Jan Wöbbeking
Was Halo erzählerisch von Call of Duty lernen kannEin Kommentar von Jan Wöbbeking, 12.11.2015
Es ist schon erstaunlich, welch großen Unterschied ein kleines Wort machen kann. Manch einer könnte es im Finale von Call of Duty: Black Ops 3 glatt verpasst haben, weil z.B. ein Freund im falschen Moment dazwischen gequatscht hat. (Und wer den Moment noch nachholen will, sollte in Anbetracht der massiven Spoiler lieber gar nicht erst weiterlesen!)

Eine einzige Sekunde stellt direkt vorm Abspann noch einmal die komplette Geschichte auf den Kopf - und genau das macht sie für Fans von The Prestige, Inception & Co. so interessant. Natürlich wirken die Dialoge und die dramaturgische Umsetzung nicht so geschliffen wie bei Nolan. Im Gegensatz zu Halo 5 hat mir Black Ops 3 aber etwas mit auf den Weg gegeben, das mich Tage nach dem Durchspielen noch beschäftigt. Für viele Serienfans mag es ärgerlich sein, dass sich die Handlung nur selten auf die Vorgänger bezieht. Ich bin aber froh darüber, dass Treyarch das erzählerische Experiment wagt, das im Finale einige Dinge aufklärt, aber trotzdem viel Interpretationsspielraum lässt.

Stundenlang hatte ich all das esoterische Wirrwarr über mich ergehen lassen. Immer wieder habe ich mich gefragt, ob der Wust neuer Namen, Gadgets, Fraktionen und psychedelischer Grenzerfahrungen irgendwann einen Sinn ergibt - ob der spielerisch oft monotone Trip durch die Techno-Schießbude wenigstens erzählerisch belohnt wird. Und siehe da: Nach vielen platten Kämpfen hatte ich im letzten Drittel beinahe schon den Eindruck, das Spiel durchschaut zu haben. Ich stecke mitten im Kampf gegen die KI, die ein eigenes Bewusstsein entwickelt hat – ich liebe dieses Thema einfach! Es mag durchgeknallt klingen, aber im Endeffekt arbeitet unser Gehirn schließlich auch nur mit elektrischen Impulsen zwischen Nervenzellen. Kann vielleicht irgendwann auch eine KI ein Ichbewusstsein entwickeln? Schwer zu sagen.

Umso interessanter, dass dieses Call of Duty nach der Motivation von „Corvus“ fragt, einer traumatisierten künstlichen Intelligenz, die fast ausschließlich aus negativen Erfahrungen menschlicher Versuchsopfer besteht. Rebelliert sie deswegen wie ein Mitglied der Friedensbewegung gegen ihre „Eltern“? Will sie ihre Söldner lediglich ins sichere digitale Nirvana retten? Wer die Welt der Menschen nur mit Leid und Gewalt in Verbindung bringt, empfindet den (vermeintlichen) Bewusstseins-Transfer in die digitale Welt vermutlich als Reise an einen besseren Ort. Ein elektronisches Gegenstück zum christlichen Himmel.

Aber hält die KI den eigens kreierten Limbus überhaupt für das gelobte Land oder ist er nur eine Falle, damit Corvus wieder in die reale Welt entfleuchen und andere Computersysteme hacken kann? Diese Fragen sind vor allem daher spannend, weil die KI den Sinn ihres Wirkens nicht zu kennen scheint. Immer wieder fragt sie nach dem Grund ihrer Existenz und dem wahren Ort des „vereisten Waldes“, der in den beruhigenden Worten des Hypnotiseurs doch so idyllisch beschrieben wurde. Manch einer spekuliert auch, dass sich das kurze Wort vorm Abspann auf eine ganz andere Weise deuten lässt. Wie genau möchte ich hier nicht verraten - falls ihr doch noch Lust bekommen habt, die Kampagne selbst durchzuspielen.

Als ich Missionen zum zweiten Mal anging, sah ich manche versteckten Hinweise zumindest mit anderen Augen. Genau solche erzählerischen Ansätze machen das Genre Science-Fiction für mich interessant. In diesem Punkt können sich Konkurrenten wie 343 Industries ruhig mehr von diesem Call of Duty abschauen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das als Halo-Fan mal sagen würde.

Jan Wöbbeking
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