Dieter Schmidt
Quo vadis God of War?Eine Kolumne von Dieter Schmidt, 04.07.2016
Wenn ein so auf Mechanik ruhender Gigant wie God of War seine Wurzeln auf dem angesagten Feld der Beziehungsgeflechte schlägt, dann ist der Aufruhr zunächst vorprogrammiert. „Biedern die sich denn jetzt auch schon an.“ Oder: „Kann denn Kratos nicht einfach so weitermetzeln wie bisher.“ Auch innerhalb der Redaktion gibt es diesbezüglich nicht wirklich eine klare Linie. Aber für mich klingt das so, als würde man aus einem Telltale-Spiel ein Jump&Run machen oder aus einem God of War ein filmisch inszeniertes Uncharted 4. Leute, Leute: Erst einmal ruhig bleiben, Tee trinken und abwarten, was die Entwickler da später veröffentlichen werden. Denn die Santa Monica Studios haben durchaus die Chance, die Spielwelt zu bereichern. Niemand sagt, dass in dem Reboot der Serie die Spielmechanik zu kurz kommt. Und dass man im nordischen Szenario die Chaosklingen durch eine Axt austauscht, empfinde ich als sehr erfrischend. Aber weswegen ich die E3-Spielszenen so abgefeiert habe, liegt genau an der Darstellung dieser kaputten Vater-Sohn-Beziehung, in der Kratos es offensichtlich nicht für nötig hält, seinen Nachwuchs mit dem Vornamen anzureden.

Wenn Joel in The Last of Us aufgrund des Verlustes der eigenen Tochter zunächst Ellie abweist und auch sonst anfänglich den griesgrämigen Vater spielt, so muss man davon ausgehen, dass der Kriegsgott dem noch eine Schippe drauflegt. Noch nie stand mir Kratos so nahe wie nach diesen acht Minuten. Noch nie habe ich die etlichen Liter Blut, die von den Chaosklingen auf den griechischen Boden getropft sind, so sehr als tonnenschwere Last auf diesen zerrütteten Charakter gespürt. Noch nie habe ich all den jahrelangen Hass so wahrgenommen wie in seinem rauen Befehlston. Anders herum: Was soll mir das als Spieler geben, wenn ein Kratos ruft: „Jonte, mein lieber Sohn, komm wir gehen zusammen auf Jagd. Wir werden bestimmt einen tollen Tag erleben!“ Das wäre ebenso unglaubwürdig wie ein kriegsmüder Vater, der aus russischer Gefangenschaft nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nach Hause kommt und eine intakte Beziehung zu seinem Sohn aufbauen könnte. Genau das Gegenteil ist der Fall: Noch immer kann man vielerorts in meiner Generation das gestörte Verhältnis zwischen Vater und Opa in dem Verhalten des eigenen Vaters entdecken, dessen Kindheit sich an diesem Kriegstrauma wie an einer Gemüsereibe abgearbeitet hat. Und wenn mir die Santa Monica Studios das in all seinen Facetten vor den Latz knallen, dazu noch einbinden, dass der gute Mann sich schon das Leben nehmen wollte, weil er Frau und Kind verloren hat und dass sein Sohn nordischer Herkunft ihn stets an seine tote Tochter Kalliope erinnert – na dann Hut ab! Und dass der Sohn nicht einfach nur der KI-Hiwi ist, der den Hol- und-Bringdienst für den mürrischen Vater organisiert, ist jetzt schon absehbar: Statt schnöder Tabellen und Zahlenwerk wird ein Teil des Spielfortschritts durch die neuen Fähigkeiten des Sohnes ausgedrückt, die er sich aneignet oder verbessert.

Mit This War of Mine werden zwar  die Abgründe des Krieges aufgezeigt, aber ich kenne kein Spiel, das sich zum Beispiel mit einem Kriegsveteran aus Afghanistan beschäftigt, der massive Probleme damit hat, seine Familie vor der emotionalen Zerrissenheit und den seelischen Narben zu verschonen. Und genau hier setzt Sony hoffentlich an: Ein Kratos, der sich seinen Weg durch unzählige Gegner  geschnetzelt hat, der sich von Hass und Rache in einen Blutrausch hat leiten lassen, der schaut seinem Sohn nicht in die Augen, nachdem dieser zum ersten Mal ein Tier getötet hat. Der will vielleicht etwas Passendes sagen, dem Sohn beistehen - und scheitert dann doch. Ich sehe in diesem emotionalen Krüppel eine Chance, eine Geschichte zu erzählen, die durch die Wechselwirkung mit seinem Sohn das menschliche Wrack Kratos so darstellt, dass er glaubwürdiger  denn je wirkt und somit mir mehr ans Herz wachsen kann. Schließlich trägt er immer noch die verbrannten Körper seiner Familie als weiße Asche auf seinem Haupt und trat seinem Bruder Deimos in einem Kampf auf Leben und Tot gegenüber. Diese Vergangenheit lastet auf ihm. Und auch wenn der folgende Satz nicht bei jedem auf Verständnis stoßen wird: Meine Hoffnung beruht darauf, dass man vor den Augen des eigenen Kindes die Monster abschlachtet und dass der zunächst verständnisvolle Sohn sich durch die Gewalt immer weiter abhärtet, bis nur noch eine raue Hülle übrig bleibt.

Diesen Weg muss man nicht zwangsweise nehmen, aber mit diesem erzählerischen Trick begibt man sich nicht auf die kippelige Eisscholle aus dem kalten Stein Kratos etwas zu machen, was er nicht wirklich ist. Anhand des Sohnes würde man quasi den Prolog des griechischen Kriegsgottes erzählen:  Vom Menschen zum Überlebenstier. Diese Geschichte kann Kratos nicht mehr erzählen. Wenn Carl in der Fernsehserie The Walking Dead zum Revolver greift und kaltblütig nicht nur Zombies über den Haufen mäht, dann spricht aus seinen Taten die Umwelt, die ihn umgibt. Sein Vater Rick hält ihn weinend in den Armen. Schließlich haben sie ewige Jahre in trauter Familienruhe verlebt. Kratos hingegen ist wie der Vater, der bei einem Fronturlaub 1940 ein Kind zeugt, dann Stalingrad überlebt und sich 1946 mit Kindererziehung beschäftigt, während ein neuer Krieg anbricht. Und ich glaube auch kaum, dass man das Töten im Beisammensein des Sohnes einfach als Fremdkörper so kommentarlos stehen lässt. Und wie klasse wäre es dann auch, wenn der Vater Kratos der Verrohung seines Sohnes irgendwann nicht mehr tatenlos zusehen kann und am Ende derjenige ist, der die letzte Menschlichkeit in seinem Sprößling rettet. Die paar Sätze erfordern eine Inszenierung auf absolut höchstem Niveau. Und warum verliert man in den ganzen Aussagen während er E3 keinen einzigen Satz über die Mutter? Ist sie etwa eine nordische Gottheit? Vielleicht Freya? Und lebt die Mutter noch? Vielleicht wuchs der Sohn in mütterlicher Obhut auf und wir erleben den etwas anderen Trip des Kennenlernens von Vater und Sohn. Wie auch immer: Ich schaue dem nordischen Setting aufgrund des Potenzials zunächst erwartungsvoll entgegen.


Dieter Schmidt
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