Cheater, Schmarotzer, Entzauberer.
Spielen kann verbinden. Spielen kann spalten. Selbst im anarchistisch anmutenden Kosmos der Freiheit zwischen GTA, Painkiller und CounterStrike sorgen Regeln für ein bierernstes Korsett. Wer das nicht anlegen will, macht sich zum zockenden Outlaw, muss mit Spott und Verachtung rechnen. Hier kann ein jugendlicher Clan so konservativ sein wie ein uralter Schützenverein.
Wie lautet das abfälligste Schimpfwort, das man von der Couch oder im Chat Richtung Mitspieler abfeuern kann - mal abgesehen vom beliebten Fäkal- und Sexualvokabular? Nicht Loser, Pappnase oder Nixblicker. Auch nicht Depp, Idiot oder Fanboy. Nein, es kann nur einen Fehdehandschuh geben, der wie eine bayerische Watschn knallt: DU CHEATER!
Das sitzt, das passt, da wackelt nix. Wenn diese Kugel den Colt verlässt, erreicht der Schlagabtausch eine existenzielle Dimension - vor allem, wenn in Turnieren um Punkte und Geld gekämpft wird. Aber nicht nur auf professioneller Ebene, auch im gewöhnlichen Multiplayer-Alltag wird's ernst: Wenn man jemandem dieses Etikett ans Ego tackert, ist man entweder ein verdammt schlechter oder professionell bemogelter Verlierer.
Woher rührt diese fast schon militante Antipathie gegen Cheater? Schauen wir mal auf die Wortbedeutung: Was heißt eigentlich Cheater? Direkt übersetzt so viel wie "Betrüger". Auch das passende englische Verb hat's in sich, denn "to cheat" bündelt eine ganze Phalanx an negativen Eigenschaften: sich etwas erschwindeln, zu Unrecht aneignen, Regeln brechen, falsch spielen, schummeln, mogeln. Und 1934 wurde es zum ersten Mal in der Bedeutung des Fremdgehens gebraucht.
Es geht also nicht nur um das Brechen virtueller Regeln. Unter dieser juristischen Oberfläche trifft man auch einen emotionalen Bereich. Wo stecken die Wurzeln dieser negativen Gefühle? Hier hilft vielleicht ein Blick in die Wortgeschichte. Die reicht zurück vom Mittelenglischen "cheten" über das Altfranzösische "eschete" bis hin zum Lateinischen "excidere". Diese sprachliche Zeitreise fördert die ursprüngliche Bedeutung ans Tageslicht: Im Mittelalter fiel der komplette Besitz eines Verstorbenen bei fehlenden Erben zurück an den Lehnsherren. Der erste Cheater der Geschichte war quasi der personifizierte Staat, der sich mal eben bereichert hatte - für lau, bequem, ohne Mühe, ohne Einsatz, ohne Anstrengung.
Ist das nicht der Kern der Abneigung? Cheater haben keine Skills und gewinnen trotzdem! Sie haben sich keine Fähigkeiten erarbeitet, nichts geleistet und fahren den Sieg ein. Das schürt den Hass - egal ob beim Kleinbauern des Frühmittelalters oder beim Kleingamer der Gegenwart. Und es schürt den geheimen Neid der fleißig Schwitzenden: Denn ist der Cheater nicht eigentlich der schlauere, der ehrlichere Gamer? Wollen wir nicht alle die schnelle Kohle, den günstigen Reibach? Den größtmöglichen Nutzen bei kleinstmöglichem Aufwand? Ist dieses Verlangen nicht allzu menschlich?
Und das führt zu einer weiteren Ursache der Abneigung: Rührt sie nicht auch daher, dass uns Cheater die Illusion einer heilen Spielwelt rauben? Sie bringen mit ihrem Verhalten einen ganzen Batzen sozialer Realität in ein fiktives Abenteuer: Raffgier, Konsumrausch, Ellenbogen. Ist dieses elende Farmen von Items und Gold in Online-Rollenspielen nicht konsequenter Kapitalismus? Cheater sind die Guillotinen der Fantasy. Sie enthaupten die idealistische Vorstellung einer archaischen Welt, in der es um ehrenwerte Abenteuer und Heldentaten gehen soll. Spätestens, wenn die erste Gilde wie ein Hooligan-Mob über ein Gebiet herfällt und Monster im Sekundentakt schlachtet, fühlt man sich eher an einen Schlussverkauf denn an ein Epos erinnert. Plötzlich sieht
man hinter den heroischen Kulissen die erbärmliche Realität. Sag mir wie du spielst, und ich sag dir, wer du bist.
Cheater sind nicht nur Regelbrecher und Schmarotzer, sondern auch Entzauberer. Sie rauben uns Illusionen. Wir hassen sie, weil sie uns den Spiegel vorhalten. Wir sehen unsere Gesellschaft. Wir sehen uns.
Jörg Luibl
4P|Chefredakteur