Julian Dasgupta
Microsoft: In die Faust gelaufenEin Kommentar von Julian Dasgupta, 11.06.2013

Nach jeder E3 wird der Kampf um die Deutungshoheit in Konsolenring ausgefochten. Dieses Jahr vor allem zwischen Sony und Microsoft, die zum ersten Mal auch noch zeitglich ihre Neuheiten PlayStation 4 und Xbox One antreten lassen. Selten fiel die Meinung bei Presse und Spielern so eindeutig aus wie nach der gestrigen Nacht: Sony bekommt Applaus als Sieger und Microsoft hängt ziemlich in den Seilen.



Was genau musste Sony eigentlich machen, um gestern tosenden Applaus zu ernten? Fast nichts.

Microsoft hatte den Konkurrenten mit seinen eigenen Richtlinien in eine Position manövriert, in der die Mannen um Kaz Hirai einfach dadurch "gewinnen" konnten, dass sie am Status quo nichts ändern. Vom Freiheitsgrad der Nutzung (kein Region-Lock, Gebrauchtspiele, austauschbare Festplatte) bietet die PlayStation 4 nicht mehr als ihr Vorgänger - und Multiplayer ist zukünftig wie auf Xbox Live sogar kostenpflichtig.

Letzteres gilt aber nur als unbedeutende Fußnote des Abends; zu groß war die Freude über die anderen Neuigkeiten und den Preis des Systems. Dass gejubelt wird, wenn einem bisher vorhandene Rechte nicht genommen werden, spricht Bände über die Erwartungshaltung, die Spieler gegenüber den Konsolenherstellern und Publishern haben. Man erwartet Schlimmes und ist dann erfreut, wenn es nicht eintritt. Das sollte vielleicht mal beiden Seiten zu denken geben.

Es ist fast absurd, wie der Anlauf der neuen Konsolengeneration eine bizarre Version der vorherigen ist. Während Sony damals benebelt vom Erfolg der beiden ersten PlayStations behäbig und überheblich agierte und fast jedes PR-Fettnäpfchen mit erstaunlicher Zielsicherheit erwischte, haben Shuhei Yoshida & Co. in der Öffentlichkeitsarbeit dieser Tage fast alles richtig gemacht.

Mit dem Timing der Ankündigung feuerte man die erste Salve und nahm Fahrt auf, während sich Microsoft noch sammeln musste. Dass man der PlayStation 4 gleich acht Gigabyte teuren RAMs spendierte, dürfte dann nicht nur alle Entwickler überrascht, sondern auch die Konkurrenz auf dem falschen Fuß erwischt haben: Basierend auf den damals vorliegenden Infos dürfte Microsoft bis dahin fest damit gerechnet haben, den langsameren, dafür aber größeren Hauptspeicher anzubieten.

Schlau agierte man aber auch hinsichtlich der Themen, die man größtenteils vermied. Die damaligen Äußerungen über Gebrauchtspiele ließen einigen Interpretationsspielraum. Ob Sony seinerzeit entgegen jetziger Behauptungen noch nicht alles in Stein gemeißelt hatte und taktierte, oder einfach nur ahnend abwartete, spielt letztendlich keine Rolle: Beim Gang durch die Pfütze ließ man Microsoft geschickt den Vortritt.

In Redmond wiederum stolperte man auf bemerkenswerte Art in die neue Generation. Fast 25 Minuten benötigte der Hersteller, um bei der Vorstellung der Xbox One auf Spiele zu sprechen zu kommen. Dass jener Umstand Spielern sauer aufstoßen würde, hätte man sich eigentlich denken können. Der Verweis auf die E3 half nichts - das erste Fettnäpfchen hatte der Hersteller schon erwischt. Uninspiriert war auch das Softwareaufgebot, dessen Höhepunkt ein „neues“ Call of Duty: Ghosts sein sollte. Statt "Revolutionärem" gab es weder technisch noch inhaltlich etwas zu bewundern, was man nicht schon zuvor gesehen hatte.

Der wirklich Fauxpas geschah allerdings erst direkt nach der Premiere: Microsoft war sensationell schlecht vorbereitet auf das heikle Thema Gebrauchtspiele. Angesichts der zahlreichen teils widersprüchlichen Aussagen und Andeutungen war recht schnell nur eine Sache klar: nichts ist klar. In Verbindung mit Kinect und der Diskussion um Privatssphäre sowie Nutzerdaten schwappten sämtliche Negativthemen über die "lautstarke Minderheit" in die Allgemeinpresse hinaus - und der Konzern vermochte es zwei Wochen lang nicht, eine klare Antwort zu geben.

Mit einer Hauruckaktion bemühte man sich schließlich, der Stimmung in der vergangenen Woche entgegenzuwirken. Das Ansinnen war recht offensichtlich: Das Thema sollte aus der Welt geschafft werden, damit es nicht seinen Schatten auf die E3-Präsentation wirft. Das hatte ein paar Stunden lang fast funktioniert - bis Sony das Thema genüsslich und ausführlich zurück ins Rampenlicht zerrte. Wohlwissend um dessen Wirkung hatte man diesen spielepolitischen Schwerpunkt ins letzte Viertel der Präsentation gepackt und baute eine Kaskade an Seitenhieben gegen den Konkurrenten ein, um diesen dann am Ende - quasi "one more thing" - auch noch preislich alt aussehen zu lassen: Man ist 100 Euro günstiger als die Xbox One!

Leer wirkten auch Microsofts Versprechungen hinsichtlich der Indie-Freundlichkeit der Xbox One. Das möglicherweise interessante Below von Capybara Games wurde mit einem schlichten Trailer abgespeist, statt den Entwicklern vielleicht mal 30 Sekunden zu gewähren, ihr Projekt auch noch selbst vorzustellen. Dafür war in 90 Minuten natürlich keine Zeit, schließlich musste man ja noch drei Shooter ins Programm integrieren, die kaum auseinander zu halten waren. Dass man dann den Indie-Pflichtpunkt mit dem Schwergewicht Minecraft - wie wagemutig! - abhaken wollte, ist geradezu ein Armutszeugnis. Selbst im Indie-Bereich setzt Microsoft auf das, was dort angesichts des Erfolges als Mainstream eingeordnet werden muss. World of Tanks ist ein weiteres Indiz dafür, dass Don Mattrick und seine Leute Trends und Phänomenen im Spielebereich eher hinterherrennen anstatt sie selbst zu setzen.

Auch hier konnte Sony punkten: Man gestattet den kleinen Entwicklern wie schon auf der PlayStation 3 das Self-Publishing, also das eigenverantwortliche Veröffentlichen von Spielen ohne Publishing-Partner. Viele der gestern gezeigten Spiele sind zwar auch bereits für den PC angekündigt oder bereits erhältlich - in Sachen "Street-Credibility" hat Sony dank der über den Pub Fund geförderten Projekte und direkt finanzierter Spielen wie Flower, Journey oder The Unfinished Swan hier aber einen Vertrauensvorschuss und muss niemandem etwas beweisen.

In der Summe der Dinge lässt sich sagen: Sony hat Microsoft nicht unbedingt wie von vielen beschrieben den Knockout-Schlag verpasst, sondern die Faust ausgestreckt und dabei zugeschaut, wie die Konkurrenz rasant hineinläuft. Es wird interessant sein zu beobachten, wie Sony seinen Schwung in den kommenden Monaten nutzen wird. Und wie Microsoft mit dem umgeht, was sich nicht nur bei bei der gerne ignorierten "lautstarken Minderheit" zum Imageproblem des Systems entwickeln könnte. Eine Preissenkung wäre natürlich möglich - damit würde man aber quasi auch nahelegen, man habe den Nutzern zuvor deutlich mehr als notwendig abknöpfen wollen. Zweifelsohne wird es noch das von der Gerüchteküche ins Spiel gebrachte Kombo-Angebot aus günstigerer Konsole und Live-Abo geben, mit dem man zumindest auf dem Papier unter Sony-Verhältnisse rutschen kann.

Dass Microsoft angesichts der Kritik und der Konkurrenz auf seinen derzeitigen Kopierschutz-Ansatz komplett verzichtet, bleibt abzuwarten - dafür wäre nicht nur eine gehörige Portion Selbstkritik notwendig, sondern auch eine für große Konzerne eher untypische Flexibilität. Technologisch wäre eine DRM-Umstellung ein halbes Jahr vor dem Launch ein Wagnis: Da bisher alles auf Kontobindung von Spielen ausgelegt ist, kann man auf wesentliche Teile wie die dafür benötigte Online-Authentifizierung nicht mal eben verzichten.


Bis dahin muss Microsoft damit leben, die teurere, weniger offene, unflexiblere und technisch schwächere Konsole anzubieten. Es gibt angenehmere Dinge.


Julian Dasgupta
Redakteur

 

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