Kolumne

hundertprozent subjektiv

KW 44
Freitag, 29.10.2004

Das Spiel: verdoomt & verkannt!


Die Süddeutsche Zeitung hat letzte Woche ein Beben ausgelöst, wie es seit Erfurt nicht mehr durch die Republik donnerte. Ein Sturm der Entrüstung brauste durch die Forenlandschaft und fegte alle fragilen Brücken zwischen Zeitungswelt und Spielewelt beiseite. Auch wir haben empört mitgewütet (vgl. Kolumne).

Zurück blieb erneut ein klaffender Abgrund zwischen etablierter und missverstandener Kultur, zwischen dem Ekel vor und der Faszination an blutigen Shootern. Das alte Dilemma, das seit dem 26. Februar 2002 mit zahllosen Artikeln, Studien und Fernsehsendungen in einen Dornröschenschlaf diskutiert wurde. Erst letzte Woche wurde es wieder wach geküsst.

Aber warum haben die Foren so gebebt? Wieso diese Aufregung? Der Kern des Konfliktes liegt gar nicht im Zombie-Gemetzel, sondern im Feuilleton selbst. Es ist noch nicht in die Seele des Spiels vorgedrungen, hat seine positive gesellschaftliche Bedeutung noch nicht erkannt. Es versteht sich als Kulturteil der Zeitung, als stilistisch wertvolles Sammelbecken für Essays, Kritiken und Berichte. Hier wird das besprochen, was die Redaktion als relevant absegnet: Fernsehen, Kino und Theater, Konzerte, Ausstellungen und Literatur. Aber einer muss 32 Jahre nach Pong immer noch mit Vorurteilen oder Ignoranz kämpfen: das Spiel.

Genau das ist der Skandal! Nicht nur, weil gerade Deutschland ein Eldorado für konsumfreudige Brett- und Bildschirmzocker ist. Sondern weil es einer journalistischen Diskriminierung gleichkommt, die die spielende Republik einfach nicht mehr hinnehmen will - sie wird nicht verdoomt, sondern verkannt. PC, Xbox, GameCube und PS2 gelten noch immer als Freakbereich der Jugend. Das überholte Bild des pickligen, bleichgesichtigen und latent gewalttätigen CounterStrikers passt am besten in die herrschende Schablone. Aber was ist mit dem Rome-Spieler, der plötzlich Geschichte studieren möchte? Was ist mit dem Shenmue-Spieler, der sich für Japanologie einschreibt? Was ist mit dem Manager, der mit Capitalism II trainiert?

Die Zeitungen schreiben an der Wirklichkeit vorbei: Schaut man sich Alter und Bildungsstand der Gamer an, gibt es eine Symbiose, eine breite gesellschaftliche Mischung ohne Grenzen. Da draußen zocken neben jugendlichen Schülern auch erwachsene Handwerker und Polizisten, Studierte und Ingenieure, Magistrierte und Promovierte, Lehrer und Familienväter, Hausfrauen und Profisportler, Arbeitslose und Millionäre. Wer sich in zehn Jahren mit der Mentalitätsgeschichte des ausgehenden 20. Jahrhunderts beschäftigen will, wird um das Studium dieser wirkmächtigen Wohnzimmerkultur nicht herumkommen!

Aber noch viel schlimmer als diese soziodemographische ist die kulturelle Verkennung: Das Spiel hat abseits einschlägiger Testmagazine keine Lobby, keine schreibenden Liebhaber, keine Kenner im Blätterwald zwischen SZ und FAZ. Dort pickt man sich lieber im Boulevardstil die Extreme raus, stellt die Gewalt in den Vordergrund, bleibt an der blutigen Oberfläche und vergisst, dass auch Doom 3–Spieler vielleicht dozieren, programmieren, philosophieren, erziehen oder einfach ohne Schäden an körperlicher und geistiger Gesundheit mit der Railgun entspannen wollen.

Vielleicht kann man den Abgrund überwinden, wenn man neue Brücken baut? Wenn man all die interessanten Anknüpfungspunkte aufzeigt, die die Welt zwischen Mario und Sam Fisher bietet. Da gibt es Bezüge zur Antike, zur Aufklärung, zur Geschichte, zur Mythologie. Diese Kolumne versteht sich als konstruktive Aufforderung, den Graben endlich zu überbrücken und die virtuellen Abenteuer mal aus einer reiferen Perspektive zu beleuchten.

Denn gehört nicht gerade das Spiel zur Kulturgeschichte der Menschheit? Schon der Historiker Johan Huizinga wollte Anfang des 20. Jahrhunderts nicht mehr vom homo sapiens, sondern lieber vom homo ludens sprechen – dem spielenden Menschen. Was trifft unsere Generation besser? Und ist nicht das Spielen seit Jahrtausenden das wichtigste Ventil für aufgestaute Triebe? Friedrich Schiller hat dies Ende des 18. Jahrhunderts schon angedeutet:

"Denn, um es endlich auf einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“

Schiller-Biograph und Philosoph Rüdiger Safranski interpretiert den Satz so: „Wenn wir noch besser lernen zu spielen, dann werden wir humaner!“ Er meint natürlich nicht die Headshot-Skills beim Shooter, aber er trifft die tiefere Bedeutung des Spielens im Allgemeinen. Warum? Schon sein 1951 verstorbener Kollege Wittgenstein erkannte, dass alle Formen des Spiels aufgrund ihrer Ähnlichkeiten vernetzt sind. Egal ob Schauspiel, Fußballspiel, Brettspiel, Sportspiel oder Videospiel: Hier kann man die Extreme des Lebens in geregelten Bahnen nacherleben.

Man kanalisiert all die Aggressionen, all die Gewalt-, Lust- und Spaßtriebe in einem Ritual, in dem die Fesseln des Alltags nicht greifen. Das ganze aufgezwungene Netz an Gesetzen, Regeln und Normen kann für einige Augenblicke durchbrochen werden, weshalb selbst Aristoteles das Spiel in wohl dosierter Form als Medizin gegen Stress empfohlen hat. Denn nicht nur die Fantasie, sondern der ganze Mensch kann sich im Spiel frei austoben.

Anstatt den Wert dahinter zu erkennen, wird schnell von der "konsumgeilen Spaßkultur" gesprochen. Dabei kann diese Generation darauf stolz sein, Spaß zu haben. Denn wer sich begeistert auf der Couch vergnügt, LAN-Partys besucht oder online mit Freunden zockt ist viel weniger anfällig für religiösen oder politischen Fanatismus. Vielleicht müsste man mal nachforschen, wie viele NPD-Wähler in Sachsen eine Konsole besitzen; ich tippe auf eine beschränkte Minderheit.

Das Spiel ist eben das Gegenteil von Arbeit, ein anarchistisches Paradies für jeden Geschmack. Ein Eldorado für Tagträumer, Kämpfer, Querdenker, Entdecker, Abenteurer, Helden. Im Spiel steckt viel mehr von Humboldt als von Jack the Ripper. Sein Wesen ist eben nicht die Gewalt, sondern die Freiheit. Und natürlich auch die Freiheit, gesellschaftlich geächtete Gewalt nach eigenem Ermessen auszuleben, seine Grenzen zu finden.

Dieser Drang und diese Faszination sind nur allzu menschlich. Liegt nicht sogar ein humanistischer Triumph darin, wenn man sich eine eigene Freiheit abseits der Wirklichkeit erkämpft, erspringt, errätselt oder gar erschießt? Eine gelebte Utopie? Und selbst wenn nicht: Es ist wirklich höchste Zeit, dass das Spiel ins deutsche Feuilleton tanzt - als vollwertiges Mitglied neben dem Theater, der Kunst, dem Buch. Wie sagte Shakespeare? Die Welt ist eine Bühne, das Leben ein Spiel.


Jörg Luibl
4P|Textchef

 

Kommentare

Sabrehawk schrieb am
Der SZ Mensch ist sicher früher auch selbst rumgelaufen und hat beim Cowboy und Indianer oder
Bolizei und Räuber seine besten Freunde im heimischen
Garten umgenietet und jeder hatte mächtig Spass daran
eine teuflisch gute Sterbeszene hinzulegen bzw den
realistischten Waffensound nachzuahmen :D.
Wo ist der Unterschied zum Videospiel in dem Gewalt
Mittel der Auseinandersetzung ist ? Null komma gar
keiner..nur dass die Spieler wenn sie nun mal nicht
mehr in dem Alter sind im Garten rumzuhopsen (es
sei denn sie spielen Paint Ball hehe) sich einfach
nur das Kind sein bewahren und sich als freie Menschen in einer unfreien Welt verhalten können.
Mehr als sonst irgendwo in unserer total regulierten
Umwelt kann sich der Spieler im Spiel Dingen hingeben
die er so nie erleben , nie tun und auch nie
gutheissen würde. Wenn das Verrohung ist na dann
herzlich gerne...immer noch besser als sich zu besaufen und dem nächst besten aufs Maul zu geben
der einem über den Weg läuft oder geistiges Gift
ins Volk abzusondern.
johndoe-freename-71584 schrieb am
Tolle Kolumne erst mal! Du hast vollkommen recht damit, dass es immernoch der pubertierende hagere blaße Teenager ist, den die Mehrheit der Leute, die sich nich in der Szene auskennen sehen. Das diese Klischee aber noch besteht, liegt glaub ich daran, dass die Gamergemeinde noch recht jung ist (vll 10 oder 15 Jahre) und daher die Mitglieder hauptsächlich noch junge Leute sind. Klar gibt es auch Leute, die vierzig oder fünfzig sind und trozdem zocken, aber das ist ja eher wohl die Ausnahme als die Regel. Und die große Sprachrohre der Republik, damit meine ich Medien, in dem Falle also Zeitungen, werden ja hauptsächlich von, ich sag jetzt mal normal Bürgern, also keinen Gamern gelesen, und auch produziert (womit ich nicht sagen will, dass Gamer solche Zeitungen nicht auch lesen).
Ich mein kein Mensch, der sich nicht mit PC-Spielen befasst, wird die Game Star lesen, oder sich hier auf 4players aufhalten, sondern halt eher diese Zeitungen, die eben das Bild vom Blutrünstigen-Monster-Fledderer-Gamer verbreiten wollen (und vielleicht auch deshalb, weil es genau das Bild ist, was manche Menschen immernoch von Gamern haben wollen, weil mal ehrlich die Bilder von Erfurt sicher sehr viel mehr Leute gesehen haben, als die Berichte oder die Screenshots aus Sims 2 oder änhlichen Games). So und natürlich sind die Zeitungen immer auf Profit aus, und da ja das böse Gamer bild immer noch im Vordergrund steht verkauft sich das auch super.
Ich denke da muss man ansetzen und das ganze Bild wandeln, aber das wird wohl erst möglich sein, wenn man die breite Masse da draußen erreichen kann, und das wird wohl erst dann soweit sein, wenn die ersten Gamer in den Redaktionen von SZ und Co. sitzen.
Achja nochwas mein Bruder studiert unter anderem Philosophie und zockt auch liebend gerne und einer seiner Philo-Professoren hat während einer Vorlesung ganz offen gesagt, das er Max Payne kennt und wirklich gut findet. Der Wandel vollzieht sich also langsam (hoffentlich..)
johndoe-freename-73925 schrieb am
Hallo allerseits,
im Prinzip sind wir uns einig was Manhunt angeht.
Aber die Entscheidung, diese Extremerfahrung zu machen, sollte jedem selbst überlassen bleiben - das ist die Freiheit

Diese Freiheit aufzugeben und das Spiel nicht zu testen habe ich nicht gefordert. Wie du in den vorherigen Post sehen kannst wünsche ich mir nur ein paar mehr Spieler, die zu Ihrer Meinung stehen und nicht und dies auch öffentlich kundtun damit das Bild der Spielergemeinschaft in der Öffentlichkeit eher der Realität enspricht.
Na ja, ein Spiel kannst du auch immer unterbrechen, wenn du keine Lust mehr hast. Manhunt zwingt dich zu gar nichts!
Zwang kann auf viele Arten erzeugt werden. Einer der immer da ist, ist der Wertverlust des Spieles. Spielt man ein neues Spiel nicht oder wenig habe ich keinen Spaß, kein Erlebnis, keine Entspannung etc.
Dann gibt es noch die Speicherpunkte - keine Ahnung obs die bei Manhunt gibt - aber dort verspielt man dann seinen Spielfortschritt, Exitfragen sie wollen: aufgeben, flüchten usw.
Man könnte es auch noch weitertreiben, wa aber bisher niemand gewagt hat und zB. den Spieler um seinen PC spielen lassen, indem man bei der Installation einen Virus mitinstalliert
Hüstel... Also Doom3 würde ich jetzt nicht mit \"Leben schützen\" und dem\"Grundgesetz\" in Verbindung bringen. Ich denke da eher an das Rambo-Prinzip.
Ich denke schon das man bei diesem Spiel von einer Art Notwehrverhalten sprechen kann schließlich wird man ja ständig angegriffen und das Leben ist dadurch bedroht - das ist Notwehr und das steht im Gesetz!
Ich denke da an all die MMORPG-Zocker, die plötzlich vor dem Scherbenhaufen ihrer Beziehung stehen, weil sie nicht mehr mit ihrer Familie kommunizieren können.
Leider besitzen MMORPGs wie ich finde sehr großen Suchtfaktor. Kein anderes Spiel konnte mich über einen derart langen Zeitraum fesseln wie DAOC (ca 3 Monate) da man sich ständig weiterentwickelt, Freunde treffen kann mit denen man schon das ein oder andere Abenteuer erlebt hat.
Jörg Luibl schrieb am
KillerMillerEX hat geschrieben:Wenn ich immer höre von wegen "machtgefühl ausleben" "den Helden spielen" ect.
(...)
Das einzige Machtgefühl bei games das mann vielleicht haben könnte wäre wenn mann in einem Multiplayer game sehr erfolgreich ist, dann entsteht das Machtgefühl aber eher daraus anderen (realen) spielern überlegen zu sein.
Genau dieses Gefühl meine ich. Der eine empfindet es schon bei Kämpfen gegen die KI, der andere gegen menschliche Kontrahenten, andere vielleicht gar nicht. Aber es existiert.
Bis denne
Jörg Luibl schrieb am
Hi MetalNinja,
wie gesagt: Manhunt hat mich als Spieler abgestoßen. Es hat eine Grenze überschritten, die ich mit meiner Moral nicht vereinbaren kann. Aber die Entscheidung, diese Extremerfahrung zu machen, sollte jedem selbst überlassen bleiben - das ist die Freiheit, die ich meine. Und "Spielspaß" ist da einfach relativ, denn Survival-Horror wie Silent Hill 2 oder Project Zero sorgt bei den einen vielleicht für Ekel oder gar psychische Narben, bei anderen -wie bei mir- wiederum für spannende Unterhaltung. Dafür bekomme ich von Formel 1-Spielen Depressionen und kann nicht in Achterbahnen einsteigen... :wink:
Bücher können erschrecken, schockieren und auch beeinflussen aber das Medium Buch ist nicht interaktiv und kann dich nicht zwingen irgendetwas zu tun damit du weiterlesen darfst.
Na ja, ein Spiel kannst du auch immer unterbrechen, wenn du keine Lust mehr hast. Manhunt zwingt dich zu gar nichts! Es bietet dir nur Möglichkeiten, es will verführen, dich in düstere Abgründe locken. Und genau so ist es bei einigen Büchern. Jede Seite kann da ein Schritt Richtung Selbsterfahrung oder Ekel sein. Harry Potter habe ich nach zwei Kapiteln nicht mehr ausgehalten.
Sind die Regeln in Rome nicht unseren Regeln von vor ein paar hundert Jahren nachempfunden, können manche Leute nicht heutzutage immer noch ungehindert Feldzüge führen ohne das sie jemand deswegen verurteilt.
Meine Beispiele sollten verdeutlichen, dass man in den virtuellen Welten wesentlich freier ist, was Machtausübung angeht, als in der realen. Klar werden heutzutage auch Kriege geführt, aber nicht von dir oder mir. Spiele bringen sie ins Wohnzimmer, lassen dich teilhaben. Der Spieler kontrolliert Konflikte mit seinen Mausklicks.
Versucht man nicht in Doom 3 sein Leben zu schützen, was in vielen Ländern im Grundgesetz festgeschrieben ist?
Hüstel... :wink: Also Doom3 würde ich jetzt nicht mit "Leben schützen" und dem "Grundgesetz" in Verbindung bringen. Ich denke da eher an das Rambo-Prinzip.
Freiheit kann...
schrieb am