Octodad: Dadliest Catch28.04.2014, Jan Wöbbeking

Im Test: Chaotischer Tentakelterror

Was für eine bescheuerte Idee: Ein als Familienvater verkleideter Oktopus stolpert durch die Welt der Menschen und zerlegt so gut wie alles, was vor seine wild rudernden Tentakeln gelangt. Steckt hinter dem anarchischen Experiment auch auf der PS4 ein lustiges Spiel?

Der wabbelige Wahnsinn geht weiter!

Einst war es nur ein bizarres Studentenprojekt – jetzt haben die Entwickler ihrem wackeligen Helden ein „ausgewachsenes“ Spiel gewidmet. Octodad: Dadliest Catch (ab 13,99€ bei kaufen) ist bereits der zweite Teil der Kraken-Saga. Wer den kostenlosen Vorgänger ausprobiert hat, bemerkt sofort, dass sich der väterliche Held mittlerweile ein ganzes Stück geschmeidiger steuern lässt. Natürlich ist es immer noch eine gewaltiger Balanceakt, durch den Alltag zu torkeln – darauf basiert schließlich die Herausforderung.

Bereits der Weg zum Traualltar erweist sich als Spießrutenlauf.

Das Spiel beginnt am größten Tag des Protagonisten: Nachdem er sich eine Scheinidentität als menschlicher Familienvater aufgebaut hat, will er nun vor den Traualtar treten. Auf dem Weg dorthin stehen natürlich jede Menge wackelige Dinge, die für einen Oktopus zu sensiblen Hindernissen werden: Gedeckte Tische, Geschenke, Spiegelrückwände – all das zerlege ich auf meinem Weg versehentlich mit den herumwabbelnden Tentakeln.

Glibbriger Balanceakt

Die Steuerung erinnert an den Comedy-Klassiker „Ministry of Silly Walks“ aus Monthy Python’s Flying Circus. Behutsam strecke ich abwechselnd das linke und rechte Hosenbein in die Luft, in die das Weichtier seine knochenlosen Tentakel gezwängt hat. Der linke Trigger hebt das linke Bein, der rechte das andere. Dann muss ich bloß noch den linken Stick nach vorne bewegen und schon stolpert der Krakenvater elegant vorwärts.

Wird die raffinierte Tarnung auffliegen?
Oder aber ich randaliere einfach durch die Gegend, schwinge die Beine mit wilden Drehungen durch den Raum und reiße alles Zerbrechliche ins Chaos. Die Steuerung per PS4-Controller flutscht sogar schneller und einfacher als die ursprüngliche Maussteuerung, weil man hier Dinge greifen und gleichzeitig die Beine mit den Schultertasten anheben kann.

Das chaotische Herumspinnen gehört zu den unterhaltsamsten Elementen und wird zum Glück nur dann bestraft, wenn ich mich extrem dämlich in der Öffentlichkeit anstelle. Ein paar versehentliche Tritte ins Gesicht anderer Figuren und schon füllt sich die Tintenanzeige. Ist sie voll, löst das aber keinen Alarm aus wie in einem Schleichspiel. Stattdessen geht es zurück an einen der großzügig verteilten Checkpoints.

Multifunktions-Saugnapf

Lustig ist auch das Grabschen mittels Saugnapf: Ich kann mit einer Hand-Tentakel vor mir herumrudern und per Knopfdruck Dinge greifen. Dann öffne ich Türen, verschütte die Hälfte des Kaffeepulvers auf dem Weg zur Maschine oder schleife irgendwelchen nutzlosen Krempel mit mir herum, den ich versehentlich mit dem Saugnapf erwischt habe.

Im Koop-Modus teilen sich zwei bis vier Spieler die Extremitäten.
Natürlich muss Octodad all das erledigen, was für einen glitschigen Mollusken nicht gerade alltäglich ist: den Rasen mähen, im Ozean-Themenpark über wackelige Klettergerüste balancieren oder zentimetergenau Frikadellen wenden, ohne die eigenen Tentakeln zu grillen. Auch der Ausflug ins Aquarium wird zum Spießroutenlauf - schließlich lungern dort jede Menge bärtige Meeresbiologen herum, welche ein Weichtier wie ihn schnell erkennen.

Geschicklichkeit statt Schleich-Einlagen

Schade, dass die Schleichsequenzen so simpel gestrickt sind: Meist muss ich lediglich über einen sichtgeschützten Umweg balancieren oder z.B. durch Tricks einen Alarm auslösen. Trotzdem macht es Spaß, kurzzeitig wie Solid Snake unter einer Kiste umher zu watscheln. Ab und zu gestaltet sich die Action übertrieben fummelig, z.B. im Bosskampf gegen den fiesen Koch, der Octodad ständig verfolgt.

Auch beim Erklimmen einer Rolltreppe musste ich die Tentakeln wie ein Gestörter nach vorne wuchten, um sie schnell genug in die Höhe zu schleudern. Solche Momente nerven zwar, rufen allerdings auch ins Gedächtnis, dass alltägliche Dinge wie Treppen für Rollstuhlfahrer oder Gehbehinderte zur mühsamen Barriere werden können.

Alberne und leise Töne

Meist bewegt sich der Schwierigkeitsgrad aber ohnehin auf einem einsteigerfreundlichen Level. Wer mehr Herausforderung braucht, kann versteckte Objekte suchen oder die Levels mit Timer in Rekordzeit meistern. Oder aber man zerrt einen Freund vor die Konsole und steuert den Kraken gemeinsam. Einer hebt das linke Bein, der andere das rechte. Das gestaltet sich zwar noch wackeliger als ohnehin schon, sorgt aber für ein lustiges Wirrwarr und panische Kommandos. Sind genügend Freunde und Controller vorhanden, kann man sogar zu viert loslegen.

Auf der PS4 bleibt der Ausflug in den Supermarkt nicht immer ruckelfrei.
Trotz aller Albernheiten hat mich auch die eigentlich abstruse Geschichte positiv überrascht: Wenn die Tochter oder andere Familienmitglieder ihrem Vater in kniffligen Momenten beistehen, kommt es immer wieder zu rührenden Momenten. Im Laufe des Spiels wird klar, dass seine Familie ihn für seinen wahren Charakter liebt - obwohl Octodad das Paradebeispiel für eine Person ist, die ihrem Umfeld etwas vorspielt. Auch die professionelle englische Synchro und die lustigen bis nachdenklichen Melodien erzeugen viel Atmosphäre. Richtig cool hören sich auch die mannigfaltigen Blubberlaute des Protagonisten an.

Gelungene PS4-Umsetzung?

Technisch müssen PS4-Besitzer leider leichte Einbußen in Kauf nehmen: Trotz der von Haus aus etwas kargen 3D-Kulissen kommt es ab und an zu leichten Ruckel-Einlagen, so z.B. im Supermarkt. Auch die Schattenkanten wirken auf der Konsole ein wenig unsauberer. Inhaltlich gleichen sich beide Fassungen bis auf Details. Die Maussteuerung fällt auf der PS4 natürlich weg. Ein großer Verlust ist das aber nicht: Schon auf dem PC flutschte das Laufen mit den L- und R-Triggern des Controllers ein wenig intuitiver. Ein größerer Einschnitt ist das Wegfallen der User-Levels, die man sich auf dem PC aus dem Steam-Workshop herunterladen darf. Neu dabei hingegen die Move-Steuerung, welche wir mangels PS4-Kamera noch nicht ausprobieren konnten.

Fazit

Glückwunsch an die Young Horses: Beim ersten Blick auf den Trailer habe ich Octodad als albernes Experiment abgehakt, doch der charismatische Kraken hat mich positiv überrascht. Nach einer Gewöhnungsphase ist es herrlich durchgeknallt und herausfordernd, mit dem wackeligen Mollusken durch den Alltag zu torkeln und ganz nebenbei die halbe Welt auseinanderzunehmen. Ab und zu wird der Spießroutenlauf zwar zu fummelig; meist überwiegt aber die Freude über das Bezwingen zerbrechlicher Gerüste und über Octodads albernes Geblubber. Auch in der Geschichte kommt es trotz allem Slapstick immer wieder zu rührenden Momenten, in denen mir Octodad und seine Familie ans Herz gewachsen sind. Das Spiel ist zwar kein ausgewachsener Randale-Simulator wie Rabbids Go Home, aber als kurzer Arcade-Snack hat er aber für richtig gute Laune gesorgt. Bei der Umsetzung hätten sich die Entwickler aber ruhig etwas mehr Mühe geben können - kleine Ruckeleinlagen auf der PS4 sollten bei technisch derart schlichten Kulissen nun wirklich nicht nötig sein.

Pro

herrlich überdrehtes Herumtorkeln
knifflige Balanceakte
alberner Humor
sympathische Figuren
herzerwärmende Geschichte
farbenfrohes Artdesign
teils schwungvolle, teils bedächtige Ohrwürmer
professionelle englische Synchro
Offline-Koop mit lustigem Koordinations-Chaos

Kontra

ein paar frustrierende Hürden
nur wenige, zu simpel aufgebaute Schleichsequenzen
nur zwei bis drei Stunden kurz
keine deutsche Vertonung
etwas detailarme Kulissen
leichte Ruckeleinlagen
keine User-Levels wie auf dem PC

Wertung

PlayStation4

Durchgeknallt, knifflig und liebenswert: Der wacklige Balanceakt auf acht Beinen ist eine Riesengaudi - trotz einer nicht optimalen Umsetzung.

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