Jörg Luibl
Deutsches HosenscheißerlandEine Kolumne von Jörg Luibl, 21.11.2005
Ich wollte das Thema aussitzen, einfach schweigen. Bereits letzten Herbst wurde alles gesagt - hier und woanders. Aber dann war das ZDF im Haus. Dann bat ein Radiosender um eine Stellungnahme. Dann zeigte die SZ eine Counterstrike-Hinrichtungsszene *, die es gar nicht im Spiel gibt. Und schließlich fragt mich meine Oma, was eigentlich ein "Killerspiel" ist. Ob ich die auch teste…

Es stinkt in diesem Land. Es stinkt nach Angst, Bevormundung und Panikmache. Mir scheint es eine deutsche Nachkriegskrankheit zu sein, die Moralkeule immer wieder blind zu schwingen - am liebsten gegen Windmühlen, die der Rest Europas gar nicht sieht. Manche Politiker ersinnen Gesetze, die angesichts der Globalisierung so effektiv treffen wie Quichottes Lanze: Deutsche Frauen fahren nach Tschechien, um sich frei befruchten zu lassen. Deutsche Gamer fahren nach Österreich, um sich frei Spiele zu kaufen.

Jetzt das Jugendschutzgesetz mit seinem Killerspiel-Passus und dem Drang bis 2008 noch mal nachzulegen. Ich frage mich, woher der Wille zur Neuregelung kommt? Schließlich macht man nur dann etwas neu, wenn es Probleme gibt. Welche gab es denn seit der Einführung am 1. April 2003? Ich hab noch keine Kettensägen in Hinterhöfen rattern hören, noch keine grenzdebilen Vollidioten mit Brechstangen durch Gassen schleichen und auch noch keine aggressiven Schulabbrecher gesehen, die sich gegenseitig ihre PS2-Memorysticks ins Auge stechen.

Und wenn sich irgendwo ein Siebenjähriger durch Mortal Kombat metzelt und Mutti in der Küche beim Kaffeeklatsch sitzt, ist das kein Problem der USK, der Entwickler oder der Publisher: Das ist Elternverwahrlosung. Das ist vorsätzliche Kindesmissachtung. Warum gibt's im Koalitionsvertrag keinen Killereltern-Passus, der eine VHS-Zwangsschulung im Fach Medienkompetenz vorsieht?

Wir haben bereits eines der restriktivsten Jugendschutzgesetze der Welt - da können uns nur China und der Iran das Wasser reichen. Deutsche Politiker haben so schwere Software-Abwehrgeschütze errichtet, dass Spiele wie God of War, The Warriors oder Condemned bereits an der Grenze pulverisiert werden. Und wenn tatsächlich mal ein Spiel für Erwachsene durch diese moralischen Flakstellungen zur Bruchlandung ansetzt, bleibt es so seelenlos und blutleer wie Gun oder Quake 4 im heimischen Wohnzimmer liegen.

Die Welt lacht sich schlapp. Im europäischen Ausland versteht man die teutonische Angst vor dem Spiel nicht. Die Briten schütteln den Kopf und stellen wunderbar einfache Fragen. Wie hier im Forum bei Eurogamer:

"So don't adults play games in Germany?"

Doch, doch. Es sind schon Erwachsene. Nur werden sie hier wie Kinder bevormundet. Der Staat pflanzt sich in souveräner Selbstgefälligkeit auf sein zockendes Volk und hat das Prinzip der Volljährigkeit nicht wirklich verstanden. Die Briten wissen gar nicht, wie sich das anfühlt, wenn man als Zocker unter der Last dieser Glucke kaum freie Spieleluft atmen kann. Da wird einem richtig übel. Und die britische Vernunft kann so frisch sein:

"I think this is more a problem with irresponsible or immature adults rather than violent video games."

Oh ja. Wem sagen sie das? Während in Skandinavien Spiele von der Politik in großem Maßstab subventioniert werden, werden sie hier in kleinen Runden kriminalisiert: Fast fünf Millionen Euro stecken unsere nordischen Nachbarn laut N24 in ein sechsjähriges Projekt zur Förderung heimischer Computerspiele, damit es mehr Alternativen zu Titeln aus Amerika oder Japan gibt. Dazu der schwedische Kultusminister Pagrotsky:

"Computerspiele setzen oft die Phantasie in Gang und stimulieren Kreativität und Entwicklung. Deshalb ist das ein sehr unterhaltsamer und zukunftsgerichteter Beschluss."

Das ist nordische Klarheit - selbstbewusst, mutig, zukunftsorientiert. Und jetzt, zum Absacken, nach der bayerischen Wortneubildung "Killerspiel" einen hochprozentigen Klassiker: einen echten, ein Jahr im Panikfass gereiften Beckstein, der damals belächelt wurde, aber jetzt seine vollmundige Wirkung entfaltet. Bitte auf ex runter damit:

"Wir brauchen Herstellungsverbote."

Da tränen einem fast die Augen. Kreative Prozesse verbieten. Da freut sich nicht nur die freie Kunst, auch der Wirtschaftsstandort Deutschland klatscht kräftig in die Hände. Das ist Realsatire für alle, die mit dem Spiel als inspirierenden und prägenden Lebensbegleiter aufgewachsen sind. Worte, die man in Stein meißeln sollte - damit sich Generationen von zockenden Demokraten daran erheitern mögen.

Aber dieser politische Aktionismus hat noch keine Entwicklung aufgehalten: Das Buch hat überlebt. Der Fernseher hat überlebt. Die Pille hat überlebt. Der Comic hat überlebt. Der Horrorfilm hat überlebt. Der Porno hat überlebt. Der Metal hat überlebt. Und der Mittelfinger wird auch ewig leben.

Blüh im Dunste dieser Wolken, blühe deutsches Hosenscheißerland.


Jörg Luibl
4P|Chefredakteur


* Das Bild wurde im Artikel "Die Politik schlägt zurück " gezeigt und nach Protesten wieder entfernt. Anm. d. Red.
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