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KW 49
Freitag, 06.12.2013

Ein Gütesiegel gegen In-App-Käufe


Jetzt sind alle Dämme gebrochen: Rund 150 Euro Echtgeld kann man in Gran Turismo 6 für ein virtuelles Fahrzeug ausgeben. Im Vergleich dazu sind die 70 Euro für einen Lotus E21 in Forza 5 schon ein echtes Schnäppchen! Klasse, oder? Um den Nachbar zu ärgern, muss man nicht mal mehr die warme Stube verlassen und die reale Garage öffnen. In den Augen von Sony und Microsoft ist in Vollpreisspielen offenbar noch jede Menge Platz für Mikrotransaktionen – wobei der Begriff angesichts der erreichten Summen fast schon zum Euphemismus wird. Auch Branchengrößen wie EA und Ubisoft werden nicht müde, das Zeitalter der Mikrotransaktionen auszurufen. Zuletzt stimmte Avalanche-CEO Chris Sundberg in den Chor ein.

Dem klassischen „Hardcore-Gamer“ nutzt das alles herzlich wenig – oder hat euch schon mal ein Freund über tolle neue In-App-Käufe seiner liebsten Spielserie vorgeschwärmt? Warum werden also auf Biegen und Brechen immer mehr Elemente ins Spiel gezwängt, die am Interesse der Zielgruppe vorbeigehen? „So ist nun mal der Lauf der Dinge, ohne käufliche Extras lassen sich die Spiele eben nicht mehr finanzieren“, lautet das Totschlagargument. Ich sehe es anders. Dass man den Bogen auch überspannen kann, beweist der verhältnismäßig ruhige Start der Xbox One: Wer seinem Kunden zu viele bittere Pillen aufzwingen will, läuft Gefahr, ihn zu vergraulen. Auch die Begeisterungswelle für Kickstarter-Projekte ist ein Anzeichen für Bedarf an Konzepten abseits des Mainstreams.

Auch mir schlägt die Flut käuflicher Extras auf den Magen: Ich will doch nur spielen! Nennt mich altmodisch, aber ich habe am liebsten klassische, komplette Spielerlebnisse. Titel, in denen das Balancing einfach nur für spannende Rennen, Kämpfe oder andere Herausforderungen sorgt und mich nicht durch unnötiges "Grinden" zum Abkürzen per Echtgeld animiert - und Online-Shooter sollen mich für mein Können belohnen und nicht für meine Geldbörse. Ich bin mir sicher, dass es Millionen anderer ähnlich "altmodischer" Gamer gibt, die ganz genau so denken.

Doch wie soll man dieses – eigentlich einleuchtende – Argument den Herstellern schmackhaft machen, welche verständlicherweise Gewinn einfahren wollen? Mein Vorschlag lautet: Durch ein Gütesiegel. Warum machen wir es nicht einfach wie in der Bio-Branche? Wer einen klassischen, kompletten Titel ohne jegliche In-App-Käufe entwickelt, kennzeichnet ihn einfach durch ein entsprechendes Siegel auf der Verpackung oder im Online-Store. Das könnte z.B. ein kleines rundes Logo sein, mit einem Häufchen durchgestrichener Münzen und der Aufschrift "Ohne In-App-Käufe", "Frei von Mikrotransaktionen" oder einem anderen prägnanten Slogan.

Für mich als Konsument wäre das ein klares Qualitätsmerkmal und Verkaufsargument: Bei diesem Titel kann ich sicher sein, dass ich kein zerstückeltes Spiel kaufe und dass ich mich nicht mit Geschäftsmodellen in hässlich aufploppenden Werbe-Menüs auseinandersetzen muss. Ich könnte das Spiel genießen, ohne ständig unterbewusst darüber nachzugrübeln, ob oder wie viel Geld ich ausgeben muss, um die bestmögliche Motivation aus dem Spiel zu ziehen. Das ist ja auch gar nicht mein Job, sondern der der Entwickler. Meine Aufgabe als Spieler ist, Spaß zu haben - dafür habe ich schließlich 60 Euro bezahlt.

Zu Beginn würden vermutlich nur kleine Teams mitmachen. Doch wenn das Modell Erfolg hat, werden automatisch auch große Publisher aufmerksam. In der Bio-Branche war es ähnlich: Dort gab es zunächst auch nur ein kleines Grüppchen von Landwirten und Händlern, die merkten, dass durch industrielle Produktion immer mehr Dinge ins Essen gelangten, welche in ihren Augen nicht hineingehörten. Damals waren es z.B. giftige Spritzmittel oder den Boden ausdörrende Mineraldünger, in Videospielen sind es die Mikrotransaktionen. In den frühen Achtzigern sind meine Eltern noch mit mir zur Einkaufskooperative gefahren. Die befand sich in einem abgelegenen Hof am Waldrand, organisiert von Rudi mit seinem langen Rauschebart. Wenn man über die knorrige Treppe auf den Dachboden gestiegen war, musste man sich die Lebensmittel noch aus großen Stoffsäcken umfüllen und abwiegen.

Mittlerweile hat sich das Bild gewandelt: Wer Bio kauft, wird schon lange nicht mehr schräg angeguckt, die boomenden Naturkostketten sprießen regelrecht aus dem Boden und jeder Supermarkt hat mittlerweile eine große Bio-Abteilung mit Produkten für jeden Geschmack. Oft müssen sogar schon Waren aus dem Ausland importiert werden, weil die riesige Nachfrage nicht gedeckt werden kann.

Mit einem Siegel gegen Mikrotransaktionen könnte es ähnlich laufen. Die Rudis der Spielebranche könnten Indie-Entwickler werden – der passende Rauschebart ist ja oft schon vorhanden. Und sobald die Idee boomt, machen vielleicht auch die Großen mit, so dass auch die Forzas und Gran Turismos dieser Welt wieder auf Mikrotransaktionen verzichten. Man wird doch mal träumen dürfen!

Auf Dauer wäre es natürlich wichtig, dass sich entsprechende Initiativen bilden, welche das Einhalten der Vorgaben auch kontrollieren. Im Lebensmittelbereich gab es schließlich auch schon lange vor dem gesetzlichen Biosiegel der EU viele kleinere Verbände. Das Markenzeichen Demeter existiert beispielsweise seit 1929 – wer es auf sein Produkt pappen will, muss strenge Vorgaben erfüllen. Solche unterschiedlich strikten Regeln schaffen natürlich Spielraum. Je nach Siegel könnte man sich unterscheidende Vorgaben festlegen: Ab wann handelt es sich überhaupt um In-App-Käufe? Sind große Erweiterungen oder neue Levels per DLC erlaubt, sofern sie das Hauptspiel nicht beeinflussen? Wenn ein Hersteller kurz nach Spielstart sein Geschäftsmodell umstellt, müsste das natürlich geahndet werden, z.B. indem er in Zukunft das entsprechende Siegel nicht mehr nutzen darf.

Einige werden sich jetzt sicher ungläubig den Kopf schütteln oder sich fragen, warum ich mich überhaupt so aufrege. In Tablet- und Online-Rollenspielen sind Zusatzkäufe doch schon lange der Normalzustand und überhaupt: Es wird doch niemand gezwungen, etwas zu kaufen. Wer will, kann sich doch einfach alles freispielen! Ja, dieses Argument höre ich oft. Ist doch alles supi, die große Freiheit, alles kann, nix muss, fast wie im Swinger-Club.

Auch Sonys Shuhei Yoshida rechtfertigt den neuen Zusatzverdienst in GT6 damit: Ein netter kleiner Extra-Service für Spieler mit wenig Zeit und großer Brieftasche. Sorry, Shuhei, aber das nehme ich dir nicht ab. Ich bin natürlich so fair und warte den GT6-Test von Kollege Michael ab. Vielleicht nimmt das Bezahlmodell ja tatsächlich keinen Einfluss auf das Spieldesign. Doch allein schon die Möglichkeit per Geld abzukürzen, stört mich. Es liegt ständig diese Ungewissheit in der Luft: Lohnt es sich wirklich, mich anzustrengen? Oder bin ich nur der Hamster im Rad, der sich zuerst ein wenig abstrampelt und irgendwann entnervt aufgibt oder die Brieftasche zückt –also fast wie im schrecklich gestreckten Android-Rennspiel Real Racing 3.

Es ist beinahe schon ein Paradigmenwechsel, den der Einzug käuflicher Extras mit sich bringt. Esoterisch ausgedrückt ist beim klassischen Spieldesign meist der Weg das Ziel: Im Fall von Rennspielen ist das der Spaß am Fahren und daran, immer wieder über sich selbst hinauszuwachsen. In Free-to-play-Titeln verhält es sich umgekehrt. Dort zählt eher die Belohnung wie etwa ein neues Fahrzeug. Das Spielen an sich wird dagegen oft als lästig empfunden; als monotone Arbeit, die man am liebsten überspringen würde. Deswegen ist es wichtig, gar nicht erst zuzulassen, dass solche Mechanismen immer mehr Einfluss auf klassische Spiele nehmen. Bei einem Vollpreistitel haben sie für mich als Käufer nur Nachteile. Im Endeffekt zahle ich die gleiche Summe wie früher oder sogar mehr und bekomme im Gegenzug weniger gut ausbalancierten Spielspaß. Daher mein Aufruf an alle Entwickler, die ohnehin keine Lust auf die angeblich unausweichliche Micropayment-Zukunft haben: Bewerbt eure Titel mit einem entsprechenden Siegel! Weniger erfolgreich wird das Spiel dadurch bestimmt nicht.

Jan Wöbbeking

Redakteur


 

Kommentare

Hendrik schrieb am
Der Vergleich hinkt etwas - aber so nen Siegel hätte ich gerne. Gerade auf dem Handy kaufe/lade ich Spiele oft nicht, weil ich den Micropayment Kram nicht genau abschätzen kann und mir das dann lieber knicke.
Gruß, Hendrik
Lord Hesketh-Fortescue schrieb am
Kuckuck22 hat geschrieben:Es passiert doch tatächlich etwas in dem Bereich... http://www.spiegel.de/netzwelt/games/in ... 50755.html
Man darf da gar nicht drüber nachdenken. Es ist bizarr und beschämend, dass nicht unerhebliche Teile des F2P-Onlinegamings (und zunehmend auch MTA-verseuchte SP-Spiele) mittlerweile relevante Fälle für den Verbraucherschutz sind. Das passiert, wenn alles Spielerische, Spaßige, Naive und Motivationale zur reinen Lockvogel-Fassade verkommt und sich radikal einem knallharten Geschäftsmodell unterwerfen muss. Gamedesign wird lediglich als getarntes Geschäftsdesign missbraucht, quasi das Potemkinsche Spiel oder der süße Lolly vom fremden Onkel als sorgsam kultivierte Geschäftsmethodik. Offenheit und Transparenz wären hier nur unliebsame Verräter der eigenen Absichten. Und gerade Kinder und Jugendliche sind leicht um den Finger zu wickeln.
Trotz allem: Da regt sich was im Busch. Nicht nur bei den Briten. Auch das aufsehenerregende BGH-Urteil zu unzulässigen Werbe-Kaufaufrufen an Kinder in Onlinespielen (hier: Gameforge) vom letzten Jahr war ein deutliches Signal, dass hier seitens der Spieleindustrie einfach Bögen massiv überspannt worden sind. Leider ist dieses Urteil nicht rechtskräftig (mittlerweile wurde auch schon Einspruch eingelegt) und für ein BGH-Urteil außergewöhnlich schwammig und angreifbar in der Argumentation.
Und auch bei den Spielemagazinen scheint sich was zu tun. Vielleicht ist ja mit dem oberdreisten "Dungeon Keeper"-iOS-Verschnitt nun wirklich ein Knoten geplatzt und man erhebt sich aus der Lethargie (v.a. in den Tests selbst, hier hat man Macht, hier tut es weh!). Er ist wirklich an der Zeit, hier nun stärker Farbe zu bekennen und diesen Irrsinn, der da stattfindet, als solchen zu entlarven und gnadenlos abzustrafen. Das muss sich nicht undifferenziert und Hexenjagd-mäßig gegen jegliches F2P richten, aber bei dieser offensichtlichen Bauernfängerei und schreienden Verhöhnung von allem, was eine Spielkultur ausmacht,...
schrieb am