Jörg Luibl
Ideologie & KritikEine Kolumne von Jörg Luibl, 16.11.2007
Wie bewertet man ein Spiel, das der eigenen Ideologie oder Moral zuwider ist? Natürlich ist das, was derzeit an Themen zwischen PC und Konsole vorherrscht, meist alles andere als explosiv oder brisant. Es entstehen viel zu wenige Spiele aus politischem oder gesellschaftlichem Protest heraus. Deshalb bringe ich mal etwas plump Zunder in die Diskussion, damit gleich allen warm wird: Manhunt 2, Call of Duty 4, Sex Games 6.

Hört ihr die Alarmsirenen? Sie heulen schrill und laut vor Empörung: Das ist ekelhaft brutaler Sadismus! Das ist patriotisch verblödeter Amerikanismus! Das ist billig inszenierte Pornographie! Und sehr oft wird man auch zu Recht gewarnt, denn all das kann nicht nur inhaltlich anwidern, sondern auch spielerisch absoluter Schrott sein.

Aber hier geht es nicht um darum, ob ich den Kram Zuhause erleben will. Das entscheidet letztlich der Geschmack, die ganz persönliche heilige Freiheit, die laut Grundgesetz all den Müll mit einschließen darf. In dieser Kolumne geht es jedoch darum, wie man als Kritiker mit Spielen umgeht, die der eigenen Weltanschauung entgegen stehen.

Das ist mein Standpunkt:

1. Es handelt sich bei Spielen um Fiktion.
2. Ich rede über Unterhaltung für Erwachsene.
3. Spiele gehören für mich als kreative Schöpfungen genau so wie Buch, Film & Musik in den Bereich Kunst & Kultur.

So weit in Ordnung? Okay, denn das ist meine Antwort: Die eigene Ideologie ist schnurzpiepegal, die Inszenierung ist alles! Es kommt bei der qualitativen Beurteilung eines Spiels nicht darauf an, was dargestellt wird, sondern wie etwas dargestellt wird.

Ein Beispiel: Wenn ein mittelmäßiger Entwickler zum x-ten Mal einen Shooter mit westlicher Army-Propaganda auftischt, dann kommt meist kaum erträglicher Kitsch heraus. Wenn ein begnadeter Entwickler zum x-ten Mal einen Shooter mit westlicher Army-Propaganda serviert, dann kann etwas Großartiges herauskommen. Und wenn ein begnadeter Entwickler zum ersten Mal einen Shooter mit islamistischer Propaganda anbietet? Dann kann ebenfalls etwas Großartiges herauskommen!

Das heißt, dass nicht das Thema als solches oder die Weltanschauung dahinter entscheidend für die Wertung ist, sondern die Art und Weise der Darstellung. Diese harte Unterscheidung prägt die Debatte schon seit Jahrhunderten. Ich zitiere mal Schiller inklusive moderner Übersetzung:

"In einem wahrhaft schönen Kunstwerk soll der Inhalt [ = Ey geil, Hauptsache Zweiter Weltkrieg!] nichts, die Form [ = Wie faszinierend, eine brillante Dramaturgie!] aber alles tun."

Und weil es so pathetisch klingt, noch einen Schopenhauer zum Absacken hinterher, denn dann wird verständlich, warum sich ein Call of Duty bisher trotz Levelschlauch und Langweilstory so gut verkauft hat.

"Das Publikum wendet seine Teilnahme sehr viel mehr dem Stoff [ = Ey geil, Hauptsache Zweiter Weltkrieg!] als der Form [ = Wie faszinierend, eine brillante Dramaturgie!] zu und bleibt eben dadurch in seiner höheren Bildung zurück."

Die Masse will beim Zocken in ihrer Weltanschauung bestätigt werden - deshalb gibt es so viele erfolgreiche Shooter, in denen der westliche Blick dominiert. Aber stellen wir uns vor, es gäbe neben einem Full Spectrum Warrior noch ein Full Spectrum Terrorism, neben einem Call of Duty noch ein Call of Dschihad!

Kann man das als demokratisch geprägter, Selbstmord-Attentate verabscheuender Humanist überhaupt im Sinne Schillers und Schopenhauers bewerten? Ist nicht jede Kritik partout subjektiv? Oh ja! Objektivität gibt es nicht! Machen wir uns nichts vor: In dem Moment, wo man das akzeptiert, bedeutet das natürlich auch, dass der Standpunkt des Kritikers eine Rolle bei der Bewertung spielt - auch wenn es nur eine unbewusste ist. Steckt hinter dem scharf formulierten Kritikpunkt der "belanglosen Story" also vielleicht der Ekel vor der Glorifizierung des religiösen Fanatismus oder von Stars & Stripes?

Der Königsweg der Kritik ist der, der aus dieser Sackgasse der eigenen Weltanschauung führt: Wo kämen wir hin, wenn ein amerikanischer Kritiker grundsätzlich keine iranische Literatur, wenn ein russischer Kritiker grundsätzlich keine ukrainische Kunst, wenn ein christlicher Kritiker grundsätzlich keine islamischen Filme anerkennen kann? Willkommen in der nationalen, religiösen und moralischen Beschränktheit!

Ist Al-Djasira ein guter Fernsehsender? Sind die Satanischen Verse gute Literatur? Ist Bowling for Columbine eine gute Dokumentation? Wenn die Antworten in erster Linie von der Weltanschauung des Autors und nicht von der inhaltlichen Qualität abhängen, verliert die Kritik sofort ihre Substanz. So weit ist diese Branche natürlich noch nicht. Literatur und Film sind dem jungen Medium Spiel auch deshalb einen Schritt voraus, weil sie abseits der Unterhaltung gezielt als Meinungsinstrumente genutzt werden.

Trotzdem sollte die Herangehensweise an Buch-, Film- und Spielkritik dieselbe sein: Künstlerisch wertvoll wird etwas nicht durch seine Weltanschauung, sondern durch seine inhaltliche Qualität! Diese Erkenntnis setzt voraus, dass man Spiele als fiktive Abenteuer betrachtet, die einen nach dem Abspann nicht in potenzielle Bush-Wähler oder vermummte Terroristen verwandeln. Was heißt denn Spielen? Auch mal Rollen tauschen, mit den Konventionen des langweiligen Alltags brechen: Deshalb will ich als moderner Sesselfurzer so gerne an die Front eines Call of Duty! Na und? Vielleicht wähle ich trotzdem Grün. Deshalb spiele ich in Max Payne den bösen Rächer mit Selbstjustiz bis zum Headshot! Na und? Vielleicht bin ich trotzdem Sanitäter.

Die Frage für den Kritiker ist nicht, ob der Rollentausch mit den eigenen politischen oder ideologischen Grundsätzen vereinbar ist, sondern ob er gut inszeniert wird.


Jörg Luibl
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