Dragon Quest 11: Streiter des Schicksals14.09.2018, Jens Bischoff

Im Test: Klassische Rollenspielkost aus Fernost

Während Dragon Quest 10 der Weg in westliche Gefilde noch verwehrt blieb, hat es Dragon Quest 11: Streiter des Schicksals (ab 14,89€ bei kaufen) in überarbeiteter Form bis nach Europa geschafft. Für welche Rollenspiel-Fans das Grund zum Jubeln bedeutet, verrät der Test.

Schweres Erbe

Dragon Quest 11 entführt den Spieler in die Fantasy-Welt Erdria, wo man sich in einem kleinen Dorf zusammen mit Kindheitsfreundin Sandra einem Initiationsritus unterzieht. Doch der frei benennbare Held ist, wie sollte es anders sein, für Größeres bestimmt.
Der einst als Findelkind aufgezogene Protagonist tritt ein schweres Erbe an.
Das wissen auch die Dorfbewohner, die den mit einem mysteriösen Mal versehenen Protagonisten einst als Findelkind aus dem Fluss gefischt hatten und den jungen Mann nun schweren Herzens auf den Weg zu ihrem König schicken.

Am königlichen Hof wird man allerdings alles andere als mit offenen Armen empfangen und gar als Spross der Finsternis beschimpft und inhaftiert. Zwar gelingt einem kurz darauf zusammen mit einem anderen Kerkerinsassen die Flucht, doch um mehr über das Mal und die Reaktionen der Leute drauf herauszufinden, müssen noch weit mehr Hindernisse überwunden und Gefahren gemeistert werden.

Illustre Gesellschaft

Auf seiner Suche nach Antworten ist man aber zumindest nicht allein, denn neben Zellengenosse Erik schließen sich bald auch noch weitere Weggefährten der abenteuerlichen Reise quer durchs ganze Land an. Dabei ist man zu Fuß, zu Ross oder per Schiff unterwegs und besucht fremde Dörfer, Städte oder Ruinen, um mehr über seine Herkunft und Bestimmung zu erfahren.

Natürlich geht es auch dieses Mal wieder um den Kampf zwischen Licht und Finsternis - eine klassische Heldengeschichte um einen Auserwählten wie sie in mittlerweile über 30 Jahren Dragon Quest schon so oft erzählt wurde.
Der Held bleibt in den Story-Sequenzen und Dialogen leider als einziger komplett stumm.
Trotzdem verliert man nie das Interesse Teil dieser unglaublich charmant inszenierten Abenteuergeschichte zu sein. Für die Veröffentlichung im Westen hat Square Enix vielen Charakteren sogar eine Stimme gegeben und englische Synchronsprecher engagiert.

Auf den Mund gefallen

Nur der Protagonist bleibt leider völlig stumm und wirkt so in den Dialogen immer wieder wie ein Fremdkörper oder Sonderling. Diskrepanzen gibt es auch im Zusammenhang mit der deutschen Lokalisierung, die an sich sehr gut gelungen ist und sogar Reime, Akzente und Dialekte bietet, aber eben auch viele Eigennamen aufweist, die nicht mit der englischen Vertonung harmonieren.

Musik und Soundeffekte müssen sich ebenfalls Kritik gefallen lassen, denn auch wenn die Kompositionen von Koichi Sugiyama längst Klassiker sind, die kein Fan missen möchte, wirkt die Tonqualität mittlerweile doch reichlich angestaubt, manche Effekte regelrecht vorsintflutlich.
Die schmucke Anime-Grafik weiß zu gefallen, die angestaubte Soundkulisse weniger.
Klar, vieles hat Tradition und einen nostalgischen Charme, aber bei der visuellen Präsentation ist es ja auch gelungen, den vertrauten Stil zu bewahren und trotzdem technisch hochwertige Arbeit zu liefern.

Gut, das Charakterdesign von DragonBall-Schöpfer Akira Toriyama sollte man mögen, aber die Anime-Figuren sind ungemein liebevoll animiert, die malerischen Kulissen äußerst stimmungsvoll. Gut, die Zeichentiefe könnte gelegentlich etwas weiter, die Kantenglättung sanfter, die Bildrate geschmeidiger, die Ladezeiten kürzer sein. Aber insgesamt sieht die Zeichentrick-Optik einfach klasse aus, bietet viele liebevolle Details und zieht weitestgehend flüssig und fehlerfrei an einem vorbei.

Alles zu seiner Zeit

Zudem gibt es stimmungsvolle, wenn auch teils gescriptete Zeit- und Wetterwechsel. Und die sind nicht nur optisches Beiwerk, sondern haben auch Einfluss auf Flora, Fauna und diverse Ereignisse. Manche Kreaturen lassen sich sogar nur zu bestimmten Zeiten überhaupt erst blicken, während andere ein Nickerchen halten und man unbehelligt an ihnen vorbeischleichen kann. Auch wer bestimmte Personen treffen oder Materialien sammeln will, sollte im richtigen Moment aufbrechen oder sich wecken lassen.

Neben örtlichen Gasthäusern können nämlich auch fest installierte Lagerplätze in freier Natur zum Rasten und Erholen genutzt werden, die man im Gegensatz zu Hotelzimmern auch erst abends oder nachts verlassen kann.
An Lagerfeuern kann man nicht nur rasten, sondern auch neue Ausrüstung schmieden.
Zudem kann man sich am Lagerfeuer mit seinen Gefährten unterhalten oder eine mobile Schmiedestation nutzen, um neue Ausrüstungsgegenstände herzustellen oder bereits im Besitz befindliche zu verbessern.

Motivierende Bastelstunde

Das Crafting-System ist rezeptbasiert und interaktiv. So muss man zunächst Hinweise auf neue Waffen, Rüstungen oder Schmuckstücke in Büchern oder Ähnlichem suchen, die nötigen Materialien finden und dann mit handwerklichem Feingefühl und einem stetig wachsenden Aktionsrepertoire den Schmiedehammer kreisen lassen. Dabei versucht man mit geschickt gewählten, aber begrenzten Aktionen vorgegebenen Idealpunkten möglichst nahe zu kommen, um bestmögliche Ergebnisse zu erzielen - ein ebenso spannendes wie motivierendes Unterfangen.

Auch sonst werden unternehmungslustigen Abenteurern einige interessante Nebenbeschäftigungen angeboten: Von der serientypischen Hatz nach versteckten Schätzen und Minimedaillen über lukrative Kasino- und Arenabesuche bis hin zu Schnitzeljagden für Armbrustschützen und Jockey-Einsätzen auf der Pferderennbahn.
Mit dem Pferd kann man nicht nur schneller reisen, sondern auch an Rennen teilnehmen.
In freier Wildbahn kann man sogar besiegte Monster gelegentlich als Fortbewegungsmittel nutzen und mit deren einzigartigen Sprung-, Kletter- oder Flugfähigkeiten sonst unzugängliche Orte erreichen.

Auf in den Kampf

Die mit Angriffsvorteilen initiierbaren Kämpfe laufen in klassischer Rundenmanier ab, wobei man die Aktionen der bis zu vier einsetzbaren Charaktere entweder selbst wählen oder der KI überlassen kann. Wer will, kann auch nur eine Figur selbst dirigieren und die anderen nach vorgegebenen Verhaltensmustern agieren lassen oder alles vollautomatisch ablaufen lassen. Selbst auf die Darstellung der Kampfhandlungen kann Einfluss genommen, passive Gruppenmitglieder jederzeit eingewechselt, Ausrüstungen angepasst werden.

Neben waffenspezifischen Angriffen, können auch gelernte Zauber und Fertigkeiten eingesetzt, mitgeführte Gegenstände benutzt, Abwehrhaltungen eingenommen oder Fluchtversuche unternommen werden. Mit zunehmender Kampfdauer können die Beteiligten sogar vorübergehend über sich hinauswachsen und mit erhöhten Werten agieren. Befinden sich mehrere Gruppenmitglieder zur gleichen Zeit in dieser Verfassung können je nach Zusammensetzung auch besonders verheerende oder rettende Koop-Manöver ausgeführt werden. Amüsant sind auch wieder Statusleiden wie notorisches Tanzen oder Lachen sowie Gegner, die ohne ausreichend MP zu zaubern versuchen und kläglich scheitern.

Luft nach oben

Schade nur, dass es keine Zugfolgenanzeige gibt, um Aktionen besser abstimmen zu können, und auf See nach wie vor altmodische Zufallskämpfe bestritten werden müssen. Auch das Formationssystem ist sehr rudimentär.
Die Kämpfe laufen in klassischer Rundenmanier ab, lassen sich aber auch automatisieren.
Nicht einmal der Schwierigkeitsgrad lässt sich anpassen. Zwar haben die Entwickler für den westlichen Markt sogenannte Drakonische Spielregeln eingeführt, durch die man sich vor Spielbeginn diverse Handicaps wie keine Fluchtversuche, Item-Einsätze oder Ausrüstungskäufe auferlegen kann. Doch die können im Nachhinein nur wieder deaktiviert, nicht aber nachträglich hinzugefügt werden.

Ansonsten hängt der Schwierigkeitsgrad natürlich hauptsächlich von der aktuellen Charakterstufe und Ausrüstung sowie den freigeschalteten Fertigkeiten ab. Exzessives Aufleveln wie in früheren Serienteilen ist in Dragon Quest 11 jedoch nicht nötig. Zudem können in Zauber, Fertigkeiten und Wertesteigerungen investierte Talentpunkte an Speicherpunkten jederzeit gegen einen Obolus zurückerlangt und neu verteilt werden.

Umstrittene Altlasten

Ein freies Sichern des Spielstands ist aber leider immer noch tabu, die Anzahl der Save-Slots mit neun sehr begrenzt. Zwar wird gelegentlich auch ein automatischer Speicherpunkt gesetzt, gezielte Sicherungen des Spielfortschritts sind aber nach wie vor nur in Kirchen und an gesegneten Statuen möglich, wo man obendrein gegen Bezahlung Wiederbelebungen durchführen und Statusleiden kurieren kann.
Das an Kirchen und Statuen gebundene Speichersystem ist zäh und unkomfortabel.
Segnen alle Gruppenmitglieder das Zeitliche, hat man zudem mehrere Optionen wie und wo man wieder ins Abenteuer einsteigen will - den verlorenen Kampf einfach zu wiederholen zählt aber leider nicht dazu...

Ähnlich veraltet wie das Speichersystem ist auch das Inventar mit all seinen Taschen und persönlichen Beuteln, die man immer wieder umsortieren und nachfüllen muss. Auch die Menüführung wirkt trotz nachträglicher Anpassungen und Komfortoptionen wie automatischen Heilungen und Ausrüstungen wie ein Relikt aus der Rollenspielurzeit.  Dass nicht jeder Ausrüstungswechsel optisch dargestellt wird, ist hingegen okay, da dies eben nur bestimmten Kombinationen vorbehalten ist, die es zu finden und sammeln gilt.

Viel zu tun

Zur Orientierung dient eine variable Kartenfunktion mit eingetragenen Sammelstellen, Questgebern und Reisepunkten, die man per Teleport-Zauber erreichen kann. Penetrante Zielmarker für jede Kleinigkeit gibt's jedoch keine. Wer Hilfe braucht, fragt einfach seine Gefährten um Rat. Praktisch sind auch die kurzen Rückblicke, wenn man sein Abenteuer nach einer Auszeit fortsetzt, oder die zahlreichen Tipps und Erklärungen, die bei längeren Ladepausen eingeblendet werden. Wer will, kann auch in Datenbanken stöbern oder Statistiken wälzen.

Für besonders ambitionierte Sammler gibt es neben PSN-Trophäen auch spielinterne Ehrungen, die man für bestimmte Leistungen erhält.
Auf Entdeckungstour: Wer sucht, der findet - selbst da, wo man eigentlich nichts zu suchen hat.
Es gibt aber auch unnötigen Schnickschnack wie eine Ego-Perspektive für Screenshots, in der man sich nicht bewegen kann, oder eine automatische Dauerlauf-Funktion, in der nicht automatisch gesprintet werden kann. Zum Glück kann man diese Dinge aber auch komplett ignorieren und sich gut und gerne 100 Stunden lang mit den eigentlichen Spielinhalten beschäftigen.

Gerade Entdecker können sich auf viele Schätze, Verstecke und Geheimnisse freuen. Man kann wieder in Brunnen steigen, auf Dächer klettern, über Seile balancieren und verborgene Bereiche erkunden. Zudem gibt es viele liebevolle Details wie Charaktere, die sich beschweren, wenn man in ihr Haus kommt und ihre Sachen durchwühlt oder wenn man versucht Schilder von der falschen Seite zu lesen. Schön ist auch, dass selbst nicht an Kämpfen beteiligte Gruppenmitglieder Erfahrung sammeln und man so völlig frei mit Aufstellungen experimentieren oder sich auf sein Dream-Team konzentrieren kann.

Fazit

Auch mit Dragon Quest 11 sind Serienerfinder Yuji Horii und sein Team den Traditionen der mittlerweile über 30 Jahre alten Rollenspielsaga weitestgehend treu geblieben. Von den klassischen Rundenkämpfen ohne anpassbaren Schwierigkeitsgrad über das angestaubte Speicher- und Inventarsystem bis hin zur fast schon altertümlichen Soundkulisse samt stummem Protagonisten. Veteranen wird’s freuen, Neulinge mitunter eher abschrecken. Wer sich aber auf die Zeitreise einlässt, erlebt ein ebenso charmant wie prächtig inszeniertes Rollenspiel-Abenteuer alter Schule, wie man es heute nur noch selten findet. Doch nicht nur die inneren Werte wie die individuelle Charakterentwicklung, das interaktive Crafting-System oder die abwechslungsreichen Nebenaufgaben sorgen für Begeisterung, auch die schmucke Zeichentrickgrafik mit ihren liebevollen Animationen kann sich sehen lassen. Und wer genau hinschaut, entdeckt immer wieder bezaubernde Details und Facetten. Hier wurde wirklich Liebe und Herzblut investiert - und das spürt man!

Pro

charmante Anime-Optik
individuell formbare Charaktere
anpassbares Rundenkampfsystem
Gegner als Fortbewegungsmittel mit speziellen Fähigkeiten
zeit- und wetterabhängige Besonderheiten
abwechslungsreiche Nebenaufgaben
motivierendes Crafting-System
viele liebevolle Details
praktische Kartenfunktion
optionale Handicaps

Kontra

stummer Protagonist
antiquiertes Speicher
& Inventarsystem
angestaubte Soundkulisse
keine Zugfolgenanzeige

Wertung

PlayStation4

Ungemein charmant präsentiertes Anime-Rollenspiel alter Schule.

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