Benjamin Schmädig
Immersion: Wann reißt Action mit?Eine Kolumne von Benjamin Schmädig, 31.05.2016
Was ist es, das uns hilft, in ein Spiel zu versinken? Es nicht nur zu spielen, sondern mit Haut und Haaren Teil seiner Welt zu werden.

Diese viel beschworene Immersion ist für mich einer der wichtigsten Aspekte jedes Spiels und ich habe mir in der Vergangenheit schon Gedanken dazu gemacht, wie sie entstehen und was sie verhindern kann. Die Antwort lässt sich natürlich nicht an einem oder zwei Punkten festmachen, aber in Alien: Isolation schien es z.B. offensichtlich: das eindringliche Szenario scheint ohnehin wie gemacht, um darin zu versinken – dazu das langsame Vorantasten, die ständig präsente Gefahr und vor allem die selten so konsequent umgesetzte Art, mit der man die Aktionen der Protagonistin am Gamepad nachahmt.

Doch zuletzt kam ich erneut ins Grübeln: Warum werde ich selbst dann in einen Sog der Euphorie gezogen, wenn ich in Doom gegen Dutzende Dämonen kämpfe? Woher kommt meine große Faszination für die weitläufigen Arenakämpfe in Bioshock Infinite. Und wieso hat mich ein Borderlands: The Pre-Sequel begeistert, obwohl es im Wesentlichen eine Aufbereitung seines Vorgängers war?

Ist spektakuläre Action denn nicht nur ein aufwändig produzierter Hingucker?

Ganz und gar nicht! Zumindest nicht in den erwähnten Beispielen. Denn die verbindet vor allem eins: Sie beherrschen die Kunst der Bewegung.

Ich bin ja ohnehin ein Fan ausgefallener Aktionsmöglichkeiten. Deshalb schwinge ich mich heute noch am Lasso eines Bionic Commando in Schwindel erregende Höhe oder klettere in Aliens vs. Predator an Wänden und Decken entlang.

Vor allem aber werde ich dann zum Fan, wenn diese Bewegungen nicht nur Selbstzweck, sondern ein zentraler Bestandteil der Action sind: wenn ich in Bioshock Infinite mit einem Satz von der Skyline einen Gegner attackiere, mich sofort zum nächsten Angreifer teleportiere, ihm aus unmittelbarer Nähe eine Rakete ins Gesicht drücke, um im folgenden Augenblick schon wieder per Skyline zwei Straßenzüge entfernt zu sein.

In Doom sind es die hohe Schnelligkeit und die große Beweglichkeit, mit denen man während eines Doppelsprungs einen Gegner ausknockt, seinem Feuerball durch einen Richtungswechsel noch in der Luft ausweicht und ihm bei der Landung die Brust aufreißt.

In Far Cry rutsche ich aus dem Lauf heraus in Deckung, in Gravity Rush lasse ich mich quer zur Erdanziehung "fallen", in Borderlands: The Pre-Sequel verschaffe ich mir schwebend eine bessere Position.

Und obwohl es kein typisches Actionspiel ist: Auch im kommenden Mirror's Edge Catalyst nutzt man den Schwung der Bewegung, um einen Gegner z.B. aus dem Lauf heraus zu treffen und ohne Unterbrechung weiter zu sprinten. Darauf freue ich mich trotz in der Beta erkennbarer Schwächen mehr als auf die meisten der anderen kommenden Spiele.

Es geht mir ohnehin nicht um die Qualität der Spiele in ihrer Gesamtheit. Ich blicke nur auf Aspekte einzelner Actionszenen.

Warum ich so viele Beispiele aufzähle? Weil diese martialische Akrobatik für mich ein elementarer Bestandteil ist, ohne den gute Action gar nicht entstehen kann! Wo liegt denn der Reiz, wenn man einen behäbigen Hintern über ein austauschbares Schlachtfeld schiebt oder hinter einer halbhohen Mauer ausruht, um "Moorhühner" anzuklicken? Ein eindringliches Erlebnis sieht anders aus. Immersion spüre ich in solchen Schießbuden kaum.

Vielleicht liegt es ja daran, dass ich mit Spielen aufgewachsen bin, die eine Steuerung nur per Tastatur propagiert hatten. Das Tanzen der Finger über den Tasten W, A, S und D war damals Kernpunkt der Action. Mit einem Schritt zur Seite ist man in Deckung gerutscht und wieder zurück. Bis zum letzten Augenblick ist man mitten im Schussfeld der Gegner ihren Angriffen ausgewichen, um so lange wie möglich eigene Treffer zu landen. Das erforderte nicht nur koordiniertes Zielen, sondern auch gekonntes Bewegen. Es verlangte Timing, Präzision und im Schnitt mehr Aufmerksamkeit als viele Shooter der vergangenen Jahre.

Und ich werde nie akzeptieren, dass mir ein Shooter diese energiegeladenen Showdowns raubt, weil er mich per Knopfdruck an eine Deckung klebt! Aber das nur nebenbei.

Es ist wie im Film: Das statische Ansehen spektakulärer Schauwerte hat seinen Reiz. Mitreißend ist Action aber erst, wenn sich Ereignisse überschlagen. Ein einziger, grandios choreografierter Faustkampf kann reichen. Er muss sich nur ständig entwickeln, immer in Bewegung sein. Und weil sich die Welt im interaktiven Medium buchstäblich um den Spieler dreht, muss seine Bewegung die treibende Kraft sein – in meinen Augen ist das der Inbegriff von Immersion, wenn es um Action geht.

Deshalb meine Vorliebe für Shooter, in denen nicht nur das Abschießen zählt, sondern das "körperliche" Erarbeiten möglicher Treffer mindestens gleichwertig ist. Natürlich gibt es auch taktisch geprägte Spiele, in denen der Rausch kinetischer Energie gar nicht im Vordergrund steht – die ziehen mich mit ganz anderen Qualitäten in ihren Bann und um die geht es hier nicht.

Deshalb bin ich außerdem so dankbar, dass id Software diesen Grundpfeiler mit Doom endlich wieder kompromisslos hervorhebt – dabei trifft gerade Doom aber auch eine ganz andere Bewegung auf den Punkt, nämlich die der Gegner. Denn nur weil der Held wie ein raketengetriebenes Wiesel durch die Gegend rast, entsteht noch lange keine Spannung. Vielmehr sind es die flinken Ausgeburten der Hölle, die das Blut mit jeder Sekunde eines laufenden Gefechts mit gesteigertem Nachdruck durch die Adern pressen.

Wie ihnen das gelingt? Weil sie den Spieler praktisch überall hin verfolgen. Es gibt keine sichere Position, keinen Raum zum Luftholen: Entweder warten die Dämonen schon dort, wohin man rennt, oder sie kommen kaum eine Sekunde später nach. Sie treiben den Spieler an und zwingen ihn so erst dazu, seine Aktionsmöglichkeiten überhaupt auszuschöpfen. Sie halten Spiel und Spieler ständig... in Bewegung.

Diese Mischung aus immerwährender Gefahr und überraschenden Entwicklungen, der daraus folgenden Akrobatik und spektakulären Erfolgen – das ist wirklich packende Action!

Und die gelingt in dieser Form nur wenigen Spielen. Wenn man selbst dem exzellenten Bioshock Infinite etwa eins vorwerfen kann, dann dass es seine taktischen Finessen zu zaghaft einfordert. Denn nicht alle Feinde bringen Booker in die Bedrängnis, seine akrobatischen Fähigkeiten unbedingt nutzen zu müssen. Nur wenn ihm Gegner wie ein Handyman z.B. selbst an den Skylines gefährlich wurden, ging die Formel aus Akrobatik und Spannung vollends auf.

Im Gegenzug ist das erste, bald acht Jahre alte Mirror's Edge genau deshalb ein grandioses Erlebnis: ohne den richtigen Schwung kommt Faith ja von Beginn an nicht voran, nicht hoch oder nicht weit genug. Die wichtigen Höhepunkte setzen schließlich jene Gegner, die über dieselben Fähigkeiten verfügen wie die agile Heldin. Während die ihr nämlich mit derselben Geschwindigkeit über jedes Dach folgen, wird man in einen Strudel aus Anspannung und Konzentration getrieben – heraus führen nur schnelle, präzise Bewegungen.

Wenn in solchen Momenten Anspannung und Geschick aufeinandertreffen, dann ist man mittendrin, vergisst die Realität und kehrt erst beim Innehalten danach langsam in die Wirklichkeit zurück.

Denn mitreißende Action entsteht aus der Bewegung heraus. Nicht in den Trümmern aufwändig animierter Explosionen.

Benjamin Schmädig
Redakteur
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