Kolumne

hundertprozent subjektiv

KW 22
Dienstag, 31.05.2016

Immersion: Wann reißt Action mit?


Was ist es, das uns hilft, in ein Spiel zu versinken? Es nicht nur zu spielen, sondern mit Haut und Haaren Teil seiner Welt zu werden.

Diese viel beschworene Immersion ist für mich einer der wichtigsten Aspekte jedes Spiels und ich habe mir in der Vergangenheit schon Gedanken dazu gemacht, wie sie entstehen und was sie verhindern kann. Die Antwort lässt sich natürlich nicht an einem oder zwei Punkten festmachen, aber in Alien: Isolation schien es z.B. offensichtlich: das eindringliche Szenario scheint ohnehin wie gemacht, um darin zu versinken – dazu das langsame Vorantasten, die ständig präsente Gefahr und vor allem die selten so konsequent umgesetzte Art, mit der man die Aktionen der Protagonistin am Gamepad nachahmt.

Doch zuletzt kam ich erneut ins Grübeln: Warum werde ich selbst dann in einen Sog der Euphorie gezogen, wenn ich in Doom gegen Dutzende Dämonen kämpfe? Woher kommt meine große Faszination für die weitläufigen Arenakämpfe in Bioshock Infinite. Und wieso hat mich ein Borderlands: The Pre-Sequel begeistert, obwohl es im Wesentlichen eine Aufbereitung seines Vorgängers war?

Ist spektakuläre Action denn nicht nur ein aufwändig produzierter Hingucker?

Ganz und gar nicht! Zumindest nicht in den erwähnten Beispielen. Denn die verbindet vor allem eins: Sie beherrschen die Kunst der Bewegung.

Ich bin ja ohnehin ein Fan ausgefallener Aktionsmöglichkeiten. Deshalb schwinge ich mich heute noch am Lasso eines Bionic Commando in Schwindel erregende Höhe oder klettere in Aliens vs. Predator an Wänden und Decken entlang.

Vor allem aber werde ich dann zum Fan, wenn diese Bewegungen nicht nur Selbstzweck, sondern ein zentraler Bestandteil der Action sind: wenn ich in Bioshock Infinite mit einem Satz von der Skyline einen Gegner attackiere, mich sofort zum nächsten Angreifer teleportiere, ihm aus unmittelbarer Nähe eine Rakete ins Gesicht drücke, um im folgenden Augenblick schon wieder per Skyline zwei Straßenzüge entfernt zu sein.

In Doom sind es die hohe Schnelligkeit und die große Beweglichkeit, mit denen man während eines Doppelsprungs einen Gegner ausknockt, seinem Feuerball durch einen Richtungswechsel noch in der Luft ausweicht und ihm bei der Landung die Brust aufreißt.

In Far Cry rutsche ich aus dem Lauf heraus in Deckung, in Gravity Rush lasse ich mich quer zur Erdanziehung "fallen", in Borderlands: The Pre-Sequel verschaffe ich mir schwebend eine bessere Position.

Und obwohl es kein typisches Actionspiel ist: Auch im kommenden Mirror's Edge Catalyst nutzt man den Schwung der Bewegung, um einen Gegner z.B. aus dem Lauf heraus zu treffen und ohne Unterbrechung weiter zu sprinten. Darauf freue ich mich trotz in der Beta erkennbarer Schwächen mehr als auf die meisten der anderen kommenden Spiele.

Es geht mir ohnehin nicht um die Qualität der Spiele in ihrer Gesamtheit. Ich blicke nur auf Aspekte einzelner Actionszenen.

Warum ich so viele Beispiele aufzähle? Weil diese martialische Akrobatik für mich ein elementarer Bestandteil ist, ohne den gute Action gar nicht entstehen kann! Wo liegt denn der Reiz, wenn man einen behäbigen Hintern über ein austauschbares Schlachtfeld schiebt oder hinter einer halbhohen Mauer ausruht, um "Moorhühner" anzuklicken? Ein eindringliches Erlebnis sieht anders aus. Immersion spüre ich in solchen Schießbuden kaum.

Vielleicht liegt es ja daran, dass ich mit Spielen aufgewachsen bin, die eine Steuerung nur per Tastatur propagiert hatten. Das Tanzen der Finger über den Tasten W, A, S und D war damals Kernpunkt der Action. Mit einem Schritt zur Seite ist man in Deckung gerutscht und wieder zurück. Bis zum letzten Augenblick ist man mitten im Schussfeld der Gegner ihren Angriffen ausgewichen, um so lange wie möglich eigene Treffer zu landen. Das erforderte nicht nur koordiniertes Zielen, sondern auch gekonntes Bewegen. Es verlangte Timing, Präzision und im Schnitt mehr Aufmerksamkeit als viele Shooter der vergangenen Jahre.

Und ich werde nie akzeptieren, dass mir ein Shooter diese energiegeladenen Showdowns raubt, weil er mich per Knopfdruck an eine Deckung klebt! Aber das nur nebenbei.

Es ist wie im Film: Das statische Ansehen spektakulärer Schauwerte hat seinen Reiz. Mitreißend ist Action aber erst, wenn sich Ereignisse überschlagen. Ein einziger, grandios choreografierter Faustkampf kann reichen. Er muss sich nur ständig entwickeln, immer in Bewegung sein. Und weil sich die Welt im interaktiven Medium buchstäblich um den Spieler dreht, muss seine Bewegung die treibende Kraft sein – in meinen Augen ist das der Inbegriff von Immersion, wenn es um Action geht.

Deshalb meine Vorliebe für Shooter, in denen nicht nur das Abschießen zählt, sondern das "körperliche" Erarbeiten möglicher Treffer mindestens gleichwertig ist. Natürlich gibt es auch taktisch geprägte Spiele, in denen der Rausch kinetischer Energie gar nicht im Vordergrund steht – die ziehen mich mit ganz anderen Qualitäten in ihren Bann und um die geht es hier nicht.

Deshalb bin ich außerdem so dankbar, dass id Software diesen Grundpfeiler mit Doom endlich wieder kompromisslos hervorhebt – dabei trifft gerade Doom aber auch eine ganz andere Bewegung auf den Punkt, nämlich die der Gegner. Denn nur weil der Held wie ein raketengetriebenes Wiesel durch die Gegend rast, entsteht noch lange keine Spannung. Vielmehr sind es die flinken Ausgeburten der Hölle, die das Blut mit jeder Sekunde eines laufenden Gefechts mit gesteigertem Nachdruck durch die Adern pressen.

Wie ihnen das gelingt? Weil sie den Spieler praktisch überall hin verfolgen. Es gibt keine sichere Position, keinen Raum zum Luftholen: Entweder warten die Dämonen schon dort, wohin man rennt, oder sie kommen kaum eine Sekunde später nach. Sie treiben den Spieler an und zwingen ihn so erst dazu, seine Aktionsmöglichkeiten überhaupt auszuschöpfen. Sie halten Spiel und Spieler ständig... in Bewegung.

Diese Mischung aus immerwährender Gefahr und überraschenden Entwicklungen, der daraus folgenden Akrobatik und spektakulären Erfolgen – das ist wirklich packende Action!

Und die gelingt in dieser Form nur wenigen Spielen. Wenn man selbst dem exzellenten Bioshock Infinite etwa eins vorwerfen kann, dann dass es seine taktischen Finessen zu zaghaft einfordert. Denn nicht alle Feinde bringen Booker in die Bedrängnis, seine akrobatischen Fähigkeiten unbedingt nutzen zu müssen. Nur wenn ihm Gegner wie ein Handyman z.B. selbst an den Skylines gefährlich wurden, ging die Formel aus Akrobatik und Spannung vollends auf.

Im Gegenzug ist das erste, bald acht Jahre alte Mirror's Edge genau deshalb ein grandioses Erlebnis: ohne den richtigen Schwung kommt Faith ja von Beginn an nicht voran, nicht hoch oder nicht weit genug. Die wichtigen Höhepunkte setzen schließlich jene Gegner, die über dieselben Fähigkeiten verfügen wie die agile Heldin. Während die ihr nämlich mit derselben Geschwindigkeit über jedes Dach folgen, wird man in einen Strudel aus Anspannung und Konzentration getrieben – heraus führen nur schnelle, präzise Bewegungen.

Wenn in solchen Momenten Anspannung und Geschick aufeinandertreffen, dann ist man mittendrin, vergisst die Realität und kehrt erst beim Innehalten danach langsam in die Wirklichkeit zurück.

Denn mitreißende Action entsteht aus der Bewegung heraus. Nicht in den Trümmern aufwändig animierter Explosionen.

Benjamin Schmädig
Redakteur

 

Kommentare

Smer-Gol schrieb am
Und wieder stimme ich absolut mit einer Kolumne überein. Gerade dieses Gefühl für Bewegung hat mich Farcry 2 mindestens zweimal durchspielen lassen und macht Mirrors Edge zu einem meiner Lieblingsspiele. Farcry 3 hat die Bewegung vernachlässigt, so hat mich auch das Spiel trotz mehrerer Anläufe gelangweilt (ok, nicht nur deswegen. Aber in Farcry2 hat es mich derart fasziniert, das man über mehrere Schwächen hinwegsehen konnte).
Mirrors Edge hat das Prinzip perfektioniert, es ist das Kernkonzept des ganzen Spieles und es hat mich völlig gebannt. Zum Glück hat man das bei DICE auch genauso verstanden und den 2ten Teil genauso gemacht, nur erheblich größer.
Schade das das nicht viele verstehen oder zumindest nicht den selben Faible dafür haben.
casanoffi schrieb am
Mortimer8701 hat geschrieben:Quasi. Man wurde in einem abgesperrten Bereich geleitet, und da waren wie so zehn "Pipiboxen" für Pissoirs aufgebaut, nur mit Rechnern und Bildschirmen statt Pissoirs. Jeder hat Kopfhörer bekommen und durfte dann versuchen, innerhalb von zehn Minuten das Level zu schaffen. Die Umgebung war nur recht spärlich ausgeleuchtet, im Prinzip haben die Bildschirme die komplette Lichtkulisse gebildet.
Meine Kumpels waren total geflasht und überlegten, ob sie es sich kaufen sollen, aber ich ging raus aus dem Bereich und fand es nur etwas doof, dass nach acht Minuten auf dem Bildschirm so ein Stachel vorne aus meinem Bauch schoss.
Witzig...
Na wenigstens hatte die dort die Sache ernst genommen :D
Also wenn Du in der Hinsicht so resistent bist, dann Hut ab.
Ich hatte mir schon in die Hose gemacht, lange bevor das Alien überhaupt zum ersten Mal aufgetaucht war.
Mortimer8701 schrieb am
casanoffi hat geschrieben:
Mortimer8701 hat geschrieben:"Alien: Isolation" war für mich handwerklich gut gemacht. Aber weil ich sehr panikresistent bin hat mich das Spiel beim Anzocken auf der Gamescom null begeistert; das Spiel ist für mich eher ein bloßes Reagieren darauf, was das Alien macht.
(...)Oder gab es dort kleine Einzel-Kabinen, in denen man das Spiel so zocken konnte, wie es sich gehört?
Alleine, im Dunkeln und mit Kopfhörern?
Quasi. Man wurde in einem abgesperrten Bereich geleitet, und da waren wie so zehn "Pipiboxen" für Pissoirs aufgebaut, nur mit Rechnern und Bildschirmen statt Pissoirs. Jeder hat Kopfhörer bekommen und durfte dann versuchen, innerhalb von zehn Minuten das Level zu schaffen. Die Umgebung war nur recht spärlich ausgeleuchtet, im Prinzip haben die Bildschirme die komplette Lichtkulisse gebildet.
Meine Kumpels waren total geflasht und überlegten, ob sie es sich kaufen sollen, aber ich ging raus aus dem Bereich und fand es nur etwas doof, dass nach acht Minuten auf dem Bildschirm so ein Stachel vorne aus meinem Bauch schoss.
casanoffi schrieb am
Mortimer8701 hat geschrieben:"Alien: Isolation" war für mich handwerklich gut gemacht. Aber weil ich sehr panikresistent bin hat mich das Spiel beim Anzocken auf der Gamescom null begeistert; das Spiel ist für mich eher ein bloßes Reagieren darauf, was das Alien macht.
Naja, tagsüber auf einer Messe mit ein paar 10.000 Besuchern pro Tag würde bei mir auch keine Stimmung aufkommen.
Zumindest keine, um ein nervenaufreibendes Horror-Abenteuer genießen zu können :D
Oder gab es dort kleine Einzel-Kabinen, in denen man das Spiel so zocken konnte, wie es sich gehört?
Alleine, im Dunkeln und mit Kopfhörern?
Mortimer8701 schrieb am
Ich bin nicht der größte Action-Fan, aber ich würde nicht sagen, dass der Faktor "Bewegung" und die damit einhergehende Flüssigkeit des Spiels der Schlüsselfaktor ist. Dies ist eher Mittel zum Zweck, etwas, damit das Spiel überhaupt erst funktionieren kann. Wenn das nicht gegeben ist dann ist es verständlich, dass man nicht eintauchen kann.
Das Schlüsselelement ist für mich etwas komplett anderes: das Setting. Die Umgebung muss für mich authentisch sein, damit ich überhaupt das Gefühl bekommen kann, ein Teil dieser Welt zu sein. Ein Negativbeispiel war in dieser Hinsicht Farcry 2, wo die Respawns an den Kontrollpunkten so irritierend für mich waren, dass ich nach wenigen Stunden Spielzeit das Spiel zur Seite gelegt habe. Im Gegensatz dazu spiele ich gerade Call Of Duty (1) wieder durch. Alles nach dem zweiten Teil (Modern Warfare ging auch noch teilweise) reichte nicht mehr an das WW2-Setting heran. Auch Mass Effect ist super. Fallout muss ich mir noch genauer ansehen, ich habe es noch nie richtig gespielt. Über Doom selber kann ich nicht urteilen.
"Alien: Isolation" war für mich handwerklich gut gemacht. Aber weil ich sehr panikresistent bin hat mich das Spiel beim Anzocken auf der Gamescom null begeistert; das Spiel ist für mich eher ein bloßes Reagieren darauf, was das Alien macht.
schrieb am