Jörg Luibl
Das Spielejahr 2005 – ein RückblickEine Kolumne von Jörg Luibl, 30.12.2005
Schee war's, oder? Prall, bunt und üppig. Jetzt ist es bald vorüber, das Spielejahr 2005. Was haben wir uns alle einen Wolf gezockt und die Finger wund getippt. Tausende News, Berichte und Downloads zischten durch die Leitungen, während erneut Milliarden Euros in die Kassen all jener flossen, die von der florierenden Jagd nach Siegen, Highscores und Quests profitieren. Egal ob Presse oder Publisher, Entwickler oder Händler - die Branche boomte sich ohne Anzeichen einer Flaute in rosige Höhen.

Funcom ging an die Börse, Koch Media beteiligte sich bei JoWood, BioWare fusionierte mit Pandemic, zig Lizenzen wechselten den Besitzer. Selbst die Riesen aus Hollywood erlagen dem Reiz der Spielregie: Peter Jackson beeinflusste nicht nur das komplette Design von King Kong , sondern wird auch den Halo-Film produzieren. Und Steven Spielberg unterzeichnete gleich für drei Spiele bei EA - wer hätte das vor ein paar Jahren für möglich gehalten? Es geht längst nicht mehr um Unterhaltung für Kids, Freaks und Fans. Es geht um die Unterhaltung der Welt.

Die Kleinen und die Großen steckten fleißig ihre Claims in den polygonreichen Goldgruben des 21. Jahrhunderts ab. Kein Wunder, denn 2005 fielen die lauten Startschüsse für das Wettrennen um den lukrativen, aber noch wenig genutzten Werbemarkt innerhalb des Spiels. Dessen virtuelle Eingeweide werden die Litfasssäulen der nächsten Generation. Egal ob Banner, Spots oder Kampagnen - man wird sich an die Marke vor, im oder nach dem Level gewöhnen müssen. Kommt es irgendwann sogar zum Werbespot vor dem Bosskampf? Die Experten winkten ab, wir warten ab.

Gerüchte und Dementis kennzeichneten 2005 ebenso wie das pubertäre Konkurrenten-Bashing zwischen Microsoft, Nintendo und Sony. Zur Zeit der E3 hatte man fast das Gefühl, dass Allard, Iwata und Kutaragi im Sandkasten säßen, um sich auf peinlichem Ätschi-Bätschi-Niveau ihre unfertigen Burgen madig zu lästern. Trotz der Trollattacken auf Konzernebene waren große Krisen angesichts der millionenschweren Umsätze nicht in Sicht. Die Kioske strotzten nur so vor frisch gedruckten Magazinen und die Xbox 360 sorgte für einen wuchernden Blätterwald, in dem auch die ersten beiden 4Players-Magazine Wurzeln schlagen konnten. 

Selbst wenn einige  mittelfristig einen Crash prophezeiten, dürfte es kurzfristig auch dank Revolution und PS3 weiter aufwärts gehen, denn sie kitzeln nicht nur potenzielle Käufer, sondern belebten auch die Debatte um die Zukunft des Spiels. Zwei unterschiedliche Philosophien kündeten sich an: Innovation und Rückbesinnung auf der einen, Kraft und Zukunftstechnologie auf der anderen Seite. Während Nintendo unterstrich, mit Familienunterhaltung zum Wesen des Spiels zurückfinden zu wollen, pochte Sony darauf, den scheinbar überholten Begriff "Spielkonsole" in Zukunft durch das für die multimediale PS3-Strategie passendere "Computer" ersetzen zu wollen.

Das war und ist jedoch alles wenig greifbare Zukunftspropaganda. Dabei konnte das Jahr 2005 schon ein handfestes Hardware-Fundament legen: Wann gab es das letzte Mal vier neue Konsolen innerhalb von 365 Tagen? Nintendo DS und Gameboy Micro, PSP und Xbox 360 . Die Handhelds konnten sich sogar als echte Alternative zur großen Wohnzimmerunterhaltung etablieren. Nintendo ließ zwar den GameCube sterben, aber belebte die Spielewelt mit einer Phalanx an hochkarätigen Titeln im Miniformat - unsere Platin-Awards rieselten fast im Wochenrhythmus auf den DS. Davon war Microsoft mit der Xbox 360 zwar noch weit entfernt, deutete aber bereits an, welchen Rang das Internet und Multimediafähigkeiten zwischen Couch und Fernseher einnehmen werden.

Noch präsentierte sich die Xbox 360 trotz der guten Starttitel als Frühgeburt, denn 2005 hinterließ das HDTV-Zeitalter, das sie einläuten wollte, viele misslungene Töne - selbst Branchenriese EA hinkte entwicklungstechnisch hinterher und lieferte trotz Next-Gen-Power mit unfertigen Spielen so viel Last-Gen-Gestotter ab, dass sogar die Enttäuschung des Jahres dabei herauskam. Und wer hat in Zeiten von Hartz IV das Geld für hoch auflösende Fernseher oder Beamer? Droht gar eine soziale Zweiteilung in reiche und arme, High- und Low-End-Spieler? Bisher sprangen jedenfalls nur wenige auf den hübschen, aber ebenso teuren wie unausgereiften HD-Zug auf.

Ist das gerade hierzulande ein Wunder? Für die Masse der zockenden Bevölkerung blieben Konsolen ohnehin nur zweite Wahl. Im Gegensatz zu Großbritannien oder Japan spielte sich Deutschland lieber mit der Maus in einen Rausch: World of WarCraft heißt der neue Volkssport. Jeder Haushalt zwischen Bottrop und Garmisch gehört mittlerweile einem Clan an - statt einen Zwerg in den Garten zu stellen, spielte man lieber selber einen und motzte die Haushaltskasse mit ein wenig virtuellem Handel auf. Die Leveltretmühlen der Online-Rollenspiele ratterten so laut, dass es aufgemotzte Helden nur so vom Himmel regnete. Denn im Schatten von Blizzards Fantasynovela tummeln sich mit EverQuest II, Guild Wars, City of Heroes, oder Dark Age of Camelot viele kleine Konkurrenten.

Der Trip in virtuelle Welten gewann aber nicht nur als Freizeitbeschäftigung mehr gesellschaftliches Terrain: das Spiel wurde endlich auch in Deutschland als kulturelles Phänomen stärker wahrgenommen. Es war Thema vieler Haus-, Magister- und Doktorarbeiten, Unterrichtsgegenstand an Berufsakademien und stand immer öfter im Fokus der Presselandschaft. Auch die akademische Betrachtung des Spiels, die in angelsächsischen und nordischen Ländern schon seit Jahren floriert, weil sie dort auch politisch unterstützt wird, kam bei uns langsam in Gang.

Und Deutschland hatte nach Far Cry auch wieder ein Superspiel aus heimischer Produktion gefunden - wenn auch mit prominenter Schützenhilfe aus Übersee: Ankh. Der ägyptische Zwerchfellknobler beschwor noch mal nostalgische Lucas Arts-Gefühle. Trotzdem blieben wir sowohl in Sachen Wissenschaft, Entwicklung als auch und vor allem Wahrnehmung des Kulturphänomens Spiel im internationalen Vergleich rückständig. Das Neue machte den Alten immer noch Angst. Die Gewaltdebatte im Herbst entwickelte sich leider zur saisonalen Tradition. Aus ihr spross diesmal ein ganz neues Genre: das Killerspiel - mein Favorit für das Unwort des Jahres.

Diese moralische Munition passte nicht nur wunderbar in die restriktiven Abwehrgeschütze, die The Warriors, Condemned oder God of War vom deutschen Releasehimmel geschossen haben, sondern auch in die peinliche Frontal21-Panikmache oder die BamS-Kolumne des protestantischen ZDF-Predigers Peter Hahne, der die Spiele als gefährliche Machomacher am liebsten gleich verbieten würde. Einfach nur populistische Eintagsfliegen? Oder entsteht da bereits eine erzkonservative Lobby gegen das Spiel? Und wenn ja, wie stark sind die Interessensverbände der Spieler? Was können esb , G.A.M.E. & Co an Aufklärung leisten? Erste Antworten darauf werden SPD und CDU geben, die das Jugendschutzgesetz laut Koalitionsvertrag Punkt 6.3 verschärfen wollen - Mahlzeit.

Als erwachsener Zocker konnte man 2005 oft nur den Kopf schütteln und die freiheitliche Völkerverständigung mit Österreichern, Niederländern oder Schweizern suchen - am besten per Banküberweisung. Aber während der Rest Europas über die moralische Angst der Deutschen lachen konnte, durften wir über die sexuelle jenseits des Atlantiks kichern: Was den einen die Gewalt, war den anderen der Sex. Die amerikanische Prüderie echauffierte sich beim heißen GTA-Kaffeekränzchen über ein paar virtuelle Zuckungen, während die weltgrößte Porno-Industrie weiter auf Hochtouren kopulierte - verkehrte Welt.

Trotz all dieser kleinen Aufreger geriet die Spiele-Maschinerie 2005 nicht ins Stocken: Es gab Action und Geballer in allen Stellungen und Polygongrößen, Rennspiele rasten quasi nonstop in die Regale, Sport wurde bis zum Kollaps getrieben, die hohe Kunst der Strategie von der Antike bis ins Nanozeitalter zelebriert, Adventures so viele wie nie zuvor gelöst. Und eine knuffige Wauwau-Simulationen ließ selbst Eva Padberg Hündchen über den Touchscreen scheuchen.

Egal ob Hausfrauen, Fußballer, Raser, Models, Rätselknacker, Moralapostel, Handheldjünger oder Politiker - alle wurden im Spielejahr 2005 bestens bedient. Alle? Nein, nicht alle. Irgendetwas fehlte dann doch, selbst wenn man bei F.E.A.R., Civilization IV oder Resident Evil 4 nur mit der Zunge schnalzen konnte. Da gibt es nämlich eine Zockerspezies, die ihre Freude aus einem ganz speziellen Stoff zieht: Aus Abenteuer on the Quest, mit einem Schuss Story, am besten drei Jahre in eigener Entwicklerseele gereift. Die Rede ist von Spielern, die ein echtes Epos wie die Luft zum Atmen brauchen - egal ob Rollenspiel oder Action-Adventure.

Was gab es dieses Jahr, das sich mit Titeln vom Rang eines Beyond Good & Evil oder ICO, eines Gothic, Star Wars: Knights of the Old Republic oder Vampire: Die Maskerade Bloodlines hätte messen können? BioWare präsentierte zwar einen guten Nachfolger und das zauberhafte Jade Empire, doch das waren nur kleine Farbtupfer. Selbst auf den ansonsten so gut bestückten Handhelds gab es keine großen Epen.

Stattdessen sorgten plötzlich klaffende Abenteuerlöcher für den freien Fall in ein wenig heroisches Weihnachtsfest. Das erste wurde bezeichnender Weise von einem Altmeister der Rollenspielkunst ausgehoben: D.W. Bradley lieferte mit Dungeon Lords ein seelenloses Hack'n'Slay ab. Die Verschiebung von Legend of Zelda: The Twilight Princess schmerzte dann ebenso sehr wie die des inoffiziellen ICO-Nachfolgers Shadow of the Colossus oder die der opulenten Fantasyhoffnung The Elder Scrolls IV: Oblivion. Aus war der Traum von erstklassiger Unterhaltung mit Schwert und Schild.

Aber da ist viel Licht am Ende des Tunnels. Grelle Blitze deuten da auf ein richtiges Gewitter in den nächsten Monaten, das mit angenehm kühlen Schauern beginnt: Der Trend, das Spiel abseits der hitzigen Gewaltdebatten als Kulturphänomen zu betrachten, wird sich fortsetzen. Im März startet an der Fachhochschule Köln z.B. die erste International Computer Game Conference , die das Verhältnis von Computerspielen und sozialer Wirklichkeit diskutiert - übrigens mitorganisiert von EA, die sich für dieses Engagement ein Lob verdient haben.

Spätestens zur E3 im Mai wird es dann richtig donnern, wenn neben den Premieren von Revolution und PS3 auch alle Abenteuerlöcher des letzten Jahres gestopft werden: The Witcher, Mass Effect, Neverwinter Nights 2, Gothic 3, Grandia 3, Baldurs Gate 3, Two Worlds, Zelda, Final Fantasy und Oblivion - hab ich ein Questmonster vergessen? Egal. Wer Rollenspielhunger hat, wird nach der Diät der letzten beiden Jahre endlich wieder richtig satt werden.

Und dann das Großereignis par excellence: die WM. In sechs Monaten ist Anstoß in der Münchner Allianzarena gegen Costa Rica. Hier wird sich nicht nur zeigen, ob Klinsmanns Truppe reif für den Titel ist und ob EA aus den FIFA-Fehlern endlich lernen kann, sondern auch, ob sich die Masse der Deutschen für das hoch auflösende Zeitalter begeistern kann. Wie viel wird das Bundle aus Xbox 360 und HD-Fernseher am 9. Juni 2006 kosten? Und noch spannender: Was muss man für die PS3 und den Revolution hinblättern?

Ich freu mich auf das kommende Spielejahr!


Jörg Luibl
4P|Chefredakteur
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