Archangel (VR)24.07.2017, Mathias Oertel
Archangel (VR)

Im Test: Railshooter mit Riesenmech

Der haushohe Mech, in dem man sitzt, könnte auch aus Guillermo del Toros Pacific Rim stammen. Im VR-Titel Archangel kämpft man allerdings nicht gegen eine außerirdische Bedrohung, sondern ist als Racheengel unterwegs, um die Unterjochung der menschlichen Gesellschaft durch eine unbarmherzige Militärfraktion zu beenden. Wir haben uns für den Test ins Cockpit hinter der PlayStation-VR-Brille gezwängt.

Shooter mit Story

Man erfährt nur in Fragmenten, wieso die Umgebungen, die man in seinem turmhohen Mech durchstreift, einen postapokalytischen Eindruck hinterlassen. Man weiß nicht wirklich, wieso man in der Rolle des Rebellen-Toppiloten Gabriel (bzw. Gabrielle, wenn man die weibliche Variante wählt) auf der Seite der Rebellen gegen die Herrschaft der oppressiven Militärdiktatur HMNX (Humanix) kämpft. Doch am Ende der überraschend langen, sich angenehm Zeit lassenden sowie überzeugend inszenierten Einleitung, in der man auch eindrucksvoll mit dem Lift zur Pilotenkanzel des gut 30 Meter hohen Mechs transportiert wird, erfährt man wenigstens, warum man zum Racheengel auf einer Art Selbstmordmission wird, die einen etwa fünf bis sieben Stunden beschäftigen wird.

Das Cockpit hinterlässt vor allem in VR einen sehr plastischen Eindruck und ist eines der Highlights in einer weitegehend soliden Kulisse.
Dass die Inszenierung immer wieder mit filmischen Mitteln wie clever eingestreuten sowie in einer verzerrten Pixelwelt spielenden Rückblenden aufgewertet wird, kommt nicht von ungefähr: Skydance Interactive ist die Spielesparte von Skydance Media. Und die wiederum steht als Produktionsfirma seit etwa 2010 hinter Titeln wie Jack Reacher,  World War Z, Mission Impossible Rogue Nation oder den modernen Star-Trek-Filmen. Dementsprechend wird auch die mitunter dramatische Musikuntermalung gut eingesetzt, während die (englische) Sprachausgabe aller Figuren ebenfalls eine hohe Qualität besitzt. Doch nicht alles ist auf dramaturgischer Seite allererste Sahne: Die eingespielten Filme bei Dialogen mit den Flügelleuten oder dem sich immer wieder einmischenden Antagonisten sind weder umfangreich animiert noch lippensynchron.

Mech Crisis

Die Railshooter-Action wird solide inszeniert, bietet aber schon mittelfristig zu wenig Variation innerhalb der Gegner-Palette.
Bei der Action zu ihrem ersten komplett eigenen Titel, nachdem man u.a. als Zulieferer bei Gears of War 4 (Bike- und Fahrstuhlsequenzen) tätig war, zeigt Skydance allerdings eine Menge Potenzial: Als klassischer Rail-Shooter angelegt, hat man es anfangs nur mit Infanterie-Truppen, Panzern oder leichten Fliegern zu tun, die schnell Opfer der MGs bzw. Raketen werden, die man von den idealerweise via Move kontrollierten Armen abschießt. Später kommen noch eine Railgun sowie zielsuchende Geschosse hinzu, die vor allem gegen die aus der Luft angreifenden Feinde ein probates Mittel sind. Entgegenkommende Geschosse kann man mit den Schilden abwehren, die an jedem Arm ausgefahren werden können, aber nur bedingt halten, bevor sie wieder aufladen müssen. Und zu guter Letzt kann man die Mechfäuste zu einem Schlag ausfahren, um in den Nahkampf gehende Gegner auf Distanz zu halten. Das Ganze funktioniert auch mit einem Standardcontroller, wobei die Knöpfe ebenso gut und intelligent belegt sind wie mit Move. Die duale Steuerung hat allerdings einen Vorteil: Jeder Arm hat sein eigenes unabhängiges Fadenkreuz, wohingegen per Controller nur ein gemeinsames Fadenkreuz bietet, das allerdings auch über die Bewegung des Pads im Raum und nicht über die allgemeine Kopfbewegung gesteuert wird. Und durch eine Bewegung vor den Körper kann man die Schilde über ihre Standard-Position bei Controller-Nutzung hinweg hieven. Da die Move-Bewegungen dabei auf einen kleinen Raum begrenzt sind und wie die Kopfbewegungen gut erfasst werden, aber gleichzeitig auch eine gewisse Trägheit des Riesenmech zu spüren ist, fühlt man sich in der Tat, als ob man in dem Kontrollzentrum der mobilen Waffe sitzt.

Obwohl es unter dem Strich nicht genug Abwechslung innerhalb der Gegnertypen gibt, werden die Gruppen dennoch anspruchsvoll gemischt. So wird man kontiniuerlich gefordert, da man idealerweise ständig zwischen den Waffensystemen wechselt, um ihre Stärken gegenüber bestimmten Feinden auszuspielen, während man gleichzeitig immer wieder taktisch klug den Schild setzen muss. Schon auf ”Normal”, dem zweiten von vier Schwierigkeitsgraden, wird man ordentlich auf die Probe gestellt und sich wohl auch ein ums andere Mal den HMNX-Truppen geschlagen geben müssen. Das ist zwar im Normalfall kein Problem, da innerhalb der durchaus umfangreichen Abschnitte vernünftige Kontrollpunkte gesetzt werden, von denen man aus mit voller Mech-Energie startet. Wenn man allerdings innerhalb einer Mission ins Hauptmenü zurückkehrt oder das Spiel komplett schließt, gibt es beim nächsten Start eine böse Überraschung: Wie beim VR-Kollegen Farpoint fängt man nicht beim letzten Checkpunkt, sondern am Anfang des Abschnittes an - und die mitunter üppigen Dialoge lassen sich in diesem Fall auch nicht unterbrechen. Hier ist man für mein Empfinden zu sehr auf die alte Schule fixiert, obwohl mich das grundlegende Konzept mit seiner Orientierung an klassischen Mechaniken à la Time Crisis immer wieder dazu überreden kann, einen neuen Versuch zu unternehmen. Und im Zweifelsfall muss man eben einen Abschnitt zu Ende spielen, bevor man aufhört - wenn man es weiß, kann man sich darauf einstellen.

Gut, aber...

Obwohl die Bewegungserfassung problemlos funktioniert, der Platzbedarf erfreulich gering und die Immersion angenehm hoch ist, gibt es einige Kleinigkeiten, die neben dem Kontrollpunkt-System dafür sorgen, dass sich Archangel nicht an vergleichbaren Titeln wie Until Dawn: Rush of Blood oder dem bereits erwähnten Farpoint vorbeischieben kann. Während das Upgrade-System auch dazu animieren kann, bereits erledigte Abschnitte nochmal zu spielen, um weitere Punkte für die nächste Verbesserungen zu bekommen, gibt es kleine Mankos bei der Technik. Zum einen gibt es unverhältnismäßig hohe Ladezeiten, die nicht nur beim initialen Levelstart, sondern auch bei jedem erzwungenen Neustart nach Bildschirmtod zu

Abwechslung von den dominierenden Wüstenabschnitten kommt beinahe zu spät.
spüren sind. Da die von der Unreal Engine aufgebaute Kulisse zwar ordentlich aussieht, aber auch nicht außergewöhnlich ist, sind die dafür benötigten Ladezeiten schon ungewöhnlich und zehren an den Nerven. Apropos Kulisse: Hier kommt es leider zu spät zu Abwechslung.

Auch und gerade weil die ersten Abschnitte in erster Linie dazu dienen, die Grundstimmung zu legen, gibt es hier zu wenig Variation, um für Faszination zu sorgen. Die anfängliche Mischung aus Mad Max und Einschlägen aus Spec Ops: The Line kann zwar die Postapokalypse ansprechend vermitteln, bleibt aber zu lange zu spröde. Erst mit den späteren Abschnitten, in denen man nicht nur verwüstete Hochhausschluchten, sondern auch Gebirgszüge zu sehen bekommt oder durch eine gegnerische, leicht faschistisch angehauchte Basis läuft oder in der Nacht die gleißenden Explosionen bestaunen kann, gibt es die nötige Abwechslung. Zudem wäre es für die Gesamtatmosphäre zuträglich gewesen, wenn im Rahmen der wuchtigen Akustik nicht nur die knackigen MG-Schüsse oder die massiven Explosionen, sondern auch das Stampfen der sicherlich nicht leisen Fortbewegung des massiven Mechs für Furore sorgen würde. In diesem Zusammenhang ebenfalls bemerkenswert: Die gesamte Mechanik des laufenden futuristischen Panzers, in dem man sitzt, wird glaubwürdig animiert. Doch während das Höhengefühl gut wiedergegeben wird, muss man beim Herunterschauen feststellen, dass es keine animierte Fortbewegung gibt. Zwar bewegt sich das Chassis leicht hin und her, doch Beine sucht man vergebens - insofern also eigentlich kein Wunder, dass man kein entsprechendes Stampfen hört bzw. dieses nur sehr verhalten klingt.

Fazit

Skydance Interactive haben bei ihrem ersten eigenständigen Spielprojekt (bisher hat man u.a. für The Evil Within oder Gears of War 4 zugearbeitet) einen ordentlichen Rail-Shooter für VR abgeliefert. Angetrieben von einer plakativen, aber gut inszenierten Story ist man als Pilot eines Pacific-Rim-ähnlichen Mechs unterwegs, um die gegnerischen Horden mit Waffengewalt auszuschalten. Dabei weht dank sauber integrierter, dynamischer Schildmechanik, die insbesondere bei der gut erkannten Move-Steuerung zum Tragen kommt, auch immer wieder ein Hauch von Time Crisis durch die saubere, aber vor allem in der Anfangsphase zu selten variierenden Kulisse. Bedingt durch u.a. eine inkonsequente Kontrollpunkt-Speicherung (momentan wird nach einem Spielneustart nicht beim letzten Checkpunkt, sondern am Levelanfang fortgesetzt), wenig Gegnervariation sowie ungewöhnlich hohen Ladezeiten knickt die Motivation allerdings immer wieder ein. Dem steht allerdings ein solides Upgrade-System gegenüber, das zusammen mit dem allgemein fordernden Schwierigkeitsgrad immer wieder dafür sorgt, dass man den Kampf gegen HMNX zu Ende bringen möchte.

Pro

gute Bewegungserkennung
auch mit Controller spielbar
solide inszenierte Railshooter-Action mit dynamischer Schild-Deckung und Waffenwechsel
wuchtige Akustik
stimmungsvoller Soundtrack
fordernder Schwierigkeitsgrad
interessante Story, die anfangs angenehm entschleunigt erzählt wird
Mech kann in verschiedenen Bereichen aufgerüstet werden

Kontra

bereits erreichte Kontrollpunkte werden beim Neustart nicht anerkannt
herbe Ladezeiten
anfangs wenig visuelle Abwechslung
schwach animierte Dialogeinspieler
Controller-Steuerung mit weniger Optionen als bei Move-Wahl
auf Dauer wenig Gegner-Variation

Wertung

VirtualReality

Solider Railshooter mit futuristischem Mech-Thema und sauberer Bewegungserkennung, der über ein paar technische Mankos stolpert.

PlayStationVR

Solider Railshooter mit futuristischem Mech-Thema und sauberer Bewegungserkennung, der über ein paar technische Mankos stolpert.

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