Tourist Trophy03.06.2006, Michael Krosta
Tourist Trophy

Im Test:

Man nehme Gran Turismo 4, ersetze den riesigen Fuhrpark aus über 700 Boliden durch mehr als 100 Motorräder verschiedener Epochen, bastele ein wenig an den Spielmodi herum und heraus kommt: Tourist Trophy (ab 21,99€ bei kaufen)! Ist die Zweirad-Raserei das Gran Turismo für Biker-Fans?

Bekanntes Terrain

Ich könnte es mir jetzt einfach machen: Mit dem wirklich schon unverschämten 1:1-Recycling vieler Strecken aus Gran Turismo 4, dem gleichen Gerüst aus Arcade- und Karrieremodus, bei dem sogar die Soundeffekte komplett aus dem Vorbild übernommen wurden, und nicht zuletzt der Integration bekannter Features wie Fotomodus oder nicht enden wollenden

Sicher ein Traum für viele Biker: Mit Vollgas über den leeren Timesquare in New York.
Lizenz-Tests, scheint Tourist Trophy tatsächlich ein Gran Turismo 4 auf zwei Rädern zu sein. Zack, dann bekommt’s halt eben auch seine 89% und gut ist! Doch ganz so einfach ist es dann doch nicht…

Da fehlt doch was?

Während der Arcademodus mit seinen Einzelrennen, Duellen, Rennen gegen die Uhr und Multiplayer-Fahrten im Splitscreen in etwa dem GT4-Vorbild entspricht, hat man die Karriere nicht gerade zu ihrem Vorteil überarbeitet: Begrabt eure Tuning-Träume, denn bis auf einen automatisch mitgelieferten Sportauspuff sowie wenigen Einstellungen bezüglich Aufhängung, Bremsen, Getriebe und der Wahl eurer Reifenmischung gibt es nichts an den Motorrädern zu schrauben. Zumindest dürft ihr drei Einstellungs-Sets abspeichern und so die Setups schnell abrufen. Wer zu GT-Zeiten stolz war, sich mit seinem mühsam erspielten Bankkonto endlich den prolligen Traumwagen leisten zu können, wird solche Momente hier nicht mehr erleben, denn in der Welt von Tourist Trophy gibt es kein Geld bzw. keine Credits mehr. Und wie beschafft man sich dann neue Bikes

Setzt ihr auf, sprühen die Funken...
für die heimische Garage? In erster Linie durch den Gewinn einer Herausforderung, die für jedes einzelne Motorrad zur Verfügung steht und immer nach dem gleichen Prinzip abläuft: Schlagt einen Konkurrenten auf dem festgelegten Kurs und der freizuspielenden Maschine, indem ihr ihn einholt und anschließend zehn Sekunden die Führung übernehmt. Klingt einfach? Ist es meist auch. Nur manchmal werdet ihr euch bei den Duellen die Zähne ausbeißen, wenn der Gegner nahezu uneinholbar auf und davon rast. Trotzdem erlaubt euch dieses Konzept, euch schnell die absoluten Über-Geschosse zu sichern, sofern ihr euch vorher die vier Lizenzen durch die üblichen, mittlerweile etwas nervigen Fahrprüfungen verdient habt. Trotzdem frage ich mich, wo der Anreiz bleibt, wenn man bereits nach kurzer Zeit in die Oberklasse aufsteigen kann? Bei Gran Turismo hat man lange und mühsam auf das Ziel hingearbeitet, irgendwann in seinem PS-starken Traum auf vier Rädern zu sitzen. In Tourist Trophy sind die Zweirad-Perlen dagegen ohne großen Aufwand schon nach wenigen Stunden in eurem Besitz. Wer will dann noch mit einem Roller über den Asphalt schleichen, wenn man stattdessen auf einem 1000ccm-Monster Platz nehmen kann?

       

       

Wo sind all die Gegner hin?

Gerade Motorrad-Rennen zeichnen sich oft durch enge Duelle in einem großen Fahrerfeld aus, bei denen auch schon mal vier Zweiräder nebeneinander auf die nächste Schikane zurasen, um sich anschließend fast Rad an Rad durch die Kurven zu kämpfen und so für spannende Momente sorgen. Gerade hier hapert es bei Tourist Trophy, denn die meiste Zeit schlagt ihr euch mit gerade mal einem einzigen Gegner herum. Packende Rennatmosphäre? Keine Spur. Doch auch wenn ihr in späteren Wettbewerben oder dem Arcademodus zusammen mit mageren drei Konkurrenten die Pisten unsicher macht, will sich keine richtige Begeisterung einstellen. Nicht nur, dass sich die KI nicht sonderlich kämpferisch gibt und anscheinend nur nebenbei mitfährt; allein deren Anzahl ist schlichtweg zu mager – vor allem im Hinblick auf Namcos MotoGP-Serie: Hier

Sowohl die Fahrer mit ihren geschmeidigen Animationen als auch die detaillierten Motorrad-Modelle sehen hervorragend aus.
tummeln sich immerhin über 20 virtuelle Rennfahrer gleichzeitig auf den Kursen herum und sorgen für Zündstoff sowie viele Überholmanöver. Daneben ist auch ein Onlinemodus mit an Bord, der Tourist Trophy genau so fehlt wie wechselnde Witterungsverhältnisse.

Tolles Fahrgefühl

Dafür punktet der Polyphony-Titel in den Bereichen, die schon Gran Turismo ausgezeichnet haben: Fahrgefühl und Fahrphysik. Zwar erfordert es etwas Umgewöhnung, weil die Vehikel auf den altbekannten Kursen wie Trial Mountain oder Laguna Seca jetzt spürbar anders reagieren als die vierrädrigen Motorsport-Kollegen aus GT4, doch zählt Tourist Trophy sicher zu den realistischsten Motorrad-Spielen, die ihr auf der PS2 bekommt. Jede Maschine hat ihren eigenen Charakter und ihr werdet am Steuer schnell die jeweiligen Eigenheiten bemerken, wenn es gilt, durch den geschickten Einsatz der Vorder- und Hinterbremsen die Geschwindigkeit zu drosseln, um anschließend im richtigen Winkel die Kurve zu nehmen und vorsichtig wieder aus ihr heraus zu beschleunigen. Einen Einfluss auf das Fahrverhalten hat dabei auch euer genereller Fahrstil, den ihr in vielen Optionen festlegen und in bis zu drei Setups abspeichern könnt. Zuerst wählt ihr zwischen den Stilrichtungen Neutral, Innenlage, Außenlage und Motard, wobei sich Letztere hauptsächlich für MotoCross-Rennen eignet. Danach könnt ihr weitere Details wie Bein-, Torso- und Neigungswinkel oder den Grad der Armbeugung eures Bikers einstellen.

Neues Biker-Outfit gefällig?
Auch die Mode kommt nicht zu kurz: Ihr habt die Auswahl zwischen einer Vielzahl an Helmen, Jacken, Handschuhen und Stiefeln meist lizenzierter Hersteller und gewinnt neben neuen Maschinen auch ständig weitere Biker-Klamotten. Allerdings solltet ihr die Rennpisten nicht mit einem Laufsteg verwechseln, wenn ihr mit Vollgas und jenseits der 300Km/h über die Geraden donnert. Gelungen ist vor allem die Cockpit-Perspektive mit originalgetreu modellierten Instrumenten, bei der euch bei hohen Geschwindigkeiten der Wind nur so um die Ohren pfeift. Ansonsten wird nur Durchschnittskost für eure Ohren geboten: Zwar klingen einige Motoren schön knackig, dafür andere wiederum sehr synthetisch. Die Hintergrundmusik mit ihren düdeligen Menü-Themen und gewöhnungsbedürftigen Songs während der Rennen ist dagegen kaum der Rede wert. So richtig übel ist allerdings das Strafsystem, das optional aktiviert werden kann: Hier wird jeder noch so kleine Ausritt neben die Strecke mit einer zehnsekündigen Weiterfahrt in gedrosseltem Tempo bestraft – egal, ob ihr euch dadurch einen Vorteil verschafft habt oder nicht. Meistens seid ihr jedoch schon gestraft genug, wenn ihr durch eine Unachtsamkeit die Straße verlasst, denn seid ihr erst mit einem Reifen auf dem rutschigen Grün, lässt sich die Maschine nur noch selten abfangen und ein Unfall wird unvermeidlich. Allerdings werdet ihr schnell wieder auf die Strecke zurückgesetzt – und das oft sogar weiter vorne –, so dass ihr zeitlich kaum Verlust macht. Ein Schadensmodell gibt es genau wie bei Gran Turismo auch hier leider nicht, so dass Fahrer und Maschine jeden noch so starken Aufprall unbeschadet überstehen.     

Fazit

Was nützt die hervorragende Fahrphysik der wunderbar modellierten, wenn auch überwiegend aus Japan stammenden Motorräder, wenn das Rennspiel-Drumherum nicht stimmt? Diese Frage habe ich mir beim Testen von Tourist Trophy oft gestellt. Bei den vorherrschenden Duellen mit nur einem kämpferisch unmotivierten Gegner will einfach keine echte Rennatmosphäre aufkommen und auch der einfach gestrickte Karrieremodus mit seinen mageren Einstellungsmöglichkeiten sowie wenigen Rennveranstaltungen kann nicht überzeugen. Außerdem vergeht mir langsam die Lust, seit Gran Turismo auf der PSone immer wieder über hinlänglich bekannte Kurse wie den Highspeed Ring, Trial Mountain & Co rasen zu müssen – vor allem, wenn diese unverändert aus GT4 übernommen wurden. Die Zeit ist reif für neue Strecken! Und gerade Tourist Trophy wäre DIE Gelegenheit gewesen, neben wenigen Neuzugängen weitere Pisten ins Programm aufzunehmen, die speziell auf Motorräder zugeschnitten sind. Unterm Strich bleibt ein Titel mit guten Ansätzen, der leider viel Potenzial verschenkt: Als Motorrad-Simulation ist Tourist Trophy großartig – als Rennsport-Simulation versagt es dagegen auf ganzer Linie!

Pro

hervorragendes, realistisches Fahrverhalten
herrlich inszenierte Replays
detaillierte Motorrad-Modelle
gelungene Cockpit-Ansicht
massig Klamotten für den Biker-Kleiderschrank
umfangreicher Fahrstil-Editor
Foto-Modus für schöne Schnappschüsse

Kontra

maximal nur drei Gegner
schwacher Karrieremodus
kaum Einstellungs
und Tuningmöglichkeiten
1:1 Streckenrecycling aus GT4
gewöhnungsbedürftige Musik
kein Schadensmodell
kein Onlinemodus
keine wechselnden Witterungsverhältnisse

Wertung

PlayStation2

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