Jörg Luibl
David Perrys WertungsweisheitenEine Kolumne von Jörg Luibl, 17.01.2006

Lieber David Perry,

herzlichen Dank für Ihr Interview beim Hollywood Reporter . Jetzt weiß ich endlich, was in der Branche falsch läuft, warum es so wenig gute Spiele gibt: Wir Tester kritisieren Spiele, obwohl wir gar nicht die Zielgruppe sind. Da muss man erstmal drauf kommen. Deshalb gibt es also oft so große Widersprüche zwischen der Erwartung der Hersteller und unserer Wertung! Und wir Narren dachten schon, es liege an der Qualität.

Das ist natürlich Quatsch: Es sind die falschen Leute am falschen Ort! Ich finde es klasse, dass Sie das so deutlich ansprechen. Diesen Mut kann nur ein Mann mit ihrer Erfahrung aufbringen. Wir sind Deutschland, aber Sie sind Shiny Entertainment. Man denke an Earthworm Jim , MDK oder Sacrifice . Sie haben seit 1993 über 100 Spiele auf über 20 Plattformen entwickelt und satte 500 Millionen Dollar damit verdient. Das prägt nicht nur, das stählt: Fischer avancierte vom wütenden Revoluzzer zum geachteten Außenminister, aber Sie vom kreativen Entwickler zum Präsidenten mit Durchblick!

Meinen Respekt dafür, Herr Perry. Aber haben Sie Verständnis für die aktuelle Misere: Wie sollen wir Tester selbst darauf kommen? Sie wissen doch: Der Beschränkte ist sich seiner Beschränktheit nicht bewusst. Schon gar nicht, wenn er davon lebt. Und wir sind ja auch nur Menschen, also genau so berufsblind wie Film- und Buchkritiker. Die wissen auch nicht, dass gar nicht für sie gefilmt und geschrieben wird, sondern für Kinogänger und Leseratten.

Wie sagten Sie so schön? Wir Tester sind Hardcore-Gamer mit einem speziellen Geschmack, der nicht unbedingt den der Massen trifft. Ob Sie Erfolg mit Ihren Spielen haben, können wir deshalb auch gar nicht beurteilen. Das entscheidet der Dollar: Enter the Matrix hat ja 2003 trotz eines Schnitts von 67% auf PC und Konsolen 250 Millionen davon eingespielt. Und ich dachte immer, das lag auch daran, dass die Masse am liebsten das Mittelmaß feiert.

Dabei ist es einfach so, dass wir elitäre Journalisten frech an der Herde der Käufer vorbei nur für Minderheiten schreiben und echten Spielspaß gar nicht mehr erkennen. Egal, ob wir aus Italien, Deutschland, England, Japan oder Amerika kommen - wir haben alle dieselbe strenge Testerbrille auf. Und was kommt dabei heraus, wenn internationale Magazine so vorgehen? The Matrix: Path of Neo wird mit einem Schnitt von 63% plötzlich in ein ganz falsches Licht gerückt. Schande über uns. Das ist nicht fair.

Denn Sie haben dieses Spiel ja gar nicht für uns, sondern für den Casual-Gamer entwickelt. Für diese Horden kaufkräftiger Ab-und-zu-Zocker. Für Leute, die die Dinge nicht so verbissen sehen. Für die, die mal abspannen und die Matrix geil finden wollen. Einfach mal diese blöden Vergleiche lassen und drauflos zocken. Immer dieses Genörgel! Wir sollten Benno von nebenan oder Gitte aus Castrop-Rauxel testen lassen. Oder nur noch Fanshop-Inhaber. Was mach ich eigentlich noch hier?

Sie haben mich auf eine Geschäftsidee gebracht: Ich werde jetzt kündigen und "CasualReporter - Das Spielemagazin" oder "Käschuelgaymas Paradise - Der rosa Durchblick" gründen. Diese ganze Kritik ist ohnehin auf Dauer zu anstrengend. Da kommt dann endlich wieder Volkes unverfälschte Stimme zu Wort, da wedeln wir uns mit weichen Wattebäuschen in Awarddemenz, zerreißen kreative Spiele für elitäre Hardcore-Zocker und knien vor Ihrem neuen Gott, Herr Perry: dem Mainstream.

In anspruchsloser Demut,


Jörg Luibl
4P|Chefredakteur

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