Jörg Luibl
Spielebranche am Apparat: Bei Anruf Award?Eine Kolumne von Jörg Luibl, 27.10.2006

Das Telefon klingelt. Jeden Tag. Manchmal nimmt man ab und macht Termine, spricht über die letzte Messe, hält Smalltalk. Aber manchmal nimmt man ab und taucht mit jedem Satz ab in die dubiose Welt unter der schillernden Oberfläche der bunten Spielebranche. Habt ihr das gehört? Geht mal ran...

Klingeling.

Klingelingeling.

Redakteur: Hallo?

Publisher: Könnten Sie mich bitte mit dem Mann verbinden, der diesen inakzeptablen Test von Game 4 zu verantworten hat?

Redakteur: Der ist am Apparat. Wie ist denn Ihr Name?

Publisher: Max Meyer, Marketing-Chef von Hobelholzsoftware. Und ich bin richtig sauer. Wissen Sie, ich habe hier gerade einen Kugelschreiber in der Hand.

Redakteur: Das ist schön, aber...

Publisher: ...und bin kurz davor, hier schriftlich festzuhalten, dass mein Unternehmen ihr dreistes Magazin angesichts dieser bösartigen Hetze in Zukunft in keiner Weise mehr unterstützen wird: keine Werbebanner, keine Einladungen, kein Testmuster mehr!

Redakteur: Das ist schlecht. Wir leben ja von Werbe-Einnahmen. Und wenn Sie uns nicht mehr bemustern, könnte das auch schlecht für den Leser sein - sollen wir Ihre Spiele gar nicht mehr besprechen? Es gab ja auch einige gute darunter...

Publisher: Was bringt es uns, wenn irgendein Kram gut besprochen wird? Wichtig sind unsere Triple A-Titel!

Redakteur: Verstehe ich das richtig? Also sollen wir auch auf News, Bilder und Trailer zu allen kommenden Titeln verzichten? Wollten Sie nicht auch ein Add-On zu Game 4 rausbringen? Und zu Zockmich 5?

Publisher: So ein Unsinn! Wer hat denn gesagt, dass Sie gar kein Material mehr erhalten? Da können Sie doch für ihre PIs gar nicht drauf verzichten! Sie werden nur keine Vorschau- und Testmuster mehr vor dem Release bekommen...  

Redakteur: Ach so. Aber Ihre Pressemitteilungen und das andere Material sollen wir brav veröffentlichen, obwohl Sie uns das Arbeitsmaterial sowie einen Teil unserer finanziellen Grundlage entziehen wollen?

Publisher: Das machen Sie doch auch mit Ihrem vernichtenden Test und dieser Hetze!

Redakteur: Moment: Wieso eigentlich Hetze? Haben Sie den Test denn gelesen?

Publisher: Wie bitte? Ja, ähm nein, nicht ganz. Aber das Fazit. Außerdem haben meine Mitarbeiter die schlimmsten Passagen Ihrer boshaften Formulierungen gut zusammengefasst auf meinen Schreibtisch gelegt - das hat gereicht.

Redakteur: Sie verwechseln da etwas: Der Test ist nicht böse. In jeder Kritik steckt immer der Wunsch nach besseren Spielen. Wir sind Spieler aus Leidenschaft, nicht aus Boshaftigkeit. Und Ihr Game 4 ist einfach in diesem Zustand nicht gut.

Publisher: Ach, Unsinn! Das ist doch alles dummes Zeug, am Ende zählt nur die Wertung. 66%? Das darf einfach nicht wahr sein! Alles unter 80% ist ein schlechter Witz. Wenn wir mit jemandem vernünftig zusammen arbeiten, dann muss die 8 bei den Tests zu unseren Spielen stehen!

Redakteur: Ansonsten?

Publisher: Ansonsten wird es eben erhebliche Benachteiligungen geben. Aber in Ihrem Fall ist das Fass übergelaufen! Schon eine 70% ist eine Frechheit! Und außerdem: So einen subjektiven Müll habe ich lange nicht gelesen!

Redakteur: Danke. Ich werde jetzt nicht über die sinnlose Forderung nach Objektivität sprechen, die es nicht geben kann. Aber wenn Sie den Text richtig gelesen hätten, würden Sie wissen, dass ich dieses Genre eigentlich liebe und selber enttäuscht war. Das wird über mehrere Seiten anhand von Beispielen argumentiert.

Publisher: Ach ja? Hätte man nicht gerade dann einige Dinge schöner beschreiben können?

Redakteur: Sie meinen, ich soll klare Schwächen schönschreiben? Oder verharmlosen?

Publisher: Ja, genau. Stellen Sie sich doch nicht so an! Schließlich ist diese Branche ein Geben und Nehmen. Wissen Sie eigentlich, wie viele Mitarbeiter hier mit Herzblut arbeiten? Wie viel Geld in diesem Spiel steckt? Wissen Sie eigentlich, wie vielen Leuten Sie mit Ihrem Test vor den Kopf gestoßen haben?

Redakteur: Nein. Ich kenne Ihr Personal nicht. Ich weiß nur, dass hier auch viele Leute hart arbeiten. Und wissen Sie, wo noch mehr Leute verdammt hart arbeiten?

Publisher: Bei EA?

Redakteur: Nein, da draußen! Diese Branche ist kein alleiniges Geben und Nehmen zwischen Presse und Publisher, sondern wenn überhaupt, dann eines zwischen Presse, Hersteller und Leser.

Publisher: Sie meinen Endkunde, Käufer?

Redakteur: Nein, das ist ihre Marketingzielgruppe. Ich meine die journalistische Zielgruppe: Leser, User, Zocker.

Publisher: Was soll diese sinnlose Einteilung? Am Ende ist jeder ein Käufer. Wieso diskutieren wir hier eigentlich so grundsätzliche Unterschiede zwischen Presse und Marketing?

Redakteur: Weil es vielleicht mal nötig wäre?

Publisher: Sie sind ja naiv! Diese Branche läuft seit Jahren so wie sie läuft - basta. Sie bleiben also bei Ihrem vernichtenden Urteil?

Redakteur: Es ist nicht vernichtend, es ist angesichts des fehlerhaften Zustandes und der klaren Schwächen einfach ehrlich. Außerdem: Wollen Sie die zahlreichen Bugs denn gar nicht sehen?

Publisher: Jetzt mal unter uns: Natürlich sehen wir sie! Aber muss man denn gleich so deutlich darauf zeigen? Könnte man nicht etwas Rücksicht auf den kommenden Patch nehmen?

Redakteur: Wir sollen also im Voraus etwas bewerten, in der Hoffnung, dass Fehler später ausgemerzt werden?

Publisher: Ja, na und? Bugs gehören zur Branche wie Regen zum Wetter. Wie lange sind Sie eigentlich Redakteur? Ihr Verhalten ist einfach unprofessionell. Außerdem machen das andere Magazine auch...

Redakteur: ...den Leser verarschen? Sich für Werbeeinnahmen flach legen?

Publisher: Also bitte! Nein, etwas entgegen kommen, im Vorfeld mal anrufen und abklären, welche Fehler noch verschwinden, damit man das nicht noch Schwarz auf Weiß ausbreiten muss. Anstatt auf dem Spiel rumzuhacken hätten Sie auch eine schöne Charakterbeschreibung oder ein spannendes Tagebuch machen können! Wir hätten auch vorgefertigte Features mit Exklusiv-Bildern für Sie gehabt...

Redakteur: Wir hätten auch mit "Es war einmal" beginnen können...

Publisher: Ihren Zynismus können Sie sich sparen!

Redakteur: Was würden Sie denn Ihrem Autohändler sagen, wenn er Ihnen beim Kauf eines Neuwagens verklickert: Der Motor läuft noch nicht ganz rund, aber den werden wir in den nächsten Monaten austauschen - versprochen.

Publisher: Ich würde den Mann selbstverständlich auslachen! Oder gleich verklagen! Aber was soll dieser Unfug? Das sind Äpfel und Birnen. Bleiben Sie also bei Ihrem Urteil?

Redakteur: Verurteilt werden Angeklagte, ich habe etwas bewertet. Es ist online, es ist wie es ist, schlecht ist schlecht. Was glauben Sie denn, was jetzt noch möglich wäre?

Publisher: Sie könnten den Test wenigstens offline stellen. Oder ganz unten im Archiv verschwinden lassen. Oder diesen verdammt großen Aufmacher von der Seite nehmen! Das ist ja kaum zu ertragen...

Redakteur: Bitte? Der Leser soll penetrante Werbung im Großformat vertragen, aber die Wahrheit soll klein verpackt werden oder verschwinden? Kommen Sie damit etwa bei anderen Magazinen durch? Nein. Wir werden nichts verschieben oder löschen. Unsere Leser haben ein Recht auf diese Kritik, zumal das Spiel ja gerade im Laden steht.

Publisher: Eben! Das ist es ja! Ich will mir unsere Abverkaufszahlen nicht durch diesen Test vermiesen lassen!

Redakteur: Moment: Wir sind doch nicht das einzige Magazin auf dem Markt. Es gibt Pressefreiheit und Pressevielfalt in Deutschland. Außerdem haben doch zig andere Magazine Ihr Spiel mit Awards gefeiert!

Publisher: Ja, genau. Und nur ein paar dieser dreimalklugen Ausreißer online und im Printbereich wollen mit ihrer überzogenen Kritik auf sich aufmerksam machen!

Redakteur: Wir und die anderen wollen mit der Kritik darauf aufmerksam machen, dass man Spiele nicht so früh und unfertig auf den Markt schmeißen sollte. Warum haben Sie den Entwicklern nicht mehr Zeit gegeben?

Publisher: Irgendwann ist jede Geduld am Ende, irgendwann will man Ergebnisse sehen!

Redakteur: Und irgendwann macht man gerade mit dieser Methode die besten Spieleserien kaputt. Verantwortlich sind die, die den Veröffentlichungstermin vor die Qualität stellen. Hier hat man die Seele für den frühen Gewinn geopfert.

Publisher: Jetzt tun Sie doch nicht so! Sind Sie heiliger als der Papst? Andere Ihrer Kollegen sind da wesentlich kooperativer und realistischer...

Redakteur: Tatsächlich? Wissen Sie: Ich kann Ihre Aufregung sogar verstehen, denn Ihre Perspektive ist die rein wirtschaftliche. In jeder Branche wird man versuchen, die finanzielle Macht auszunutzen, um sein Produkt möglichst gut dastehen zu lassen. Es ist eher der deutsche Spiele-Journalismus der ein Problem hat, wenn er Ihnen nicht kollektiv seine Perspektive entgegen hält: die kritische, die freie, die unbeeinflusste und ehrliche. Vielleicht sollte man das Thema mal aufarbeiten und das ganze Geschacher und Gedeale im Hintergrund in seiner nackten Elendigkeit veröffentlichen.

Publisher: Jetzt reicht's! Was ist das denn für ein verschwörerischer Humbug? Wir werden Ihr Portal in Zukunft mit keinem einzigen Cent mehr unterstützen. Wir werden uns Partner suchen, die kooperativer sind!

Redakteur: Leider werden Sie derzeit damit Erfolg haben. Aber wenn es irgendwann mal keine Partner gibt...

Publisher: Auf Wiederhören.


Jörg Luibl
4P|Chefredakteur


+++

Nachwort & Ankündigung: 
 
Dieses Telefonat ist natürlich fiktiv. Jegliche Ähnlichkeit mit existierenden Personen sind rein zufällig, diese Sätze hat es so nie in einem Gespräch gegeben. Aber das Telefonat spiegelt die berufliche Realität an den Schreibtischen der Chefredaktionen in seinen summierten Anspielungen wider und verrät verdammt viel über das, was hinter den Kulissen dieser Branche schief läuft - auch in der Presse. 

Diese Kolumne soll daher der Auftakt für einen kritischen Herbst sein, in dem wir in Interviews mit Kennern und Kritikern, mit aktiven und inaktiven oder geschassten Journalisten, mutigen PR-Leuten sowie Ex-Marketing-Leitern über all die Probleme hinter den Kulissen sprechen werden. Wir garantieren auf Wunsch volle Anonymität.

Bei Interesse einfach eine E-Mail an joerg.luibl@4players.de - danke.



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