The Town of Light08.06.2017, Jörg Luibl
The Town of Light

Im Test: Gefangen in der Toskana

Ende Februar 20016 erschien The Town of Light (ab 3,19€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) bereits digital für PC. Damals ist uns das historisch inspirierte Horror-Adventure aus Italien leider durch die Lappen gerutscht. Seit dem 6. Juni ist es allerdings technisch und spielerisch erweitert als Boxversion für PC, Xbox One und PlayStation 4 erhältlich. Ob sich die Reise in eine toskanische Psychiatrie der 30er-Jahre lohnt, verrät der Test.

Stimmen im Kopf

Im grellen Licht der Toskana des Jahres 2016 beginnt für eine alte Frau die Reise in eine schreckliche Vergangenheit. In der Nähe der Stadt Volterra besucht sie eine ehemalige Psychiatrie, die mittlerweile als menschenleere Ruine zu verfallen droht. Doch spätestens als Renée über die Flure spaziert, ist sie nicht mehr allein. Da melden sich Stimmen in ihrem Kopf und mit ihnen öffnen sich immer wieder für kurze Momente oder längere Passagen die Pforten in die späten 30er Jahre, als sie hier als junges Mädchen und angeblich Geisteskranke über Jahre misshandelt wurde.

Man erkundet in Egosicht eine verlassene Psychiatrie in der Toskana.
Wieso kam sie damals in diese Anstalt? Was haben ihre Eltern gesagt? Und was ist genau passiert? Schritt für Schritt erkundet man das mehrstöckige Gebäude samt Garten in Egosicht. Zunächst wirkt die Kulisse mit den irre bemalten Wänden, ausgedienten Apparaten und vor allem den chirurgischen Zeichnungen, die explizite Schnitte inklusive geöffneter Hautlappen zeigen, sehr bedrückend - man fühlt sich in der ersten Stunde fast an das überall schwelende Grauen aus Silent Hill erinnert, wenn man die versifften Räume betritt, in denen Menschen gequält wurden.

Dokumentarische Sicherheit

Was hat es mit der Puppe auf sich? Leider beschränkt sich die Interaktion auf weitgehend simple Aufgaben. Alle spielerischen Änderungen der Konsolenversion bekommen Besitzer des digitalen PC-Originals gratis als Update.
Aber das Unheimliche verschwindet aufgrund des pseudo-dokumentarischen Ansatzes, der Stilbrüche in der Präsentation sowie der eintönigen Spielmechanik recht schnell. Warum Pseudo-historisch? Weil man bis auf ein paar Archivbilder kaum etwas über diese Psychiatrie, ihre Ärzte und Insassen erfährt - man kann nicht in anderen Patientenakten stöbern oder etwas mehr über die Geschichte der Anlage erfahren. Gerade das hätte es aber für ein wirklich authentisches Gefühl zwingend geben müssen.

Das Problem ist auch, dass das Geheimnis um Ort und Protagonistin zu schnell gelüftet ist - man kann sich vieles sehr schnell denken, weil die Regie nichts zurückhält. Wenn es gleich zu Beginn heißt "Im Reich des Lichtes gab es weder Verständnis noch Mitleid", man die Folterinstrumente sieht und die faschistische Zeit des Zweiten Weltkriegs berücksichtigt, weiß man natürlich ganz genau, dass diese Psychiatrie eine Hölle gewesen sein muss.

Immerhin motiviert die Regie damit, dass sie in den Multiple-Choice-Fragen die gespaltene Persönlichkeit abbildet: So wird Renées Unsicherheit bezüglich der Vergangenheit deutlich. Das beginnt mit einfachen Fragen, ob man etwa Briefe aus der Anstalt lesen darf oder nicht, weil man dann bestraft wird - hier melden sich die Angst und Schuldgefühle von damals. War sie etwa ein "böses" Mädchen? Hat sie diese Behandlungen vielleicht sogar verdient? Je nachdem, wie man hier antwortet, verändert sich die psychische Stabilität der alten Frau und damit Teile der folgenden Geschichte. Aber wer einigermaßen zwischen den Zeilen lesen kann, wird wissen, in welcher Antwort die Aufklärung steckt.

Ablaufroutine und Stilbrüche

Leider ist alles andere außerhalb dieser psychologisch interessanten Fragerunden spielerisch nicht der Rede wert und statt offener Erkundungsreize oder wenigstens detektivischer Recherche herrscht meist Ablaufroutine, zumal man auf Knopfdruck die Anweisung bekommt, wo man als Nächstes hin soll: Geh ins Obergeschoss, geh in Behandlungsraum C, geh ins Archiv und so weiter. Viel zu oft muss man einfach nur von A nach B laufen und dort eine Puppe oder einen Brief platzieren oder mal extrem simple Schalterrätsel bewältigen - und besonders weitläufig ist die Anlage nicht. Hinzu kommen unlogische Situationen wie plötzlich verschlossene oder geöffnete Türen, obwohl man sich nicht in einer surrealen Erinnerung, sondern in der toskanischen Realität befindet, in der es weder Geister noch Übersinnliches gibt.

Die größte Herausforderung bleibt die hakelige Steuerung, denn man muss ständig die Karten auf den Fluren langsam heranzoomen (warum werden die nicht einmal archiviert und gut?), hängt schonmal an kleinen Hindernissen und öffnet in schlimmer Monotonie Türen oder Schränke - manchmal muss man beide Flügel sogar einzeln anwählen, sonst kommt man nicht durch. Sehr enttäuschend ist zudem,

Man ist nicht nur im Gebäude, sondern auch außerhalb unterwegs - und gerade dort werden die technischen Schwächen auf PS4 und Xbox One sichtbar.
dass man zwar manchen Gegenstand als 3D-Objekt näher untersuchen kann, inklusive halbherzigem (!) Drehen und Zoomen, aber dass man hier weder etwas entdecken noch rätseln kann. Selbst Briefe darf man nicht komplett auf die Rückseite drehen. Hier wurde viel Potenzial verschenkt!

Stattdessen muss man sich sehr viel vorlesen lassen, immerhin gut auf Deutsch eingesprochen, und braucht eine Lupe, um so manche Texthinweise zu lesen, die in zu kleiner Schrift oben rechts angezeigt werden. Hinzu kommen die Stilbrüche in der Präsentation, die einen mit ihren gezeichneten Rückblicken immer wieder aus dem Erlebnis herausreißen. Immerhin wirken die gespielten Passagen in der Vergangenheit mit ihren surrealen Verzerrungen oder dem Gang durch die diffus graue Welt der 30er Jahre mit den puppenhaft Inhaftierten eindringlicher - hier wird trotz schrecklich steifer Animationen zumindest die kalte Fratze von Wärtern ebenso greifbar wie das entseelte Gesicht all der gequälten menschlichen Marionetten.

Labyrinth der Langeweile

Irgendwann ab dem letzten Drittel dieses Psychotrips war ich aber nur noch genervt. Wie gut man das Erkunden inszenieren kann, ohne dass man sich dermaßen gegängelt fühlt, hat What Remains of Edith Finch kürzlich eindrucksvoll bewiesen - hier erlebt man das Gegenteil. Was hat die Entwickler bloß geritten, dieses erzählerisch so interessante Abenteuer dermaßen künstlich zu strecken? Hier wird das Klischee des "Wandersimulators" leider rücksichtslos bedient, weil irgendjemand auf die Idee kam, dass es außerhalb der Psychiatrie ja noch eine Landschaft, einen Friedhof und Pavillons gibt.

Die Psychiatrie besteht aus zwei Etagen - es gibt ein Treppenhaus inklusive Aufzug. Man kann sich kaum verirren, da es in jedem Flur eine beschriftete Karte sowie auf Knopfdruck (Touchpad) genaue Angaben zum nächsten Zielort gibt.
Also muss man plötzlich einem Leichenwagen hinterher laufen, nur um dabei die schwache Technik anstatt eine idyllische Toskana zu erleben. Nur auf den allerersten Blick sorgt das Licht zusammen mit der Architektur sowie der Flora für so etwas wie mediterranes Flair. Aber im Gegensatz zum ansehnlichen The Vanishing of Ethan Carter ist dieses von der Unity-Engine inszenierte Town of Light vor allem außerhalb der Psychiatrie eine komplette grafische Ernüchterung - hier kommt es beim langsamen Wandern zu Popups, Flimmern und starken Bildrateneinbrüchen. Auf den zweiten Blick sieht das nicht schön, sondern nur noch spröde aus - jegliche Faszination geht hier flöten.

Aber auch das Spieldesign bricht während dieser Ausflüge aufs Land komplett ein: Man muss tatsächlich wie an der Schnur gezogen Lichtern folgen, jedes Gestell eines Spielplatzes nutzen und in einem surrealen Labyrinth der Erinnerungen einige Bildmotive an Wänden finden. Hab ich einige gesagt? Es sind 17! Und wenn da erst 1/17, dann 2/17, dann 3/17 eingeblendet wird, während man blöde umherirrt, fühlt man sich wie in einem schlechten Ubisoft-Film, in dem Assassinen irgendwelche Federn sammeln sollen. Es war lediglich die Aussicht auf das baldige Finale, die mich durchhalten ließ.

Fazit

Mit dokumentarischer Schonungslosigkeit nähert man sich der schrecklichen Vergangenheit einer misshandelten Frau. In der ersten Stunde dachte ich noch: Das fühlt sich fast an wie Silent Hill als Serious Game! Aber so interessant der Ansatz von The Town of Light auch ist, nämlich auf Grundlage historischer Fakten einen eher authentischen Weg mit surrealen Rückblicken anstatt typischen Survival-Horror mit Schockmomenten und Monstern zu beschreiten, wird das Erlebnis von einigen verdammt schlechten Designentscheidungen konterkariert. Das Unheimliche verschwindet nicht nur aufgrund der unnötigen Stilbrüche in der Präsentation, der hakeligen Steuerung sowie der eintönigen Spielmechanik, in der man einer Ablaufroutine von A nach B ohne Rätselanspruch folgt - im letzten Drittel wird man regelrecht an der Leine geführt und muss wie blöde Bildmotive sammeln. Hinzu kommen auch die unübersehbaren technischen Schwächen sowie Bildratenprobleme, die während des langweiligen Spazierens zusätzlich stören. Immerhin retten die psychologischen Multiple-Choice-Phasen das Abenteuer auf ein befriedigendes Niveau, weil man den weiteren Weg damit beeinflussen kann. Aber das Thema der Misshandlung von Geisteskranken ist letztlich eindringlicher und bedrückender als das sterile Spielerlebnis. Innerhalb des jungen Genres der Erzählspiele wirkt Town of Light wie ein ambitioniertes, aber auch sehr sprödes Relikt.Titel wie Firewatch, SOMA, Kona, The Vanishing of Ethan Carter, Everybody's Gone to the Rapture und vor allem What Remains of Edith Finch sind alle auf ihre Art deutlich moderner und unterhaltsamer.

Pro

Story über Misshandlungen in Psychiatrie der 30er
teilweise bedrückende Atmosphäre, aber...
gespaltene Persönlichkeit sorgt für Neugier
Entscheidungen mit Konsequenzen
Story beruht auf historischen Tatsachen
Hinweise der Heldin weisen zum Ziel, aber...
gelungene Wechsel zu surrealen Erlebnissen
komplett deutsche Texte und Sprache

Kontra

Story ist viel zu schnell durchschaut
...das Grauen wird nicht eindringlich genug
nur sehr wenige und viel zu leichte Rätsel
einige unnötige grafische Stilbrüche
hakelige Steuerung (Umsehen, Türen öffnen etc.)
...sorgen für Ablaufroutine von A nach B
extrem nerviges finales Absuchlabyrinth ("1/17")
einige unlogische Situationen (Türen, Schalter...)
viel zu kleine Schriftgröße bei Hinweistexten
sehr lange Vorlesephasen bei Briefen etc.
kaum Infos zur Geschichte der Psychiatrie
schwache Technik (Flimmern, Popups, Clippings..)
große Bildratenprobleme
überflüssige 3D-Untersuchung von Gegenständen

Wertung

PlayStation4

Das Thema der Misshandlung von Geisteskranken ist eindringlicher als das Spielerlebnis selbst. Innerhalb des jungen Genres der Erzählspiele wirkt dieses Town of Light wie ein sprödes Relikt.

XboxOne

Das Thema der Misshandlung von Geisteskranken ist eindringlicher als das Spielerlebnis selbst. Innerhalb des jungen Genres der Erzählspiele wirkt dieses Town of Light wie ein sprödes Relikt.

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