Syberia13.06.2003, Jens Bischoff
Syberia

Im Test:

Traditionelle Point&Click-Adventures und Spielkonsolen passen eigentlich nicht wirklich zusammen. Meist ist die Auflösung am TV zu niedrig und die Entfernung zum Sofa zu groß, um kleine, aber oft wichtige Details zu erkennen. Eine Cursor-Navigation via Joypad ist umständlich und ungenau und die Käuferschicht geduldiger und Action-verabscheuender Konsolen-Ratefüchse ist viel zu klein, um eigenständige Konsolenentwicklungen rentabel zu machen. Daher werden meist einfach bereits existierende PC-Adventures leicht abgespeckt konvertiert, um das finanzielle Risiko so gering wie möglich zu halten. Das Ergebnis sind aber in der Regel lieblose Schnellumsetzungen wie Myst 3, die auch noch den letzten Fan verkraulen. Ob auch Microids Syberia (ab 1,14€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) zu dieser Gattung zählt, erfahrt Ihr in unserem Test.

Willkommen am Arsch der Welt

Als sich die amerikanische Juristin Kate Walker ins französische Alpenkaff Valadilène aufmacht, um die Übernahme einer örtlichen Manufaktur unter Dach und Fach zu bringen, sieht noch alles nach einem eintägigen Routineaufenthalt aus. Doch als die Anwältin erfährt, dass Anna Voralberg, die Besitzerin der inzwischen zahlungsunfähigen Automatenfabrik, unerwartet verstorben und der seit über einem halben Jahrhundert todgeglaubte Bruder doch noch am Leben sei und nun den Vertragsabschluss gefährde, kommt alles anders als geplant.

Fahrt ins Ungewisse

Dabei ist der langzeitverschollene Erbe des jahrhundertealten Familienunternehmens nicht wirklich greifbar, sondern zuletzt irgendwo in Sibirien vermutet worden, von wo seine Schwester den letzten Brief erhalten hatte. Allerdings ist dies kein gewöhnlicher Brief gewesen, sondern ein Bauplan für einen mechanischen Zug, dessen einziger Fahrgast ins Ungewisse früher oder später Ihr sein sollt und zwar in der Haut Kate Walkers, deren Nachforschungen über Hans Voralbergs genauen Aufenthaltsort nur der Auftakt zu einem zugleich mysteriösen sowie skurrilen Abenteuer sind.__NEWCOL__Theorie und Praxis

So trifft Kate während ihrer Recherchen auf immer groteskere Figuren und Apparaturen, die sie in ihren Bann ziehen und sie mehr und mehr den Kontakt zur Außenwelt auf kafkaeske Weise verlieren lassen. Zumindest in der Theorie. In der Praxis verliert man während der monotonen Fußmärsche durch die vier sterilen Hauptschauplätze des Spiels eher Geduld und Nerven. So seid Ihr ständig auf der Suche nach der nächsten Schlüsselstelle, um in der strikt linearen Handlung, die Euch die Entwickler aufzwängen, fortschreiten zu können.

Sterile Geisterstadt

Die in den hübschen Filmsequenzen vermittelte Atmosphäre muss man im Spiel selbst eher mit der Lupe suchen. Die Umgebungen wirken leblos, Gesprächspartner sind selten und die Aktionsmöglichkeiten stark eingegrenzt. Im Prinzip läuft man so lange durch die vorgerenderten Kulissen, bis ein Symbol erscheint, das Euch anzeigt, dass Ihr dort etwas untersuchen, aufheben oder aktivieren könnt. Das ist an sich zwar praktisch, aber die Interaktionsmöglichkeiten sind so gering und primitiv, dass einem schnell die Lust am Erforschen vergeht.

Rätselspaß für Arme

Zudem bleiben die meisten Türen das ganze Spiel über verschlossen, während nur wenige Gegenstände aufnehmbar und die Rätseleinlagen entweder banal oder abstrus sind. Mit Kopfnüssen schlagt Ihr Euch jedenfalls weit seltener herum wie mit nervigen Trial&Error-Prüfungen oder peniblem Umherlaufen. Manchmal habt Ihr nämlich schon genug Probleme aufgrund kaum erkennbarer Abzweigungen überhaupt erst die Gegend zu erschließen - eine Kartenfunktion hätte hier Wunder gewirkt. Auch die automatische Interaktionserkennung spielt hin und wieder verrückt, so dass man Schwierigkeiten hat, in unmittelbarer Nähe befindliche Stufen zu erklimmen oder Person anzusprechen - vielleicht liegt`s aber auch an der extrem hakeligen bildschirmbezogenen Direkt-Steuerung der Protagonistin, die sich bei jedem Perspektivenwechsel schlagartig ändert...

Die Freiheit nehm´ ich Dir

Bei Unterhaltungen habt Ihr hin und wieder die Möglichkeit, mithilfe eines langsam anwachsenden Stichwortverzeichnisses Euren Gesprächspartner auszufragen oder zu bestimmten Aktionen zu bewegen. Über das Inventar (komisch, was so alles in Kates Ausschnitt passt...) kann man auch einen Gegenstand in die Hand nehmen, um ihn jemanden zu zeigen oder zu geben. Auf diese Weise kann man Items auch zu Aktivierung von Mechanismen oder Lösen von Rätseln einsetzen - die jeweils notwendige Aktion wird aber stets automatisch ausgeführt. Selbst ein Aneinanderreihen von Zahnrädern wird Euch von der CPU abgenommen und auch das mitgeführte Handy klingelt nur dann, wenn es die Story vorsieht - ansonsten sind die Leitungen ständig besetzt oder ein Anrufbeantworter geht ran.__NEWCOL__Hampelmann auf Schienen

Irgendwie läuft eben alles wie auf Schienen und man kommt sich ständig wie eine Marionette vor, die lediglich hier und da einen Schalter umlegt, einen Gegenstand einsetzt oder eine Person anspricht. Und zudem ist das Gameplay so träge und umständlich, das selbst geduldige Naturen irgendwann die Nase voll haben. So gibt`s bei jeder Türe, jeder Treppe und jeder Straßenbiegung eine nervige Standard-Animation. Nicht einmal über eine Brücke kann Kate laufen ohne auf Knopfdruck ein paar automatische Schritte einzulegen. Das wäre ja eigentlich nicht weiter schlimm, wären die Animationen wenigstens flott oder sehenswert. Aber das von Slowdowns und Ruckelanfällen geprägte Umherzuckeln der polygonalen Protagonistin vor den statischen Render-Tapeten, in denen nicht einmal fließendes Wasser animiert ist, ist einfach nur traurig.

Vorbildlich eingedeutscht

Positiv fällt hingegen die ordentliche Lokalisierung des Spiels auf. Die Sprecher holen das Beste aus den oft einschläfernden Dialogen heraus und die Texte sind fast durchgehend so gut übersetzt, dass man glaubt einen Originaltext zu lesen. Musikalisch sollte man hingegen nicht zu viel erwarten. Die hin und wieder eingespielten Klänge und Melodien sind zwar sehr stimmungsvoll, aber die meiste Zeit herrscht einsames Schweigen, das nur ab und zu von realistisch klingenden, aber ebenso seltenen Soundeffekten unterbrochen wird. Speichern ist Konsolen-untypisch übrigens jederzeit möglich - Fehler machen oder gar sterben könnt Ihr aber ohnehin nicht. Nützlich ist`s aber trotzdem, da sich zumindest der Programm-Code unserer Testversion als nicht ganz absturzsicher erwiesen hat.

Fazit


Syberia war schon auf dem PC nicht gerade ein Genre-Highlight und auf der PS2 ist es um das skurrile Moicroids-Abenteuer noch weitaus schlechter bestellt. Das liegt in erster Linie an der hakeligen Pad-Steuerung, mit der man sich herumschlagen muss. Aber auch der technische Rahmen ist weit weniger gelungen: Die einst imposanten Render-Kulissen wirken wesentlich statischer und weniger detailliert, die Effekte und Animationen wurden auf ein Minimum reduziert und selbst vor Slowdowns und Ruckel-Scrolling bleibt man nicht verschont. Letzteres ist jedoch nicht so schlimm, da die sterilen Locations ohnehin fast ausschließlich bildweise umgeblendet werden. Zusammen mit den meist langweiligen Dialogen und den stark eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten leidet die Atmosphäre trotz kafkaesker Storyelemente und ordentlicher Synchro empfindlich und auch die im Mittelpunkt stehenden Rätsel sind in der Regel entweder banal oder an den Haaren herbeigezogenen. Da helfen auch die stimmungsvollen Render-Filmchen, das komfortable Speichersystem oder die vorbildliche Lokalisierung nichts - Syberia wirkt einfach in jeder Hinsicht leb- und lieblos. Flüchtet lieber ein weiteres Mal von Monkey Island als irgendwelche todgeglaubten Erben in Sibirien zu suchen.

Pro

<li>skurriles Ambiente</li><li>vorbildliche Lokalisierung</li><li>Speichern jederzeit möglich</li><li>hübsche Render-Sequenzen</li><li>komfortable Aktionsmarkierungen</li>

Kontra

<li>leblose Spielwelt</li><li>linearer Storyverlauf</li><li>meist langweilige Dialoge</li><li>unausgewogene Rätselkost</li><li>träges & hakeliges Gameplay</li><li>kaum Interaktionsmöglichkeiten</li>

Wertung

PlayStation2

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