Die unsittliche Penisfrage
Na, hab ich euch an den Eiern? Sorry, aber ich will männliche Leser gleich an der Wurzel der Aufmerksamkeit packen. Alle weiblichen Leser mögen die unflätige Art der Überschrift entschuldigen, aber ich komme gerade zurück aus dem Mittelalter. Und da ging es doch so derb zur Sache, dass die Kirche mit ihrer Moral kaum gegen die heidnische Unzucht ankam - Geilheit und Phallussymbole überall.
Was der Penis mit der modernen Spielewelt zu tun hat? Er taucht ja kaum auf, er wird nicht polygonisiert und seit den alten Sex Games-Zeiten nicht mehr in Wallung gerüttelt. Eigentlich ist er kein Problem. Und schon gar kein virtuelles Phänomen. Selbst in deutlich steifer Form ist er jetzt freigesprochen worden, wie
n-tv berichtet:
"Aktfotos nackter Männer mit erigiertem Geschlechtsteil in einem Kalender sind nach Auffassung des Berliner Kammergerichts keine verbotene Pornografie."Aber da geht es um den Penis im Kalender. Ganz anders sieht die Sache scheinbar in Spielen aus. Denn da sind die Moralapostel wieder da. Da gibt es
gerade eine erzkonservativen Rückschritt in vergessen geglaubte Peinlichkeiten. Denn jetzt schwingen die Behörden nicht mehr nur die Gewaltkeule, sondern neuerdings auch noch die uralte Schamkeule gegen die virtuelle Freiheit. Das hört sich im Juristendeutsch dann so an:
"Ein Medium ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung unsittlich, wenn es nach Inhalt und Ausdruck objektiv geeignet ist, in sexueller Hinsicht das Scham- und Sittlichkeitsgefühl gröblich zu verletzen."
Manchmal braucht man gar keinen Umberto Eco, Creative Assembly oder gar eine Zeitmaschine, um ins Mittelalter zu reisen. Das kommt heutzutage einfach so zu uns. Man wirft einen Blick auf
diese neuen Indizierungskriterien der
Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) und schon hört man die frommen Glocken läuten. Und haben wir Alteuropäer nicht gedacht, dass Prüderie ein amerikanisches Problem sei?
Ihr habt gar nichts mitbekommen? Kein Wunder, denn das ging fast still und leise vonstatten. Eine gute deutsche Behörde macht sich eben auch im ruhigen Kämmerlein immer wieder Sorgen um das Seelenheil der zockenden Jugend. Heutzutage ist man ja nirgends sicher, also muss man die Gesellschaft rundum schützen. Das böse Spiel versaut den Jugendlichen, der böse Jugendliche versaut die gute Kriminalitätsstatistik und die versaut dann selbst den ausgekochtesten Wahlkampf.
Diese
Kausalität ist natürlich Schwachsinn für aufgeklärte Geister, aber Hysterie hatte schon immer pseudowissenschaftliches System - selbst bei der Inquisition. Auch bei der BPjM ticken die Uhren jetzt in einem Takt wie anno 1427 in Klöstern und Kirchen. Denn ganz oben steht als neues Indizierungskriterium für Spiele die "
Unsittlichkeit". Ist kein Scheiß. Das steht da tatsächlich. Im Jahr 2008.
Und nicht, dass wir uns falsch verstehen: Damit ist natürlich nicht die ohnehin jugendgefährdende Pornographie gemeint. Obwohl ich mich gerade frage, ob nach dem letzten Urteil ein virtuell erigierter Penis in einem Spiel gezeigt werden dürfte? Er ist ja als Bild deshalb keine Pornographie, weil er nicht "grob aufdringlich" dargestellt wird. Also könnte der Masterchief doch in Halo 4 durchaus mit erigiertem Penis auf dem Schlachtfeld posieren? Oder könnte der Duke nicht so kommen?
Wie auch immer. Was würde nach den neuen Kriterien eigentlich mit dem Stöhnen in God of War, mit dem Sex in Lula, Larry, Fahrenheit, Gothic, The Witcher oder gar der lesbischen Lust in Mass Effect passieren? Harmlos, aber unsittlich. Oder doch nicht? Ich bin so verunsichert. Ich werde die BPjM mal fragen. Oder das US-Innenministerium. Oder einen Pfarrer.
Was ist das überhaupt, Unsittlichkeit? Natürlich das Gegenteil von Sittlichkeit. Und was ist das noch mal? Da hilft ein
Blick ins Lexikon:
"Ziel der Sittlichkeit ist es, dem Individual-Egoismus Grenzen zu setzen, damit der Gemeinschaft durch eigensüchtige Handlungen Einzelner kein Schaden entsteht."
Da kommen doch sofort Bilder hoch, oder? Da läuft der jugendliche Mob wieder durch die U-Bahn. Da rattert die Kettensäge verzweifelter Zocker im Hinterhof. Da macht sich die Gesellschaft in die Hose vor den jungen Wilden. Und weiter im Text:
"So verbergen sich in dem Begriff Sittlichkeit nicht zufällig Tugenden wie Keuschheit und eheliche Treue, Redlichkeit, Frömmigkeit."Herrlich, oder? Wenn man das alles konsequent auf Spiele anwendet, und die Gewaltdarstellung noch als Indizierungsgrund hinzu rechnet, dann haben wir sehr bald immerhin nicht mehr diese blöde Qual der Wahl im Laden. Dann reicht eine gesellschaftlich abgesegnete Wii-Konsole (ohne böse Importe!), ein bisschen Kawashima und gut is.
Mann, Mann, Mann. Reicht uns nicht der teutonische Gewaltkomplex? Die Kriterien für die Indizierung sind jetzt so schön schwammig, dass selbst die
USK von einer Verschlimmbesserung spricht, dass man theoretisch nach Herzenslust alles wegwischen und wegschnibbeln kann, was irgendwie fragwürdig ist. Es ist beruhigend zu wissen, dass in den Gremien moralisch integere Herrschaften sitzen, die sicher ganz nah und sittlich am Puls dieser Zeit leben: U.a. Verleger, Künstler, Literaten, Pädagogen und natürlich Kirchenvertreter. Fast so wie im Mittelalter.
Die Erweiterung der Indizierungskriterien ist ein einziges lächerliches Armutszeugnis für ein aufgeklärtes Europa des 21. Jahrhunderts. Voltaire & Co drehen sich im Grabe um. Aber scheinbar
schwappt gerade eine reaktionäre Moralwelle über uns hin weg. Aus der Londoner U-Bahn wurde ein Gemälde von
Lucas Cranach (15. Jahrhundert!) verbannt, das die nackte Venus zeigt. Ach Gottchen, so eine Schweinerei aber auch! Die Begründung:
"Das Poster des renommierten Museums Royal Academy verstoße gegen die Regeln, Männer, Frauen oder Kinder in sexueller Art und Weise nicht darzustellen."
Nackt = Sex = Pfui? Was sagte der Vorsitzende des britischen Kulturausschusses:
"Diese Entscheidung ist absolut meschugge." Recht hat er. Wer sich der antiken Wurzeln dieses Europa bewusst ist, der kann über diese staatlich kontrollierte Verklemmtheit nur lachen. Schließlich geht es der BPjM noch nicht mal um harten Sex, sondern um die Sittlichkeit auf dem Niveau der Schamesröte. Wer vor Unsittlichkeit in virtuellen Welten Angst hat, der sollte eine Sexualtherapie machen und die Penisfrage vielleicht menschlich beantworten. Ich empfehle den satirischen Praxistipp von Harald Schmidt:
Ficken, ficken, ficken.
Jörg Luibl
Chefredakteur