Jörg Luibl
Ein Hoch auf die Kampagne!Ein Kommentar von Jörg Luibl, 09.05.2016
Für mich bleibt die Kampagne die Königsdisziplin der Spielewelt. Mich interessiert in erster Linie die Geschichte, egal ob in einem Shooter wie Doom oder einem Action-Adventure wie Uncharted 4. Einleitung, Hauptteil und Schluss reichen mir. Ich will nur das eine Abenteuer, offline und episch. Deshalb hat Epic Games mit seinem Online-Fokus gerade einen Kunden verloren – okay, Tim Sweeney wird es verschmerzen.

Ich bin ja auch sehr altmodisch. Ich brauche kein freischaltbares Drumherum oder digitale Extras, deaktiviere grundsätzlich alles an Trophäen und Community-Funktionen auf meiner PlayStation 4. Schon die kurze Anzeige von „Streams“ und „Aktivitäten“ anderer Leute nervt. Ich nutze nicht mal Facebook. Man könnte auch sagen, dass ich ein Offline-Öi bin.

Spätestens jetzt würde mein 20-jähriges Ich über diesen alten Sack mit seinen digital asozialen Tendenzen den Kopf schütteln. Es gab nämlich eine Zeit, da erschien mir alles, was man zusammen mit Freunden über das Internet zocken konnte, viel spektakulärer und intensiver. Was haben wir uns über Jahre (!) bei Steinzeitleitung in Age of Kings bekämpft oder in Dark Age of Camelot als Rollenspieler ausgetobt. Nicht nur PvP, MMO & Co waren cool: vor allem Koop hieß das Zauberwort.

Aber die Online-Magie der Pionierzeit ist für mich irgendwann verflogen. Ich weiß gar nicht, wann genau. Obwohl ich Strategiefan bin, kann man mich z.B. mit MOBA & Co jagen. Overwatch, Battleborn, Paragon? Ich weiß, alles andere Schwerpunkte, aber alles genauso langweilig. Die einzige interessante Entwicklung der letzten Jahre war für mich der Online-Modus in Demon’s Souls. Weil er das eigene Spielen interessanter und gefährlicher gestaltete, ohne bei aktivierter Vernetzung für einen Bruch in der Kampagne zu sorgen – da kroch der Nervenkitzel möglicher Überfälle mit durch die Leitung. Aber selbst da schalte ich mittlerweile lieber ab, weil mit dem Erfolg von Dark Souls auch die Nachrichtenflut kam.

Ich bin beim Lesen und Spielen am liebsten Egoist. Ich will in diesen Momenten nichts mit anderen teilen, sondern nur etwas erleben. Ich will mich für ein paar Stunden abkapseln, und zwar mit der kreativen Vision der Autoren und Entwickler. Natürlich hat das auch etwas mit unserer globalisierten Gesellschaft zu tun: Die permanente Vernetzung und Erreichbarkeit ist nicht nur anstrengend, sondern auch entzaubernd. Wenn man sie in Spielen nachahmt, legt sich über eine an sich fiktive Welt der Schleier des grauen Alltags. Ich will in ein Abenteuer fliehen und dabei nicht wie in der U-Bahn von der Kommunikation anderer eingeholt werden – Mirror’s Edge Catalyst treibt das gerade auf die Spitze. Ich zitiere mal aus Bens Vorschau:

„Selbst die Herausforderungen anderer Spieler, Rennen auf Zeit, sind ständig sichtbar; es gibt keine Möglichkeit sie auszublenden. Anders als im Vorgänger klettere ich also nicht über beinahe leere Dächer – eine Community, die außerhalb des Spiels existiert, rückt mir ständig auf die Pelle. “

Was für eine unheimlich bescheuerte Idee, was für ein Immersionskiller! Woher kommt dieser Trend? Warum ist die totale Online-Gegenwärtigkeit aller Welt so sexy? Warum brauchen wir diese Schwarmwirklichkeit? Das hat nichts damit zu tun, dass die Spielewelt offline nichts mehr zu erzählen hätte. Vielleicht liegt es daran, dass man heutzutage einfach alles an Daten anderer sehr leicht filtern und auch darstellen kann. Auf jeden Fall kann man Spiele online besser strecken, stückeln und mikrotransaktivieren, damit sich auf Dauer mehr digitale Umsätze ergeben. Vor lauter DLC sieht man dann manchmal das Ende gar nicht mehr. Dabei ist es genau das, was eine gute Geschichte auszeichnet.

Wesentlich sozialer bin ich in Spielen gegenüber künstlichen Lebensformen eingestellt: Seid also willkommen, ihr seelenlosen NSC, ihr Sidekicks und KI-Kameraden! Kooperativ kann man mit Kumpels viele tolle Momente erleben – gar keine Frage. Aber noch viel spannender ist es für mich, wenn ich mit computergesteuerten Begleitern unterwegs bin. Und noch viel faszinierender als Virtual Reality wäre es, wenn sich auch Artificial und Emotional Intelligence endlich entwickeln würden.

Naughty Dog zeigt in The Last of Us und aktuell in Uncharted 4, wie lebendig so ein Begleiter wirken kann. Vor allem, wenn man ihn nicht nur als interaktive Hilfe bei der Erkundung oder im Kampf, sondern auch als Teil des Storytellings glaubwürdig integriert. Es macht Spaß, wenn man sich auch mal umdreht, um Sam bei seinem Klettereinsatz zuzusehen oder wenn man ihn irgendwo aus der Ferne rufen hört, weil er etwas gefunden hat. Wenn er einem subtil über einen Kommentar oder brachial über einen Knockout hilft, wenn er sich also automatisch einbringt. Nicht zu vergessen: Über die Interaktion baut man eine Beziehung auf. Natürlich ist das nichts Neues und sind das alles Potenziale, die schon einige Spiele wie auch Bioshock: Infinite oder Fallout 4 andeuteten.

Aber was da noch alles an dramaturgischen Möglichkeiten brach liegt: Wie reagiert ein Begleiter auf Konflikte? Was wäre, wenn er sich gegen einen stellt? Was wäre, wenn aus dem Gefährten der Antagonist wird? Und je menschlicher, also unberechenbarer, das künftige KI-Verhalten, desto spannender werden Spiele und ihre Geschichten natürlich auch offline. Denn schließlich kann man ihnen eine differenzierte Rolle auf den Leib schreiben.

Daher ein Hoch auf die gute alte Kampagne!

Jörg Luibl

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