Jörg Luibl
Das Klick & Blöd-SystemEine Kolumne von Jörg Luibl, 07.04.2006
Könnt ihr diese Typen auch nicht leiden? Diese alten Meckerköppe? Diese Früher-war-alles-besser-Schwafler? Diese Die-Jugend-von-heute-Nörgler? Sehr gut! Denn genau so einen lass ich jetzt raushängen. Und ich setze natürlich noch die fette Nostalgie-Hornbrille auf! Festhalten, alles unter 20 bitte Aggro aufbauen und los geht`s:

Wir haben uns damals vor dem großen Krieg der Konsolen noch durch Elite, Green Beret und Bard`s Tale gekämpft. Wir haben ohne Anleitung, ohne Original und ohne Hilfe getüftelt und gezockt, bis Kopf und Joystick im Duett qualmten. Walkthroughs waren ein Fremdwort, das Internet nur im Pentagon aktiv und das Weicheierparadies GameFaqs noch nicht mal in den Wehen.

Dafür haben wir zentnerweise 3,5"-Disketten nach Hause geschleppt, bis der Bizeps brannte. Nix geliefert über Amazon, nix leichte DVD-Hülle. Wir haben uns die Maps für Fairy Tale Adventure oder Fate selbst gezeichnet oder Brüder und Schwestern für Stunden zu Kartographen versklavt. Millimeter für Millimeter entstanden da kilometergroße Dungeons, die heute noch in meinem Keller schlummern.

Man nehme Last Ninja auf dem C-64: Sprünge ohne Rückfahrkarte, Itemsuche ohne Garantie. Oder Thunderforce 4: tausend Schüsse, kaum Leben, schwerer als jedes R-Type. Ich habe Bekannte, die die japanische (!) Version von Final Fantasy durchgezockt und dann eine Nacherzählung geschrieben haben - auf Mittelhochdeutsch! Ich kenne echte Kerle, die nach dem Abspann von Gargoyle`s Quest - eines der härtesten Spiele auf diesem Planeten - vor Freude weinten.

Ja, das waren noch Zeiten! Mann, waren wir harte Hunde. Ledernackenzocker, Joystickakrobaten, stolze Nie-Aufgeber und Immer-den-Abspann-Blicker. Wir haben uns durchgebissen. Nicht für zwei Tage, sondern für Wochen. Quatsch, für Monate! Wir haben jeden Level in- und auswendig gelernt. Wir waren echte Helden - oder zumindest nah dran.

Und heute? Auto-Mapping, Auto-Aiming, Auto-Saves, Auto-Scouting, Auto-Training, Auto-Jumping, Auto-Levelling. Fehlt nur noch eine Auto-Sortierfunktion für Tetris. Und wann kommt endlich noch Auto-Thinking? Was wird denn heute für eine Spielergeneration herangezüchtet? All-inclusive-Spaß ohne Kompromisse. Nix tun, nix denken, nix leisten.

Natürlich haben all diese kleinen Helferchen für sich genommen ihre Berechtigung und können zum Spielkomfort beitragen. Im besten Fall helfen sie einfach nur und stören nicht: Nehmen wir den eigenständigen Scout in Rise of Nations , den sicheren Sprung in The Legend of Zelda: The Wind Waker oder die Zielfixierung in Metroid Prime 2 .

Aber in letzter Zeit gibt es einen starken Trend zur überzogenen Leichtigkeit, der die Balance gefährdet und nur ein Ziel hat: mehr Käufer aus dem Bereich der Erst-, Zweit-, Selten- oder Nie-Spieler anzulocken. Die sollen ohne Vorkenntnisse und Frusterlebnisse möglichst viel Spaß haben. Anschnallen, Gas durchdrücken, aber bloß keine Verkehrsregeln beachten und nicht in den Stau kommen.

Das ist an sich okay. Selbst Nintendo visiert mit dem Revolution auch genau diese amorphe Masse an, die dem Hobby bisher verschlossen blieb: Jungs, Mädchen, Frauen, Männer, Mamas, Papas, Omas, Opas, Tanten, Onkel und Haustiere. Ja, es ist ja auch wünschenswert, wenn das Spiel in der Breite der Gesellschaft konsumiert wird…

Aber muss man dann im Game-Design so viele Kompromisse eingehen? Denn zusammen mit dem wirtschaftlich verständlichen, aber künstlerisch fatalen Kniefall vor dem Mainstream, wird derzeit immer öfter ein Klick&Blöd-System kultiviert. Bloß kein Frust. Bloß keine Hürden. Bloß alles bis ins kleinste Detail erklären, damit jeder Vollpfosten den Levelausgang findet.

Nehmen wir das Kampf- und Itemsystem von SpellForce 2 : Ersteres übernimmt für mich die Auswahl des mächtigsten Gegners und serviert mir dazu noch die effektivsten Attacken. Heraus kommt: Klicken statt Taktieren. Letzteres serviert mir beim Öffnen von Schatzkisten immer genau die Waffen, die gerade zu meinem Level passen. Die Folge: Routine statt Neugier. Nehmen wir die Quest-Systeme von SpellForce 2 oder The Elder Scrolls IV: Oblivion : Alle Aufgaben werden im Tagebuch aufgelistet, aber ich brauch gar nicht zu lesen, wohin ich mich zur Lösung begeben muss, denn Phenomic und Bethesda markieren das Ziel schon auf der Karte. Die Folge: Einbahnstraße statt Erkundung.

Nehmen wir das Kletter- und Reaktionssystem von Tomb Raider: Legend : Nicht nur, dass Lara schon immer dahin schaut, wo es weiter geht. Nein, dort leuchten auch noch die Simse auf, damit ich sie bloß nicht übersehe. Und damit ich nicht falle, blinkt der Rettungsknopf -natürlich elendig lange- in kniffligen Situationen. Von den Quick-Time-Reactions ganz zu schweigen: die könnte sogar ein stark alkoholisiertes Dreifingerfaultier meistern! Die Folge: Kletterlangeweile statt Höhenangst.

Wo bleiben die Herausforderungen? Einsteigerfreundlichkeit? Ja. Bedienungskomfort? Okay. Geiz ist geil? Meinetwegen. Aber dumm und faul jetzt auch schon? Der Spieler wird teilweise zum grenzdebilen Bot degradiert, der möglichst viel erleben, aber wenig dafür tun soll. Damit raubt man ihm nicht nur das Frust-, sondern auch das Machtpotenzial. Ich will animiert, erregt und begeistert werden! Ich will Herzklopfen und Herausforderungen!

Wie entsteht Spannung noch mal? Durch ein Gefühl von Ungewissheit auf der einen und Hoffnung auf der anderen Seite. Man muss sich in einer Sekunde bedroht fühlen, um in der anderen den Sieg zu feiern. Dazwischen liegen die schönsten Momente für echte Spieler: das richtige Timing für den Absprung, die richtige Lösung des Rätsels, die richtige Taktik gegen den Feind.

Ich will nicht an den Krücken billiger Automatisierungen ins Ziel humpeln. Ich will keine Klick&Blöd-Systeme, sondern mit Schweiß im Nacken das Finale erleben. Also raubt uns den Nervenkitzel der eigenen Handlung nicht!


Jörg Luibl
4P|Chefredakteur
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