Octopath Traveler24.07.2018, Mathias Oertel
Octopath Traveler

Im Test: Helden-Oktett auf Weltrettung

In den letzten Wochen und Monaten hat Square Enix mit einigen Spielen versucht, an glorreiche 16-Bit-Zeiten anzuknüpfen. Doch sowohl I am Setsuna als auch Lost Sphear sowie vor allem das Remake von Secret of Mana blieben teils deutlich hinter den Erwartungen zurück. Mit dem Switch-exklusiven Octopath Traveller probiert man es erneut. Ob das Helden-Oktett zu überzeugen versteht, klären wir im Test.

Schwierige Themen und leichte Unterhaltung

Rollenspiele japanischer Bauart konzentrieren sich beim dramaturgischen Aufbau der Hauptgeschichte meist auf nur wenige Charaktere. Mitunter kann man zwar einer ansprechenden Riege an Nebenfiguren begegnen, doch wenn es um den erzählerischen Kern geht, dreht es sich häufig nur um ein, zwei oder drei Protagonisten. Octopath Traveler (ab 59,99€ bei kaufen) hingegen versucht, acht Figuren gleichberechtigt mit einer interessanten Geschichte samt stimmungsvollem Hintergrund sowie einer Motivation auszustatten, das gefährliche Abenteuer in der Fantasy-Welt Orsterra zu beginnen. Dabei erreicht man aber nicht immer die gleiche Intensität oder Dramatik, wobei dies für mich auch mit den jeweils mit der Figur verbundenen Themen zusammenhängt. Die exotische Tänzerin Primrose z.B. muss aus einer beinahe sklavischen sowie gewalttätigen Beziehung fliehen, um die Mörder ihres Vaters zu finden. Hier war ich nicht nur überrascht, wie schonungslos das Thema von den Autoren angepackt wurde – was auf den ersten Blick gar nicht zum putzigen und sehr sympathischen 16-Bit-Zeichenstil passt. Auch einige Story-Elemente der anderen Figuren wie die ständigen Schuldgefühle des Kriegers Olberic oder beim Dieb Therion, der einem Gegenstand folgt, von dem man sagt, dass sein Diebstahl unmöglich sei, überraschen mit einer reifen Herangehensweise an schwierige Inhalte.

Octopath Traveler verbindet acht Geschichten, die inhaltlich und dramaturgisch allerdings starken Schwankungen unterworfen sind.
Doch ausgerechnet bei der Figur, für die ich mich als Startcharakter entscheiden hatte, der Nachwuchs-Händlerin Tressa, ist die Geschichte um die ihren Eltern nacheifernde An- und Verkäuferin eher schwach, so dass ich nach dem Tutorial beinahe schon aufgegeben und mir eine andere Figur ausgesucht hätte. Denn was einem Octopath Traveller nicht erklärt: Man kann zwar schließlich alle anderen Figuren auf seinem Weg aufsammeln und ihren auf jeweils vier Kapitel aufgeteilten Geschichten folgen. Und man kann in Gasthäusern jederzeit seine Vierer-Gruppe verändern. Allerdings muss die eingangs ausgewählte Figur beibehalten werden – zumindest, bis man ihre Geschichte komplett beendet hat und dann einen anderen Gruppenanführer wählen darf. Und das kann durchaus dauern. Vor allem, wenn man zwischendurch entweder den Erzählsträngen der anderen Charaktere folgt. Oder wenn man sich durch die Welt treiben lässt, während man andere Fiiguren seiner Truppe auflevelt, damit diese für ihre Hauptgeschichte gewappnet sind. Oder wenn man den unzähligen Nebenaufgaben folgt, die man in den verschiedenen Städten aufschnappen kann, die aber meist auf Hol- und Bringdienste hinaus laufen. Sprich: Die erste Wahl wird einen über einen Großteil der Spielzeit beschäftigen.

Viele Wege zum Ziel

Die farbenfrohe Kulisse spielt mit der Mischung aus 16-Bit-Sprites und modernen Effekten
Immerhin: Auch wenn die dramaturgische Qualität und damit auch die Charakterzeichnung schwankt, sorgen die übrigen Mechaniken dafür, dass jede Figur interessant ist und sowohl im Kampf als auch in der Erforschung der offen miteinander verbundenen Schlauchlevels eine gleichberechtigte Rolle spielt. Denn neben den im Kampf unterschiedlichen Bewaffnungen oder Spezialangriffen gibt es auch so genannte Pfad-Fähigkeiten. Während es an gut versteckten Schreinen möglich ist, den Figuren eine zweite Jobklasse zu spendieren und somit die Bürde der Teamzusammenstellung für die Auseinandersetzungen etwas abfedert, sind die exklusiven Pfad-Aktionen jeder Figur, der der Welt nicht nur eine Menge Leben einhauchen, sondern sich durchaus auf die Spielweise und das Erlebnis in Octopath Traveller auswirken können. Tressa z.B. findet nicht nur beim Betreten eines neuen Abschnitts bare Münze, sondern kann mit nahezu allen Figuren handeln und so z.B. günstiger an seltene Ausrüstung kommen als bei den Standard-Anbietern, die in jeder Siedlung zu finden sind. Der immer wieder an Sherlock Holmes erinnernde Gelehrte Cyrus kann Informationen von den Stadtbewohnern erlangen, die z.B. zu versteckten Gegenständen führen.

Scheitert das Vorhaben allerdings, wird der Ruf gesenkt, den die Gruppe in der jeweiligen Stadt genießt. Gleiches gilt, wenn der Diebstahl von Therion scheitert, falls man nicht das Kleingeld hat, um mit Tressa die Gegenstände von den NPCs zu kaufen. Primrose und die Klerikerin Ophilia hingegen können die Figuren durch ihre speziellen Aktionen davon überzeugen, sich der Gruppe anzuschließen. Die so rekrutierten Mitläufer können sogar im Kampf eingesetzt werden, weswegen man bei der Auswahl durchaus darauf achten sollte, dass sie die vorhandenen Fähigkeiten ergänzen. Denn auch bei den zufällig eingeleiteten (die Frequenz kann man durch Hilfsfertigkeiten beeinflussen) sowie ganz klassisch rundenbasiert ablaufenden Gefechten gibt es einige interessante Variationen der klassischen Elemente. Und diese verpflichten zu einer effektiven Gruppenzusammenstellung, Job-Verteilung sowie Fähigkeiten-Auswahl, wenn man in den jeweils mit einem Gefahrengrad versehenen Gebieten eine Chance haben möchte – ganz zu schweigen von den Bossen, die am Ende der Story-Kapitel warten und einen auffordern, die Mechaniken bis zum Ende auszureizen. Die Jägerin H’aanit z.B. kann mit Ausnahme von Bossen jedes Tier fangen, das ihr im Kampf begegnet und es später für einen Zug ins Gefecht rufen – allerdings funktioniert das Fangen nur, wenn der Gegner entsprechend geschwächt ist. Zusätzlich zu ihrem Leoparden-Begleiter  kann sie ein halbes Dutzend Viecher mitschleppen.

Taktische Auseinandersetzungen

Das Prunkstück sind die rundenbasierten kämpfe, die eine erstaunliche taktische Tiefe besitzen.
Auch hier sollte man auf Variation achten, denn mit zwei cleveren sowie angenehm taktischen Kniffen werden die Gefechte massiv aufgewertet. Zum einen verfügt ausnahmslos jeder Gegner über mindestens zwei, häufig sogar mehr Anfälligkeiten gegen bestimmte Waffen bzw. Zauber. Diese Anfälligkeiten wiederum sind mit einem Schildwert gekoppelt. Sprich: nur wenn man die Schwachpunkte gezielt ausnutzt, wird dieser Schildwert gesenkt. Ist er auf Null, findet ein so genannter „Bruch“ statt und das Ziel ist kurzzeitig ausgenockt, woraufhin alle Angriffe der Gruppe mehr Schaden anrichten – insbesondere natürlich die gegen die Schwachpunkte. Um das taktische Element weiter auszureizen, besitzt jede Figur so genannte Boostpunkte, die mit jeder Runde um einen aufgestockt werden. Mit diesen kann man seine Angriffe verstärken. Magische Attacken werden mächtiger, physische werden mehrfach ausgeführt. Der Kreis schließt sich in diesem Zusammenhang mit dem Schildwert. Denn hat ein Feind z.B. einen Schildwert von drei und ist gegen Speer anfällig, ist man gut beraten, entweder mehrere Speerkämpfer in seiner Gruppe zu haben und so seinen Rüstungswert zu senken. Oder aber man boostet seinen Speerkämpfer (dies ist maximal bis zu einem vierfachen möglich) und kann seinen Schild mit nur einer einzigen Attacke zerstören.

So ist man ständig dabei, eine ideale Gruppenzusammenstellung für die Gegneransammlungen zu finden. Dass man neben den Anfälligkeiten, die man übrigens erst einmal herausfinden muss (entweder durch Ausprobieren oder durch Fähigkeiten)  und den Boostpunkten auch seine Manapunkte, seine Gesundheit und natürlich die Zugreihenfolge für ein effektives Kämpfen beachten sollte, macht die Auseinandersetzungen auch nach zig Stunden stets zu einem fordernden Vergnügen. Vor

Findet man die entsprechenden Schreine, kann man den Figuren auch einen "Zweitjob" geben und z.B. dem Apotheker auch die Fähigkeiten des Gelehrten zuweisen.
allem, wenn man in Gebieten unterwegs ist, die hinsichtlich ihres Profils leicht über der durchschnittlichen Gruppenstufe liegen. Doch bei allen Vorzügen und Optionen, die das Kampfsystem bietet, hat es Acquire leider nicht ganz geschafft, eine Altlast klassischer JRPGs zu entfernen: Grind. Vertraut man über einen Großteil der Zeit seiner favorisierten Truppe und führt sie von Storymission zu Storymission, steigt diese schön gemeinsam Stufe und Stufe auf – nahezu im Gleichschritt mit den Anforderungen der Abschnitte. Wendet man sich jedoch zwischendurch anderen Figuren zu, muss man mit ihnen erst einmal durch „schwächere“ Gebiete pilgern, um sie nach und nach an die Stufe des Anführers bzw. den für die nächste Story-Mission nötigen Level heranzuführen. Das hätte man auch durchaus komfortabler lösen können, indem man den im Gasthaus auf ihren Einsatz wartenden Helden einen prozentualen Anteil der von der Gruppe gewonnenen Erfahrung spendiert. Da der Fortschritt im Schlepptau von ein oder zwei hochstufigen Charakteren allerdings recht zügig vonstatten geht, kann ich den Grind in dieser Form gerade noch akzeptieren.

Story-Makel und Diorama-Flair

Problematischer sehe ich da schon die dramaturgischen Löcher in der Geschichte. Nicht nur, weil wie eingangs erwähnt die einzelnen Figuren unterschiedlich intensiv inszeniert werden. Sondern auch, weil ihre Erzählung nur selten zusammenläuft, sondern meist parallel abgefackelt wird. Zwar kommt es von Zeit zu Zeit je nach Gruppenzusammenstellung zu kleinen Szenen, in denen zwei Figuren miteinander über Geschehnisse sprechen. Dennoch bleibt das Gefühl zurück, dass man acht Einzelschicksalen folgt. Vielleicht auch, weil die wahlweise englische oder japanische Sprachausgabe nicht durchgehend, sondern nur in Schlüsselmomenten in größerem Umfang eingesetzt wird. Den Rest der Zeit ist man auf das Lesen der größtenteils richtig guten deutschen Texte angewiesen, während man den einsilbigen Intonationen der Figuren lauscht, die zu keinem Zeitpunkt die gleichen Emotionen hervorrufen können, wie die überzeugenden Dialoge der Kern-Geschichten.  Dass diese sich mitunter sehr viel Zeit und selbst beim „Schnell-Durchklicken“ größere Pausen lassen, die vermutlich technisch begründet sind, ist zwar manchmal störend, aber definitiv kein Atmosphäre-Killer.

Die Kämpfe sind spannend, teils intensiv inszeniert sowie fordernd - und Bestandteil von nötigem Grind, wenn man Figuren nutzt, die man länger nicht verwendet hat.
Ein wunderschöner Kompromiss wiederum ist Octopath Traveller beim Artdesign gelungen. Angetrieben von der aktuellen Unreal-Engine vermischt die Kulisse klassisches 16-Bit-Design bei den Figuren mit modernen Lichteffekten, Tiefenschärfe und häufig wunderschönen Stimmungen. Dass die Pixelkunst auch in den dreidimensionalen, an Dioramen erinnernden Umgebungen als Texturgrundlage dient, macht die abwechslungsreiche Welt von Orsterra zu einem kleinen visuellen Prunkstück. Natürlich kann Octopath Traveller nicht mit reinrassigen Echtzeit-Rollenspielen wie The Witcher 3, Cyberpunk 2077 oder Fallout mithalten und wirkt mit seinen Pixeln natürlich deutlich grober als z.B. ein Pillars of Eternity 2. Doch der visuelle Charme, der die Reisenden von Afnag bis Ende begleitet, ließ mich immer wieder wünschen, dass Square Enix einen derartigen Grafikstil beim Remake von Secret of Mana eingsetzt hätte. Allerdings sollte man das Abenteuer vorwiegend im Handheld-Modus genießen. Auf dem TV verwaschen die Pixel analog zur Bildschirmgröße und wirken bei Weitem nicht so schick wie auf dem kleinen Touchscreen, der im Übrigen für keinerlei Aktionen eingesetzt wird.

Fazit

Eine derart unterhaltsame sowie schicke Verbeugung vor klassischen Japan-Rollenspielen gab es schon lange nicht mehr. Zwar schreiben Acquire und Square Enix dem Grind bei Octopath Traveller als traditionelle Motivationstriebfeder für die üppige Charakterentwicklung für meinen Geschmack zu viel Wert zu. Doch dem steht ein durchdachtes, vielfältiges sowie taktisches Rundenkampfsystem gegenüber, das klassische Werte behutsam erweitert und modernisiert, so dass ich den Grindfaktor weitgehend ignorieren kann. Die Inszenierung des umfangreichen Abenteuers, das gleichberechtigt auf acht Helden verteilt wurde, ist allerdings uneinheitlich. Nicht nur, was die Intensität oder Dramatik der einzelnen Storybögen betrifft, die zu lange parallel laufen, anstatt sich zu einem ganzheitlichen Erlebnis zu verbinden. Sondern auch in Hinblick auf die eingesetzte Sprachausgabe, die nur bei Schlüsselszenen komplette Dialoge wiedergibt und sich für den Rest der Zeit auf einsilbige Laute beschränkt. Das wiederum wird weitgehend von der stimmungsvollen Musik sowie dem unheimlich charmanten Artdesign der trotz einer gewissen Statik lebendig wirkenden sowie mit Geheimnissen und Nebenmissionen vollgestopften Welt aufgefangen, das 16-Bit-Sprites mit modernen Effekten und Diorama-Flair verbindet. Auch wenn wegen einer Sammlung an Kleinigkeiten die allerletzte Goldweihe fehlt, ist Octopath Traveller ein spielenswertes Abenteuer nicht nur Fans traditioneller Japan-Rollenspiel-Kunst.

Pro

facettenreicher Rundenkampf mit umfassenden taktischen Möglichkeiten
acht angenehm unterschiedliche Helden
Pfad-Fertigkeiten sorgen für Abwechslung im Umgang mit NPCs
Helden können mit zweiter Laufbahn versehen werden
umfangreiches Waffen-/Zauberarsenal
"offene" Welt mit verbundenen "Schlauchgebieten"
zahlreiche Geheimnisse und zig Nebenmissionen sorgen für Erkundungsreize
gute deutsche Texte
stimmungsvolle Musikuntermalung
Sprachausgabe wahlweise Englisch oder Japanisch

Kontra

uneinheitlich eingesetzte Sprachausgabe
Helden-Geschichten mit schwankender Dramatik
Hauptstories werden nur selten zusammengeführt
immer wieder Rückfall auf Grind
zufällige Kämpfe, deren Frequenz allerdings modifiziert werden kann

Wertung

Switch

Sympathisches Japan-Rollenspiel alter Schule mit einem starken Rundenkampf-System, etwas zu viel Grind und acht Helden, deren Geschichten von spannend bis banal reichen.

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