Jörg Luibl
E3 2015 : Euphorie und Vielfalt im ÜbergangsjahrEin Kommentar von Jörg Luibl, 18.06.2015

Das war für mich die bisher schönste E3. Auf Sonys Pressekonferenz wurde ich nach fünfzehn Jahren Berufskritik fast sentimental: Zwei der besten Spiele aller Zeiten werden endlich fortgesetzt – eines direkt, eines im Geiste. Mit Shenmue 3 und The Last Guardian erfüllen sich tatsächlich zwei Wünsche, an die ich als Ü40-Zocker naiv glauben musste. Ja, wedelt ruhig mit den Taschentüchern…

...aber das hat nichts mit Altersmilde zu tun: Ich freue mich unheimlich, dass Yu Suzuki und Fumito Ueda, diese beiden herausragenden Designer, ihre fast schon totgeglaubten Werke vollenden können. Shenmue war seiner Zeit im Jahr 2000 weit voraus und hat bis heute mit 95% die höchste Wertung bei 4Players eingeheimst. Shadow of the Colossus hat 2006 eine einzigartige Symbiose aus Reduktion und Monumentalität, aus Ruhe und Sturm inszeniert - die Gänsehaut im Finale werde ich nie vergessen. Sie stehen beide auf ihre Art für wichtige spielkulturelle Werte, für Tradition, Geist und Kreativität aus Japan. Der Kniefall vor westlicher Action hat schon genug Klassiker aus Nippon versaut - hallo Capcom.

Aber schnell weg von möglicher Resignation, zurück zur Freude über diese Spielemesse: Das war ein Traumstart in Los Angeles. Gerade eben wollte sich so etwas wie sommerliche Langeweile nach The Witcher 3: Wild Hunt breitmachen, da springt mir der Pip-Boy auf den Arm und zeigt auf die Apokalypse im November. Was hab ich Lust auf dieses Fallout 4, das mal so aus dem Nichts die wichtigste Rolle in diesem Weihnachtsgeschäft spielen dürfte. Nach dem Hexer schon wieder so eine Rollenspiel-Smartbomb, die die Konkurrenz verscheucht. Dass die größte Spielemesse der Welt so sympathisch von Bethesda eröffnet wurde, war scheinbar ein gutes Omen. Todd Howard hätte den Leuten mit seinem Charme sogar ein Pay-to-win-Modell in Fallout Shelter schmackhaft machen können – stattdessen wird es am selben Abend für Tablet veröffentlicht, während ich noch über Doom und Dishonored 2 grinse. Was für eine Vielfalt!

Natürlich war nicht alles perfekt. Auf den Pressekonferenzen der „Großen“ gibt es noch ebenso viel „groundbreaking“ wie „revolutionary“ - also überflüssige Phrasen. Dazu das breite Unsere-Konsole-ist-der-beste-Platz-zum-Spielen-Grinsen. Zwar nerven auch die Zickereien mit der zeitlichen Exklusivität sowie der falsche Stolz auf ach so tolle Partnerschaften, die nächstes Jahr ohnehin wieder wechseln. Aber wie wenig Marketing-Säbelgerassel es mittlerweile gibt - sehr angenehm. Microsoft und Sony konzentrieren sich auf das Wesentliche: die Spiele. Ist auch kein Wunder, denn man braucht in den nächsten zwei Jahren verdammt gute Argumente, um die Käufer mit der Software bei der eigenen Hardware zu halten – da draußen sollen ja immer mehr Leute an PC und Tablet zocken. Und welche Phalanx an Spielen da wöchentlich über Steam, Gog, AppStore & Co aufmarschiert! Wer braucht da eine Konsole?

Also schicken sie ihre Agenten von einer PAX im Westen zur nächsten im Osten und lassen auf Festivals in Europa alles an Studios kaufen oder zumindest zeitlich binden, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Heutzutage sind Independent-Spiele ein wichtiger Bestandteil des Portfolios. Und auch wenn ein Pixelschlachtfest wie Mother Russia Bleeds oder EITR (cool!) auf großer Bühne gegen ein Uncharted 4 etwas bizarr wirkt – es ist gut so. Denn was wäre diese E3 ohne die Anziehungskraft der Ideen aus No Man’s Sky, Everybody’s Gone to the Rapture oder DREAMS? Sony hat da frühzeitig die richtigen Fühler ausgestreckt.

Und endlich merkt man auch bei den Jungs aus Redmond, dass es abseits von Kinect, Molyneux & Co viel Interessantes zu entdecken gibt: Alleine Ashen, Tacoma und Recore haben mich so neugierig gemacht wie alle bisherigen Microsoft-Pressekonferenzen zusammen. Viel mehr als Gears of War 4 oder Halo 5. Aber was ist nur aus Rare unter Microsoft geworden? Warum lässt man dieses namhafte Studio in Sea of Thieves free-to-playbeuten? Zumindest sieht es so austauschbar aus.

Apropos: Hallo Nintendo, merkt ihr gar nicht, wie euch die Faszination flöten geht? Erkundungsreize bestimmen gerade den Puls der Zeit in vielen Bereichen des Spieldesigns. Und mal abgesehen davon, dass ihr auf dieser E3 keinerlei Vision anbieten konntet: Nicht nur im verantwortlichen Personal (Lead-Designer, Tech-Director und Art-Director der Retro Studios) für Recore steckt etwas von dem kreativen Kern des dreidimensionalen Metroid Prime, der mich über drei Serienteile fasziniert hat – jetzt wird Samus‘ Erbe auf dem 3DS so schnöde vergroßkopferisiert.

Wenn man schon nicht mit bekannten Marken auftrumpfen kann, wie wäre es mit einer großen Neuen? Eine, die technische Expertise und exploratives Spieldesign verbindet? Als ich Horizon: Zero Dawn von Guerilla Games gesehen habe, dachte ich noch, dass genau so etwas Frisches eigentlich Nintendo bräuchte. Sogar das Artdesign würde ihnen gut stehen. Auch wenn man noch abwarten muss: Sony beweist mit diesem hoch interessanten Spiel jedenfalls viel Mut und Kreativität hinsichtlich des exotischen Szenarios.

Man bemerkt immer öfter, dass viele Publisher begriffen haben, dass Spiele mehr sein können als Bombast, dass sie mehr Tiefe als Oberfläche anbieten können und dass der Fokus auf Fortsetzungen auch Hardcore-Fans einfach ermüdet. Man braucht auch frische Ideen abseits der etablierten Reihen, wenn man Käufer langfristig binden will. Ubi setzt mit For Honor einen neuen martialischen Impuls, EA rollt ganz emotional den Wollfaden aus. Klar gibt es noch genug starke Marken, große Flaggschiffe und Ikonen. Aber sie konnten auf dieser E3 nicht wirklich rocken.

Der klassische Shooter ist natürlich noch lange nicht tot –  wer kann sich schon dem Charme eines Doom oder Star Wars: Battlefront entziehen? Kimme und Korn machen zeitlos Laune. Aber wo die aufgespritzten Ballermänner früher die ganze Faszination eines Systems stemmen und als Systemseller dienen konnten, siehe Gears of War oder Killzone, wirken sie mittlerweile fast kraftlos in ihrem ewig gleichen Projektilgewitter.

Auch andere Actionpfeiler wie Assassin’s Creed drehen sich in ihrer eigenen ermüdenden Endlosschleife. Ich musste bei der Präsentation von Rise of the Tomb Raider gähnen, obwohl Lara Croft alles Halsbrecherische versuchte, um an verschneiten Steilwänden für Drama zu sorgen. Überrascht hat mich zudem, wie belanglos das Geballer und die anschließende Fahrt im Jeep in Uncharted 4 auf mich wirkte, der ich die Serie eigentlich sehr schätze. Nathan wird es diesmal schwerer haben zu faszinieren – nur aus ganz anderen Gründen als Lara, die natürlich mehr Potenzial nach oben hat. Mit Naughty Dog verbindet man nicht nur grafische Brillanz, sondern ein The Last of Us. Das war Action und Anspruch, Technik und Tragik, Immersion und Emotion – unser Spiel des Jahres 2013. So ein schweres Kaliber gab es weder bei Microsoft noch bei Sony.

Und bei aller Freude über die Vielfalt dieser E3:  Das Jahr 2015 ist vor allem für PlayStation 4 und Xbox One in vieler Hinsicht ein Übergang, bevor es 2016 richtig los geht – viele exklusive Abenteuer erscheinen bis Weihnachten nicht mehr für die Konsolen, und da hat Microsofts Konsole sogar die Nase vorn. Nintendo hat sich schon ausgeklinkt aus dem Wettbewerb und scheint die offizielle Ankündigung von „Codename NX“ für die E3 2016 vorzubereiten. Aber wenn man ein The Legend of Zelda noch für Wii U entwickelt: Wird die neue Konsole noch eine für große Abenteuer oder wechselt Nintendo die Strategie hin zu Smartphones und mobiler Unterhaltung radikaler? Das wäre fatal, denn der Pioniergeist dieses Entwicklers, der einige der besten Spiele aller Zeiten hervorgebracht hat, ist für den Wettbewerb der Zukunft unheimlich wichtig!

2016 wird es zeigen. Erst dann wird auch die Virtual Reality über 3D-Brillen im wahrsten Sinne des Worts sichtbar, wenn der von Facebook und Microsoft betreute Platzhirsch Oculus Rift Anfang des Jahres losstürmt und von einer Herde Konkurrenten verfolgt wird - darunter auch Valve und Sony; jüngster Spross: Star VR von Starbreeze. Wer soll sich das eigentlich alles auf den Kopf setzen? Und wer will sich tatsächlich in so einen Gehfrei mit Gurt stellen? Das kommt mir nicht in den Keller! Ob aus spielerischen Visionen wie Minecraft über Holo Lens oder Morpheus für PS4 auch intensive Erlebnisse werden? Ich bin da sehr skeptisch, zumal das Thema auf dieser E3 -vor allem von Sony- noch sehr stiefmütterlich behandelt wurde und für Oculus nicht mal ein konkreter Preis oder Termin genannt wurde.

Das war unterm Strich eine tolle E3 mit vielen positiven Überraschungen. Auch ohne die Ankündigung von Red Dead Redemption 2 kann ich mich  zurücklehnen und auf die nächsten Monate freuen. Die Spielewelt gewinnt an Vielfalt und Facetten, an Wettbewerb und technischen Möglichkeiten. Und das macht Hoffnung, dass auch die Erlebnisse abseits bekannter Pfade weiter reifen.


Jörg Luibl

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