Marcel Kleffmann
Absurde Killerspiel-HysterieEine Kolumne von Marcel Kleffmann, 23.11.2006

"Na, spielst Du auch diese Killerspiele?" und "Wann planst Du denn Deinen Amoklauf?" *hämisches Grinsen* - genau diese beiden Fragen musste sich ein guter Freund von mir am Dienstag an seinem IT-Arbeitsplatz anhören und zwar einen Tag nach dem schrecklichen Schul-Amoklauf von Emsdetten. Obwohl diese Fragen in erste Linie nicht ernst gemeint waren, verbergen sie doch einen kritischen Unterton und spiegeln in einer gewissen Weise die voreingenommene und oft vorschnelle Haltung vieler Leute wider - und ebenfalls vieler Politiker aka Volksvertreter. Wie schon so häufig wurde nach einem schnellen "Schuldigen" gesucht, damit sich die Bevölkerung in "trügerischer, aber vorhandener" Sicherheit wiegen kann. Diese rasche Schuldzuweisung ist hauptsächlich den einschlägigen Medien zu verdanken, die sich durch diese Themen profilieren wollen oder sonstigen Zuspruch erwarten. Die tiefergehende Thematisierung der weiteren Probleme, Gründe oder Fragen werden eher sekundär behandelt...

Woher hatte der Amokläufer überhaupt sein ganzes Waffenarsenal inklusive der Munition? Wie kann es sein, dass er sich Rohrbomben im Eigenbau gefertigt (und vorher getestet und gefilmt) hat, ohne dass irgendjemand etwas mitbekommen hat? Warum hat niemand auf seine offensichtlichen Hilferufe mit Suizidgedanken in einschlägigen Internetforen reagiert (n-TV berichtete)? Weshalb blieben seine selbst gedrehten Killer-Videos "mit realistischen Tötungsszenen" (Zitat n-TV) ebenfalls außen vor? Über seine völlige Abkehr von allen Mitschülern wird ebenfalls nur in Randnoten berichtet. Und warum seine Lehrer die drohende Gefahr oder seine Abkapselung von allen im schulischen Umfeld nicht bemerkten, ist ebenfalls diskussionswürdig - vor allem in einer kleinen Stadt mit rund 35.500 Einwohnern. All diese Fragen und Ungereimtheiten werden vorzugsweise durch die "Killerspiele" egalisiert und führen zu einer erneuten Debatte und populistischen Verbotsanträgen, ohne die eigentlichen Probleme zu thematisieren oder anzugehen.

Uwe Schünemann (Niedersächsischer Landesinnenminister (CDU)) räumte ein, dass ein Herstellungsverbot zwar schwer umsetzbar sei, da der Großteil der Killer-Spiele im Ausland programmiert werde. Ein Verbot zur Verbreitung in Deutschland sei allerdings ein wichtiger erster Schritt, sagte Schünemann. «Ein wirksamer Jugendschutz kann letztlich nur erreicht werden, wenn besonders schädliche Computerspiele gar nicht erst auf den Markt kommen.» (Zitat: NetZeitung )

Nachdem die ersten Berichte über den Amoklauf über die Newsticker liefen, erreichten mich fast zeitgleich einige SMS-Nachrichten und ICQ-Messages, in denen schon Wetten abgeschlossen wurden, wann die Schuld auf die "Killerspiele" geschoben würde und siehe da, nur wenige Stunden später wurde das "superböse" und "gewaltverherrlichende" Counter-Strike auf dem Rechner des Amokläufers gefunden. n-TV sprang sofort auf den Zug auf und stellte die sinnentleerte TV-Umfrage "Sollten Killerspiele für Minderjährige verboten werden?" - eine polemische Frage, die zugleich Informationsmangel signalisiert, schließlich haben wir in Deutschland ein klar strukturiertes Jugendschutzgesetz und die USK leistet adäquate Arbeit: So haben zugegebenermaßen brutale Spiele wie "Gears of War" oder "El Matador" keine Freigabe erhalten, während vergleichsweise blutige Kinofilme mit "ab 16 Jahren" freigegeben werden - aber den blutigen Streifen fehlt halt der Interaktivitätsfaktor.

Äußerst kreativ zeigte sich Die Welt und stellte klar, "dass alles, was zur männlichen Adoleszenz gehört, anrüchig sei: sich prügeln, konkurrieren, den Mädchen imponieren, es wird streng getadelt." So "haben die Jahre der feministischen Denunziation die volle Breitenwirkung entfaltet. Es gibt keinen Platz für männliche Aggression, wenn man vom Sport absieht. Die Mädchen sind die großen Gewinner in dieser Lage." Als "logischen" Schluss zog die Autorin, "dass die Roberts und Sebastians auf den virtuellen Raum ausweichen, wo in einem Spiel wie "Auto Theft" (freigegeben ab 16) Mädchen auf offener Strasse mit Schaufeln erschlagen werden und dunkle Blutlachen den Triumph anzeigen." Abgesehen davon, dass es kein Spiel mit dem Titel "Auto Theft" gibt (gemeint ist wohl GTA), ist es zugegebenermaßen sehr kreativ, vielleicht sogar an den Haaren herbeigezogen, die jugendlichen Frauen vorzuschieben, weil sie den Männern keine Chance mehr lassen ihre Aggressionen "abzubauen". Schließlich vertreiben sogar weibliche Wesen mit Killerspielen ihre Zeit oder treiben sogar Sport...

Entgegen NRW-Familienminister Laschet, der die Spiele zum "Teil der Alltagskultur" zählt, denen man nicht mit "pauschalen Verurteilungen" begegnen sollte, geht Die Welt erneut einen Schritt weiter. "Killerspiele aber gehören pauschal verurteilt und aus dem Verkehr gezogen. Mag schon sein, dass Jugendliche dann umso schärfer darauf sind. Aber sie dürfen dann nicht mehr überall beworben werden, und die Gesellschaft drückt in diesem Verbot ihre Missbilligung des widerlichem pornografischen und mörderischen Zeitvertreibs aus - genau wie sie es bei Leugnung des Holocaust auch tut - ein Verbot, dass ja auch den Reiz erhöht hat." Wieder wird der anrüchige Vergleich mit der Pornografie aus der "Truhe des Bösen" herausgekramt, weil echte Argumente gegen die Killerspiele nicht vorliegen und der schlussendliche Vergleich mit der "Leugnung des Holocausts" setzt der Absurdität die Krone auf - das ist einfach unfassbar! Das ist nur noch pauschale Meinungsmache und fast schon bösartige Hetze gegen die Spielkultur.

Soll jetzt wirklich jeder "Killerspiel"-Spieler unter Generalverdacht gestellt werden? Schließlich würde das Verbot solcher Games nichts anderes bedeuten. Dann würden jetzt in Deutschland weit über 100.000 CS'ler oder Battlefield-Spieler mit in dieses Profil passen und sich für eine Rasterfahndung anbieten. Lasst uns die Absurdität konsequent weiter treiben: Wenn "Massenkillerspiele" wie Medieval II Total War (bei dem der Anführer gleich Tausende von Soldaten in die Schlachten schickt) oder World of WarCraft mit in dieses Schema passen, würde sich die Gruppe der "üblichen Verdächtigen" proportional zur damit verbundenen Volksverdummung ausweiten. Nicht nur die Zensur, auch die Kriminalisierung liegt in der Luft, wenn der bayerische Innenminister Günther Beckstein gleich noch einen Schritt weiter geht: "Killer-Spiele" sollten "in der Größenordnung von Kinderpornographie eingeordnet werden, damit es spürbare Strafen gibt". (Zitat: Tagesschau.de )

Geht's noch? Oh ja, der Staat will jetzt selbst der USK an den Kragen: Schünemann forderte zudem die Abschaffung der "Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle" (USK), eine von den Software-Herstellern unterstützte Einrichtung. Notwendig ist aus seiner Sicht ein neues Gremium zur Überprüfung von Computerspielen, das "rein in staatlicher Hand" liege. Die bisherige freiwillige Kontrolle sei offenbar zu lax, hieß es. Selbst bei Spielen, die ab 16 freigegeben sind, fließe reichlich Blut (Anm. d. Autos: Die ach so harte USK wollte sogar das humoristische und blutleere Destroy All Humans erst mit keiner Jugendfreigabe versehen.). (Zitat: Tagesschau.de )

Gegenstimmen gibt es seitens der Opposition, so sei laut FDP-Justizpolitikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ein Verbot bestimmter Computerspiele "kurzsichtig" und auch die Grünen sind dagegen, bestimmte Computerspiele zu verbieten. Wenn es zutreffe, dass der Täter isoliert gewesen sei und seine Zeit hauptsächlich mit dem Spielen von "Baller-Spielen" verbracht habe, müsse eine "Debatte um Förderung von Medienkompetenz und einer sinnvollen Computernutzung geführt werden", sagte Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck der "Netzeitung". Die "einfältige Forderung" nach einem Verbot von "Killer-Spielen" reiche hier sicher nicht aus, zumal Verbotenes für Jugendliche bekanntlich umso reizvoller sei. (Zitat: Tagesschau.de )

Mittlerweile lösen sich sogar einige voreilige Nachrichten-Märchen über Sebastian B., der sich ResistantX nannte auf. So soll er nicht nur Counter-Strike gespielt haben, sondern auch eine Karte der Emsdettener Geschwister-Scholl-Schule erstellt haben, um seine "Tat" zu planen. Zwar existiert tatsächlich eine Karte im Internet, aber das Level "de_gss" wurde der Geschwister-Scholl-Schule in Melsungen nahe Kassel nachempfunden, wie Spiegel Online berichtet. Und die Karte ist stolze sechs Jahre alt - der Autor nannte sich im Übrigen "Schlossherr".

Dass nicht die Killerspiele alleine ausschlaggebend für den Amoklauf waren, bestätigte das vom Amokläufer selbst gedrehte Abschiedsvideo.

In dem Film, den einige deutsche Fernsehsender zeigten, trug Sebastian B. ein schwarzes T-Shirt. «Seit der 1. Klasse war ich ein Verlierer», sagt er in englischer Sprache. Er sei getreten und bespuckt worden. Von sich selbst sagt er: «Ich war kein Mensch, ich war göttlich.» Und weiter: «Ich habe das Massaker geplant und wollte alle töten.» Das Video endet mit dem Satz: «Das ist Krieg.» Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der 18-Jährige mit Abschiedsbrief, Abschiedsvideo und anderen Einträgen bewusst Spuren im Internet gelegt hat, um sich nach seinem Selbstmord öffentlich zu rechtfertigen." (Zitat: Westline.de ) Sollte sich Sebastian B. aus der realen Welt zurückgezogen haben und nur in der virtuellen Welt profilieren wollen, warum hat das niemand bemerkt? Lehrer, Eltern, Freunde (die er definitiv hatte und mit denen er die Videos drehte), Nachbarn - alle haben nichts bemerkt. Nicht mal in Psychotherapie-Foren, in denen er direkt vom Amoklauf sprach, schenkte man ihm Beachtung.

Wenn ein oder zwei Einzeltäter durchdrehen und tatsächlich irgendwann auch mal Computerspiele wie CounterStrike konsumiert haben, dann darf man nicht sofort eine ursächliche Verbindung zur Tat herstellen oder die Schuld nur an der offensichtlichen Spitze des Eisberges suchen, sondern unter der Oberfläche. Wo bleibt die Kritik am Schul- und Erziehungssystem, das Kinder schon mit dem Sitzenbleiben ausgrenzt? Wo bleibt die Frage danach, welche psychischen Narben der Attentäter in seiner Kindheit oder in seinem Umfeld erfahren hat, um diesen Hass auf die Gesellschaft aufzubauen? Wer war ResistantX überhaupt und welche kontroversen Ansichten hatte er? Schwere Fragen, nicht wahr? Dann doch lieber die "Killerspiele" in journalistisch fragwürdiger Hysterie als Sündenbock vorschieben...


Marcel Kleffmann
Redakteur

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Die Aufregung des gesellschaftlichen Establishments über Jugendkultur und die journalistische Hysterie haben Tradition. Wir haben uns bereits in früheren Jahren ausführlich damit beschäftigt und als Reaktion auf den zyklischen Kulturpessimismus mancher Medien die Rubrik Spielkultur gegründet - als Kontrapunkt gegen polemische Hetze und absurde Verallgemeinerungen.

- Spielkultur im Anmarsch!
- Propaganda gegen Spiele - was tun?
- Das Spiel: verdoomt & verkannt!
- Vorsicht: SZ schießt auf Leser!

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