Jörg Luibl
Leipziger Light-MesseEine Kolumne von Jörg Luibl, 29.08.2006
Kommt mal einen Zentimeter näher. Entspannt euch, macht die vielen Fenster zu - ja, bitte auch Eurogamer. Lasst uns nach dem ganzen Getöse einfach mal in eine ruhige Ecke verziehen und ein bisschen quatschen. Die Flut der Eindrücke müsste jetzt langsam in tieferen Sphären der Zockerseele versickern. Die Messe ist vorüber, der laute Trubel verklungen, der Durst der Neugier gestillt.

Was blieb abseits der sächsischen Materialschlacht hängen? Okay, es gab hunderte News, Bilder, Berichte und Trailer. Aber das ist nur das, was an der Oberfläche nach außen dringt und dringen sollte. Das ist immer so - egal ob in LA, Tokio oder Leipzig. Das sind die gezielt gestreuten Köder, die mit brachialem Getöse vom gepimpten Stand in die gehypte Besuchermasse klatschen. Dazu gabs diesmal Pilawas DS-Outing, Arrested Development live on Xbox 360 und Sonys Einführung in die medizinischen Qualitäten des Cell-Chips.

Moment! Mal abgesehen von den langweiligen Pressekonferenzen mit ihren fast schon religiösen Erfolgspredigten: War das Publikum auf dieser Messe überhaupt euphorisiert oder fasziniert? Ich hab keinen frenetischen Jubel, kein begeistertes Klatschen gehört. Irgendwie lief alles leiser, fast schon in gewohnheitsmäßiger Routine ab. Man musste nur dem Messeraunen lauschen, um diese seltsam nüchterne Melodie wahrzunehmen. Hören wir doch mal zu, dem allzu Menschlichen, den ungefilterten Weisheiten:

"Ist das eine geile Sau! Da würd ich auch ma gerne rüber."

Mahlzeit. Willkommen in Leipzig. Das war das Erste, was ich am Mittwoch Morgen nach dem Betreten der heiligen Hallen hörte. Ich hatte eigentlich nur Pro Evolution Soccer 6 für die 360 im Kopf, als diese Testosteronmetapher aus den Mundwinkeln eins adretten Anzugträgers triefte. Er humpelte dann wie ein Pavian hinter zwei kichernden Hostessen her.

Das sagt sicher noch nichts über den Messestandort im Besonderen aus. Und keine Bange - das war wahrscheinlich nur ein impulsiver erogener Streifschuss: Sex spielt auf einer Spielemesse natürlich keine Rolle. Gar keine Rolle. Es gibt ja offizielle Öffnungszeiten, ein streng bewachtes Gelände, externe Branchenpartys.

Aber seit der kleinen Schweinerei habe ich genauer hingehört, mich einfach von der Strömung der Sprüche mitreißen lassen, in denen überraschend viel Wahrheit steckte. Lauschen wir doch noch mal. Volkes Stimme verrät mehr als jede Pressemitteilung. Auf einer Rolltreppe flachste eine Gruppe aus Halle:

"So'ne Scheiße, dass nix für den Wii spielbar ist. Aber vielleicht ist Zelda für'n Cube da."

Tja, Pech gehabt. Dass nicht alle Besucher so informiert sind, zeigte sich eine Halle weiter bei drei ganz verdutzten Teenagern am Sony-Stand. Da liefen auf großen HD-Fernsehern PlayStation 3-Titel wie Genji , Heavenly Sword und The Getaway :

"Wo sind denn die Controller, damit man die Playse 3 anzocken kann?"

Die waren bekanntlich gar nicht da. Alle Besucher schauten schnell in die Current-Gen-Röhre: Kein Wii spielbar, keine PlayStation 3 spielbar - für Nintendo und Sony ist diese Messe eben nicht ganz so wichtig. Wenn man sich mal Zeit nahm, um als stiller Beobachter in das kollektive Unterbewusstsein dieser Games Convention abzutauchen, wurde aus der bejubelten "europäischen Leitmesse" mit ihren 186.000 Besuchern auf satten 90.000 Quadratmetern schnell eine "Light-Messe". Selbst in der Jury zur Wahl des Best of GC Award machte sich eine gewisse Tristesse angesichts der dünnen Nominierungen breit:

"Gibt es dieses Jahr denn nichts Großartiges? Außer Spore? Kein Gears of War oder Forza 2, kein Zelda oder Mario für den Wii. Selbst Pro Evo 6 hat mich nicht gerockt."

So stark das Gerüst der Zahlen und Aussteller auch gewesen sein mag, so schwach war doch letztlich das spielerische Innenleben. Hat die GC ihren Zenit erreicht oder gar überschritten? Interessant war, dass man in den Präsentationen unter Kollegen auch viel Russisch, Englisch, Polnisch oder Französisch hörte, was nicht alle Publisher freute:

"Wenn noch mehr Journalisten aus aller Welt kommen, brauchen wir nächstes Jahr doppelt so viel Platz im Business Center."

Schwebt da schon das Beil über Leipzig, das auch die E3 aus Kosten- und Termingründen auf Hotelformat kastrierte? Vielleicht, denn der Gedanke trug im Gemurmel zwischen den Hallen bereits Früchte:

"Das wird 2007 wahrscheinlich eine reine Publikumsmesse, Weltneuheiten für die Presse gibts dann nur noch auf dem E3 Media Festival oder eigenen Veranstaltungen. Ist einfach alles zu teuer."

Man schnappt hier ein paar Wortfetzen auf, hält da ein Schwätzchen, lässt sich dort ein Gespräch aufzwingen. Und eigentlich braucht man gar nicht an Konferenzen und Präsentationen teilnehmen, muss lediglich bei einer Bockwurst die Ohren spitzen. Nehmen wir die allgemeine Euphorie über den Wii - alle lieben ihn, alle wollen ihn, auch die Sachsen:

"Egal ob zweehundert oder zweehundertfuftsch Euro - dor Wii is gekooft. Obwohl 199 Euro besser wär'."

Auch die eigene Branche wird zwischen Kaffee und Cola immer wieder gerne analysiert:

"Printmagazine sin dot, den Onleenern gehört de Zugunft."

Auch wenn das vielleicht noch nicht der ganzen Abo-Wirklichkeit entspricht: In Leipzig waren reihenweise Ex-Redakteure von Spiele-Zeitschriften auf Jobsuche und gleichzeitig wurden reihenweise neue Spiele-Portale aus dem Boden gestampft - diese Wanderbewegung wäre vor ein paar Jahren noch gar nicht denkbar gewesen. Der Blätterwald lichtet sich, Online-Auftritte werden auch in Deutschland immer wichtiger.

Diese Messe hat viel geraunt, viel über die Zukunft und die emotionale Befindlichkeit der Branche verraten. Nur eine "Leitmesse" war das sicher nicht.


Jörg Luibl
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