Kingdom Hearts20.11.2002, Mathias Oertel
Kingdom Hearts

Im Test:

Wenn sich mit Square und Disney zwei Unterhaltungsgiganten zusammentun, um ein Rollenspiel zu entwickeln, sind die Erwartungen der Spielergemeinde groß. Denkt man doch automatisch an ein Spiel, welches das Zeug hat, Final Fantasy X den Rang abzulaufen. Oder bedingt die Tatsache, dass man mit lauter knuddeligen Disney-Charakteren zu tun hat, doch eher, dass das Abenteuer an ein jüngeres Publikum gerichtet ist? Diese und andere Fragen haben uns auf unserer zauberhaften Test-Reise durch das magische Königreich beschäftigt.

Micky in Gefahr

König Micky ist verschwunden. So machen sich Hofzauberer Donald und Chefknappe Goofy auf, um jemanden zu finden, der ihren König aufspüren kann.

Und der unscheinbare Träumer Sora scheint genau der Richtige zu sein: Denn nur er kann das Schlüsselschwert führen - eine Waffe, welche die Herzlosen, die sich in allen Teilen des Königreiches breit gemacht haben, vernichten kann.

Eine lange und beschwerliche Reise durch fast das gesamte Disney-Universum beginnt.

Disney-Final Fantasy?

Wer glaubt, dass mit Kingdom Hearts (ab 34,90€ bei kaufen) ein ähnliches Epos auf den Spieler wartet, wie Final Fantasy X, sieht sich getäuscht. Stattdessen bekommt Ihr mit dem Abstecher nach Disneyland ein Spiel, das sich deutlich an Action-Spielen wie Brave Fencer Musashi orientiert - natürlich auf kindergerecht und ultrasüß getrimmt.

__NEWCOL__Schon nach wenigen Minuten wird klar, dass Kingdom Hearts außer den sporadisch auftauchenden Charakteren wenig mit der Final Fantasy-Serie gemeinsam hat und eher Richtung Zelda tendiert.

Angefangen von der Kamera, die sich stets redlich bemüht, in einer ansprechenden Schulterperspektive zu bleiben, bis hin zu den in Echtzeit geführten Kämpfen spielt sich Soras Abenteuer auch eher wie Link am Adrenalin-Tropf.

Trotzdem gibt es noch viele Elemente, die Square-Fans bekannt vorkommen dürften. Angefangen von der einfachen Menü- und Inventarführung bis hin zu den bekannten Items wie Äther oder Mega-Potion bleibt kein Zweifel, dass die Meister der PS2-Rollenspiele ihre schützende Hand über das Spieldesign gelegt haben.

Ziel verfehlt?

Allerdings fragt man sich, für welche Zielgruppe das Spiel entwickelt wurde. Vornehmlich hatte man wohl eine jüngere Generation im Kopf.

Die wird auch sicherlich Spaß daran haben, das Rätsel um König Micky zu lösen und dabei durch zahlreiche bekannte Disney-Welten wie Tarzans Jungle oder Aladdins Agrabah zu wandern. Zuätzlich gilt es, Jump&Run-Sequenzen und Rätsel zu bewältigen und mit Donald, Goofy sowie einer wechselnden All-Star-Bestzung an Soras Seite gegen die Herzlosen zu kämpfen, die passenderweise u.a. von der bösen Königin aus Schneewittchen angeführt werden.

Doch Jüngere werden häufiger als nötig Frustmomente erleben: So z.B. in den spektakulären Echtzeit-Kämpfen. Dass man im Normalfall ständig Unterstützung von zwei unabhängig agierenden Charakteren hat, ist angenehm. Weniger angenehm ist jedoch, dass die Kämpfe in späteren Abschnitten die Grenze zum Chaos übersteigen können, wodurch jüngere Spieler definitiv überfordert sind. Zumal die Kamera in den Kämpfen fast immer den Bildausschnitt zeigt, der am uneffektivsten ist und das Nachjustieren wertvolle Sekunden kostet.

Auch die überaus empfindliche Steuerung, die vor allem in Jump&Run-Sequenzen negativ auffällt, ist nichts für die Kleineren, die Seite an Seite mit ihren lieb gewonnenen Helden gegen die Herzlosen antreten.

Auch das manchmal ziellose Herumirren auf der Suche nach dem nächsten Abschnitt ist nichts für Ungeduldige.

Viel drin

Dafür kann die übrige Benutzerführung jedoch überzeugen. Die Steuerung der Figuren und der möglichen Aktionen ist spielend einfach und innerhalb weniger Minuten in Fleisch und Blut übergegangen.

Auch der Inventar-Verwaltung merkt man die rudimentäre Final Fantasy-Herkunft an. Durchweg übersichtlich lassen sich schnell die nötigen Gegenstände finden und benutzen, die man gerade benötigt.

Für Jäger und Sammler bietet Kingdom Hearts ebenfalls eine Menge Spielspaß. Angefangen von den 99 Dalmatiner-Welpen, die in allen Welten verstreut sind bis hin zu Postkarten, die Euch beim Abschicken nette Items überlassen, gibt es viel zu entdecken.

Und quasi als kleinen Bonus gibt es noch das Gumi-Schiff. Dieses Transportmittel ist am ehesten mit einem Lego-Raketenbausatz zu vergleichen und dient Euch dazu, von einer Welt in die andere zu reisen.

Auf Euren interstellaren Erkundungen warten jedoch zahlreiche Gegner auf Euch, die Ihr in bester Shooter-Manier abschießen könnt.

Mit den Teilen, welche die Gegner hinterlassen, könnt Ihr Euch später sogar Euer eigenes Gumi-Schiff zusammenbauen und konfigurieren - ebenfalls eine schöne Idee.

Doch unter dem Strich bleibt mit der Action-RPG-Mischung ein etwas gespaltenes Bild zurück. Von der Atmosphäre her nahezu unerreicht, werden sich Disney-Fans von den Steuerungsproblemen nicht abschrecken lassen. Allerdings sind die Mankos zu offensichtlich und entwickeln sich so hin und wieder als Frustfaktor und Spielspaßbremse.

Zuckersüß und detailliert

Schon vom ersten Moment an wird grafisch Disney-Atmosphäre vom Feinsten aufgebaut, die vom Spiel bis zum Schluss gehalten werden kann.

Die einzelnen Abschnitte sind -wie nicht anders zu erwarten- Bonbon-bunt, fangen aber dadurch die bekannten Filme wunderbar ein.

Fans werden sich sofort zu Hause fühlen, egal wo sie sich befinden. Im Hundert-Morgen-Wald, im Griechenland des Herkules, bei Alice im Wunderland, in Jack Skeletons Halloween-Land: ganz gleich, wohin man schaut, sieht man bekannte Elemente, die grafisch gut umgesetzt wurden.

Auch die Figuren sind famos: allen voran natürlich die unzähligen Disney-Figuren, die man seit Jahren kennen und lieben gelernt hat. Dass zudem auch noch die deutlich identifizierbaren Kids-Versionen bekannter Final Fantasy-Charaktere hilfreich zur Seite stehen, sorgt ebenfalls für Stimmung.

Zwar sind die Figuren im Detail nicht ganz so ausgearbeitet wie in FF X, doch der Grafikstil, der Kingdom Hearts durchzieht, ist durchweg passend. Denn auch die Animationen aller Figuren sind gut bis hervorragend. Angesichts der opulenten und passenden Comic-Optik sind die PAL-Balken zwar störend, aber offensichtlich ein Problem, das man bei Square nicht in den Griff bekommt.

Weiterhin gibt es massive Kameraprobleme: Ständig ist man damit beschäftigt, die Kamera nachzujustieren, da das Spiel es selten schafft, eine optimale Positionierung der Kamera zu bewerkstelligen.

Dafür gibt es wiederum schöne Lichteffekte und fantastische Beschwörungssequenzen, die denen aus FF X nicht nachstehen (auch wenn sie bedingt durch Disney-Thematik unspektakulärer aussehen).

Square auf Deutsch

Dass Disney neben Square gewaltig mitzureden hatte, merkt man vor allem der Sprachausgabe an. Im Gegensatz zu FF X kriegen die Spieler endlich einmal bei einem Square-Titel deutsche Sprachausgabe, die zudem noch hervorragend gelungen ist. Die Sprecher sind optimal ausgewählt und liefern einen äußerst professionellen Job ab, der als Paradebeispiel für Rollenspiele gelten wird.

Auch die Musikauswahl ist phänomenal: In den verschiedenen Welten werden Disney-Fans immer wieder Variationen bekannter Musiken hören, welche einen großen Anteil an der Atmosphäre haben, die das ganze Spiel durchzieht.

Einzig die Soundeffekte bleiben durchschnittlich und sind auf Dauer ziemlich eintönig. Doch neben der restlichen Soundkulisse, die durchweg überzeugen kann, ist dies ein Manko, dass man getrost in Kauf nehmen kann.

Fazit

Für junge und alte Disney-Fans, die zudem noch mit der Final Fantasy-Serie etwas anfangen können, ist Kingdom Hearts der heilige Gral. Die so typische und ach so süße Disney-Atmosphäre wurde dank der stimmigen Musik und der sorgsam ausgesuchten und liebevoll gestalteten Locations und Charaktere wunderbar eingefangen. Die Mischung aus Echtzeit-Kämpfen, Jump&Run und Rollenspiel versprüht Charme, hat aber mit Problemen zu kämpfen, die das Spiel für die eigentlich angestrebte jüngere Zielgruppe schwer verdaulich machen: Angefangen von den im späteren Verlauf äußerst hektischen Kämpfen bis hin zu knochenharten Jump&Run-Sequenzen werden jüngere Spieler recht schnell das Handtuch werfen. Und die Älteren werden sich nur mit Kingdom Hearts beschäftigen, wenn sie eine starke Affinität zu Disney-Figuren mitbringen. Es stecken viele gute Ideen und eine Menge Liebe zu grafischem Detail in dem Spiel, doch auf Grund technischer, Gameplay-beeinflussender Mängel bleibt Kingdom Hearts der Zutritt in den Spiele-Olymp leider versperrt. Trotzdem gibt es wahrhaftig schlechtere Spiele, um sich kalte, dunkle Winterabende zu vertreiben.

Pro

<li>hervorragend in Szene gesetzte Welten</li><li>fantastische Atmosphäre</li><li>Dutzende bekannter Disney- und FF-Charaktere</li><li>gelungene Mischung aus RPG und Action-Jump&Run</li><li>feine Grafik</li><li>durchweg gelungene Musikuntermalung</li><li>hervorragende Lokalisation</li><li>unheimlich viel zu entdecken</li><li>sinnvolle, eingängige Pad-Belegung</li>

Kontra

<li>hektische Kämpfe</li><li>Kameraprobleme</li><li>hakelige Jump&Run-Sequenzen</li><li>für jüngere Spieler zu schwer</li><li>unnötig langes Suchen nach des Rätsels Lösung</li><li>nur durchschnittliche Sound-Effekte</li>

Wertung

PlayStation2

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