Kolumne

hundertprozent subjektiv

KW 11
Donnerstag, 17.03.2005

Cheater, Schmarotzer, Entzauberer.


Spielen kann verbinden. Spielen kann spalten. Selbst im anarchistisch anmutenden Kosmos der Freiheit zwischen GTA, Painkiller und CounterStrike sorgen Regeln für ein bierernstes Korsett. Wer das nicht anlegen will, macht sich zum zockenden Outlaw, muss mit Spott und Verachtung rechnen. Hier kann ein jugendlicher Clan so konservativ sein wie ein uralter Schützenverein.

Wie lautet das abfälligste Schimpfwort, das man von der Couch oder im Chat Richtung Mitspieler abfeuern kann - mal abgesehen vom beliebten Fäkal- und Sexualvokabular? Nicht Loser, Pappnase oder Nixblicker. Auch nicht Depp, Idiot oder Fanboy. Nein, es kann nur einen Fehdehandschuh geben, der wie eine bayerische Watschn knallt: DU CHEATER!

Das sitzt, das passt, da wackelt nix. Wenn diese Kugel den Colt verlässt, erreicht der Schlagabtausch eine existenzielle Dimension - vor allem, wenn in Turnieren um Punkte und Geld gekämpft wird. Aber nicht nur auf professioneller Ebene, auch im gewöhnlichen Multiplayer-Alltag wird's ernst: Wenn man jemandem dieses Etikett ans Ego tackert, ist man entweder ein verdammt schlechter oder professionell bemogelter Verlierer.

Woher rührt diese fast schon militante Antipathie gegen Cheater? Schauen wir mal auf die Wortbedeutung: Was heißt eigentlich Cheater? Direkt übersetzt so viel wie "Betrüger". Auch das passende englische Verb hat's in sich, denn "to cheat" bündelt eine ganze Phalanx an negativen Eigenschaften: sich etwas erschwindeln, zu Unrecht aneignen, Regeln brechen, falsch spielen, schummeln, mogeln. Und 1934 wurde es zum ersten Mal in der Bedeutung des Fremdgehens gebraucht.

Es geht also nicht nur um das Brechen virtueller Regeln. Unter dieser juristischen Oberfläche trifft man auch einen emotionalen Bereich. Wo stecken die Wurzeln dieser negativen Gefühle? Hier hilft vielleicht ein Blick in die Wortgeschichte. Die reicht zurück vom Mittelenglischen "cheten" über das Altfranzösische "eschete" bis hin zum Lateinischen "excidere". Diese sprachliche Zeitreise fördert die ursprüngliche Bedeutung ans Tageslicht: Im Mittelalter fiel der komplette Besitz eines Verstorbenen bei fehlenden Erben zurück an den Lehnsherren. Der erste Cheater der Geschichte war quasi der personifizierte Staat, der sich mal eben bereichert hatte - für lau, bequem, ohne Mühe, ohne Einsatz, ohne Anstrengung.

Ist das nicht der Kern der Abneigung? Cheater haben keine Skills und gewinnen trotzdem! Sie haben sich keine Fähigkeiten erarbeitet, nichts geleistet und fahren den Sieg ein. Das schürt den Hass - egal ob beim Kleinbauern des Frühmittelalters oder beim Kleingamer der Gegenwart. Und es schürt den geheimen Neid der fleißig Schwitzenden: Denn ist der Cheater nicht eigentlich der schlauere, der ehrlichere Gamer? Wollen wir nicht alle die schnelle Kohle, den günstigen Reibach? Den größtmöglichen Nutzen bei kleinstmöglichem Aufwand? Ist dieses Verlangen nicht allzu menschlich?

Und das führt zu einer weiteren Ursache der Abneigung: Rührt sie nicht auch daher, dass uns Cheater die Illusion einer heilen Spielwelt rauben? Sie bringen mit ihrem Verhalten einen ganzen Batzen sozialer Realität in ein fiktives Abenteuer: Raffgier, Konsumrausch, Ellenbogen. Ist dieses elende Farmen von Items und Gold in Online-Rollenspielen nicht konsequenter Kapitalismus? Cheater sind die Guillotinen der Fantasy. Sie enthaupten die idealistische Vorstellung einer archaischen Welt, in der es um ehrenwerte Abenteuer und Heldentaten gehen soll. Spätestens, wenn die erste Gilde wie ein Hooligan-Mob über ein Gebiet herfällt und Monster im Sekundentakt schlachtet, fühlt man sich eher an einen Schlussverkauf denn an ein Epos erinnert. Plötzlich sieht
Wollt ihr das Spielkultur-Thema Cheats vertiefen? Dann empfehlen wir euch einen Blick auf folgende Texte:

Gastbeitrag: Die Lust am Mogeln.
Interview: Julian Kücklich
Bilderserie: Kleine Cheat-Geschichte
man hinter den heroischen Kulissen die erbärmliche Realität. Sag mir wie du spielst, und ich sag dir, wer du bist.

Cheater sind nicht nur Regelbrecher und Schmarotzer, sondern auch Entzauberer. Sie rauben uns Illusionen. Wir hassen sie, weil sie uns den Spiegel vorhalten. Wir sehen unsere Gesellschaft. Wir sehen uns.


Jörg Luibl
4P|Chefredakteur

 

Kommentare

DocManga schrieb am
Shalghar hat geschrieben: Was ist aber, wenn nicht die Spieler andere Spieler betrügen sondern der Spielepublisher alle Spieler?
Wenn zum Beispiel in den überall aus dem virtuellen Boden schießenden online "MM(M?)OG" die Dropraten, "Glücks"raten und andere erfolgsmanipulierende Spieleinstellungen bewußt so verbogen werden das Spieler keine ehrlichen Spielchancen mehr haben ?
Warum sollten sie das tun? Gerade MMO's leben doch von Erfolgserlebnissen, die den Spieler motivieren sollen, noch länger zu spielen.
Shalghar hat geschrieben:Was ist, wenn Spiele bewußt "unmögliche" Stellen eingebaut bekommen um darüber hinwegzutäuschen das das Spiel einfach kaum Inhalt hat ?
Gabs so etwas schonmal? Also ich weiß, dass die Spiele früher echt sauhart waren, so dass man schon richtig lang an bestimmten Stellen hing.
Aber richtig unmögliche Stellen? mhh
Viel schlimmer isses, dass man früher nach nem Gameover wieder komplett von vorne starten musste. Da kann man sich echt verarscht fühlen^^
Freakstyles schrieb am
Shalghar hat geschrieben:In Multiplayerspielen cheaten sollte ein selbstverständliches No-Go sein.
Was ist aber, wenn nicht die Spieler andere Spieler betrügen sondern der Spielepublisher alle Spieler?
Wenn zum Beispiel in den überall aus dem virtuellen Boden schießenden online "MM(M?)OG" die Dropraten, "Glücks"raten und andere erfolgsmanipulierende Spieleinstellungen bewußt so verbogen werden das Spieler keine ehrlichen Spielchancen mehr haben ?
Was ist, wenn Spiele bewußt "unmögliche" Stellen eingebaut bekommen um darüber hinwegzutäuschen das das Spiel einfach kaum Inhalt hat ?
Also wie reagiert man darauf, wenn nicht ein anderer Spieler sondern das Spiel selber bescheißt?
Klar, dann fang ich an das Spiel zu bescheißen, is doch logo :Kratz:
Irgendwie merkwürdiger Beitrag ^^ !! Naja, auf jedenfall wurde ja bereits erwähnt das Cheats dafür gedacht sein sollen, an Stellen weiterzukommen wo man nicht weiterkommt. Das braucht man aber heutzuatge garnicht mehr, weil alle paar Wochen nach Erscheinung eines Spiels ein Patch nachgereicht wird, der solche unspielbaren Stellen spielbar macht.
Freakstyles schrieb am
Trenchcoat_Harry hat geschrieben:Onlinespiele sind nahezu immer ein Wettkampf. Der Bessere gewinnt und er kann sich dann freuen, weil er besser als die anderen war.
Könnte man jetzt auch drüber philosophieren. Gibt es denn einen besseren? Oder gibts nur Leute die mehr Zeit zum spielen haben als andere ;)
Ja gibt es! In manchen Genres zumindest (Guitar Hero). Ausserdem hat natürlich jeder andere Reflexe und Auffasungsvermögen, aber das wird meistens kaum gefordert. Zu 75% kann man sagen das wer die meiste Zeit in ein Spiel investiert, es am besten beherrscht. Cheater natürlich ausgenommen ^^
Acer1111 schrieb am
Cheats wurden in spiele eigendlich eingebaut damit ,solte der spieler nicht weiter kommen,ein weiterspielen möglich ist.Während cheater in gothic nahzu schon normal geworden sind kann man drakensang in der goldedition nicht einmal mit trainern knacken was dem spielspass fördert.
cheater sind nicht gleich schlecht aber ich stimme zu das cheater in onlinespielen nichts zu suchen haben und ansonsten anderen spielern nicht schaden sollten.
johndoe-freename-103534 schrieb am
In Multiplayerspielen cheaten sollte ein selbstverständliches No-Go sein.
Was ist aber, wenn nicht die Spieler andere Spieler betrügen sondern der Spielepublisher alle Spieler?
Wenn zum Beispiel in den überall aus dem virtuellen Boden schießenden online "MM(M?)OG" die Dropraten, "Glücks"raten und andere erfolgsmanipulierende Spieleinstellungen bewußt so verbogen werden das Spieler keine ehrlichen Spielchancen mehr haben ?
Was ist, wenn Spiele bewußt "unmögliche" Stellen eingebaut bekommen um darüber hinwegzutäuschen das das Spiel einfach kaum Inhalt hat ?
Also wie reagiert man darauf, wenn nicht ein anderer Spieler sondern das Spiel selber bescheißt?
schrieb am