Fist of the North Star: Lost Paradise09.10.2018, Mathias Oertel
Fist of the North Star: Lost Paradise

Im Test: Hatatatatatatatatata-Yakuza

Das letzte Abenteuer von Kenshiro, dem eher wortkargen Helden aus Fist of the North Star, datiert aus der letzten Konsolen-Generation und war seinerzeit eine von Omega Force produzierte Musou-Action. Jetzt ist der Rächer in einer postapokalyptischen Endzeit wieder da und lädt zu einem Action-Adventure ein, das immer wieder an Segas Yakuza-Serie erinnert – nicht ganz von ungefähr, da hier das gleiche Team verantwortlich ist. Im Test verraten wir, ob die Mischung aus hochrangiger Manga-Lizenz und bewährtem Konzept aufgeht.

Endzeit-Yakuza mit Selbstironie

Immer wieder wird man in Fist of the North Star: Lost Paradise (ab 79,98€ bei kaufen) an die Schablone erinnert, die Segas Ryu Go Gotoku Studio (RGG) über die gut eingefangene Comic-Kulisse gelegt hat und die man im eigenen Hause bei der mittlerweile über zahlreiche Teile bzw. HD-Remakes laufenden Yakuza-Serie stibitzt hat: Man hat ein relativ großes Gebiet zur Verfügung, das man nach der schlauchigen Anfangsphase, in der man mit Fortbewegung, Kampfsystem, Inventar und den Möglichkeiten des Figurenaufstiegs bekannt gemacht wurde, weitgehend mit dem Helden Kenshiro frei begehen kann. Man folgt entweder der Story oder versucht sich in zahlreichen Nebenaktivitäten von Glücksspiel bis Kopfgeldjagden oder dem Managen von Hostessen. Und natürlich gibt es Kämpfe gegen recht große Gruppen, die hinsichtlich der Steuerung ebenfalls ihre Inspiration bei Yakuza beziehen.  Diese werden aber mit dem Gewaltgrad angereichert, für den die Graphic Novels und noch stärker die Animes bekannt sind, in denen der eher schweigsame Held durch eine Postapokalypse wandert und sich als Rächer der Unschuldigen präsentiert. Quasi eine ultrabrutale Martial-Arts-Variante von Mad Max. So ganz kann man sich zwar nie vom mechanischen Vorbild lösen, von dem man auch einige Mankos wie gelegentlichen Leerlauf und eine gewisse Redundanz übernommen hat. Doch Fist of the North Star bekommt nach etwa einer Stunde eine eigene Identität - sobald die Geschichte Fahrt aufnimmt.

Die Kämpfe des vom gleichnamigen Anime bzw. Manga inspierten Action-Adventures können sich trotz einer gewissen Redundanz sehen lassen.

Denn anstatt sich an irgendeiner etablierten Story entlangzuhangeln, hat sich RGG dazu entschieden, eine frische Rachestory zu erzählen. Zwar bedient man sich vieler bekannter Elemente oder Figuren wie z.B. der Suche nach Kenshiros Verlobten Yuria, die als zentraler Punkt integriert wurde. Doch es gibt auch zahlreiche neue Facetten, die zusammen mit den zahlreichen kleinen Nebenkriegsschauplätzen sowie häufig sympathischen Figuren für ein stimmiges Gesamtbild sorgen. Schade ist allerdings, dass manche Nebencharaktere nur einen kurzen Gastauftritt feiern und danach wieder sang- und klanglos verschwinden – beinahe so, als ob sie nur eingebaut wurden, um Fans und Kennern der Vorlage ein weiteres Versatzstück zu bieten. Für Neulinge in der Welt von Fist of the North Star hingegen hinterlässt dieser Durchsatz an Figuren einen überhasteten Eindruck. Zudem ist es störend, dass es abseits der stark und schonungslos inszenierten Filmszenen in Spielgrafik bei den „Standard“-Zwischensequenzen einen nicht immer nachvollziehbaren sowie inkohärenten Wechsel von komplett vertonten Dialogen auf der einen sowie einsilbigen bzw. gutturalen Verständigungsformen auf der anderen Seite gibt. Selbst vergleichsweise wichtige Figuren wie der Talismanhändler werden so vollkommen unter Wert als nebensächlich präsentiert. Schade ist außerdem, dass die düstere Atmosphäre und die mitunter herbe Gewalt zwar durch viel Selbstironie aufgelockert wird, die manchen vielleicht sogar einen Tick zu albern sein könnte, dies aber durch die uneinheitliche Inszenierung torpediert wird.

„Du bist schon tot“

Autsch! Auch die vollkommen überzeichnete Gewaltdarstellung des Quellmaterials wurde gut eingefangen.

In anderen Bereichen jedoch nutzt Lost Paradise die Vorgaben gut aus, die sich aus der Engine sowohl mechanisch als auch visuell ergeben. Dazu gehört z.B. das Kampfsystem: Eingängig, mit leicht zu erreichbaren Kombos, einem potenten Ausweichschritt, der Zielaufschaltung sowie einem glücklicherweise nicht allmächtigen Block ausgestattet, kommt es mechanisch auch gegen größere Gegneransammlungen nur selten zu Problemen – und die liegen ohnehin eher im Bereich der Kamera, die beim Aufschalten auf das gewählte Ziel oder der halbautomatischen Auswahl auf den nächstgelegenen Angreifer ab und an mal aus dem Ruder läuft. Dass es Spaß macht, sich immer und immer wieder auf die Auseinandersetzungen einzulassen, liegt nicht nur an den gut zusammengestellten Gegnergruppieren, die sich mit Zwischen- und Endbossen abwechseln.  Es sind vor allem die Finisher, die Kenshiro mit seinem fiktiven Kampfstil „Hokuto Shinken“ abfackelt, die einen immer wieder packen. Er basiert auf einem Konzept, wonach der Körper mit 708 Druckpunkten ausgestattet ist, die auch zur Heilung von Gebrechen eingesetzt werden können. Doch Kenshiro nutzt sie hauptsächlich, um seine Gegner mit nur einem gezielten Treffer auszuschalten und sie in einer Blutfontäne aufgehen zu lassen. Damit hat man ein Kernmerkmal der Animes erstklassig umgesetzt.

Wenn der Gegner in einem betäubten oder angeschlagenen Zustand ist, kann man über die Kreistaste eine „Hokuto“-Sequenz aktivieren. In den folgenden Reaktionsspielen, die im Laufe der Zeit neue Schwierigkeitsgrade bereithalten und damit höhere Anforderungen an Reaktionsgeschwindigkeit sowie Fingerfertigkeit stellen, wird der maximale Schaden festgelegt, den der Gegner nehmen wird. Und dann geht es auch schon direkt in die prall mit karmesinroten Pixel gefüllten Finisher-Seqeuenzen, in denen der Gegner meist nach einigen schmerzhaften Verformungen explodiert. Damit kann man sich nicht nur effektiv der Feinde entledigen, sondern auch die Sternen-Leiste aufladen, die nach Vollständigkeit und Aktivierung temporär für nochmals erhöhten Schaden sorgt – gerade in Bosskämpfen ist dies ein probates Mittel, um die mitunter hin- und herwogenden Gefechte zu seinen Gunsten ausschlagen zu lassen. Es kommen zwar im Laufe der Zeit immer wieder neue Varianten hinzu. Doch bedingt durch die recht hohe Frequenz an Gefechten, verlieren diese eigentlich besonderen Momente zunehmend an Wert – auch weil es hier keine Variation bei der Sprachausgabe gibt und das hundertste „You are already dead“ auch seine Wirkung verliert. Lost Paradise versucht dies abzufedern, indem die Standardgegner schon nach einer kleinen Kombo erledigt sind, bevor man die Finisher setzen kann. Doch da im Gegenzug auch zunehmend mittlere und stärkere Kontrahenten in die Gruppen gemischt werden, hält dieser Effekt meist nur kurzzeitig an.

Zielsicher eingefangen

Die Kulisse ist durchaus stimmungsvoll und stets dicht an der Vorlage, zeigt aber im Texturdetail immer wieder Schwächen.

Unter dem Strich ist die visuelle Umsetzung beim aktuellen Yakuza zwar eindrucksvoller, doch RGG schafft es, das Comic-Vorbild recht akkurat einzufangen. Mitunter vielleicht zu akkurat - in dem Sinne, dass manche Texturen vor allem bei den Figuren, aber auch einigen Umgebungsdetails mit ihrer niedrigen Auflösung negativ auffallen. Dadurch entsteht immer wieder ein leicht uneinheitliches Bild, das quasi das Gegenstück zur akustischen Umsetzung der Dialoge darstellt. Wenig auszusetzen hingegen gibt es am Fortschrittsysstem: Kenshiro kann in drei Bereichen weiterentwickelt werden, wobei es bei den hierfür notwendigen Orbs „allgemeine“ gibt, die in jedem Bereich eingesetzt werden dürfen, andere aber nur exklusiv einen Aspekt weiterbringen. So muss man im Rahmen der vorgegebenen Wege auf den Boards sowie der über Figurenaufstiege sowie Missionen freigeschalten Orbs auch hin und wieder eine Entscheidung treffen, in welche Richtung man seine Punkte investieren sollte.

Fazit

Nach den ersten Infos und Videos war ich skeptisch, ob die Vermischung der martialischen Postapokalypse aus den Mangas bzw. Animes mit Mechaniken der Yakuza-Serie, bei der man sich auch für die Engine bedient, eine gute Idee ist. Doch Segas Studio Ryo Go Gotoku, das hier wie dort verantwortlich ist, wird der Kultlizenz Fist of the North Star gerecht. Die Mischung aus semi-offener Welt, in die die recht linearen Story-Kapitel der eigens geschriebenen Rachemär eingepflegt sind und mit zahlreichen Nebenaktivitäten ergänzt werden, funktioniert hier ebenso gut wie bei der einschlägig bekannten Gangster-Saga, die in vielerlei Hinsicht als Vorbild diente. Das Kampfsystem gibt sich hier ebenfalls keine Blöße und schafft einen gelungenen Spagat zwischen eingängigen Gefechten sowie brachialen Minispiel-Finishern. Doch bei der Kulisse und der Inszenierung gehen die Wege von Kiryu Kazuma und Kenshiro dann doch auseinander – mit dem wortkargen, aber dafür umso schagkräftigeren Helden von Lost Paradise auf der Verliererseite. Die visuelle Umsetzung der sich auch an Mad Max orientierenden Postapokalypse ist zwar stimmungsvoll, aber unter dem Strich von einigen Brüchen gekennzeichnet, wenn es um die Texturqualität sowohl bei der Umgebung als auch den Figuren geht. Das zieht sich auch durch die akustische Umsetzung: Einige der mitunter einerseits brutalen, anderseits emotionalen Zwischensequenzen sind gut vertont (es stehen sowohl Englisch als auch Japanisch zur Verfügung), andere wiederum werden nur durch Wortfetzen begleitet, während man sich durch mit statischen Figuren inszenierte Textwüsten klickt. Doch unter dem Strich ist Sega mit Fist of the North Star Lost Paradise trotz aller Mankos eine gelungene Umsetzung der schonungslosen Saga gelungen.

Pro

gut eingefangenes Artdesign
spannende eigens für Lost Paradise geschriebene Story mit zahlreichen Versatzstücken aus dem Quellmaterial
gute englische Sprachausgabe
wahlweise japanische Sprachausgabe
herrlich brutale Finisher
eingängiges Kampfsystem mit coolen Bosskämpfen
zahlreiche Nebenaktivitäten
umfangreiche Figurenentwicklung
immer wieder selbstironischer Umgebung mit Gewalt und der Postapokalypse

Kontra

Finisher nutzen sich auf Dauer ab
uneinheitliche Inszenierung
inkohärente visuelle Umsetzung, die sich gelegentlich auf biederem PS3-Niveau zeigt
Figuren werden häufig nur zum Selbstzweck ins Spiel geworfen und ebenso schnell wieder entfernt
Sprachausgabe wird nicht durchgehend eingesetzt
Erzählung mitunter etwas langatmig
gelegentlich Kameraprobleme im Kampf

Wertung

PlayStation4

Die Mischung aus brachialer Anime-Action und Kern-Mechaniken der Yakuza-Serie geht auf, wird aber von einigen Inkonsequenzen sowie Mankos bei der Präsentation zurückgehalten.

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