Taktik & Strategie
Release:
19.09.2014
16.10.2015
13.09.2018
16.10.2015
Erhältlich: Digital (Steam, GOG), Einzelhandel
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Durchschnittswertung

77%Gesamt
77%

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Lesertest von Urban-Nebu

Seit einer Weile befindet sich meine Truppe in einem zermürbenden Gefecht mit einer Bande von "Raidern". Aus guter Deckung heraus nehmen zwei meiner Schützen die Bande Stück für Stück auseinander. Um mich zu erreichen müssen sie eine Brücke überqueren, die genau im Schußfeld liegt. Der Berg davor, an dahingeschiedenen Raidern, spricht für sich. Ich scheine den Austragungsort des Gefechts gut gewählt zu haben und lobe mich innerlich selbst als herausragenden Taktiker. Als ein besonders cleveres Exemplar dieser Gattung meine Stellung umgehen wollte, ist es prompt auf eine von mir zuvor gelegte Mine getreten. Körperteile fliegen durch die Gegend und ich freue mich wie ein fieses Schnitzel (Was natürlich nicht okay ist!). Ein anderer Raider stürmt gut gepanzert heran. Den werde ich wohl nicht einfach ausschalten können. Ich laße auf seine Beine schießen und siehe da ... er fällt. Das Aufstehen und Weiterennen werden ihm wohl genug Aktionspunkte kosten, damit ich ihn ausschalten kann, bevor er Schaden anrichtet. Dann passiert etwas Unerwartetes, als der Gang-Boss schwer bewaffnet auftaucht. Ich werde wohl ... Moment.
Das alles sind Erinnerungen, als ich 2001 begeistert und Nächte lang "Fallout Tactics" spielte. Jetzt ist 2014 und ich sitze vor "Wasteland 2", das von soviel taktischer Raffinesse, Anforderung und Spannung weit entfernt scheint und mich daher unbemerkt abdriften hat lassen. Bis auf den Kopf kann nur der Körper bei Gegnern als Trefferzone anvisiert werden. Da war selbst das 1999 erschienene "Jagged Alliance 2" schon weiter. Zudem wirk oftmals unklar, was meinen Rangern als Deckung dienen kann. Erweiterte Bewegungsoptionen (Kriechen, Stealth-Mode, Rückwärtsbewegung, ...), die ebenfalls Auswirkungen auf die Deckung haben könnten, fehlen ebenfalls. Es gab fast keine Kampfsituation, selbst im höheren Schwierigkeitsgrad, die sich nicht mit einer einfach Feuerlinie lösen ließ: Man stelle also die Gruppenmitglieder in eine Reihe auf und aktiviert die Aufmerksamkeit der Gegner durch einen Fernschuß, oder durch ein vorgelagerten Ranger, der sich dank seines hohen Initiativwerts schnell wieder in die eigenen Reihen zurück zieht.

Das Kampfsystem ähnelt auf Grund der eher limitierten Aktionspunkte dem neueren XCOM: Eine Bewegung, eine Aktion. Taktiker kommen hier also generell nicht auf ihre Kosten, schon durch die mangelhafte Balance. Während mein selbsterstellter Charakter zu Beginn nicht einmal direkt vor ihm stehende Gegner traf, konnte dieser nach wenige Einsätze später und nach richtiger Erfahrungspunktevergabe im Automatik-Feuermodus selbst weitentfernte Gegner durchgängig mit 98% Treffsicherheit ausschalten.

Was in den Vorgängern (Jagged Alliance, Fallout, X-COM, Baldurs Gate, Planescape Torment, etc.) zugegebener Weise häufig zu fummlig erschien, ist bei Wasteland 2 zu sehr simplifiziert worden. Auch die Gesamtpräsentation führt zur Ernüchterung. Auf das noch ansprechend wirkende Menü folgt ein Intro-Video, dass wahrscheinlich selbst an den Maßstäben der Qualitätssicherung der 1990er Jahre gescheitert wäre. Überhaupt wirkt die Grafik nicht sehr ansprechend, was vielleicht zu vernachlässigen sein könnte, wenn sich nicht zudem kleinere und größere Fehlstellungen anschließen würden:
- NPCs werden von der Spielgrafik oftmals als Figuren völlig anders dargestellt, als sie nach ihrem Portraits aussehen müssten (Portraisdopplungen inklusive).
- Sinnfreies durchlaufen von bereits erkundeten Arealen um den Ausgang zu erreichen.
- Endlose Wiederholungen von Skripts, trotz Klärung der dazugehörigen Trigger (z.b. "Du hörst ein Kratzen an einer Tür").
- Vorhandensein obsoleter Questitems und unlogisch und falsch getriggerte Quests.
etc.

Solche und ähnliche Probleme sind sicherlich Dinge, die bereits aus den "Klassikern" bekannt sind. Aber gerade deswegen wirkt Wasteland 2 beinahe anachronistisch. Für eine mit rund drei Millionen über Crowdfunding initiierte Produktion, mit besonderes bemühter Rückkopplung zur "Fan-Base" und "Genre-Community" ist das Resultat eigentlich mangelhaft - als wären die Erfahrungen und Entwicklungen seit den 1990er Jahren nicht eingeflossen.

Dennoch weiß Wasteland 2 zumindest im erzählerischen Bereich zu Punkten. Von vornherein ahnt man die großen Verstrickungen, in die man sich hineinbegeben wird. Man will mehr von diesem desolaten und verstrahlten Arizona erfahren und merkt gleich, dass hinter vielen Andeutungen mehr steckt. Lobenswert zu erwähnen ist sicherlich, dass man schon zu Beginn durch seine Entscheidungen eine fast völlig anderen Handlung der Geschichte mitbestimmt. Aber das ist zu wenig, wenn man sich, um die volle Wahrheit zu erfahren, dafür wegen mangelhafter Mechanik und Präsentation durch das Spielgeschehen durch quälen muss.
Wasteland 2 reanimiert leider das Genre nicht. Es reiht sich eher in die Linie der mangelhaften Erscheinungen der letzten Jahre ein (z.b. Back in Aktion, Eden ...) und ist nach "Shadowrun Returns" ein weiterer Kickstart-Missgriff. Bedauerlich.
 

Wasteland 2

Wasteland 2
Urban-Nebu
Urban-Nebu 01.10.2014 PC 
68%
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