Budget Cuts29.06.2018, Jan Wöbbeking

Im Test: Schleichen mit vollem Körpereinsatz

Schon vor Verkaufsstart der HTC Vive sorgte ein Titel, der die neuartige Roomscale-Technik ganz besonders clever nutzte, für Aufsehen: In Budget Cuts (ab 26,79€ bei kaufen) wird man persönlich zum schleichenden Agenten und wirft eigenhändig Messer. Der Clou ist aber die geniale Teleportations-Mechanik, mit der man durch Luftschächte schlüpft und sich in brenzligen Situationen umschaut. Hat sich die lange Entwicklungszeit gelohnt?

Vorsicht vor Kollateralschäden!

Es gibt nur wenige VR-Titel, die mich schon nach Sekunden völlig vergessen lassen, wo genau ich mich in der realen Welt befinde. Mein Schreibtisch, zwei Schränke, das VR-Tischchen – sie alle waren Zeuge. Immer wieder sind die Vive-Controller im Kampf gegen die Roboter gegen das harte Holz geknallt. Eigentlich sollten die glühenden Grenzen des Chaperone-Gitters solche „Unfälle“ verhindern, doch mein Kampf- und Fluchtinstinkt in der virtuellen Welt war einfach stärker. Mir fiel nicht einmal auf, dass irgendwann meine Hose riss. Das Watscheln von einer kniehohen Deckung zur nächsten war offensichtlich zu viel für den Stoff. Nicht gerade würdevoll – aber als VR-Enthusiast bin ich Spott gewohnt. Alles für die Immersion!

Achtung, Alarm: Hier sollte man sich lieber nicht ins bewachte Zimmer beamen.
Wer sich bei VR-Spielen nicht viel bewegen will, ist hier eindeutig fehl am Platze, denn in Budget Cuts schleicht und kämpft man mit vollem Körpereinsatz. Immer wieder geht es in die Knie, um hinter der halbhohen Wand in einem Großraumbüro in Deckung zu gehen. Dort warte ich ab, bis die klappernden und piepsenden Wachroboter an mir vorbeispaziert sind und stecke ein paar als Brieföffner getarnte Klingen ins Inventar, um sie später auf Patrouillen zu werfen. Die Messer wurden von meiner Kontaktperson Winter bestellt, die mir zwischendurch telefonisch Instruktionen gibt und sich durch den Bürokomplex hackt.

Gefährlicher Stellenabbau

Nach und nach sind immer mehr menschliche Kollegen verschwunden, die durch robotische Arbeitsdrohnen ersetzt wurden. Da auch ich kurz vor dem Gang in die gefürchtete Personalabteilung stehe, hilft mir Winter aus der Misere, um hinter das Geheimnis der Verschwörung zu gelangen. Die Geschichte auf dem Weg durch die Flure bleibt nur schmückendes Beiwerk, ist aber motivierend genug, um das Geheimnis enträsteln zu wollen. Das Schönste an der absurden Situation ist der alberne, teil schwarze Humor, wenn die rundlichen Arbeitsdrohnen in der Küche sinnlos Dinge übereinander stapeln oder versuchen, Rituale wie Büro-Smalltalk zu imitieren. „Today seems like a good day for a good day“ – na sicher doch! Schön auch, wenn ich die komplette Mannschaft an Wachrobotern gemeuchelt habe und ein Büroarbeiter das als kollektives Nickerchen interpretiert: „I get it – a power nap!“.

Cleverer ist es, sich vor dem Beamen erst einmal umzuschauen. Sobald man die kleine blaue Kugel ans Ziel geschossen hat, sieht man durch den beweglichen Portal-Kreis in alle Richtungen. Ist die Luft rein, drückt man schließlich den Knopf für die Teleportation.
Die Wach-Roboter sind weniger zu Scherzen aufgelegt: Lande ich zu lange im Sichtfeld ihres leuchtenden Auges, stürmen sie herbei und erledigen mich per Waffe oder Hieb. Schnelle Ausweichbewegungen wirken dabei Wunder, so dass ich mich oft in letzter Sekunde in Sicherheit beame oder sie anders überliste. Schön, dass sie ihre Patrouillen-Routen auch mal variieren. Im Nahkampf ist ihre KI aber leider strunzdumm: Postiert man sich hinter einer Luke oder anderen unerreichbaren Hindernissen, lassen sie sich viel zu leicht anlocken und nacheinander abmurksen, zumal manche sogar über die „Leichen“ ihrer Kollegen stolpern. Schade auch, dass sie sich nicht einmal mit dem Wurf von Objekten auf die falsche Fährte schicken lassen. Knalle ich etwa einen Fensterreiniger an die Wand, stapft die Wache nicht in Richtung des Geräusches, sondern schnurstracks zu mir.

Geniales Gadget

Das Messerwerfen mit den Bewegungs-Controllern geht sehr präzise von der Hand. Im fummeligen Nahkampf treffen die Klingen weniger präzise oder bleiben auch mal in der Wand daneben stecken.
Unbefriedigend ist zudem der Nahkampf, wenn man den Blechkameraden den Lebensdraht am Hals durchschlitzen will. Viel zu oft bleiben Messer irgendwo anders im Roboter oder der Wand stecken. Deutlich unterhaltsamer ist es, die Messer mit der hochpräzisen Wurfmechanik zu schleudern, bis die „Opfer“ nach ein paar Sekunden Todeskampf piepsend „ausbluten“. Eine nette Ergänzung ist das Versteckspiel mit fliegenden Drohnen, die dank altertümlicher Technik die Eindringlinge erst einmal fotografieren müssen, um mit der Info zum nächsten Wachroboter zu brummen, bevor es gefährlich wird. Ein echtes Highlight ist die eingangs erwähnte Beam-Mechanik: Mit der Teleportations-Kanone ziele ich z.B. durch eine Klappe in einen Luftschacht. Bevor ich mich dorthin beame, kann ich erst einmal durchs Portal spicken, ob die Luft rein ist. Ich drehe das surrende Loch mit dem Bewegungscontroller um mich herum, schaue nach links und rechts klicke schließlich den Teleportationsknopf – flupp! Wenn ich den Knopf dabei gedrückt halte, geht das auch etwas langsamer - und dafür lautlos. So kann man schön hinter Büroparzellen schauen und sich in den verwinkelten Schächten sogar auf Anhöhen beamen, die ins nächste Stockwerk führen – sehr praktisch!

Bugs und andere Probleme

Die Rätsel drehen sich meist darum, passende Schlüsselkarten oder kleine Werkzeuge zu finden, die auf den Ausflügen durch Tunnels und Dachböden nützlich werden. Dabei kann das Durchwühlen von Mitarbeiter-Registern nützlich werden – sofern sie kurz vor ihrer „Liquidierung“ nicht noch den Schreibtisch mit einem Kollegen getauscht haben. Das Spiel bietet meist eine angemessene Menge an Tipps von Winter sowie Hinweisen aus der direkten Umgebung. Es verlangt aber auch, mitzudenken, die Umgebung zu erforschen und herauszufinden, wie sich die Wächter auch ohne Waffen sabotieren lassen. Manchmal gibt es mehrere Lösungsansätze für ein Problem – trotzdem bleibt die Handlung mit ihren getrennten Stockwerk-Levels insgesamt linear. Später sorgt allerdings in großen Arealen der Mangel an klaren Vorgaben für Frust. Wenn z.B. ein Boss den Spieler durch verzweigte Gänge jagt, wird es trotz Übersichtskarten ziemlich mühsam.

Erst einmal die Laufwege auskundschaften...
Auch rund um den Firmen-Großrechner stiftete die Level-Architektur Verwirrung: Als ich eine versteckte Biegung finden musste, führte mich ein Bug aus der Karte heraus in ein finsteres Niemandsland. Nach dem nötigen Neustart auf dem Stockwerk waren also fast alle vorigen Mühen und Kills umsonst. Nach dem Malheur hielt ich mich von der fehlerhaften Stelle fern, was allerdings auch das Erreichen eines wichtigen Raumes verhinderte. Also durchforstete ich weiter frustriert das Stockwerk, bis ich jeden Winkel in- und auswendig kannte. Immerhin stieß ich dabei in der Comic-Kulisse auf nette kleine Anspielungen. Dazu gehören z.B. die gescheiterten Versuche von Tüftlerin „Elaine Musk“, die ihrer Erfindung des Fidget-Spinners keine Verkaufschancen einräumt.

Wie gemacht für große Spielflächen

Endlich fertig und fehlerfrei?

Lange war es still um Budget Cuts vom Indie-Team Neat Corporation aus Stockholm. Der einstige Roomscale-Hoffnungsträger verschwand klammheimlich aus der Öffentlichkeit und rutschte nach längerer Funkstille schließlich auch aus unserer Liste kommender Highlights im VR-Channel. Vor kurzem tauchte das Spiel aber wieder aus der Versenkung auf und sollte eigentlich schon Ende Mai auf Steam erscheinen. Aufgrund technischer Fehler wurde der Release kurzfristig wieder abgeblasen. Ein schlechtes Omen? Nur bedingt, denn die Entwickler scheinen die Zeit genutzt zu haben: Bei unserem Durchgang mit der Vollversion waren die gröbsten Glitches ausgemerzt, welche die Framerate oder die Level-Architektur betrafen. Hier und da flackern zwar noch ein paar entfernte Wände uoder Dokument-Texte verschwinden. Einmal stiftete zudem ein fieser Fehler Verwirrung, der uns aus der Karte beamte. Aber immerhin störten keine fatalen Bugs mehr den Schleichausflug. Die Entscheidung für einen Comic-Stil erweist sich als gute Wahl: So lässt sich die Kulisse sogar mit einer GeForce GTX 970 fast immer flüssig darstellen - zumindest mit der Vive. Beim Einsatz der Oculus Rift kam es bei diesem Setup häufiger zu kleinen Rucklern. Zur Not reduziert man in den Optionen die Auflösung (es gibt allerdings nur zwei unspezifische Stufen: „fast“ oder „fancy“). Trotz des relativ „blanken“ Designs, das sich wie Portal und vergleichbare Knobelspiele an technischen Artefakten der Siebziger Jahre orientiert, bleibt die Immersion glaubwürdig. Wenn man an riesigen Mainframes oder Überwachungs-Terminals vorbeispaziert, denkt man schon nach wenigen Minuten nicht mehr über den Mangel an Details nach.

Die Bewegungssteuerung klappte bei uns mit beiden Systemen einwandfrei; im Fall der Rift kamen dabei drei Kameras zum Einsatz. Reserviert am besten eine große Spielfläche, da ihr sehr viel hantiert, an Türen vorbeihuscht oder in die Hocke geht. Wer mit weniger Platz oder nur zwei Rift-Kameras leben muss, bekommt immerhin die Möglichkeit, alternativ mit einer nach vorne ausgerichteten Spielfläche zu starten und sich per Stick zu drehen (in ruckartigen Schritten, um kein flaues Gefühl im Magen zu provozieren). Das funktioniert erstaunlich gut, vor allem mit dem Stick der Touch-Controller (bei den Vive-Touchpads reagieren die optionalen Drehungen etwas weniger präzise). Wir raten trotzdem zum kompletten Roomscale-Setup mit möglichst großer Spielfläche und echten 360-Grad-Drehungen, weil man so noch intensiver ins Agenten-Abenteuer eintaucht. Ein wenig störend auf den Spielfluss wirken sich übrigens die langen Ladezeiten und die etwas umständlichen Menüs aus. Zudem gibt es keine deutsche Übersetzung, so dass man mit der (gelungenen) englischen Vertonung Vorlieb nehmen muss.

Fazit

Endlich wieder ein Roomscale-Titel, in dem ich die reelle Realität zeitweise völlig vergesse! Bislang hat es nur Superhot VR geschafft, derart viel Präsenz zu vermitteln, doch in Budget Cuts bewegt man sich glaubwürdig durch viel größere Areale. So habe ich mir ein Schleichspiel in VR vorgestellt – zumindest was das Werfen von Messern und die Fortbewegung mit der coolen Portal-Mechanik angeht! Ich muss mit vollem Körpereinsatz durch Schächte kriechen, mich hinter Schreibtischen in Deckung begeben, Schubladen durchwühlen und Wachroboter abmurksen – oder sie auch mal anderweitig austricksen. Schade, dass nach wie vor einige Bugs für Frust sorgen. Auch die ungenauen Nahkämpfe und mitunter verwirrenden Rätsel wirken in dem verwinkelten Bürokomplex nicht immer ausgereift. Viel zu oft irrte ich durch die Gänge, weil es an klaren Aufgabenstellungen mangelte oder ich durch eine eigentlich massive Wand flutschte. Trotz einiger hölzerner Momente würde ich Besitzern eines Roomscale-Setups aber empfehlen, Budget Cuts auszuprobieren. Das Spieldesign ist zwar bei weitem nicht so geschliffen wie in klassischer Stealth-Action am Bildschirm – versetzte mich aber immerhin sehr intensiv und glaubwürdig in eine andere Welt.

Pro

extrem immersives Vorantasten
geniale Portalmechanik fürs Umschauen und durch-Luken-Schlüpfen
Schleichen mit vollem Körpereinsatz, ohne dass es zu anstrengend wird
physikalisch genaue, präzise Messerwürfe per Bewegungssteuerung
viel alberner und schwarzer Humor
verzweigte Bürokomplexe und Lüftungsschächte
gelungener Comic-Stil im Retro-Design

Kontra

schwache Wachroboter-KI
Wegfindung und Rätsel in späteren Levels mitunter verwirrend
unbefriedigender Nahkampf
Klingen bleiben oft unbeabsichtigt in Wänden stecken
Wand-Glitches sorgen für Flackern oder lassen den Spieler aus der Map rutschen
lange Ladezeiten und etwas umständliche Menüs

Wertung

HTCVive

Trotz einiger nerviger Macken bei Technik und Rätsel-Design ist Budget Cuts ein unheimlich intensives VR-Schleichspiel mit vollem Körpereinsatz und cooler Teleportations-Mechanik.

VirtualReality

Trotz einiger nerviger Macken bei Technik und Rätsel-Design ist Budget Cuts ein unheimlich intensives VR-Schleichspiel mit vollem Körpereinsatz und cooler Teleportations-Mechanik.

OculusRift

Trotz einiger nerviger Macken bei Technik und Rätsel-Design ist Budget Cuts ein unheimlich intensives VR-Schleichspiel mit vollem Körpereinsatz und cooler Teleportations-Mechanik.

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