Kolumne

hundertprozent subjektiv

KW 30
Freitag, 29.07.2011

Luftschlösser aus dem Nichts


Spiele von gestern haben es in sich. So richtig. Es geht ja nicht nur darum, zwischen zwei Töpfen mit Diamanten und Perlen zehn Auserwählte zu finden. Unweigerlich stolpert man auch über die Frage: War denn wirklich alles besser? Früher, meine ich. Man sagt es ja oft gedankenlos und mit einem Blinzeln daher. Stimmt es auch?

Denn ganz ehrlich: Die meisten Klassiker gleichen heute dem Schwarz/Weiß-Kino mit Störstreifen und Filmriss. Tomb Raider, The Last Ninja und selbst das neue MegaMan 10? Um das zu mögen, braucht man schon eine besonders dicke Brille aus nostalgischem Rosa. Wer Retro liebt, muss eine zweiachsige Bewegungsenge, das Wehklagen kreischender Lautsprecher und eine Treppenbildung jenseits der Stolpergefahr verzeihen können.

Und trotzdem: Verklärte Nostalgie hat viel weniger damit zu tun, als man vermuten mag. Der hässliche Minimalismus hat nämlich etwas Wichtiges, das der raffinierten Detailfreude der Moderne fehlt...

Was erkennt man denn, wenn man abends auf der Couch in einem fantasievollen Schmöker versinkt? Was sieht man, wenn man Der Herr der Ringe liest? Es sind prachtvolle Landschaften, geheimnisvolle Nebel, furchteinflößende Schatten, blutige Schlachten, bezaubernde Mysterien.

Und so viel mehr!

Unser Kopf ist viel, viel cleverer als ihm moderne Spielemacher zugestehen: Unser Kopf braucht gar keine Fix-und-Fertig-Grafik. Ihm reichen vage Andeutungen und kaum wahrnehmbare Hinweise, um aus einem Wort, einer Farbe, einem Ton schon ein Luftschloss zu erschaffen. Das ist es, woraus die Liebe zum Pixel geboren wurde. Natürlich wollten schon Retro-Bühnenbildner jene Kulissen bauen, mit denen sich Battlefield und Uncharted heute schmücken. Unser Glück war, dass sie es nicht konnten.

Heute zeigen die Kulissen mit ihrer fein geritzten Anmut immer detaillierter: „Genau so sieht es aus, nicht anders.“ Die Fantasie wird mundtot gemacht. Grauer Pixelbrei war früher ein Ideengeber für die verschrobenen Mauern einer mächtigen Burg. Heute steht die Burg längst da. Fertig eingerichtet, mit Wegweiser-Pfeilen für den touristischen Rundgang.

Mit all der Tessellation, mit Multithreading, mit den Shaders und den Texture Mappings ging etwas verloren, das mal wichtiger war als „Wow!“. Wie Verrückte zum Schlussverkauf stürzen sich die Spielemacher auf alles, was mit Technik möglich ist. Battlefield wird realistischer, Uncharted macht aus Exotik Alltag.

Sollen sie! Es sieht umwerfend aus.

Meist weiß man aber schon nach zehn Sekunden: Dschungel, Abenteuer, „Indiana Jones“. Viel zu schnell durchschaut man die beeindruckende Fassade. Es fehlt die Magie, das Geheimnisvolle hinter dem Vorhang. Dabei bleibt gerade das am stärksten hängen, was man erst selbst entdecken muss. Die Spielemacher müssen deshalb wieder Räume schaffen, in denen die Fantasie wandern kann.

Ich will keinen Pixelbrei mehr! Es darf gerne prachtvoll strahlen. Man braucht andere, moderne Mittel. Stilmittel wie erzählerische Mysterien, Andeutungen statt Erklärungen. Ich will Neugierde statt Stichpunktwissen. Absichtlich hinterlassene Lücken wie es sie in Shadow of the Colossus gibt. Wie in The Path, in Mirror's Edge, Nier, Limbo und überall da, wo die Welt nicht schon existiert, bevor man sie betritt.

Die Stolpertreppen von gestern haben unsere Sehnsucht auf die Luftschlösser von heute geschürt. Jetzt, da sie stehen, wird es Zeit, diese Sehnsucht mit neuen Mitteln noch einmal zu entfachen.

Man wird wohl noch träumen dürfen!


Benjamin Schmädig
Redakteur

 

Kommentare

Scorcher24_ schrieb am
[quote="naughtybear"]Ich glaube nicht, dass man alte Spiele mit Büchern vergleichen kann, da man bei Spielen visuell zu sehr beeinflusst wird, als dass man sich noch groß seinen Teil dazu denken könnte. Ansonsten wäre das genre der Bücher schon längst tot[/quote]
Da liegst du falsch. Alte Rollenspiele kamen früher mit einem Buch und man wurde man angewiesen wann man welche Seiten lesen musste. Anders wäre die Story bei manchen Spiele wie Buck Rogers Countdown to Doomsday gar nicht möglich gewesen^^.
Armin schrieb am
Also das kann ich nicht bestaetigen, xenix, ich denke Erwachsene sind genauso faehig diese kindliche Phantasie zu erleben. Aber ich weiss was Du meinst, so um Jahr 25 ging es mir auch so, aber seit 29 bis nun 32 zocke ich die uralt games mit dem selben Spass wie frueher. Ich denke es liegt am staendigen Fernsehen. Seit 5 Jahren habe ich keinen Fernseher mehr und wieder mehr Hirn und Spass.
Aber dass ich generell so negativ gegenueber den neuen Spielen eingestellt bin liegt vielleicht tatsaechlich an den Genres wie Ikaruga sagt. Baller und Actionspiele waren noch nie so mein Ding, und heute gibts das ja fast nur noch, sogar was sich heute RPG nennt ist eher Actionadventure.
Diese und letzte Woche hab ich nur Trade Empires und Winzer gezockt, soviel dazu.
Ikaruga schrieb am
Danke @xenis74! Das hat es eigentlich sehr gut auf den Punkt gebracht! Ich würde noch hinzufügen, dass WIR uns auch mal überraschen lassen müssen!
Viele Leute haben so eine grundlegende Negativeinstellung das ich nur noch mit dem Kopf schütteln kann.
Die erwarten das ein CoD 8 euch eine Geschichte wie Heavy Rain erleben lässt und euch die "Freiheiten" eines Open-World Spiels bietet und wundern sich dann das es nicht so is und beschweren sich bei jedem der es hören will (oder auch nicht) wie schlecht doch heutzutage ALLES is und das die böse Industrie und alle nur das Geld aus der Tasche ziehen will. Leute lasst euch einfach mal von der Inszenierung und dem zu dick aufgetragenen Patriotismus mitreißen! Es ist amüsant! Ich kauf mir doch auch keine Karte für Transformers und merk dann im Kino das David Lynch gar nicht Regie geführt hat oder? (sry aber ein anderer Vergleich is mir gerade nicht eingefallen ^^)
Keine Angst ich zock nicht nur CoD...nicht das es jetzt so rüber kommt ^^
Ach noch zum Thema Phantasie beim Spielen und nach em Spielen sei tot. Kann ich nicht nachvollziehen. Vielleicht regen heute bzw. spiele der letzten Dekade EURE Phantasie nicht an aber habt ihr schon mal darüber nachgedacht das nicht jeder so ist wie ihr?!?!?!
Weiter vorne hat sich einer aufgeregt und das ALLES blöd is und blabla und zählt dann ein paar alte Spiele auf die ja viel besser sind und was hat er aufgezählt? Haufenweiße Wirtschaftssimulationen und Aufbauspiele. Ahja dann gibt´s halt keine Spiele mehr die dich interessieren bzw. is das Genre über die Jahre etwas schleifen gelassen worden von der Industrie aber das bedeutet doch nicht das ALLES von heute kacke is!!!
Ja ne is klar :roll:
In 5-8 Jahren gibt es vielleicht fast nur noch Storybefreite Open-Wolrd Bastelspiele in schicker Retro-optik...dann werd ich auch Kotzen. nicht weil se ALLE schlecht und blöd sind, sondern weil ich einfach nicht zu denen gehöre die darauf stehen!
naughtybear schrieb am
Ich glaube nicht, dass man alte Spiele mit Büchern vergleichen kann, da man bei Spielen visuell zu sehr beeinflusst wird, als dass man sich noch groß seinen Teil dazu denken könnte. Ansonsten wäre das genre der Bücher schon längst tot.
PvtEmotion schrieb am
Ooh, Lust auf Theme Park, Hospital etc. hätte ich auch mal wieder. Steigenberger Hotelmanager war damals auch super, und ich hab u.a. auch ein Spiel gehabt, wo man eine Karstadt Filiale im Weltraum leiten musste. Das haben wir schon unsinnig lange gespielt!
Letztere beide würde ich aber nicht noch einmal spielen, die sind heute bestimmt eher zweifelhaft. Damals war ich klein, da behalt ich lieber die Nostalgiebrille auf.
Welches Spiel ich immer wieder installieren kann (alle paar Jahre) ist Port Royale 2. Der Wirtschaftskreislauf, Grafik und Atmosphäre sind unschlagbar im (jüngeren) Retrobereich.
schrieb am