemand auf Anhieb helfen. Der äußerst nervöse Chaski-Krieger "Bobby" hält ihn z.B. nicht für den richtigen Mann im Kampf gegen die finsteren Asgil. Ein Mönch wiederum schwadroniert selbst dann noch in Rätseln, nachdem Sadwick ihn mehrmals gebeten hat, nicht in solch einer "metaphorischen Wischiwaschi-Art-und-Weise" mit ihm zu sprechen. Der spirituelle Kapuzenträger lebt auf einer rätselhaften Insel. Auf der Spitze des steinigen Berges steht eine stillgelegte Perlenpressfabrik - inklusive missmutigem Chef und Wach-Krokodilshund. Natürlich muss Sadwick einen Weg finden, die beiden auszutricksen. Das Szenario erinnert nicht von ungefähr an das Waschhaus im bildgewaltigen Anime-Klassiker "Chihiros Reise ins Zauberland". Der Film war eines der Vorbilder für das Adventure.

Multifunktionsraupe

Es gibt eine Person, welche Sadwick ohne Wenn und Aber zur Seite steht: Seine treudoof grinsende Hausraupe Spot. Das stets gut gelaunte Tier dient nicht nur als knuddeliges Maskottchen und Ziel Sadwicks spöttischer Attacken, sondern auch als erstaunlich vielseitiges Multifunktions-Tool. In seiner Normalform lässt sich das kompakte Vieh z.B. in ein Ofenloch stopfen, um die klemmende Tür von innen aufzustoßen.

...in seiner Feuerform brutzelt er z.B. allerlei Hindernisse aus dem Weg.
Hat er sich mit Wasser vollgesogen, mutiert er zur rollenden Kugel. Der grüne Ball lässt sich z.B. benutzen, um Dinge zu beschweren oder um brüchige Objekte mit seinem Gewicht von der Wand abzubrechen. Im Laufe des Spiels lernt der Sidekick noch einige weitere Funktionen: Als lodernder Feuerspot kann er z.B. mit seinem Feueratem leicht entzündliche Hindernisse aus dem Weg brutzeln. Die nützliche Raupe lässt sich wie ein Inventar-Gegenstand aufnehmen und am gewünschten Ort platzieren.

Die Steuerung geht insgesamt leider einen Deut weniger flüssig von der Hand als bei der Konkurrenz. Ab und zu reagieren der Held oder ein Objekt erst auf den zweiten Klick und in seltenen Fällen scrollt auch die Kamera nicht mit, wodurch Sadwick und Spot aus dem Bild laufen. Auch das Aufrufen der Menüs erfordert eine kurze Eingewöhnung: Zielt man auf ein interessantes Objekt und hält man die linke Taste gedrückt, erscheint nach kurzer Zeit ein kleines Menü. Wählt man das Auge aus, nimmt Sadwick etwas unter die Lupe, mit der Hand können Gegenstände genommen werden, um sie z.B. mit anderen zu kombinieren. Das Lippen-Symbol dient dazu, mit Menschen zu sprechen, etwas zu essen oder andere Dinge wie pusten mit dem Mund zu erledigen. Ab und an muss auch ein Minispiel wie ein Brettspiel oder ein Zahnradrätsel gemeistert werden.

           

Nichts für Weicheier

Zunächst streift das ungleiche Duo durch den Herbstwald, in welchem der Zirkus sein Lager aufgeschlagen hat. Ziel ihrer Suche ist das Orakel Shana, welches irgendwo in einer Waldhütte Antworten zu Sadwicks Visionen bereithalten soll. Schon in diesem ersten von vier großen Kapiteln gibt es ein paar gesalzene Kopfnüsse.

Auch beim widerspenstigen Ex-Lokführer hilft Opas omnipräsente Wunderhose weiter.
Hat man Shanas Behausung gefunden, muss man z.B. ein etwas verwirrendes Uhrenrätsel lösen. Sogar Sadwick beschwert sich im Anschluss, warum das Ganze bitteschön derart schwierig ausfallen muss. Die Designer hätten auf ihn hören sollen, denn auch in den folgenden Kapiteln stößt man auf einige recht happige Aufgaben.

In der unterirdischen Basis der Bösewichte musste ich z.B. komplexe Apparaturen aus diversen Einzelteilen bauen und es an der richtigen Stelle einsetzen. Es gibt weder eine Hilfe-Funktion noch ein Tagebuch oder andere Annehmlichkeiten - von den per Leertaste eingeblendeten Hotspots einmal abgesehen. Das muss an sich nichts Schlechtes sein, wenn wenigstens andere Figuren oder der Hauptcharakter selbst Hinweise geben würden, wenn man wichtige Gegenstände unter die Lupe nimmt. Doch genau das passiert leider zu selten. Also war ich zu oft damit beschäftigt, einfach alles mögliche und unmögliche durchzuprobieren, um schließlich doch auf die Lösung zu kommen (wer sich nichts spoilern möchte, liest im nächsten Absatz weiter). Im Bahnhäuschen musste ich sogar an einer bereits eigens reparierten und wieder funktionstüchtigen Maschine noch Teile auswechseln. Sadwick hätte mir ruhig einen Hinweis geben können, dass die als Keilriemen missbrauchte Hose noch einmal durch Spot ausgewechselt werden muss...

Mystische Klavierklänge

Glücklicherweise stieß ich zur Abwechslung auch auf sehr einfache Rätsel, bei denen ich meine rauchende Hirnzellen ein wenig entspannen durfte. Auch die atmosphärischen Klavier-, Fagott- und Querflötenstücke beruhigen ungemein - vor allem in der von Wasserfällen und unterirdischen Flussläufen umgebenen Asgil-Basis konnte ich dank der Musikuntermalung richtig in die Fantasy-Welt abtauchen.

Die mit verschwenderischen Details gespickten Kulissen scrollen in mehreren Ebenen über den Bildschirm.
Leider riss mich die überdrehte Stimme von Constantin von Westphalen aus dem Spielfluss: Seine Synchronisation des bösen Asgil-Chefs wirkt reichlich übertrieben und erinnert an Kindersendungen wie die Sesamstraße. Seinen Kollegen ist die Vertonung aber deutlich besser gelungen. Obwohl nicht all zu viele bekannte Namen in der Sprecherliste stehen, passt der Großteil der Stimmen prima zu den Figuren - vor allem in den Dialogen zwischen dem sich ständig zankenden Zirkus-Trio. Notfalls lässt sich die Vertonung übrigens jederzeit mit einem Tastendruck an- und abschalten.

Ein weiteres Manko sind die sparsamen Animationen: Bei Edna passten die rudimentären und übertriebenen Animationsphasen zum trashigen Design, doch in diesem Fall bilden die wenigen Mund- und Charakterbewegungen einen Kontrast zu den verschwenderisch gestalteten Hintergründen. Auch die kurzen Zwischensequenzen wirken zwar stimmungsvoll, können aber nicht mit der Qualität von professionellen Trickfilmen mithalten. Im Spielkarton liegt übrigens auch das kleine Brettspiel Droggel. Ein Becher und Figuren müssen selbst beschafft werden - die drei benötigten zwölfseitigen Runenwürfel liegen aber bei. Letztere werden leider auch für die Kopierschutz-Abfrage benutzt, wodurch man vor jedem Spielstart die richtigen Symbole auf den Würfeln suchen muss. Das ruft zwar nostalgische Erinnerungen an alte Lucas-Arts-Adventures wach, ist auf Dauer aber etwas mühsam.       

Fazit

The Whispered World beweist, wie stimmungsvoll ein komplett gezeichnetes 2D-Adventure sein kann. Die düstere Fantasy-Welt strotzt nur so vor verschnörkelten Details, die Geschichte unterhält gut und der traurige Clown und seine Raupe sind mir richtig ans Herz gewachsen. Außerdem lässt sich mit dem grünen Grinseknäuel erfreulich viel anstellen: Allein das Herumexperimentieren mit dem Multifunktions-Haustier sorgt für jede Menge Spaß. Der größte Trumpf des Spiels sind aber die lustigen Dialoge. Doch wie die vom Untergang bedrohte Idylle im Herbstwald besitzt auch das Spiel seine Schattenseiten: So viel Liebe auch in die Zeichnungen, Charaktere und Dialoge geflossen sind: Das Gesamtergebnis wirkt nicht ganz so rund wie z.B. The Book of Unwritten Tales, bei dem die Charaktere ideal mit der gerenderten Umgebung verschmelzen. Das kann man von einem reinen 2D-Spiel natürlich nicht erwarten, aber die einfachen Animationen passen nicht zum Aufwand, der in die verschwenderischen Kulissen geflossen ist. Auch die Bedienung fällt etwas unkomfortabler aus als bei der Konkurrenz. Der größte Knackpunkt sind aber ein paar übertrieben schwere Rätsel. Mitunter gibt es in Gesprächen und der Umgebung einfach zu wenige Hinweise für die komplexen Bastelaufgaben. Zum Glück enthält das Spiel aber auch jede Menge Kopfnüsse mit besser ausbalanciertem Schwierigkeitsgrad. Wenn ihr stimmungsvolle Fantasy-Adventures und sarkastische Dialoge mögt, solltet ihr euch das Abenteuer von Sadwick und seiner treuen Raupe Spot also nicht entgehen lassen!

Der Test in Kurzform: Zum Video-Fazit! VORSICHT: Es sind ein paar Rätsel-Spoiler im Video enthalten.

Pro

<P>
wunderhübsch gezeichnete Hintegründe voller verschnörkelter Details
liebenswert verschrobene Charaktere
gelungener Mix aus düsterer Story und Humor
urkomische Dialoge
gut gesprochene Hauptcharaktere
mystisch-ruhige Klavier- und Fagott-Klänge
unheimlich knuffiger und nützlicher Raupen-Sidekick</P>

Kontra

<P>
einige übertrieben knackige Rätsel
oft zu wenige Hinweise auf die Lösung
etwas hakelige Maussteuerung reagiert nicht immer wie gewünscht
nur einfache Animationen
übertriebene Synchronisation der Bösewichte erinnert an Kindersendungen</P>

Wertung

PC

Malerische Kulissen, lustige Dialoge und liebenswerte Charaktere - leider gibt es zu viel Trial & Error.

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