Jörg Luibl
Süddeutsche PropagandaEine Kolumne von Jörg Luibl, 27.09.2002
Kaffee, Toast und dazu die Süddeutsche Zeitung - herrlich! Jeden Morgen entlockt das Streiflicht dem müden Organismus ein erstes Schmunzeln. Und der Kulturteil war der einzige im deutschen Zeitungswald, der in regelmäßigen Abständen interessant und kompetent das Geschehen auf PC und Konsole beleuchtete.

War? Ja, war. Denn der Schrieb, der mir heute im Feuilleton meiner geliebten SZ entgegensprang, ist ein journalistischer Rohrkrepierer übelster Sorte.

Der scheinbar völlig überforderte und genervte Redakteur Bernd Graff versucht in seinem Dreispalter über das Xbox-Event in Sevilla zu berichten - er scheitert kläglich in einem Brei aus selbstgefälliger Sprachspielerei und fachlicher Inkompetenz.

Erzeugte die Überschrift „Kunden, wollt Ihr ewig leben?“ noch eine gewisse Neugier, sorgt der Untertitel prompt für böse Vorahnungen:

„Microsofts Spiele-Konsole Xbox geht mit Blut- und Baller-Titeln ins Netz“.

Wie bitte? Blut- und Baller-Titel? Das liest sich vielleicht gut. Fast so gut wie eine BILD-Schlagzeile. Aber das hat mit seriösem Journalismus nichts mehr zu tun. Denn erstens stellt die große Mehrzahl der Xbox-Titel gerade keine Gewalt explizit dar. Herr Graff selbst benennt nicht einen einzigen Titel - eine Frechheit! Das dürfen sich noch nicht mal Boulevard-Attacken leisten!

Zweitens löst Herr Graff hier bewusst unsinnige Assoziationen zum Blut- und Boden-Gefasel des Dritten Reichs aus. Was soll diese Propaganda? Noch eine Kostprobe:

„Morbider und lebensfeindlicher können manche Bits nicht sein, die bald schon aus dezidierten Blut- und Brocken-Spielen auf die vermutlich kreischenden Headset-Träger prasseln…“

Ja, Herr Graff hat`s mit dem Blut. Und mit Brocken. Und kreischenden Spieler-Massen. Wenn man es nicht besser wüsste, würde man hinter solch bizarren Wahnvorstellungen einen hysterischen Erzbischof vermuten, der der Spielewelt den Kreuzzug ankündigt.

Und wie angewidert Großinquisitor Graff weiterfiebert:

„(…)viele Apparaturen haben sie aufgestellt, fast für jeden Besucher eine, grässlich grün, aus denen die Botschaften vom anderen Stern hämmern (…)“

Wir haben besorgt nachgefragt: Unser Redakteur vor Ort hat uns versichert, dass es sich um einen bunten Vergnügungspark in Sevilla handelte. Der grüne Hexensabatt von Herrn Graff muss eine Sinnestäuschung gewesen sein. Oder gar eine Vision? Den Gipfel der Dreistigkeit erreicht der wortgewaltige Spielekenner mit dem schamlosen Eingeständnis seiner eigenen Fehleinschätzung im letzten Absatz:

„Nun sind, muss man festhalten, nicht alle neuen Spiele solche Massentötungsansichten. Das Gros ist lustig, farbenfroh und friedlich“

Ach was? Hallo, Herr Graff? Waren sie jetzt doch auf der realen X02 in Sevilla? Und wenn ja, warum berichten Sie nicht einfach davon? Wenn diese schrecklichen Bilder wieder kommen, müssen Sie den Kugelschreiber erst mal weglegen, ne Pause machen und tief durchatmen. Vielleicht sollten sie auch einen Exorzisten aufsuchen…

Jetzt mal im Ernst: Was passiert, wenn man einen musisch interessierten Kultur-Redakteur zum Championsleague-Spiel Dortmund gegen Auxerre schickt? Was kommt raus, wenn man einen Rennspiel-Hasser Gran Turismo 3 testen lässt? Jede gute Zeitung, jedes gute Online-Magazin hat Genre-Experten, die ein Thema journalistisch kompetent behandeln können.

Der SZ reicht anscheinend die arrogante Selbstgefälligkeit eines genervten Redakteurs, der sich vor lauter Frust in unpassenden Metaphern ergießt, um einen diffusen Schwall aus Microsoft-Kritik und moralischen Gewaltbedenken auszustoßen. Welchen Informationsgehalt hatte dieser dilettantische Text, der höchstens als Fieber-Glosse durchgehen dürfte, für interessierte Spieler oder Eltern?

Nichts als Propaganda im seriösen Gewand einer angesehenen Tageszeitung. Selbst bei vielen Online-Magazinen bekommt man besseren Journalismus!

Jörg Luibl
4P|Textchef
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