Kolumne

hundertprozent subjektiv

KW 04
Freitag, 25.01.2019

Der totale eSports-Muffel


Regnet es Frösche? Kann es im April schneien? Oder bin ich in einem Paralleluniversum? Als gestern nach dem Start des ersten PayTV-Senders für eSports die Schlagzeile aufflackerte, dass es auch eine europäische  Liga mit Turnieren für den Landwirtschaft-Simulator 19 mit 100.000 Euro Preisgeld geben soll, hab ich jedenfalls ganz genau aus dem Fenster geschaut. Mich der Realität vergewissert. Man kann ja nie wissen.

Aber ein Blick auf die stark gerunzelte Stirn von Mathias und unsere News bestätigte mir unzweifelhaft, dass man in der "Farming Simulator League" auch über kompetitives "Ballenstapeln" im 3vs3 nachdenkt. Man wolle der Welt "zeigen, dass Landwirtschaft tatsächlich Spaß machen und gleichzeitig wettbewerbsfähig sein kann." Obwohl ich jeden Tag mit zig Spielen zu tun habe, obwohl ich gestern erst zuhause in At Sundown im familiären Kreis um die Wette gekillt habe, bleibt das für mich ein skurriles Rätsel.

Ich kann ja schon die Faszination an Live-Übertragungen von DOTA, Fortnite und FIFA nicht nachvollziehen. Früher dachte ich immer, das sei ein asiatisches Phänomen. Aber da straften mich spätestens die weltweiten Twitch-Übertragungszahlen der letzten Jahre Lügen. Auch die neuen digitalen Fußball-Teams gehen mir am Außenrist vorbei, obwohl ich selbst Fan des echten Fußballs bin. Es ist nicht so, dass ich gegen diese Entwicklung wäre. Aber warum lässt mich das Thema eSports bloß so unfassbar kalt?

Das hat zwei Gründe.

Zum einen ist es das digitale Zuschauen. Deshalb guck ich auch partout keine Let's plays. Ich kann das einfach nicht, anderen beim Spielen zusehen. Da hab ich einen Knacks weg: Als ich ein Knirps war und mein Onkel damals in den 80ern die erste Konsole anstöpselte, war das ein magischer Moment - da konnte man Tennis spielen, indem man einen Balken bewegte! Ich wollte nur noch ran an die Kiste. Aber das war nicht mein Geburtstag. Das war nicht mein Spiel. Außerdem durften erst "die Großen" (es waren verdammt viele) an diesen "komischen Apparat", der meiner Oma nicht geheuer war...seitdem muss ich immer selbst ans Gamepad, muss ein Spiel komplett für mich haben.

Zum anderen werde ich alt, bin Jahrgang 1973. Ich komme aus einer Zeit, als man entweder Fußball, Strategie oder Shooter gegeneinander gezockt hat. Mit Freunden noch Bomberman. Und vor allem gab es eine ludologische Apartheid mit klaren Grenzen: Eltern, Lehrer, Polizisten oder Landwirte waren weder so digitalisiert wie wir noch in irgendeiner Form für ein Deathmatch oder King of the Hill kompatibel.

Für sie regnete es Frösche, wenn wir nach dem letzten Headshot jubelten. Sie runzelten die Stirn, wenn wir Computer für eine LAN zu einem futuristischen Labyrinth verkabelten oder zwischen Chipstütenhügeln und Dosenbierpyramiden die erste Hälfte des Tages NBA Jam rockten und dann bis spät in die Nacht mit Kettensägen und Pumpgun durch düstere Keller marschierten. Okay, so ganz Black Metal war das alles nicht.

Aber als Hardcore-Zocker lebte man gerne sein Klischee. Man fühlte sich auf eine gewisse Art rebellisch und wollte sicher nicht zur Primetime mit Sponsoren-Logo ins Fernsehen oder gar im Sessel zuschauen, sondern selbst in eine andere Welt fliehen. Die sollte absolut nix mit dem nervenden Alltag, der langweiligen Schule oder Arbeit zu tun haben, sondern Abenteuer und Nervenkitzel bieten. Hätte uns 1990 jemand einen "Landwirtschafts-Simulator" gezeigt, hätten wir das für ein Experiment eines verwirrten Informatikers oder eine perfide Spionage-Software der Sowjetunion gehalten, die zur geistigen Entmilitarisierung beitragen soll.

Rein kulturell ist die ludologische Demokratisierung samt eSports-Boom siebzehn Jahre nach Erfurt natürlich ein Grund zum Jubeln. Mittlerweile zocken Eltern mit Kids wie selbstverständlich, Lehrer nutzen Spiele im Unterricht und man kann natürlich Game Design studieren. All das ist richtig cool! Auch wenn es immer noch ein paar Tiefflieger gibt: Die Gesellschaft hat eine hysterisch geführte Gewalt-Debatte überwunden und ein weiteres Medium hinzu gewonnen, das sich endlich ohne Vorurteile entfalten kann.

Und wenn sogar die Simulation des Alltags derart fasziniert, ist das Spiel nicht nur in der Mitte, sondern tatsächlich überall in der Gesellschaft angekommen - auch da, wo sich Fuchs und Hase ohne WLAN gute Nacht sagen. Also fahrt eure Traktoren und Mähdrescher auf Weltmeisterschaften um die Wette. Schaut den Leuten in Stadien zu, wie sie sich digital den Ball oder das Leben abjagen. Ich freue mich für diese Generation, die das Spiel in dieser medialen Selbstverständlichkeit erlebt.

Aber ich bleibe der totale eSports-Muffel.


Jörg Luibl

Chefredakteur

 

Kommentare

Zanji schrieb am
boha ... nach zich jahren mal wieder ein kommentar von mir hier *lach*
back 2 Topic:
ich persönlich gucke eigentlich auch kaum Lets plays außer mal kurz reingucken um zu sehen ob mir das Spiel zusagen könnte um es dann selber zus pielen. Bisher habe ich auch wirklich nur 3 Lets plays wirklich zuende geguckt und das war von Spielen die ich schon kannte und mir der Youtuber irgendwie sympatisch war.
Die Sache mit ESport und TV Übertragung: mir persönlich auch nichts da ich hier komplett raus bin :-) aber da ich "früher" zur aktiven competitive Yugioh Zeiten noch regelmässig die Streams der EM/Wm angeguckt habe um meine Kumpels bzw Bekannte Spieler anzufeuern und erst am WE mir den Stream des in Düsseldorf stattfindenen Crystal Cups des Final Fantasy TCGs anzugucken, da ich nicht mitspielen konnte jedoch ein paar meiner Spielgruppe da waren davon einer Top 20 und sogar ein Feature match bekommen hat.... bin ich da erstmal ruhig :-) es ist ja quasi auch nix anderes als Spieler beim Kartenspielen zu zugucken. Kennst du das spiel nicht oder nur so halb denkst du dir wohl auch "ääähm... und warum guckst du das jetzt nochmal an?"
Freya Nakamichi-47 schrieb am
Doc Angelo hat geschrieben: ?20.02.2019 16:51
Übertrieben gesagt: Mir ist lieber, das es die Rakete zum Mars schafft, als das die Pressemeldung zum missglückten Start 100% regelkonform ist. Mehr Naturwissenschaft, Soziallehre und Philosophie, weniger sinnlose Regeln. Es ist ja nicht so, das der Genus die Sprache tatsächlich bereichert.
Ich verstehe, was Du meinst. Ich lese aus beruflichen Gründen jeden Tag Emails von Informatikern, und soviel kann ich verraten: Mit Rechtschreibung haben sie es nicht so. Ich bin da der einzige, der sich auch mal gelegentlich für gutes Deutsch interessiert. Und ich würde mal sagen, nein, diese Raketen würden es nicht bis zum Mars und wieder zurück schaffen. ;)
Doc Angelo schrieb am
Freya Nakamichi-47 hat geschrieben: ?20.02.2019 13:46 Sabine ist größer, als wir erwartet hatten. (Jetzt kommt das Komma.) Sowas lernt man eigentlich schon in der Grundschule ...
Davon lernt man mehr als ich für nötig halte.
Kann man auch lesen. Für mich ist das Wichtigste, das die Kommunikation funktioniert. Wenn eine Botschaft in dem Sinne ankommt, wie sie gemeint ist, dann ist alles in Ordnung. Ich sehe das einfach so, das man die eine oder andere Regel lieber weg lässt, und die frei gewordene Lernkapazität in wichtigere Themen steckt.
Übertrieben gesagt: Mir ist lieber, das es die Rakete zum Mars schafft, als das die Pressemeldung zum missglückten Start 100% regelkonform ist. Mehr Naturwissenschaft, Soziallehre und Philosophie, weniger sinnlose Regeln. Es ist ja nicht so, das der Genus die Sprache tatsächlich bereichert.
Freya Nakamichi-47 schrieb am
Scorplian190 hat geschrieben: ?20.02.2019 13:15
Freya Nakamichi-47 hat geschrieben: ?20.02.2019 12:28
Scorplian190 hat geschrieben: ?20.02.2019 11:55 Ich empfinde Deutsch aber gerade im späteren Bereich, als ziemlich träge. Aufsätze,
Vor allem dieses falsche Komma vor "als" gefällt mir nicht. "Sabine ist größer, als Klaus." Finde den Fehler!
Du darfst mich gern jedes mal zitieren und dabei meine Fehler anstreichen :P
Mich stört das nicht. Mir ist nur wichtig, dass es nicht anstrengend zu lesen ist.
Ich achte da deutlich mehr auf Typografie,,,,,,,,,, als auf Rechtschreibung. Fehlende Leerzeichen hinter Satzzeichen finde ich da halt richtig grausig. Wobei ich deshalb noch lange nicht die Leute korrigiere :Blauesauge:
Ich korrigiere mich eigentlich nur selbst. Wenn ich andere korrigiere, dann ist das nur ein Spin-off. Aber dieses falsche Komma geht mir richtig auf den Sack. Du befindest Dich da aber in bester Gesellschaft: Schon Kafka hat das alles falsch gemacht, und er gilt bis heute als einer der wichtigsten Schriftsteller.
Hier die Regel:
Sabine ist größer als Klaus. (Kein Komma.)
Sabine ist größer als erwartet. (Kein Komma.)
Sabine ist größer, als wir erwartet hatten. (Jetzt kommt das Komma.)
Sowas lernt man eigentlich schon in der Grundschule ...
Scorplian schrieb am
Freya Nakamichi-47 hat geschrieben: ?20.02.2019 12:28
Scorplian190 hat geschrieben: ?20.02.2019 11:55 Ich empfinde Deutsch aber gerade im späteren Bereich, als ziemlich träge. Aufsätze,
Vor allem dieses falsche Komma vor "als" gefällt mir nicht. "Sabine ist größer, als Klaus." Finde den Fehler!
Du darfst mich gern jedes mal zitieren und dabei meine Fehler anstreichen :P
Mich stört das nicht. Mir ist nur wichtig, dass es nicht anstrengend zu lesen ist.
Ich achte da deutlich mehr auf Typografie,,,,,,,,,, als auf Rechtschreibung. Fehlende Leerzeichen hinter Satzzeichen finde ich da halt richtig grausig. Wobei ich deshalb noch lange nicht die Leute korrigiere :Blauesauge:
schrieb am