Benjamin Schmädig
Tim Schafer und die VertrauensfrageEin Kommentar von Benjamin Schmädig, 23.09.2014
Bin ich ein Verräter? Plötzlich stand ich auf der anderen Seite. Dort, wohin die Guten, die vermeintlich ungerecht Behandelten mit den Fingern zeigen. Wohin ich früher selbst gezeigt und gerufen habe: „Ihr würdet Kunst nicht erkennen, wenn sie euch ins Gesicht schlagen würde!", "Wieso hört ihr nicht auf die Spieler?", "Wo bleibt Psychonauts 2?", "Warum lasst ihr Tim Schafer nicht einfach machen?"

Nun, inzwischen darf Tim Schafer einfach machen – dank Kickstarter und Early Access. Ich selbst habe ihn mit einem zweistelligen Betrag unterstützt.

Ich werde das allerdings nicht noch einmal tun.

Denn so sehr ich Schafer als Künstler vertraue: Als Geschäftsmann hat er eine denkbar schlechte Bilanz.

Es begann im vergangenen Jahr, als Schafer offenbarte, dass er Broken Age nicht mit den kalkulierten Mitteln fertigstellen könnte. Jenes Spiel, dessen Budget auf Kickstarter zusammengetragen wurde und das eine anhaltende Euphorie für die Schwarmfinanzierung lostrat. Zur Erinnerung: Statt der ursprünglich veranschlagten 400.000 Dollar (davon knapp 300.000 fürs Spiel) stifteten knapp 90.000 Spieler etwa drei Mio. Dollar.

Trotzdem musste Schafer sein Adventure in zwei Teile spalten und darauf hoffen, dass die Verkaufszahlen des ersten die Fertigstellung des zweiten sicherten. Das war nie Teil des Plans! Das war ein verzweifeltes Daumendrücken "Hoffentlich geht’s gerade noch mal gut!". Damit stieß er diejenigen vor den Kopf, denen er ein fertiges Spiel versprach – auf dass sie bitte seine Arbeit finanzieren mögen. Natürlich habe ich nur einen überschaubaren Betrag in das Adventure investiert. Selbst ein nicht fertig gestelltes Spiel hätte ich also verschmerzen können. Wie es aber wohl ist, als alleiniger Publisher Millionen in ein Projekt investiert, um irgendwann solche Hiobsbotschaften zu erfahren?

Und heute ist es nicht Kickstarter, heute ist es Early Access. Steams Verkaufsplattform, auf der Spielemacher bereits frühe Fassungen ihrer Projekte zum Verkauf anbieten, um deren Entwicklung zu finanzieren. Auch hier ersetzt oder ergänzt die Masse der Spieler den Geldtopf des einen Publishers. Diesen Weg ging auch Spacebase DF-9 – kein von Schafer geführtes Projekt, für dessen Planung er als Studiochef aber verantwortlich zeichnet. Ein Projekt, bei dem er gemeinsam mit seinem Team davon ausging, dass ein ständiger Strom neuer Käufer eine Entwicklungszeit von fünf Jahren ermöglichen würde.

Wie blauäugig diese Annahme war, zeigt das vorzeitige Ende des Projekts gerade mal ein Jahr nach seiner Veröffentlichung. Wer Double Fine damals vertraut hat, wird auch hier vor den Kopf gestoßen. Denn Spacebase DF-9 wird nie das Spiel sein, das die Entwickler versprochen und in einer langen Liste geplanter Inhalte vorgezeichnet haben.

Bin ich ein Verräter, wenn ich ganz offen sage: Ich habe volles Verständnis dafür, wenn Publisher kein zweites Mal mit Tim Schafer arbeiten wollen?

Wo Geld fließt und Erwartungen geschürt werden, da müssen Versprechen gehalten werden, sowohl finanzielle als auch inhaltliche. Und wenn wiederholt auch nur eins der Ziele nicht erreicht wird, steht ganz zwangsläufig die Vertrauensfrage im Raum – viel eher noch, wenn Spieler und Geldgeber dieselbe Person sind.

Dank Early Access und der Schwarmfinanzierung lernt man die Macher hinter den Gesichtern heute wesentlich besser kennen. Entwickler und Spieler sind sich näher als je zuvor – auch deshalb ist mir Tim Schafer nach wie vor ungemein sympathisch und ich bin gespannt darauf, welche Abenteuer sein ideenreiches Studio in Zukunft veröffentlicht.

Doch obwohl ich Kickstarter und Early Access weiter unterstützen werde: In ein zweites Broken Age möchte ich nicht schon im Vorfeld investieren.

Da kann ich jeden Publisher verdammt gut verstehen!


Benjamin Schmädig
Redakteur
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