Kolumne

hundertprozent subjektiv

KW 08
Dienstag, 19.02.2002

Gut und Böse - Feindbilder in der Spielewelt


„Return to Camp Washington - European Hero“ heißt der neue 3D-Shooter aus dem Hause Atac Entertainment. Zur Story: Die USA arbeiten seit 1945 an der medialen und militärischen Weltherrschaft. Der US-Präsident fördert insgeheim Schurkenstaaten, um sie später zu vernichten und die Führung durch CIA-Leute zu ersetzen. Auch Europa soll unterwandert werden; Blair und Schröder sind bereits amerikanische V-Männer. Als Spezialagent der EU ist es Eure Aufgabe, die Bösewichter zu eliminieren und Europa zu retten.

Na, Lust auf ein Spielchen oder eher verstört? Kein Wunder, denn es riecht irgendwie nicht „political correct“. Nazis, Aliens, Schurkenstaaten und wahnsinnige Terroristen dominieren das Feindbild der Spielewelt - die Amerikaner gehören noch nicht zum Kreis der attraktiven Schurkenlieferanten.

Was wäre die Spielewelt z.B. ohne uns Deutsche? Oder, um genauer zu fragen: ohne die Zeit zwischen 1914 und 1945? Zwei Weltkriege und ein Bösewicht par excellence haben als Hintergrund für unzählige Storys gedient: Von Rick Dangerous über die Indiana Jones-Adventures bis hin zu Medal of Honor. Der Typus des amerikanischen Helden und des eiskalten SS-Offiziers hat sich nicht nur auf der Kinoleinwand verewigt, sondern auch auf dem Monitor. Als Höhepunkt konnte Return to Castle Wolfenstein Ende des Jahres die Charts erobern und das Nazi-Feindbild spielerisch verwursten: Der Harz mutierte zum Hort des Bösen und id Software dämonisierte Himmler & Co in seinem ersten kitschigen Story-Versuch. Aber damit ist der Zenit erreicht und das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte dürfte so langsam abgewirtschaftet haben.

Warum? Spätestens der 11. September hat neue Feindbilder geschaffen, die vom US-Präsidenten erst kürzlich mit der Aura des Bösen versehen wurden - ideales Futter für kommende Games. Irak, Iran und Nordkorea dürften als Locations hoch im Kurs stehen. Denn Entwickler katapultieren reale Feindbilder meist sofort in ihre virtuellen Szenarien: Nach dem Ende des Kalten Krieges boomten vor allem ehemalige Sowjetrepubliken, gefolgt von so genannten „Schurkenstaaten“ und Terroristen, die selbst die allseits beliebten Aliens verdrängen. Comanche 4 und Metal Gear Solid 2 sind da ganz auf der Höhe der Zeit und versprühen den letzten authentischen Kick - auch wenn Letzteres immerhin einen kritischen Ansatz hat.

Wie eng politische Machtverhältnisse und vor allem das amerikanische Bild von Gut und Böse mit der Entwicklung von Spielen zusammenhängen verdeutlicht folgendes Zitat: „Mir gehen die Monster aus. Mir gehen die Bösen aus.“ Nicht Peter Molyneux, nicht Chris Taylor oder sonst ein Spieledesigner steht hinter diesem kindlichen-naiven Ausspruch, sondern der jetzige Außenminister der USA - Colin Powell.

Dass die Entwickler entweder blind ideologischen Frontstellungen folgen oder selber Spielestorys mit dem Tausendsten Gut-Böse-Kitsch produzieren ist neben fehlender Kreativität leider auch eine Sache der Nachfrage - Spieler wollen eben Helden sein. Dabei geht es auch anspruchsvoller: Titel wie Gothic, Arcanum, Soul Reaver 2 oder Silent Hill 2 haben gezeigt, dass man viel differenzierter an eine Story herangehen kann.

Und wenn man schon authentische Szenarien produzieren will oder auf Monster-Suche ist, warum nicht ein wenig Feindbild-Innovation? Der in Europa schwelende und im Rest der Welt kursierende Anti-Amerikanismus hat es noch nicht zur Versoftung gebracht - warum eigentlich nicht? Wäre doch nur ein Spiel...

Jörg Luibl
4P|Textchef

 

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