Jörg Luibl
HD-Barbecue - oder: Spieler grillen anders.Eine Kolumne von Jörg Luibl, 05.06.2008
Die Sonne lacht. Die Werbehirsche röhren. Und die Flaggenpanzer rollen wieder. Die EM naht und Deutschland zeigt so langsam Farbe. Schleppend, aber stetig wird vom Ford Fiesta bis zum dicken Mercedes für den Anpfiff gegen Polen mobil gemacht. Schwarz, Rot und Gold flattern an jeder Kreuzung im lauen Sommerwind. Und was macht die Nation sonst noch, wenn die Temperaturen steigen und die Bälle rollen?

Richtig: Grillen. Überall werden einem derzeit Fleisch, Kohle und Zubehör um die Ohren gehauen. Aus dem Radio dröhnen EM-Sonderangebote und die Nachbarn kokeln bereits jeden Nachmittag so hartnäckig, dass selbst der Himmel im Hamburger Norden aussieht wie der Ruhrpott zu besten Förderzeiten. Hübsche Gärten werden bei perfekt organisierten Raubtierfütterungen in kollektive Fresslager verwandelt. Nur bei gutem Wetter, versteht sich. Also jeden Tag.

Es ist eben Sommer. Und es riecht auch so. Selbst Spiele fressende Kellerkinder können das nicht ignorieren. Außerdem muss man für das große Finale der Schlangenanbetung Kräfte sammeln - nur harte Kerle mit guter Kondition werden an einem Stück durch Kojimas Filmfestspiele im Director's Cut kommen. Man braucht Säfte. Man braucht Vitamine. Irgendwann ergibt man sich also der teutonischen Brikettanbetung. Blöd ist nur, wenn man gar keinen Grill hat.

Das ist ungefähr so ähnlich wie mit der urplötzlichen Freude auf Metal Gear Solid 4 bei gleichzeitigem Fehlen einer PlayStation 3. Nur mit dem Unterschied, dass man sich der erspielten Schleicheslust theoretisch mit einem einfachen, klar definierten Kauf ergeben kann - man geht zu einem Fachhändler seines Vertrauens und kauft den schwarzen BluRay-Flüsterer.

Mit der ergrillten Fleischeslust ist es deutlich schwieriger. Schon mal im Jahr 2008 einen Grill gekauft? Man geht also in einen dieser Baumärkte. Dorthin, wo die Angestellten wie Hollandfans mit Latzhosen rumrennen und Männer mit Zollstock im Anschlag an Bohrmaschinen herum fummeln. Dorthin, wo Frauen ihren stramm marschierenden Partnern wie verirrte Kometen folgen. Als Spieler besucht man diese Heimwerkertempel so selten, dass die ersten Meter durch Gartenhäuschen, Rasenmäherparaden und Blumenparadiese sehr befremdlich wirken. Man fühlt sich regelrecht unwohl. Und so schlendert man am Rande eines Kulturschocks, begleitet von einem schlechten Gewissen zur Grillabteilung.

Erst, wenn man auf dem Weg dorthin an Kabelrollen, später dann an Äxten, Hämmern und Kettensägen vorbei kommt, gewinnt man wieder etwas soziale Sicherheit. Der Anblick eines gut sortierten, öffentlich von allen Seiten einsehbaren und von der USK unberührten Waffensortiments sorgt hierzulande für ein wenig Wärme im unruhigen Spielerherzen.

Ich brauche also einen Grill. Aber welchen? Ich stehe irgendwann vor einer ganz langen Reihe komischer Zwei-, Drei-, Vier- und Sechsbeiner. Und staune: Kugelgrill. Säulengrill. Haubengrill. Gussgrill. Bootsgrill. Hängegrill. Tischgrill. Schwenkgrill. Grillfass. Balkongrill. Camping-Grill. Es gibt sogar einen Lifestyle-Grill. Und einen Go-Anywhere-Grill. Geht's noch bescheuerter? Haben die Anglizismen jetzt schon die heimischen Lagerfeuer erobert?

Aber was weiß ich schon? Ich bin ein Grill-Noob ohne Hardware. Ich hab noch nicht mal eine Schürze. Das Sortiment erschlägt mich gerade wahrscheinlich genau so wie ein prall gefülltes DS-Spielregal den Rentner nach dem vorschnellen Handheldkauf. Es reicht von der billigen Alueinweglösung für fünf Euro bis hin zur gasbeheizten Mehrzweckgrillstation mit halber Küchenzeile - so eine Art Outdoor-Steakhaus in Edelstahl für läppische 3250 Euro. Ich muss bei diesem Anblick gerade an ein UFO denken, als ein Verkäufer spricht:

"Schönes Gerät, nicht wahr? Die Premium-Abdeckhaube dafür gibt's für schlappe 139 Euro."

Ach so! Sag mal, geht's noch? Die Preisspirale der HD-TV-Generation habe ich ja noch mitbekommen, aber diese HD-Grill-Generation ist scheinbar komplett an mir vorbei gegangen. Ich schau mich um wie ein Ochs im Walde und betaste scheinbar außerirdische Relikte, die auch gut in Maniac Mansion auftauchen könnten: Was soll ich mit einem Barbecue-Brandeisen? Kann ich damit mein Schnitzel branden? Und was zur Hölle ist bloß eine Flavorizer-Aromaschiene?

Ich dachte, dass Pressemitteilungen in der Spielwelt nicht mehr zu überbieten seien, was grenzdebile Wortneuschöpfungen angeht, aber hier tun sich ganz neue Abgründe auf. Vor allem, wenn ich dazu all die obskuren Anzündhilfen betrachte: Brennpasten. Startereimer. Rapidfire. Infrarotbräter. Snap-Jet-Zündsysteme. Darf das wahr sein? Wird jetzt etwa schon im Garten die Kultur des Schummelns gepflegt? Muss man sich erst mit einem Firehack durch die hartnäckige Kohle mogeln? Gibt es keine echten Grillmänner mehr, die die schwarze Schale mit nur einem Streichholz und etwas Zeitungspapier zum Glühen bringen? Der Verkäufer wittert seine Chance:

"Mit diesem edlen Lifestyle-Grill plus Snap-Jet-Zünder ist alles ganz einfach: Kohle rein, Knopf drücken, Deckel zu und zurücklehnen - wenn das Fleisch fertig ist, dann piept es!"

"Ich will aber kein Kohle&Blöd-System! Gibt's eigentlich nur noch Casual-Griller da draußen?"

"Wie bitte? Sie können doch in Ruhe Fußball schauen, während das Fleisch brät!"

"Das ist langweilig. Außerdem fühl ich mich da wie ein Cheater. Und wenn, dann brauche ich echtes Close-Quarter-Gebrutzel. Nah dran am Feind...ähm...Feuer."

"Ich verstehe nicht..."

"Auf Deutsch: Ich brauche eine Herausforderung beim Grillen! Das Ungewisse. Den Nervenkitzel. Die Spannung. Verstehen Sie?"

"Aber Sie verpassen den Anschluss an das High-Definition-Barbecue-Zeitalter!"

"Ach ja? Wie viele USB-Slots hat der schicke Grill denn? Gibt's überhaupt ein Display? Und wenn ja, werden 1080p dargestellt? Kann ich beim Grillen auch Grillvideos ansehen? Kann ich das verdammte Tearing abschalten?"

"Ähm...nein...aber..."

"Werde ich per SMS benachrichtigt, wenn das Fleisch gar ist? Kann ich die Gartenbewegung meines Grills per GPS verfolgen? Bekomme ich Grill-Points? Gibt es Wende- & Würz-Achievements?"

"Das hört sich ja alles wunderbar an! Sind Sie in der Barbecue-Branche tätig? Falls Sie etwas im Internet oder in HongKong gefunden haben - ich kann ihnen alles besorgen!"

"Paperlapapp! Packen Sie mir einfach den billigsten Rundgrill, die billigste Kohle und die billigsten Anzünder ein. Und dazu bitte noch ein gefülltes Feuerzeug mit One-Daumen-Lighting-System. Das Ganze darf nicht mehr als fünfzig Euro kosten."

"Wollen Sie etwa wie unsere Vorfahren grillen? Und was sollen die Nachbarn sagen?"

"Die reden nicht mit vollem Mund. Also nie."

Ab nach Hause, das kultische Vorspiel beginnt. Auspacken. Tutorial lesen. Grill in drei Probeleveln aufbauen. Nach einer famos inszenierten Zwischensequenz, in der die Familie mit lebendiger Mimik und Gestik brav zum erfolgreichen Grillaufbau gratuliert, kommt endlich die Kohle in die Schale. Die Spannung steigt, die Regie stimmt. Ich zücke das Feuerzeug und drücke Start: Zündet die Kohle? Greift die Hitze über? Wie sehen die Partikeleffekte aus? Wird es Surroundknistern geben? Reichen die Wendereflexe mit dieser blöden Zange aus? Kann man gleichzeitig Bierhand und Feuerauge koordinieren? Kriegt man noch andere Kombos hin? Wird man die Fleischmonster letztlich gut durch kriegen? Gibt es nur einen Grillweg oder ein offenes Ende? Ist man am Ende auch ordentlich satt?

Das sind die existenziellen Fragen, die ein echter Spieler seinem Grill stellt. Und deshalb bestellen seine Angehörigen vorsichtshalber Pizza.


Jörg Luibl
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