Shooter
Entwickler: Action Forms
Publisher: 1C Company
Release:
28.05.2009
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Durchschnittswertung

81%Gesamt
81%

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Lesertest von mr archer

Cryostasis vom ukrainischen Studio Action Forms aus dem Jahr 2008 ist einer der ambitioniertesten PC-Shooter der letzten Jahre und aus vielerlei Gründen mehr als nur einen Blick wert.

Schauplatz des Spieles ist der sowjetische Atomeisbrecher "Nordwind", der aufgrund eines Kommandofehlers in der Arktis einen Eisberg rammt und daraufhin havariert liegen bleibt. Die unerbittliche Natur überwältigt schnell Technik und Mannschaft, der Reaktor schmilzt, eine Meuterei bricht aus. Im Bauch des Schiffes kämpft die Crew inmitten einbrechender Wassermassen und versagender Aggregrate um ihr nacktes Leben. Auf der Brücke spielt sich derweil ein Drama um Loyalität und Verrat ab.

Diese Katastrophe werden wir in Flashbacks miterleben und Stück für Stück verhindern. Denn zum Zeitpunkt der Ankunft unseres Helden ist das Unglück längst geschehen und der Eisbrecher zu einem beklemmenden Sarkophag aus Stahl und Eis für die in ihm gefangene und wahnsinnig gewordene bzw. mutierte ehemalige Crew geworden. Vom Kielraum bis hinauf auf das Oberdeck und zur Brücke werden wir uns durch das verwinkelte, in eisiger Kälte erstarrte Schiff kämpfen, uns erst mit den blanken Fäusten und dann mit Schusswaffen der feindlichen Kreaturen erwehren, in ruhigeren Momenten in einer Art "Profiler-Flashback" Szenen aus der Vergangenheit miterleben. Und immer wieder werden wir mit Hilfe unserer Fähigkeit des "mentalen Echos" in den Geist der Verstorbenen eindringen, um mit ihren Augen deren letzten, fatalen Moment mitzuerleben - und ungeschehen zu machen. Und wenn wir ganz am Ende angelangt sind, werden wir der Zeit selbst die Kontrolle entreißen müssen, um den letzten Schritt zu gehen. Buchstäblich.

Die Kälte ist bei all dem neben den unglücklichen Seelen der "Nordwind" unser eigentlicher Feind. Sie schwächt permanent unsere Ausdauer, Beweglichkeit und Widerstandskraft. Und in besonders kalten Arealen führt sie innerhalb weniger Augenblicke zum Tod. Um dies zu verhindern, müssen wir uns immer wieder an "Hotspots" im wahrsten Sinne des Wortes aufwärmen. Schreibtischlampen und Glühbirnen gilt es einzuschalten und Motoren zum Laufen zu bringen. Ja, selbst der freiliegende Reaktor wird für uns zur lebenspendenden Wärmequelle - für einen Preis. Action Forms haben das gesamte Healthsystem des Spiels um diese Designidee gebaut und damit ihrem Spiel ein ganz eigenes, eher langsames und damit die Spielwelt atmosphärisch sehr überzeugend widerspiegelndes Tempo geschaffen, das dem Spiel eine interessante, beinahe kontemplative Ruhe verschafft. Dies wird noch durch den Fakt unterstützt, dass es keine Ingame-Musik gibt. Nur unsere Schritte, unser gefrierender Atem und das Heulen des arktischen Sturms bilden hier die wie zum Schneiden angespannte Soundkulisse, bevor der Lärm eines Kampfes sie kurz unterbricht.

Technisch bewegt sich Cryostasis auf unglaublich hohem Niveau, was sich leider im Rechenhunger des Spiels niederschlägt. Die Wasser- und Lichteffekte dieses Titels sind allererste Liga. Die Oberflächentexturen sind (um im Bild zu bleiben) zum dahinschmelzen. Für solche Spiele hält man sich einen PC. Diese technische Brillanz verkommt aber nicht bloß zum reinen Gepose. Nein, sie steht jederzeit im Dienst der zu erzählenden Geschichte und zu erzeugenden Atmosphäre. Noch nie war der Winter in einem Videospiel so mächtig, tödlich und dabei strahlend schön wie in Cryostasis.

Leider kann das Gameplay all dem nicht standhalten. Was als Survival-Horror-Shooter gedacht war, entpuppt sich immer wieder als kurze, streng linear aufgebaute Level-Freakshow von nicht so recht ins Setting passenden KI-Pappkameraden, die mit wenigen Ausnahmen viel zu leicht zu besiegen sind. Auch wenn die Gegner immer wieder durch Scripte in teils sehr guter Regie in Szene gesetzt werden - der Kampf mit ihnen ist langweilig, repetativ und unspannend. Und auch das sperrige Waffenarsenal lässt nicht so recht Freude aufkommen. Hinzu kommt als weiterer Kritikpunkt die zwar ambitionierte aber unausgegoren wirkende Geschichte, in der sich Handlungsstränge widersprechen und die von den Entwicklern mit vielerlei Ballast (unter anderem einer erzählten Parallelhandlung) behangen wurde, der auf dem Papier zwar sicher gut geklungen hat, das Ganze aber nicht wirklich bereichert sondern den Spieler immer wieder in einer die Immersion behindernden Verwirrung hinterlässt.

Also viel gewollt und nix gekonnt? Nein. Viel gewollt, eine Menge gekonnt und nicht alles erreicht. Cryostasis bleibt trotz aller berechtigter Kritik ein weithin sichtbares Ausrufezeichen in der FPS-Landschaft. Auf so einem Niveau muss man erstmal scheitern. Ukrainische Studios, Ahoi! Macht weiter so. Ihr seid die Guten. Auf das Ihr immer eine handbreit Wasser unter dem Kiel habt.
Pro
  • Atmosphäre-Bombe (Bioshock, geh weinen!)
  • Endlich mal wieder richtig Winter.
  • Endlich wird das technische Potenzial des PC von einem Spiel einmal wieder voll abgefordert.
  • unverbrauchtes, interessantes Setting
  • interessante Gameplay-Ideen
  • "Mentales Echo" bietet immer wieder Abwechslung vom üblichen Shooter-Geschäft
  • ambitionierte Geschichte auf den Spuren klassischer Abenteuerliteratur
  • Endlich mal nachvollziehbare menschliche Konflikte und nicht zum x-ten Mal eine Weltrettung mit Nazis, Alliens und dem üblichen Gedöns.
  • Mitunter brillante inszenatorische Einfälle
  • Umwelteffekte zum Niederknien
  • insgesamt hohe allgemeine Produktionsqualität und Liebe zum Detail
  • Gute internationale Sprachausgabe
  • Freies Speichern
  • Kein DRM
  • die hübschesten Schlittenhunde der Videospielgeschichte
Kontra
  • extremer Rechenhunger
  • das Spiel stabilisierender PhysX-Patch nur für nVidea-Karten
  • Wiederspielwert eher gering
  • Levelgestaltung insgesamt zu monoton (Ja, das Setting. Aber trotzdem.)
  • Grundschwierigkeit zu niedrig (Kämpfe zu leicht, mentale Echos bei Scheitern beliebig oft wiederholbar)
  • Story passt in einigen ihrer Teilelemente nicht zusammen und hinterlässt unfreiwillig zu viele Fragezeichen
  • KI nur durchschnittlich
  • Kampf schwergängig und träge
  • Gegner passen teilweise nicht ins Setting
  • aufgesetzt wirkende Bosskämpfe
 

Cryostasis

Cryostasis: Sleep of Reason
mr archer
mr archer 10.03.2012 PC 
81%
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