Kolumne

hundertprozent subjektiv

KW 08
Mittwoch, 20.02.2008

Ein Independent-Märchen


Es war ein mal ein armer, introvertierter und überaus kreativer Junge. Der hatte wenig Geld, aber dachte viel nach und strotzte vor Ideen. Er wollte mal Pilot werden. Wenn er im stillen Kämmerlein darüber brütete, baute er unheimlich coole Flugzeuge aus Altpapier und gebrauchtem Draht - große Transporter, windige Doppeldecker und pfeilschnelle Libellen.

Die sahen zwar nicht so authentisch aus wie die lackierten Hochglanzflieger im Laden, aber sie flogen stabil und machten ganz bizarre Loopings. Und weil das Flugverhalten auch noch so erfrischend anders war, konnte er sie sogar für ein paar Cent direkt an einige Freunde verkaufen. Alle Kinder mochten diese sonderbaren Flieger.

Einige hatten so viel Spaß damit, dass sie gar nicht mehr in die Stadt fuhren, um sich die Vollpreisjets zu kaufen. Das bemerkte auch der Ladenbesitzer. Und der fand diese unabhängige Spielzeugentwicklung gar nicht lustig. Also schlüpfte er in seinen schwarzen Anzug, schnappte sich seinen schwarzen Koffer und fuhr mit einem sechshundertsechsundsechzigzigseitigen Vertrag raus aufs Land.

Der Junge war gerade mit dem Verkleben eines Flügels beschäftigt, als die Tür mit einem Krachen aufschlug. Er zuckte erschrocken zusammen. Hinter einer glühenden Zigarre grinste sich ein großes Gesicht in seine kleine Welt:

"Hey, Kleiner, du bist ja richtig kreativ, was? Ha, ha, ha! Sag mal, ist das hier dein Firmensitz? Da ist ja nicht mal ne Adresse draußen zu sehen! Und ist das da dein Bett? Lebst du etwa in diesem Kabuff?"

"Ja."

"Also ein Schlafzimmerentwickler, wie? Ha, ha, ha! Ich hab von deinen Flugzeugen gehört! Weißt du was: Du hast Talent, ich hab Beziehungen, lass mich deine Papierflieger ganz groß rausbringen!"

Thema: Independent Games



Special: Zehn coole Spiele
Special: Die große Konsolen-Chance?
Special: Zehn coole Remakes
Download: Independent-Demos
Download: Independent-Trailer
"Was meinen Sie damit?"

"Na, wir zwei machen damit fette Kohle, Asche, Zaster! Schau dich doch mal hier um: Wie erbärmlich siehts denn hier aus! Willst du nicht reich werden?"

"Wie soll das gehen?"

"Ich wusste doch, dass wir ins Geschäft kommen, Kleiner! Also: Du baust diese Dinger weiter, aber so, dass sie nicht nur deine Freunde, sondern auch meine Kunden kaufen! Ich hab da schon ein Konzept - warte mal."

Der Junge wartete neugierig. Der Mann kramte mit seinen groben Fingern einen riesigen Bauplan hervor, auf dem ein dreigeschössiger Bomber mit etwa einem Dutzend MG-Nestern in den Farben der Armee zu sehen war - er hatte sogar Glasscheiben, Leuchtdioden, Antennen und Propeller.

"Weißt du, was das ist, Junge? Das ist Explosionsfeuersturm IV! Das ist der revolutionäre, der einzigartige, der große Next-Gen-Bomber, auf den meine Kunden gewartet haben - der macht die Konkurrenz platt! Krawumms! Ha, ha, ha!"

"Und was soll ich machen?"

"Du? Na, du baust ihn natürlich! Und zwar exklusiv für mich! Ich stelle dir das beste Material zur Verfügung, das die Modellbauwelt kennt - wir haben sogar eine automatisierte Konstruktionsengine für Rumpf und Flügel!"

"Und was passiert mit meinen Fliegern?"

"Hey, was soll ich mit diesen potthässlichen Rohrkrepierern? Die haben ja nicht mal Wappen, Farben und MG-Akustik! Meinetwegen können wir sie noch nebenbei verkaufen. Aber du sollst deine Technik ja mal im großen Rahmen testen - mit der Lizenz der echten Weltkriegsluftwaffe! Offizielle Namen, Logos, Waffen. Ist das nicht toll?"

"Nein."

"Wie bitte? Sag mal, hast du den Verstand verloren? In meinem Koffer ist ein fetter Vorschuss und ich gebe dir einen Vertrag, der dir satte 15% der Verkaufserlöse einbringt! Du überschreibst mir einfach die Rechte an all deinen Konstrukten und wir geben Gas! Also, baust du den Explosionsfeuersturm IV?"

"Nein. Ich will keine Monster bauen, die den Himmel verdunkeln, ich will Flieger bauen, die die Sonne küssen."

Der Mann im schwarzen Anzug wurde bleich. Dann spuckte er den Zigarrenstummel aus.

"Was soll denn dieser poetische Kram, Junge? Wach auf! Du bist nicht nur unvernünftig, sondern auch verrückt. Hier, ich gebe dir eine Million in bar, dann kannst du zur Sonne fliegen!"

"Nein. Ich nehme kein Geld von Ihnen an, weil ich nicht will, dass Sie mir meine Fantasie versauen."

"Du arroganter, undankbarer, eigenwilliger Sonderling! Nie werden deine Flieger in der Welt bekannt werden, nie wirst du Ruhm ernten - außer in diesem Kaff mit deinen Freakfreunden!"

Und wenn der Junge nicht gestorben ist, dann baut er weiter frei und unabhängig an seinen Träumen. Der Explosionsfeuersturm IV wurde trotzdem gebaut. Und nach ihm die Versionen V, VI, VII, VIII, IX, X...


Jörg Luibl
Chefredakteur

 

Kommentare

KugelKaskade schrieb am
"Nein. Ich will keine Monster bauen, die den Himmel verdunkeln, ich will Flieger bauen, die die Sonne küssen."
Schön :Daumenlinks:
Sgt.Roebuck schrieb am
alter checkts da keiner oder was? joerg will auf ein entwicklerstudio aufmerksam machen das komplett auf kommerz und alles pfeift.
deren geschichte, die der des jungen mit den fliegern gleicht, kann man mit dem link am ende vom text lesen.
find ich echt super was die da hochziehen und was die leute auf youtube sagen klingt echt vielversprechend.
ich werd sie unterstuetzen.
bleibt nur zu hoffen das das kein geschickter werbegag ist :/
cheers
crewmate schrieb am
Ich hoffe das defcon bald auch auf WiiWare erscheint.
Oder was exklusives von Introversion.
Alles indi versteht sich :wink:
andreasg schrieb am
Das geile ist die Geschichte von und mit Peter Molyneux.
Bullfrog/ Lionhead, ultra kreativ, vom Major geschluckt, neues Studio, geschluckt...
Eine Endlosschleife.
DenniRauch schrieb am
gute kolumne, wahre worte! schön geschrieben
schrieb am