Kommentar

hundertprozent subjektiv

KW 19
Montag, 09.05.2016

Ein Hoch auf die Kampagne!


Für mich bleibt die Kampagne die Königsdisziplin der Spielewelt. Mich interessiert in erster Linie die Geschichte, egal ob in einem Shooter wie Doom oder einem Action-Adventure wie Uncharted 4. Einleitung, Hauptteil und Schluss reichen mir. Ich will nur das eine Abenteuer, offline und episch. Deshalb hat Epic Games mit seinem Online-Fokus gerade einen Kunden verloren – okay, Tim Sweeney wird es verschmerzen.

Ich bin ja auch sehr altmodisch. Ich brauche kein freischaltbares Drumherum oder digitale Extras, deaktiviere grundsätzlich alles an Trophäen und Community-Funktionen auf meiner PlayStation 4. Schon die kurze Anzeige von „Streams“ und „Aktivitäten“ anderer Leute nervt. Ich nutze nicht mal Facebook. Man könnte auch sagen, dass ich ein Offline-Öi bin.

Spätestens jetzt würde mein 20-jähriges Ich über diesen alten Sack mit seinen digital asozialen Tendenzen den Kopf schütteln. Es gab nämlich eine Zeit, da erschien mir alles, was man zusammen mit Freunden über das Internet zocken konnte, viel spektakulärer und intensiver. Was haben wir uns über Jahre (!) bei Steinzeitleitung in Age of Kings bekämpft oder in Dark Age of Camelot als Rollenspieler ausgetobt. Nicht nur PvP, MMO & Co waren cool: vor allem Koop hieß das Zauberwort.

Aber die Online-Magie der Pionierzeit ist für mich irgendwann verflogen. Ich weiß gar nicht, wann genau. Obwohl ich Strategiefan bin, kann man mich z.B. mit MOBA & Co jagen. Overwatch, Battleborn, Paragon? Ich weiß, alles andere Schwerpunkte, aber alles genauso langweilig. Die einzige interessante Entwicklung der letzten Jahre war für mich der Online-Modus in Demon’s Souls. Weil er das eigene Spielen interessanter und gefährlicher gestaltete, ohne bei aktivierter Vernetzung für einen Bruch in der Kampagne zu sorgen – da kroch der Nervenkitzel möglicher Überfälle mit durch die Leitung. Aber selbst da schalte ich mittlerweile lieber ab, weil mit dem Erfolg von Dark Souls auch die Nachrichtenflut kam.

Ich bin beim Lesen und Spielen am liebsten Egoist. Ich will in diesen Momenten nichts mit anderen teilen, sondern nur etwas erleben. Ich will mich für ein paar Stunden abkapseln, und zwar mit der kreativen Vision der Autoren und Entwickler. Natürlich hat das auch etwas mit unserer globalisierten Gesellschaft zu tun: Die permanente Vernetzung und Erreichbarkeit ist nicht nur anstrengend, sondern auch entzaubernd. Wenn man sie in Spielen nachahmt, legt sich über eine an sich fiktive Welt der Schleier des grauen Alltags. Ich will in ein Abenteuer fliehen und dabei nicht wie in der U-Bahn von der Kommunikation anderer eingeholt werden – Mirror’s Edge Catalyst treibt das gerade auf die Spitze. Ich zitiere mal aus Bens Vorschau:

„Selbst die Herausforderungen anderer Spieler, Rennen auf Zeit, sind ständig sichtbar; es gibt keine Möglichkeit sie auszublenden. Anders als im Vorgänger klettere ich also nicht über beinahe leere Dächer – eine Community, die außerhalb des Spiels existiert, rückt mir ständig auf die Pelle. “

Was für eine unheimlich bescheuerte Idee, was für ein Immersionskiller! Woher kommt dieser Trend? Warum ist die totale Online-Gegenwärtigkeit aller Welt so sexy? Warum brauchen wir diese Schwarmwirklichkeit? Das hat nichts damit zu tun, dass die Spielewelt offline nichts mehr zu erzählen hätte. Vielleicht liegt es daran, dass man heutzutage einfach alles an Daten anderer sehr leicht filtern und auch darstellen kann. Auf jeden Fall kann man Spiele online besser strecken, stückeln und mikrotransaktivieren, damit sich auf Dauer mehr digitale Umsätze ergeben. Vor lauter DLC sieht man dann manchmal das Ende gar nicht mehr. Dabei ist es genau das, was eine gute Geschichte auszeichnet.

Wesentlich sozialer bin ich in Spielen gegenüber künstlichen Lebensformen eingestellt: Seid also willkommen, ihr seelenlosen NSC, ihr Sidekicks und KI-Kameraden! Kooperativ kann man mit Kumpels viele tolle Momente erleben – gar keine Frage. Aber noch viel spannender ist es für mich, wenn ich mit computergesteuerten Begleitern unterwegs bin. Und noch viel faszinierender als Virtual Reality wäre es, wenn sich auch Artificial und Emotional Intelligence endlich entwickeln würden.

Naughty Dog zeigt in The Last of Us und aktuell in Uncharted 4, wie lebendig so ein Begleiter wirken kann. Vor allem, wenn man ihn nicht nur als interaktive Hilfe bei der Erkundung oder im Kampf, sondern auch als Teil des Storytellings glaubwürdig integriert. Es macht Spaß, wenn man sich auch mal umdreht, um Sam bei seinem Klettereinsatz zuzusehen oder wenn man ihn irgendwo aus der Ferne rufen hört, weil er etwas gefunden hat. Wenn er einem subtil über einen Kommentar oder brachial über einen Knockout hilft, wenn er sich also automatisch einbringt. Nicht zu vergessen: Über die Interaktion baut man eine Beziehung auf. Natürlich ist das nichts Neues und sind das alles Potenziale, die schon einige Spiele wie auch Bioshock: Infinite oder Fallout 4 andeuteten.

Aber was da noch alles an dramaturgischen Möglichkeiten brach liegt: Wie reagiert ein Begleiter auf Konflikte? Was wäre, wenn er sich gegen einen stellt? Was wäre, wenn aus dem Gefährten der Antagonist wird? Und je menschlicher, also unberechenbarer, das künftige KI-Verhalten, desto spannender werden Spiele und ihre Geschichten natürlich auch offline. Denn schließlich kann man ihnen eine differenzierte Rolle auf den Leib schreiben.

Daher ein Hoch auf die gute alte Kampagne!

Jörg Luibl

Chefredakteur

 

Kommentare

Veldrin schrieb am
Und noch viel faszinierender als Virtual Reality wäre es, wenn sich auch Artificial und Emotional Intelligence endlich entwickeln würden.
+1
Die Grafik, die Inszenierung. Das entwickelt sich ständig weiter und weiter und immer weiter. Wohingegen sich andere Dinge kaum entwickeln oder stehenbleiben. Das ist schade. Aber würden Spieler nicht so optikfixiert sein, gäbe es wohl auch in anderen Bereichen signifikante Fortschritte.
keiner einer schrieb am
Hätte ich vor 2-3 Jahren so unterschrieben, allerdings bin ich gerade in der Abstrusen Situation hier ein total verbugtes, total repititives The Division vor mir liegen zu haben und ein einfach fantastisch designtes Uncharted 4 und was soll ich sagen, sobald einer meiner Freunde online ist, tauche ich in Manhattan ein.
Kein künstlicher Charakter ist so Interessent wie ein realer Mensch.
Kein noch so guter Storytwist ist so befriedigend wie ein doch noch so gerade eben herum gerissenes Scharmützel mit Freunden.
WIe gerne hätte ich einen Koop Modus in Uncharted gehabt?
Das Spiel ist so unfassbar gut, aber was ist den besser, als sich nach einem Durchspielen mit anderen über die Story aus zu tauschen? Genau, sich WÄHREND des Spielens mit anderen aus zu tauschen!
Deshalb mein Plädoyer pro Koop!
Ach ja Facebook stinkt und Bestenlisten sind der reinste Abturner, wenn man gerade mit ach und krach ein Level geschafft hat und sich darüber gerade ein Schnitzel freut.
So ist es mir das erstem la bei dem Plattformer mit Rätseleinlagen "Party of Sin" aufgefallen. "Yeah ich habe dieses verdammte Level siegt...was soll das heissen, ich bin auf platz 1086413810340? Ach Fu...!"
Ich muss auch auf meiner PS4 endlich mal die Erfolge ausschalten!
mindfaQ schrieb am
Für mich ist Gameplay die Königsdisziplin, weil dieses mich wesentlich intensiver involviert als eine Storypräsentation.
Die besten Geschichten habe ich bisher immer noch in Büchern erlebt, ich brauche da auch nicht die Interaktivität.
UluKay schrieb am
Ich muss Dir voll und ganz recht geben. Bin inzwischen 58, und finde kaum noch Spiele die mich eintauchen lassen. Witcher 3 war zum Glück mal eine Ausnahme. Auch ich habe mich online ausgetobt. CS im Clan und ESL war ein paar Jahre faszinierend. Genauso mein erstes MMO Herr der Ringe. Beides mit meiner Frau zusammen. Aber die Zeiten sind längst vorbei. :-( Vielleicht sind wir nur noch alte Knacker ;-)
C64-Phenom 2-1982-2011 schrieb am
Mensch Jörg,
so langsam machst du aus mir noch einen Luibl-Fanboy.
Die Kolle fand ich zur Abwechslung mal sehr gehaltvoll. Nice to read.
Kann dem auch nur zustimmen. Bin mit 46 aber auch schon zu alt für diesen ganzen Social-Media-Quatsch-Gedöhns.
Ich liebe und sterbe für eine gut erzählte Singleplayer-Kampagne. Für mich immer noch der heilige Gral aller Kampagnen:
S.T.A.L.K.E.R. Shadow of Chernobyl. Das Ding hat mich so dermaßen eingesaugt, wie kein zweites. Okay, die Story gewinnt vielleicht keinen Oscar, aber die Atmosphere der Spielwelt ist so einzigartig. Spiele es immer noch in aller Regelmäßigkeit.
Als ich damals das erste Mal einen Fuß in die unterirdischen X-Labore setzte, war das wie nach Hause kommen.
Weiter so Jörg!
schrieb am